Lilium: Fragen an Investor Frank Thelen

Lilium Jet
Fragen an Investor Frank Thelen

Zuletzt aktualisiert am 17.01.2020
Fragen an Investor Frank Thelen
Foto: Frank Thelen / Frank.io

Die Fragen des aerokuriers erreichten Freigeist Capital am 13. Dezember 2019 mit folgendem Anschreiben:

Sehr geehrter Herr Thelen,

der aerokurier als vielseitigstes deutsches Magazin für die Allgemeine Luftfahrt recherchiert gerade eine Geschichte rund um das Startup Lilium, in das auch Freigeist Geld investiert hat. Ausgangspunkt unserer Recherche ist die umfassende Konzeptbetrachtung eines Luftfahrtingenieurs, der in seinen Rechnungen zu dem Schluss kommt, dass die von Lilium postulierten Leistungsdaten – fünf Personen mit 300 km/h über 300 Kilometer mit elektrischem Antrieb zu befördern – mit dem heutigen Stand der Technik unmöglich sind. Sie sind nicht einmal annähernd zu realisieren, vielmehr bleibe für das voll einsatzfähige Fluggerät laut seinen Berechnungen eine Flugzeit von wenigen Minuten und eine Reichweite unter 20 Kilometer.

Die Rechnung haben wir von zwei Universitätsprofessoren überprüfen lassen, beide kommen mit geringfügigen Varianzen zu ähnlichen Ergebnissen. Das Fazit aller drei: Lilium kann so nicht funktionieren. Was seine Entwickler behaupten, ist gegen die Physik.

Einerseits haben wir Lilium mit unseren Rechercheergebnissen konfrontiert und sind gespannt auf die Antworten der Firma. Andererseits interessiert uns aber auch, warum Investoren Geld in Firmen stecken, die ein Produkt mit im Prinzip unerfüllbaren Leistungsdaten anpreisen. Aus diesem Grund würde ich mich freuen, wenn Sie mir folgende Fragen beantworten können:

  • Wie ist Freigeist Capital zum Investment bei Lilium gekommen?
  • Hat Lilium Freigeist Capital allein durch das gewinnende Auftreten überzeugt oder haben sie sich von der Machbarkeit des Konzepts überzeugt?
  • Gibt es bei Freigeist Capital Experten, die ein solches Konzept auf seine technische Realisierbarkeit hin überprüfen können?
  • Ist man bei Freigeist Capital weiterhin vom Erfolg des Projekts Lilium überzeugt?
  • Es gibt Kommentare von Frank Thelen – beispielsweise auf LinkedIn – in denen er von einem bedeutenden Tag für die künftige Mobilität schreibt und überzeugt die Parameter von Lilium zitiert. Läuft man mit solchen Kolportagen nicht Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen? Noch einmal: Professoren, die sich ihr ganzes Forscherleben lang mit Flugzeugbau, Antrieben und Aerodynamik befasst haben, halten das Konzept in dieser Form für unrealisierbar.
  • Wie viel Geld hat Freigeist Capital in Lilium investiert?

Für eine Antwort auf die Fragen bis Dienstag, 16. Dezember, wäre ich Ihnen sehr dankbar und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Lars Reinhold

Eine Unterstellung und bissige Antworten

Die Antwort von Freigeist Capital erreichte uns pünktlich am 16. Dezember und begann mit einer für uns überraschenden Einleitung:

Hallo Herr Reinhold,

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Untenstehend finden Sie die Antworten auf Ihre Fragen, vorab möchten wir Ihnen aber noch eine persönliche Einschätzung mit auf den Weg geben

Es scheint, als haben Sie Ihre Entscheidung bezüglich der negativen Ausrichtung dieses Artikels bereits getroffen. Wir bedauern dies sehr und sind offen gesagt etwas erschüttert über die teilweise doch sehr wertenden Fragestellungen. Sie zweifeln unter anderem unsere Kompetenz und Glaubwürdigkeit als Tech-VC an, da wir hinter den von Lilium kommunizierten Parametern des Jets stehen. Wir begleiten das Unternehmen bereits seit fast 4 Jahren und haben uns tiefgreifend mit der Technologie auseinandergesetzt. Hierfür liegen uns kritische Informationen und Parameter vor, die Ihren Professoren nicht vorliegen dürften, wodurch ihre Einschätzung hinsichtlich der Machbarkeit des Jets nicht hinreichend fundiert sein kann. Wir bitten Sie nochmals zu reflektieren, ob Sie auf Basis einer solchen, lückenhaften Kalkulation einiger Professoren wirklich ausschließen könnten, dass einem Team von mittlerweile fast 400 Personen mit herausragenden Köpfen (Dirk Gebser, Lionel Wallace, Yves Yemsi, Luca Benassi, Rainer Hönig, …) ein technologischer Durchbruch in der Luftfahrt gelungen ist. Lilium wird in den nächsten Monaten mit den Flugtests des Prototypen immer wieder neue Meilensteine erreichen und veröffentlichen. Daher machen Sie sich bitte keine Sorgen um unsere Glaubwürdigkeit, sondern reflektieren lieber noch einmal, ob Sie diese Meilensteine heute als "unrealisierbar” einstufen möchten. Sie würden sich damit nicht nur gegen ein junges europäisches Unternehmen positionieren, das nach langer Zeit erstmals wieder die Möglichkeit hat, mit deutscher Ingenieurskunst und Innovationskraft zu einem Weltmarktführer heranzuwachsen, sondern müssten Ihre Aussagen in den nächsten Monaten auch zurück nehmen, wenn Lilium weitere Testflüge veröffentlicht. Dies wird zu Lasten Ihrer Reputation gehen.

Wie ist Freigeist Capital zum Investment bei Lilium gekommen?

Lilium hat sich 2016 über den klassischen Weg mit einem Pitchdeck um ein Investment beworben.

Hat Lilium Freigeist Capital allein durch das gewinnende Auftreten überzeugt oder haben sie sich von der Machbarkeit des Konzepts überzeugt?

Freigeist hat tiefgreifende Einblicke in die Entwicklung von Batterie-Technologien, sowie das notwendige Wissen, um die grundsätzliche Machbarkeit eines Lilium Jets zu prüfen. Aber es benötigt herausragende Köpfe, um das physikalisch Machbare wirklich umzusetzen. Hier haben uns die vier Gründer überzeugt.

Gibt es bei Freigeist Capital Experten, die ein solches Konzept auf seine technische Realisierbarkeit hin überprüfen können?

Unser Team verfügt über sehr fundiertes Wissen in den Bereichen Physik und Elektrotechnik. Wir haben den technologischen Ansatz tiefgehend geprüft, bevor wir in das Startup investiert haben.

Ist man bei Freigeist Capital weiterhin vom Erfolg des Projekts Lilium überzeugt?

Wir waren schon immer überzeugt davon, dass es technisch möglich ist. Inzwischen hat das Team gezeigt: es kann das notwendige Kapital und Talent gewinnen, um weltweit führend zu sein. Daher gehen wir heute mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit davon aus, dass Lilium der Weltmarktführer in diesem neuen Markt wird.

Es gibt Kommentare von Ihnen – beispielsweise auf LinkedIn – in denen er von einem bedeutenden Tag für die künftige Mobilität schreibt und überzeugt die Parameter von Lilium zitiert. Läuft man mit solchen Kolportagen nicht Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen? Noch einmal: Professoren, die sich ihr ganzes Forscherleben lang mit Flugzeugbau, Antrieben und Aerodynamik befasst haben, halten das Konzept in dieser Form für unrealisierbar...

Der Unterton Ihrer Frage ist unverschämt, trotzdem beantworte ich diese sachlich: Das besondere an Lilium ist der komplett neue, disruptive Ansatz. Auch Forscher, die sich ihr ganzes Leben mit Flugzeugbau und co. befasst haben, können, ohne mit allen Parametern der Technologie vertraut zu sein, keine fundierte Einschätzung zur Machbarkeit des Lilium-Projektes abgeben. Was wir hier sehen, ist eine Grundproblematik der Deutschen: Wir sind das Volk der Bedenkenträger. Anstatt innovative, junge Unternehmen und visionäre Gründer zu unterstützen, ersticken wir ihre innovativen Ideen mit unserer Skepsis im Keim. Wir schließen von den Möglichkeiten der Vergangenheit auf die Möglichkeiten der Zukunft und vergessen dabei, dass technologischer Fortschritt schon sehr oft Dinge ermöglicht hat, die ein paar Jahre zuvor noch undenkbar waren. Sie stützen sich auf die Meinungen einiger Professoren, die nicht die nötigen Parameter kennen, um die Lilium-Technologie bewerten zu können und halten es für komplett ausgeschlossen, dass einer Reihe hochkarätiger Ingenieure und Experten, die seit vielen Jahren an dem Lilium-Jet arbeiten, ein Durchbruch in der Geschichte der Luftfahrt gelungen ist?

Auch meine Aussagen zu Tesla wurden und werden teilweise noch heute belächelt. Es ist schwer zu verstehen, warum Tesla "plötzlich” erfolgreich den Verbrenner verdrängt aber es wird passieren.

Wie viel Geld hat Freigeist Capital in Lilium investiert?

Die genaue Investmentsumme haben wir nie bekanntgegeben und werden dies auch zukünftig nicht tun. Zur damaligen Zeit war das Investment in Lilium unser größtes Investment – wir waren von Anfang an überzeugt von der Technologie und den Gründern, sahen aber den Aufbau der Organisation und das benötigte Kapital als Risiko. Das Team konnte herausragende Köpfe von Airbus, Boeing, Audi, Tesla, SpaceX und weiteren für sich gewinnen. Mit Tencent, Atomico und LGT sind sehr, sehr starke Investoren an Bord.

Wie stichhaltig sind Thelens Aussagen?

Ein Investor unterstellt uns Voreingenommenheit und sorgt sich um die Reputation eines Mediums, das als einziges nicht blind Beifall klatscht, wenn ein Startup eine Revolution verkündet – starker Tobak. Im Dialog mit den am Entstehen des Artikels Beteiligten wurden Thelens Aussagen diskutiert und hinterfragt. Dabei kamen einige Punkte zur Sprache, die zumindest zweifelhaft sind. Thelen sieht in Lilium den künftigen Weltmarktführer in diesem Segment – angesichts nicht namenloser Konkurrenz wie Uber Elevate, Bell Nexus und Airbus Vahana und deren Know-How und finanzieller Ausstattung klingt diese These ziemlich gewagt und steht damit voll und ganz in der Tradition der hochtrabenden Lilium-Äußerungen. Auch der disruptive Ansatz Liliums, den Thelen anführt, ist noch lange kein Garant für die Umsetzbarkeit des Projekts.

Bedenklich stimmt weiterhin, dass er die Kritik von ausgewiesenen Experten, die sich ihre ganze akademische Karrie lang mit der Umsetzbarkeit von Luftfahrtprojekten beschäftigt haben, mit dem Verweis auf fehlenden Einblick in die Details beiseite wischt. Im Ernst: würden Hochschulprofessoren, die einen Ruf zu verlieren haben, sich allen Ernstes so äußern, wenn sie nicht nachgerechnet und ihre Ergebnisse auf Plausibilität hin geprüft hätten? "Es ist erstaunlich, wie Herr Thelen die Professoren geringschätzt und für wie übermenschlich er offenbar das Lilium-Team hält", kommentiert der Autor der Konzeptkritik.

Schließlich wirft Thelen dem aerokurier und den Deutschen im Allgemeinen eine Mentalität vor, die Gründer von vornherein ausbremst. Hier schießt der Investor komplett übers Ziel hinaus, denn seit das Lilium-Team um 2015 erstmals öffentlich in Erscheinung trat, hat man den Gründern so ziemlich jede Bühne gewährt, um die sie gebeten haben. Tageszeitungen und Onlineportale berichteten, in sozialen Netzwerken wurde über die Entwicklung diskutiert und sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem Lilium-Team auf dem Digitalgipfel am 4. Dezember 2018 ihre Aufwartung gemacht, im Schlepptau Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung. Und auch hier hat CEO Daniel Wiegand noch einmal sein Mantra von den 300 Kilometer und 300 km/h wiederholt und auf die Frage Merkels, wie lange die Ladezeit für einen 300-Kilometer-Flug betrage, behauptet, das dasss es zum damaligen Zeitpunkt etwa 30 Minuten brauchte, mit neuen Batterien sogar nur 15 Minuten. Das Video kann man sich nach wie vor auf dem Twitter-Kanal von Regierungssprecher Steffen Seibert anschauen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt