Verkehrslandeplatz Rothenburg/Görlitz: Der (fast) Mile-High-Club

LSV Rothenburg
Der (fast) Mile-High-Club

Zuletzt aktualisiert am 26.12.2024
Der (fast) Mile-High-Club
Foto: Stephanie Keller

Ganz naiv will ich mich für das letzte August-Wochenende beim Luftsportverein Rothenburg anmelden. Dabei erfahre ich, da ist gar kein Flugbetrieb. Auch die Woche darauf ist nichts geplant, was mich im ersten Moment etwas verdattert, denn wir sind ja noch in der Saison. Volker Wollert,Vorstandsmitglied und Flugleiter auf dem Flugplatz Rothenburg, klärt mich schnell auf. "Wir sind etwas anders aufgestellt, kein klassischer Verein." Mein Interesse ist geweckt. "Unsere Mitglieder sind in der ganzen Republik verstreut, daher treffen wir uns nicht jede Woche, sondern zu diversen Fliegerlagern, um gemeinsam abzuheben." Das nächste anstehende Event ist das Abfliegen Ende September bis Anfang Oktober. Oha, ich bin gespannt, ob der Wettergott es so spät im Jahr gut meint.

Nach einer fast hochsommerlichen Woche Ende September rauscht pünktlich Freitagnacht eine Kaltfront durch. Ich sitze in meinem Hotelzimmer und höre die Tropfen auf das Dach prasseln und den Wind um die Ecke pfeifen. Na prima. Ob das was wird? Die Prognose behauptet: ja, ich traue dem Wetterbraten aber noch nicht. Am Morgen sieht es dann aber tatsächlich ganz freundlich aus, hier und da lugt sogar ein Sonnenstrahl durch. Für zehn Uhr ist das Briefing angesetzt. In einem netten Freiluft-Pavillon sitzt die Truppe schon zusammen. Mit Erstaunen stelle ich fest, ich bin nicht der einzige Gast. Heute ist Besuch aus Bronkow und sogar aus Bern vor Ort. Nicht das erste Mal – Wiederholungstäter, wie ich erfahre. Ganz normal hier, denn Gastfreundschaft wird großgeschrieben. Ich lerne: Wer hierherkommt, der unterliegt höchster Infektionsgefahr, und wer sich das Rothenburg-Virus erstmal eingefangen hat, verteilt es auch gern im Heimatverein und rückt dann beim nächsten Mal mit größerer Gruppe an. Superspreader mal anders definiert.

Stephanie Keller

Das ist auch ein wenig das Geheimnis der Entstehung und vor allem des Fortbestehens des Vereins. Alles begann 1999; der Club feiert also silbernes Jubiläum. In unmittelbarer Nähe zum Flugplatz gab es ein Gymnasium. Um den rückläufigen Schülerzahlen entgegenzuwirken, wurde die Idee ausgeheckt, mit dem besonderen Angebot "Abitur und Fluglizenz" die Attraktivität der Schule zu steigern. So wurde der Rothenburger Luftsportverein gegründet. Einige Jahre ging das gut. Zwar wurde das Gymnasium irgendwann geschlossen, die Begeisterung fürs Fliegen aber blieb. Seitdem kamen und kommen auch immer wieder Gäste, die sich hier wohlfühlen und hängenbleiben. Einheimische Vereinsmitglieder hingegen gibt es nur wenige. Uli Voigt, erst seit einem Jahr dabei, meint: "Das ist so entspannt hier. Da bin ich sofort eingetreten."

Betagtes Geflügel im Einsatz

Mittlerweile ist das Briefing zu Wetter, Platzsituation und umliegenden ED-Rs beendet. Die drei Vereinssegelflugzeuge – ein Bocian, ein Twin III und ein Jeans Astir – werden aus der Halle geschoben, gecheckt und bestückt. Der gute alte Bocian muss im Laufe des Tages immer wieder kleine Spitzen ertragen. Für die Ausbildung ist der polnische Doppelsitzer dank seiner Gutmütigkeit hervorragend geeignet, aber wahrlich keine Rennmaschine. Die Schleppmaschine, eine C42, bleibt im Stall. Heute geht es nur an der Winde hoch.

Stephanie Keller

Zum Glück haben wir nordwestlichen Wind und müssen nur bis zur Südstartstelle, das erspart den schier unendlichen Wanderweg nach Norden. Schier unendlich? Da kommen wir zur nächsten Besonderheit: Hier wird nicht mit einer normalen Winde, sondern mit einer Höhenwinde Marke Eigenbau geschleppt. An bis zu 3000 Meter langen Seilen werden die Segler in den Orbit geschossen. Ein Chevrolet Big Block mit 430 PS sorgt für ausreichend Power. Verbunden ist dieser mit einem Automatikgetriebe TH 400, das ausschließlich im zweiten Gang arbeitet – ich lerne, dass die Winde nicht schalten darf – und mit zwei Seiltrommeln mit Kunststoffseilen. Norbert Jähnert hütet die Winde wie seinen Augapfel. Wie geleckt sieht sie aus, und stolz berichtet er, dass es, seitdem sie unter seinen Fittichen ist, keinen einzigen Seilriss gegeben hat.

Die Winde geht auf das Jahr 2008 zurück. Damals wurde der erste Kunstflugeinsteiger-Wettbewerb hier in Rothenburg durchgeführt, allerdings noch an einer Elektro-Gastwinde. Bereits 2011 hatte der Verein seine eigene und konnte den Kunstflugwettbewerb im Doppel mit einer Gastwinde bewerkstelligen.

Stephanie Keller

Der ruhige und hilfsbereite Lepofahrer André nimmt mich mitsamt den Seilen zurück an die Startstelle. Jetzt bin ich gespannt wie ein Flitzebogen und bastele mich in den Twin III. Ich habe schon einige tausend Flüge absolviert, aber der Schlepp an einer Höhenwinde ist eine Premiere für mich. In der Ferne erahne ich die Winde nur als kleinen Punkt. Die Wolken haben mittlerweile aufgemacht und sich zu netten Cumuli geformt. Die Basis liegt bei rund 1000 Metern. Nun ja, im besten Fall bin ich dann nach dem Schlepp wohl über den Wolken.

Stephanie Keller

Ich melde den Twin, in dem ich zusammen mit Gerd Uhlig sitze, abflugbereit, und los geht’s. Die Nadel des Höhenmessers erklimmt zügig die Skale, überstreicht einen Hunderter-Strich nach dem andern. Eigentlich fliegt es sich wie an einer normalen Winde, hört aber eben nicht bei 300 oder 400 Metern auf. Ordentlich vorhalten ist hier angesagt, sonst liegt das lange Seil beim Nachbarn im Garten. Die Wolken erscheinen neben mir, und es geht immer noch höher. In 1140 Metern klinkt das Seil aus. Direkt aus der Winde die Erdkrümmung zu sehen ist irre, denke ich grinsend. So muss es auch dem Schweizer Martin Rosell bei seinem ersten Höhenschlepp gegangen sein, danach wurde er spontan Fördermitglied. Das war heute der höchste Schlepp, aber der Rekord im Doppelsitzer liegt bei 1400 Metern und im Einsitzer bei 1470 Metern – was den Rothenburger Luftsportverein beinahe zum Mile-High-Club macht. Im übertragenen Sinne, versteht sich. Um solche Ausklinkhöhen zu erreichen – das muss man sich, um mal im sexpositiven Bilde zu bleiben, eingestehen –, kommt es doch irgendwie auf die Länge an.

Jetzt heißt es Thermik suchen. Ach nein, die ist ja unter mir. Also erstmal die Landschaft bewundern. Direkt neben dem Platz schlängelt sich die Neiße entlang. Nordwestlich liegt eine Teichlandschaft, in der sich unzählige Wasservögel tummeln. Während es in Blickrichtung Nord plattes Land gibt, beginnen nur wenige Kilometer südlich das Zittauer Gebirge, das Isergebirge, und auch das Riesengebirge ist nicht weit. Bei guter Sicht kann man die 60 Kilometer entfernte Schneekoppe sehen. Heute blicke ich in erster Linie auf die Landeskrone. Dieser kleine Berg bei Görlitz fällt durch seine Form ins Auge. Er sieht so aus, wie ein Kind einen Berg malt. Auf polnischer Seite verliert sich der Blick im Grün. Hier schließen sich große Wälder an. Diese riesige Fläche ist beeindruckend, zwar nicht wirklich gut landbar, aber thermisch nicht zu verachten. Allerdings, die "Aufzüge" sind hier anscheinend nur mit Aufwärts-Buttons ausgestattet. Der trockene Sandboden birgt das Potenzial einer perfekten Rennstrecke.

Stephanie Keller

Potenzial für Streckenflüge

Nun sind wir langsam unter die Wolken gesunken. Mal sehen, ob sich an diesem 30. September noch Aufwinde finden lassen. Um uns herum ein paar Geier, die uns schief durchs Fenster ansehen. Die wissen, wo es geht, und tatsächlich, das Vario piepst. Nach 45 Minuten sind wir schon mal fast unten und buddeln uns aus 200 Metern wieder aus.

Was ist denn das? Feinste Wolkenstraßen bauen sich auf, und teilweise schreit uns das Vario mit einem Steigen von knapp drei Metern an. Wir haben gleich Oktober. Ich frage mich, was hier eigentlich im Sommer abgeht. Sicher auch ein Punkt, warum es so viele Gäste herzieht. Irgendwann müssen wir runter, da der Nächste darauf wartet, in den Orbit geschossen zu werden.

Um die Streckenflugpotenziale zu nutzen und den Platz zu beleben, wird jedes Jahr der Lausitz-Streckenflug-Pokal ausgeschrieben. Ganz einfache Regeln: Alle Flüge von Rothenburg aus und über WeGlide geloggt zählen. Es gibt zwei Kategorien: den besten Flug und den aktivsten Piloten. Genau heute ist der letzte Wertungstag, und ich erlebe die Siegerehrung. Carsten Nowack vom FSV Halle-Oppin macht in diesem Jahr das Rennen in der Kategorie bester Flug. Die Ehrung des aktivsten Piloten bleibt aber im Verein. Mein Begleiter Gerd sammelte hier mit deutlichem Abstand die meisten Punkte.

Apropos Streckenflug, dafür tut man schon einiges: So erzählt Norbert schmunzelnd, dass es schon Fliegerkameraden gab, die hier Kind und Kegel zurückgelassen haben und zur Mammutstrecke nach Polen aufbrachen. Dann kam es anders als erwartet. Zurückgeschafft haben sie es nicht, und auch die taggleiche Rückholung erwies sich als schwierig. Nun gut, zu essen war für das Kleine noch genug da, und man hat sich am Platz natürlich auch gut gekümmert.

So langsam geht der Tag zur Neige. Immer wieder wird vom Bunker gesprochen. Bevor eingeräumt wird, schlendere ich da nochmal vorbei, um zu erkunden, was sich hinter diesem ominösen Bunker verbirgt. Küche und Sanitäranlagen, und obendrüber thront die Flugleitung. Beim Anblick der zehn Zentimeter dicken Stahltür muss ich unwillkürlich schmunzeln, also beim Duschen wird man definitiv nicht geklaut. Ich wandere weiter, und mit viel zu wenig Zeit schaue ich noch in das am Platz ansässige Luftfahrtmuseum. Ich bin erstaunt über die Schätzchen, die hier versammelt sind. Die wichtigsten Flugzeuge des Ostens, aber auch manches Bundeswehr-Geflügel lassen sich hier im Außenbereich bestaunen. Diverse Triebwerke, Rettungsgeräte und klasse Erklärungen können schon mal dafür sorgen, dass man hier die Zeit vergisst. Langsam versinkt der rote Ball hinterm Horizont, und beim Spanferkel-Essen klingt der Flugtag aus.

Stephanie Keller

Und wie war das mit dem Virus? Zum Abschied kann ich nur sagen: In eines der kommenden Fliegerlager werde ich mich garantiert ein Wochenende einklinken. Ich bin infiziert. Verdammt!

In der Serie bereits erschienen: