Knifflige Landung: Wie umgehen mit Seitenwind und Böen?

Wind of Change
Wie landet man bei Seitenwind und Böen?

Zuletzt aktualisiert am 09.01.2024
Wie landet man bei Seitenwind und Böen?
Foto: Axel Haesler

Es ist eine dieser Situationen, die einem im Cockpit die Schweißperlen auf die Stirn treiben können: Das Flugzeug ist in Landekonfiguration mit gesetzten Klappen und entsprechender Sinkrate im Queranflug. Alles passt. Doch plötzlich ertönt die Stall-Warnung. Warum denn das jetzt? Der Speed ist doch in Ordnung. Eine Erklärung: Böen oder Thermik blasen die Flügel stoßartig von unten an. Die Strömung an der Flügelkante schlägt dadurch kurzzeitig um, und das Warnsignal ertönt. Dieser Effekt kann unter Umständen zum Strömungsabriss führen. Weht ein böiger Seitenwind, kann der Effekt im Landeanflug besonders unangenehm werden.

Gefahr von Windscherungen

Im Jahr 2018 wurde das Phänomen einer voll besetzten Junkers Ju 52 in der Schweiz zum Verhängnis. Der durch Aufwinde am linken Flügel hervorgerufene Strömungsabriss ließ das Flugzeug über die Fläche abkippen und in die Tiefe stürzen. Wegen der geringen Höhe konnten die Piloten die Maschine mit dem Kennzeichen HB-HOT nicht mehr unter Kontrolle bringen. 20 Menschen starben bei dem tragischen Unfall.

Fatales Risiko im Gebirge

Die Schweizerische Untersuchungsbehörde SUST beschrieb in ihrem Untersuchungsbericht den Absturz sinngemäß folgendermaßen: Das Flugzeug befand sich in einem langsamen Sinkflug und hatte einen Flugzustand nahe dem maximalen Anstellwinkel. Nahe an den Wänden eines Talkessels wechselte der Abwind von etwa zwei bis fünf Meter pro Sekunde plötzlich in einen Aufwind mit etwa null bis drei Meter pro Sekunde. Bereits dieser geringe Strömungswechsel von einer Ab- zu einer Aufwindkomponente reichte aus, um die Strömung am linken Flügel abreißen zu lassen. Es gehört zu den elementaren Grundsätzen des Gebirgsfluges, so der Bericht, die Fluggeschwindigkeit bei turbulenten Bedingungen zu erhöhen, damit es durch Windscherungen nicht zu einem, wenn auch meist nur kurzfristigen, Strömungsabriss kommt.

Kantonspolizei Graubünden

Aufwind ist nicht gleich Auftrieb

Die in diesem Fall plötzlich auftretende Aufwindkomponente führte wegen der Massenträgheit des Flugzeugs nicht dazu, dass es stieg, sondern blies – salopp gesagt – dem Flügel von unten die Strömung weg. Die wenigen Knoten Aufwind reichten aus, um am linken Flügel einen Strömungsabriss zu verursachen. Die SUST bezeichnete diesen plötzlichen Aufwind als Windscherung.

"Wind of Change"

Ganz allgemein betrachtet ist eine Windscherung eine plötzliche drastische Änderung der Windgeschwindigkeit, der Windrichtung oder beides zusammen. Frei nach der Rock-Gruppe "Scorpions": ein "Wind of Change". Die Windscherung kann in vertikaler oder horizontaler Ebene auftreten. Böen sind wie das plötzliche Umschlagen des Abwindes in einen Aufwind ebenfalls Windscherungen. Sie können bei entsprechenden Verhältnissen die gleichen Effekte hervorrufen wie beim Unfall der Ju 52. Entscheidend ist das schlagartige Auftreten. Dies führt aber nicht sofort zur Änderung der Fluglage, sondern eben erst zur Veränderung der Strömungsverhältnisse inklusive des beschriebenen Effekts.

Axel Haesler

Relevant sind die Strömungsverhältnisse

Das Phänomen tritt in vielen Situationen auf, in denen die Strömungsverhältnisse die gleichen sind wie in dem beschriebenen Fall. Es macht dabei also keinen Unterschied, ob dies im Geradeausflug oder in einer anderen Flugphase passiert. Entscheidend ist nur der effektive Anstellwinkel. Typische Faktoren in diesen Situationen sind daher langsame Fahrt, böiger Wind und große Querneigungswinkel. Seitenwindkomponenten, die von unten auf das Flugzeug treffen, können Aufwindkomponenten erzeugen und so den effektiven Anstellwinkel erhöhen. Strömt der Wind von oben auf die Flügel, verringert sich der Anstellwinkel. Gefährlich sind auch Böen, die die Strömung vom Flügel weg oder an ihn hinblasen und somit nicht die Fluglage selbst, sondern wie oben bereits beschrieben die Strömungsverhältnisse verändern. Eine typische Situation für das Auftreten solcher Strömungsverhältnisse ist das Eindrehen in den Quer- oder Endanflug der Platzrunde oder steiles Wegsteigen nach dem Start. Die Fahrt ist dabei meist gering und der Anstellwinkel relativ hoch. Hat das Flugzeug eine steile Seitenlage und schieben die Böen plötzlich von unten, können ähnliche Strömungsverhältnisse auftreten wie bei dem Ju-Unfall.

Praxisbeispiel 1: Endanflug

Um im Endanflug mit ausgerichteter Maschine auf der Mittellinie zu bleiben, ist im Falle von Gegenwind im Queranflug ein gewisses "Überschießen" der verlängerten Centerline beim Eindrehen gängige Praxis. Schießt man aber zu weit hinaus, erhöht eine starke Querlage bei der Rückkehr auf die Mittellinie die Stall-Gefahr beträchtlich. Denn bei mehr als 30 Grad Querneigung steigt die Stall Speed stark an. Von unten an das Flugzeug drückende Böen können eine stärkere Aufwindkomponente entwickeln. Hier treten also zwei Effekte auf, die mit zunehmender Querlage stärker werden.

H. Horning, Redaktion

Den nahenden Stall des inneren Flügels mit dem Querruder beenden zu wollen, kann ebenfalls zum Problem werden. Denn gibt man nach dem Ertönen der Stall-Warnung bei einer Böe schnell und beherzt Gegenquerruder, kann genau diese Aktion einen Strömungsabriss auslösen. Der innere Flügel hat in dieser Lage weniger Auftrieb als der äußere. Geht das innere Querruder dann nach unten, erhöht sich der Widerstand des Flügels, und der effektive Anstellwinkel dieser Flügelseite steigt. Aus einem nahenden Stall kann auf diese Weise ein realer werden. Dann kippt das Flugzeug über die Fläche ab. Im englischen Sprachraum spricht man in diesem Fall von einem "Misuse of ailerons", also einem "falschen Gebrauch des Querruders". Wirksam ist hier der Einsatz des Seitenruders.

Was aber ist zu tun, um in einer solchen Situation einen Strömungsabriss rechtzeitig abzuwenden?

  • Zum Beenden eines beginnenden Stalls gilt allgemein: Pitch, Power, Bank. Das heißt: Nase runter, Gas geben, Querlage reduzieren. In dieser Reihenfolge. Im Endanflug ist "Nase runter" aber nicht so einfach und gefahrlos möglich.
  • Darum in diesem Fall: Gas geben, Querlage reduzieren und die Nase wenn überhaupt nur so weit senken, dass dadurch keine weitere Gefahr entsteht.
  • Zur Reduzierung der Querlage das Querruder vorsichtig einsetzen, vor allem das Seitenruder nutzen.
  • Das Flugzeug nicht auf den Boden zwingen, sondern den Anflug eventuell abbrechen, durchstarten und neu anfliegen, auch wenn das mühsam ist.

Bei zwei möglichen Platzrunden ist übrigens nicht immer die näher liegende die bessere Wahl. Nutzt man beispielsweise eine Nordplatzrunde, so kommt man beim Eindrehen in den Endanflug unter Umständen in eine kritische Situation, während die Südplatzrunde sehr viel entspannter zu fliegen wäre. Beim Eindrehen in den Endanflug treffen die Böen dann weniger kritisch auf die Tragfläche, das Stall-Risiko sinkt. Was kann man tun, um die Gefahr eines Stalls bei böigem Wind zu vermeiden?

  • Auch bei Böen gilt: In der Platzrunde nicht mehr als 30 Grad Querlage, bei entsprechendem Wind eventuell noch weniger. Ab 30 Grad Querlage haben Böen gefährlichere Auswirkungen, da die Stall Speed steigt.
  • Nicht zu langsam anfliegen und den Böen-Zuschlag genau einhalten, auch wenn das am Boden längeres Ausschweben bedeuten kann. Die Aufwindkomponenten der Böen wirken sich umso stärker auf den effektiven Anstellwinkel aus, je langsamer die Fluggeschwindigkeit ist. Außerdem nimmt mit der Geschwindigkeit die Wirksamkeit der Ruder ab.
  • Eine zu hecklastige Beladung ist zu vermeiden. Mit hohem Anstellwinkel und einsetzender Stall-Neigung nimmt die Hecklastigkeit zu, weil sich der Angriffspunkt des Auftriebs nach vorne verschiebt. Die Stabilität und Steuerbarkeit nehmen dadurch ab.

Beim Anflug auf die 27 in Wiener Neustadt Ost kennt man das Phänomen. Der Heimatflugplatz von Diamond Aircraft liegt in toller Kulisse am östlichen Rand der Alpen. Seitenwinde aus 180 Grad mit Böen bis zu 25 Knoten kommen hier öfter vor. In der engeren Nordplatzrunde B muss daher entsprechend vorausschauend manövriert werden. Für die wesentlich größer dimensionierte Südplatzrunde A muss man aus Norden kommend weitere Wege in Kauf nehmen. Hangars mit Windlücken am Boden fordern den Piloten bis zum letzten Ausschweben.

Noch problematischer wird die beschriebene Situation bei Kurven, in denen sich der Stall-Warner nicht am inneren Flügel befindet, zum Beispiel in einer Rechtsplatzrunde. Bevor es beim äußeren Flügel zum Ansprechen der Überziehwarnung kommt, kann der innere je nach Querlage schon nahe am Stall sein. Kommt dann eine starke Böe dazu, kann der kritische Anstellwinkel bereits erreicht sein.

Praxisbeispiel 2: Gegenanflug

Folgende Situation: Ein schneller Anflug ins Endteil direkt aus der Anflugrichtung ist nicht möglich. Der Pilot will bei widrigen Windbedingungen schnell an den Boden kommen und fliegt bereits in Landekonfiguration mit 45 Grad Schräglage in den Gegenanflug ein. Drücken die Böen dann irgendwo in diesem 45-Grad-Turn von unten auf die Flügel, mit Wind aus 60 bis 150 Grad, und ist die Speed nicht allzu hoch, lässt die Stall-Warnung nicht lange auf sich warten. Zwar ist in dieser Situation eine größere Anflughöhe von Vorteil. Allerdings ist der Anflug auch dann noch anspruchsvoll.

H. Horning, Redaktion

Am besten vermeidet man eine zu große Schräglage und wählt eine andere Anflugroute. Doch auch eine alternative Anflugroute kann bei den beschriebenen Windachsen an einer anderen Stelle dazu führen, dass Böen von unten an die Flügel drücken. Daher gilt in solchen Situationen grundsätzlich:

  • Erneut keine Querlagen über 30 Grad in Landekonfiguration!
  • Bei Bedarf weiter in Richtung Querabflug fliegen und erst dann in den Gegenanflug eindrehen.
  • Anfluggeschwindigkeit nicht zu niedrig wählen.
  • Landekonfiguration nicht zu früh, sondern erst im Gegenanflug einnehmen.

Praxis Beispiel 3: Nach dem Start

Anderes Szenario: Beim Eindrehen in den Querabflug steigt das Flugzeug steil nach links oder rechts weg. Die Böen blasen bei entsprechender Windrichtung von unten an die Flügel, und die Stall-Warnung schlägt an. Schon ist der beschriebene Effekt da. Besonders gefährlich ist es beim Wegsteigen nach links mit Böen von rechts, wenn der Pilot der auftretenden Gierwirkung durch Antriebseffekte nicht konsequent mit dem Seitenruder entgegenwirkt. Der linke Flügel wird dann noch weniger angeströmt, das Stall-Risiko steigt weiter an. Mehr Gasgeben ist hier keine Lösung, da dadurch nicht der Anstellwinkel verringert wird.

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Allgemein können Antriebseffekte und Seitenwind beim Start gefährlich werden, wenn nicht durch Seitenrudereinsatz gegengesteuert wird. Der linke Flügel wird dann weniger angeströmt und entwickelt weniger Auftrieb. Durch dieses aerodynamisch nicht saubere Fliegen erhöht sich der Widerstand, was Einbußen bei Steigleistung und/oder Fahrt zur Folge hat. Steigt man dann noch mit hoher Querneigung nach links weg und die Böen drücken von rechts auf die Flügelunterseite, ist schnell der kritische Anstellwinkel erreicht.

Vermeiden lässt sich diese Situation durch:

  • konsequenten Einsatz des Seitenruders in der Start- und Steigphase
  • Sicherstellen von ausreichend Fahrt mit Speed-Reserven, u. a. durch angepasste Steigleistung
  • Auch hier sollten große Querlagen vermieden werden, so lange die Speed zu gering ist und die Böen aus einer ungünstigen Richtung wirken.
  • Berücksichtigung der stoßartigen Aufwindwirkung der Böen abhängig von ihrer Richtung

Es bleibt festzuhalten: Seitenwind ist nicht immer gleich Seitenwind. Und auch wenn die Wirkung von Böen nur kurzzeitig auftritt und scheinbar harmlos ist, kann sie doch zum Zünglein an der Waage werden. Umso besser ist es, diese Wirkung zu kennen, um in kritischen Situationen damit umgehen zu können. So kann man gegebenenfalls auch dann noch sicher fliegen, wenn mäßig böiger Wind weht, der einen bislang aber abgeschreckt hätte.