Die Geschichte von Hartzell ist so amerikanisch wie ihre Heimat, die Kleinstadt Piqua im Bundesstaat Ohio. Sie ist einerseits nicht wirklich revolutionär, genauso wenig wie der Mittlere Westen. Aber sie ist eben auch so besonders wie der Landstrich und die Menschen, die dort wohnen. Es ist eine Geschichte von Begeisterung und Mut, von Können und einer glücklichen Hand. Vor allem aber ist es eine Geschichte von ständiger Innovation, konstantem Suchen nach Neuem und Streben nach Perfektion.
Wer kennt ihn nicht, den goldenen Sticker mit rotem Querbalken und schwarzem Rand!? Der Firmenname in Großbuchstaben in der Mitte, umrahmt vom Motto „Built on Honor“. In der Allgemeinen Luftfahrt gibt es ein paar Symbole, die einfach dazugehören: Das Hartzell-Logo ist eines davon. Vielleicht liegt es daran, dass der Propeller naturgemäß ganz vorne am Flieger hängt und ohne ihn jeder Motor sinnlos wäre, weil erst seine Bewegung für Vortrieb sorgt. Das deutsche Bürokratenwort „Luftschraube“ passte bereits 1917 nicht zum jungen Robert N. Hartzell, als dieser sein Unternehmen gründete.
Robert wird in eine Familie hineingeboren, die ein Sägewerk betreibt und ein Verfahren zur Härtung von Holz entwickelt hat. Dank bescheidenen Wohlstandes kann sich der junge Robert ein kleines Flugzeug leisten. Sein Berufswunsch ist Barnstormer. Das sind jene tollkühnen Männer, die mit ihren Maschinen kreuz und quer durch die USA fliegen und entlang des Weges für ein paar Dollar Kunstflugvorführungen geben und Rundflüge anbieten. Die Eltern sind davon nicht begeistert und überreden ihren Sohn, sich lieber auf Flugzeugreparaturen zu konzentrieren.
Auf diese Weise lernt Robert Hartzell den Flugpionier Orville Wright kennen, der ebenfalls in Ohio beheimatet ist. Wright ist es, der Robert und seinen Vater George Hartzell davon überzeugt, das eigene Härtungsverfahren für einen Flugzeugpropeller aus Walnussholz einzusetzen. Die ersten Props werden noch von Hand mit kleinen Äxten aus Stämmen herausgeschlagen, doch schon bald kommen die ersten Aufträge aus dem Militär, die Produktion wird professionalisiert. Die Preise damals sind überschaubar: zwischen 87 und 140 Dollar pro Stück. Nach dem Krieg kommt es jedoch zu einem Einbruch in der Fliegerei, sodass die Hartzells andere Einnahmequellen erschließen müssen, beispielsweise Lenkräder aus Holz.
Robert aber gibt seine Leidenschaft nicht auf, 1923 stellt er sein erstes eigenes Flugzeug vor. Die größtenteils aus Sperrholz gefertigte FC1 gewinnt einen Preis beim Luftrennen in St. Louis. Als dann Mitte der 20er Jahre wieder Aufträge für Propeller hereinkommen, konzentriert man sich endgültig auf dieses Produkt. Bald aber bricht die Nachfrage
wieder ein, und bei Hartzell macht man die Not zur Tugend und bietet nun effiziente
Ventilatoren für Industrie- und Haushalt an.
Der beginnende Zweite Weltkrieg beschert Hartzell wieder volle Auftragsbücher: Hamilton Standard und Curtiss werden Abnehmer von Hartzell-Propellerblättern, die inzwischen aus Metall gearbeitet sind. Die Entwicklung schreitet voran, neben Experimenten mit dem Verbundwerkstoff Hartzite ist es Aluminium, das ein neues Zeitalter für die Firma einläutet. Zeitgleich wandelt sich Hartzell vom reinen Produktionsbetrieb zu einem modernen Entwicklungsbetrieb. Es sind die eigenen Ingenieure, die kurz nach dem Krieg den ersten Constant-Speed-Verstellpropeller für die Allgemeine Luftfahrt vorstellen.
Ursprünglich für ein fast vergessenes Muster namens Ryan Navion entwickelt, werden Hartzell-Naben und Drehzahlregler in der Folge zum Verkaufsschlager einer explosionsartig auflebenden Branche. Die 50er und 60er Jahre sind das goldene Zeitalter der Privatfliegerei, und das Unternehmen aus Piqua ist mit seinen Props dabei. Neben Aluminium wird mit Titan experimentiert, das vor allem für größere Durchmesser zur Anwendung kommt. Und auch Hartzite rückt wieder in den Fokus.
In den 70ern gerät die private Allgemeine Luftfahrt in Turbulenzen, Öl- und Wirtschaftskrise bremsen die Hersteller von Ein- und Zweimots. Hartzell muss umsatteln und eröffnet sich mit Systemen für kleinere Turboprops ein neues Betätigungsfeld. Vier- und Fünfblattprops aus Piqua werden für die Shorts 330 und die neue CASA 212 eingesetzt.
Im Laufe seiner 100-jährigen Geschichte hat sich Hartzell stets behutsam erneuert, ohne Traditionen aufzugeben. Vor allem hat man stets auf seine erfahrenen Mitarbeiter gesetzt. 250 Kollegen sind in zwei Werken in Piqua beschäftigt, wobei das Hauptwerk die Bearbeitung von Aluminiumblättern, die Fertigung von Naben sowie den Zusammenbau der Propeller übernimmt und eine kleinere Fabrik für die Herstellung von Blättern aus Verbundwerkstoffen zuständig ist. „Da es keine Ausbildung zum Propellerbauer gibt, muss Hartzell die Schulung auf die entsprechenden Positionen selbst vornehmen – und die Leute dann bei uns halten“, sagt Executive Vice President JJ Frigge. Die Produktion sei daher in 14 Zellen unterteilt, wobei jeder Bereich einen definierten Herstellungsprozess übernimmt. Mit zunehmender Erfahrung können Mitarbeiter in komplexere Bereiche vorrücken. Es passt zum Bild des Familienunternehmens, dass etwa die Familie Barhorst sieben Mitarbeiter stellt – mit insgesamt 180 Jahren Betriebszugehörigkeit!
Anfang der 80er Jahre wechselt das Unternehmen innerhalb kurzer Zeit zweimal den Besitzer, als sich die Familie Hartzell zum Verkauf entschließt. Seit 30 Jahren wird es nun von der Familie Brown geführt, die über die Muttergesellschaft Tailwind Technologies noch an zwei weiteren Luftfahrtfirmen beteiligt ist. Joe Brown steht als Präsident dem Propellergeschäft vor, mischt sich aber nur selten in die Tagesabläufe ein. Er versteht sich eher als Ideengeber beim Umsetzen neuer Strategieziele wie Abfallreduzierung und der Einführung neuer Technologien. Unter seiner Führung wurden viele Prozesse automatisiert, was zu größerer Präzision und mehr Effizienz geführt hat. Ein Stellenabbau sei damit laut Frigge nicht einhergegangen, da die zunehmend komplexeren Produkte mehr Mitarbeiter in der Kontrolle und Endfertigung benötigten. Dies können Maschinen nicht übernehmen, wenn der Slogan „Built on Honor“ auch in Zukunft mit Leben gefüllt werden soll. Die Verbundenheit zum Produkt zeigt sich schließlich auch im Flugbetrieb des Mittelständlers auf dem von Robert Hartzell 1940 gegründeten Flugplatz: Dort stehen ausschließlich leistungsstarke Propellermaschinen für das Management bereit: „Die würden nie einen Jet kaufen“, sagt einer der Werkspiloten und muss lachen.
Trotz seiner internationalen Kundschaft ist Hartzell ein Nischenhersteller: Rund 3000 Propeller verlassen Jahr für Jahr die Werkshallen. Diese Zahl ist in den vergangenen 30 Jahren laut Frigge ziemlich konstant geblieben. Geändert hat sich allerdings sowohl die Produktzusammensetzung als auch der Absatzmarkt. Drehten sich früher Hartzell-Props vorwiegend an Kolbenein- und -zweimots wie Cessna 182, Beech Bonanza oder Piper Aztec, ist es heute ein ständig steigender Anteil von High-Performance-Turboprops mit Piqua-Latte. Pilatus PC-12 oder Dahers TBM-Derivate sind standardmäßig mit dem Hartzell-Fünfblatt-Composite-Propeller ausgerüstet.
Frigge ist sichtlich stolz darauf, für drei Viertel der GA-Hersteller Erstausrüster zu sein. Cirrus, Airtractor, Cessna Caravan oder die M-Klasse von Piper – sie alle haben das Produkt aus Piqua ganz vorne montiert. Im Zuge dieser Veränderung hat sich auch der Kundenkreis internationalisiert. Blieben bis vor wenigen Jahren noch acht von zehn Props in den Staaten, sind es heute nurmehr sechs – vier gehen in den Export. Und dabei werden immer mehr Composite-Modelle abgesetzt: In den vergangenen fünf Jahren hat sich ihr Anteil auf 30 Prozent versechsfacht.
Mit Erfahrung in die Zukunft – Hartzell und die moderne Luftschraube
Wer kennt ihn nicht, den Spruch „Das ist ja nur ein Propellerflugzeug“!? Seit Beginn des Jetzeitalters gilt die freidrehende Luftschraube als unterlegen gegenüber der Düse, manchem gar als rückständig. Bei genauer Betrachtung ist hingegen das Gegenteil der Fall: Das System des Propellers erlebt eine regelrechte Renaissance.
Bei Hartzell stellt man seit einiger Zeit Trends fest, die sich in handfesten Verkaufszahlen manifestieren. Zum einen erobern moderne Verbundwerkstoffe den Markt. Immer mehr Propeller werden daraus hergestellt. Anders als der deutsche Wettbewerber MT-Propeller setzen die Amerikaner beim Kern ihrer Blätter auf gehärtete Schaumstoffe. MT benutzt ein spezielles getrocknetes Holz. Die Verbundstoffe erlauben unbegrenzte Lebenszeiten. Propellerblätter aus Metall werden bei kleinen
Beschädigungen abgeschliffen, Composite-Anwendungen sind einerseits härter, andererseits können bei Cuts die Blätter durch Auftrag neuer Schichten wieder in den Originalzustand versetzt werden.
Zum anderen gibt es heute einen Bedarf in Richtung einfacher Systeme: Experimentals und neue Motorenentwicklungen benötigen kostengünstige und leichte Propeller. Dem wird mit der Bantam-Serie Rechnung getragen, die ausschließlich aus Verbundwerkstoffen besteht. Mit 16 Kilogramm für Dreiblatt- und 13 Kilogramm für Zweiblattprops gehören sie zu den leichtesten Verstellpropellern. Bantam-Typen werden auch für unbemannte Fluggeräte wie Drohnen eingesetzt. Hier sieht das Unternehmen weiteren Bedarf. Das Militär ist bereits Kunde, doch am erwarteten Markt ziviler Flugkörper ohne Pilot möchte man ebenfalls teilhaben.
Für Firmenchef JJ Frigge ist noch nicht klar, wohin die Reise geht. Größere Quadcopter benötigen vollkommen neue Propeller, weil diese bei der Änderung des Anstellwinkels großen Belastungen ausgesetzt sind. Hier möchte Hartzell abwarten, bis die bevorzugte Technologie klar ist. Dann aber sei man bereit, entsprechende Systeme zur Serienreife zu bringen. Es scheint aber klar zu sein, dass hier Potenzial für die Entwicklung neuer Märkte existiert. Im Mittleren und Fernen Osten sind bereits erste Versuche mit solchen Fluggeräten gemacht worden.
Während sich Quadcopter als fliegende Taxis noch wie Zukunftsmusik anhören, macht ein weiterer Markt bereits konkrete Fortschritte: die Pilotenausbildung. Der weltweit zunehmende Luftverkehr bedeutet einen erhöhten Bedarf an günstigen Trainingsflugzeugen für Flugschüler. Hier wird Hartzell laut Frigge nicht umhinkommen, wieder einen Schritt in die Vergangenheit zu machen: starre Propeller für einfache Schulmaschinen. Die Entwicklung solcher Systeme ist bereits weit fortgeschritten. Des Weiteren arbeitet man an einem rein elektrischen System für kleinere Verstellpropeller, welches die komplexe Hydraulikbedienung ablösen kann. Es scheint also, dass auch bei den kommenden Herausforderungen mit dem „Built on Honor“-Aufkleber ganz vorne zu rechnen ist.
aerokurier Ausgabe 12/2017