Es gibt Recherchen, an die geht man als Journalist schon in der Erwartung heran, auf seine Fragen nur bedingt brauchbare Antworten zu bekommen. Der Versuch, vom Luftfahrt-Bundesamt offizielle Informationen über die mediziinsche Kompetenz im Referat L6 zu erhalten, gehört dazu. Die neun untenstehenden Fragen an die Pressestelle der Bundesoberbehörde sollten Klarheit bringen, inwiefern die Entscheidungen, die dort zur Tauglichkeit von Piloten getroffen werden, eine fachliche Basis haben.
- Wie viele Stellen sind aktuell für Mediziner im Referat L6 des Luftfahrt-Bundesamtes eingeplant?
- Wie viele Stellen davon sind besetzt?
- Wie viele der im Referat L6 angestellten Mediziner sind vollumfänglich ausgebildete Fliegerärzte?
- Ist die ärztliche Leiterin Frau Dr. Hoffmann vollumfänglich ausgebildete Fliegerärztin?
- Wie wird sichergestellt, dass Verweisungsfälle mit der entsprechenden medizinischen Fachkompetenz beurteilt werden, beispielsweise Herz-Kreislauf-Fälle durch Kardiologen, Augenbefunde durch Fachärzte für Augenheilkunde etc.?
- Welche medizinischen Fachgebiete bekleiden die festangestellten Ärzte im LBA? Ist es mit den verfügbaren Stellen überhaupt möglich, alle notwendigen Kompetenzen im Hause abzubilden? Oder muss sich L6 externe Expertise dazu holen?
- Warum zieht das Referat L6 medizinische Fälle an sich, die durch externe Experten umfassend bewertet wurden, wenn es weder die fachliche Expertise noch die Manpower für eine Bewertung hat?
- Wie kann es passieren, dass ein LBA-Arzt die Einschätzung zweier Gutachter, ein Aspirant mit Unterschenkelprothese könne die Pedalerie eines Hubschraubers problemlos bedienen, ignoriert und die Auflage "Handsteuerung" ins Medical schreibt, die im Helikopter betrieblich gar nicht umsetzbar ist?
- Wie werden Verwaltungsmitarbeiter und Juristen geschult, um die notwendige Sachkompetenz im Bereich Luftfahrt und Flugbetrieb zu erhalten?
Einige konkrete Antworten
Zugegeben, auf die sehr allgemein gehaltenen Fragen 1 bis 3 könnte man die Antworten als durchaus brauchbar werten. So teilt Pressesprecherin Cornelia Cramer im Auftrag der Behörde mit, dass es im Referat L6 aktuell zwölf Dienstposten für Fliegerärzte gibt, von denen sieben besetzt sind. Zudem würden in variablem Umfang externe medizinische Sachverständige für das Luftfahrt-Bundesamt tätig werden. So weit, so unschön, könnte man doch mit fünf fehlenden Ärzten einen Teil des Bearbeitungsstaus in Medical-Fällen erklären. Dann wird es konkreter, in der Sache aber nicht besser. Von den sieben angestellten Ärzten, so informiert das LBA, sind vier als Fliegerärzte gemäß ARA.MED.120 ausgebildet, die anderen drei befänden sich in der Ausbildung. Das heißt wiederum: Das LBA verfügt nicht über sieben, sondern nur über vier Ärzte, die rein von der Rechtslage her befugt sind, über die Tauglichkeit von Piloten zu entscheiden. Auf die Frage 4, ob die ärztliche Leiterin im Referat L6, Frau Dr. Hoffmann, entsprechend ausgebildet ist, gab es mit Verweis auf Datenschutzregelungen gar keine Antwort.
Man könnte an dieser Stelle vermuten, dass eine in der Kritik stehende Behörde die Chance zur Flucht nach vorn nutzen und eine für ihre Stelle und die damit verbundene Verantwortung in höchstem Maße qualifizierte Mitarbeiterin auch öffentlich so verkaufen würde. Dass sich das LBA hier auf den Datenschutz beruft, könnte man aber auch als Feigenblatt sehen, um eine möglicherweise fehlende Qualifikation der betreffenden Person nicht zugeben zu müssen. Ich will damit keine Behauptung aufstellen oder gar Fakten setzen, ich sinniere nur darüber.
Flugmedizinische Kenntnisse maßgebend
Auf die Fragen 5 und 6 sendete die Pressestelle des Amtes nur einen Satz: "Maßgebend sind vorliegend [sic!] flugmedizinische Kenntnisse." Abgesehen davon, dass mir unklar ist, ob tatsächlich "vorwiegend" oder "vorliegende" flugmedizinische Kenntnisse gemeint sind, ist diese Antwort einmal mehr eine Nebelkerze. Denn laut Aussagen von Nina Coppik gibt es innerhalb des Referat L6 kein System, das sicherstellt, dass beispielsweise kardiologische Fälle auch von einem Facharzt für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bearbeitet werden. Das wiegt umso schwerer, weil viele Piloten oft bereits Befunde von entsprechenden Fachärzten eingereicht haben, die von LBA-Medizinern regelmäßig ignoriert werden. Ein Teilnehmer der aerokurier-Umfrage berichtet, dass er von der höchsten medizinischen Fachstelle eine Bestätigung bekam, dass seine Erkrankung definitiv als ausgeheilt gewertet werden könne, ein LBA-Arzt dies aber nicht anerkannte und das Medical verweigerte.
Hier könnte es durchaus sein, dass der verantwortliche Doc das Feld offensichtlicher Inkompetenz verlassen und im Bereich der strafbaren Rechtsbeugung eingecheckt hat. Schaut man sich §339 des Strafgesetzbuches an und legt ihn im Sinne der in der Fachliteratur nicht unüblichen objektiven Theorie aus, ist der Tatbestand der Rechtsbeugung dann erfüllt, wenn der Richtende das Recht objektiv falsch anwendet und es sich um einen eindeutigen Rechtsverstoß handelt. Und wenn eine Koryphäe auf ihrem Fachgebiet feststellt, ein Patient sei geheilt, dann würde ich die abweichende Meinung eines LBA-Arztes, mit der er dem Bewerber ein Tauglichkeitszeugnis verweigert, als objektiv falsch werten. Aber auch hier sinniere ich nur, wie derartige Fälle zu betrachten sein könnten.
In Bezug auf die Frage 7 antwortet das Luftfahrt-Bundesamt, dass das Referat Flugmedizin keine Fälle an sich zieht, sondern bearbeitet, sofern es entsprechend der EU-Verordnung 1178/2011 vorgeschrieben ist. Ok, da haben die Beamten einen Punkt. Allerdings: Warum zieht man die Verfahren unnötig in die Länge, in dem man entweder fehlende Befunde nicht eigenverantwortlich anfordert (um sie dann zu ignorieren, wenn sie nicht zum gewünschten Ausgang des Verfahrens passen) oder im Gegenteil Unmengen an Befunden anfordert, die mit dem eigentlichen Sachverhalt gar nichts zu tun haben?
Keine Aussagen zu konkreten Fällen
Die Antwort auf Frage acht gefällt mir im Sinne dieser eher kritischen Betrachtung besonders gut: "Aussagen zu Einzelfällen werden nicht getroffen." Klar, wäre ja auch peinlich, wenn man zugeben müsste, dass die Mitarbeiter im Referat L6 so wenig Ahnung von der Materie haben, dass sie Auflagen festlegen, die weder für die sichere Flugdurchführung nötig noch technisch bzw. betrieblich umsetzbar sind.
Dass die Mitarbeiter in der Verwaltung und die Juristen im Rahmen der Einarbeitung Schulungen erhalten, um die notwendige Kompetenz im Bereich Luftfahrt und Flugbetrieb zu erhalten und bei regelmäßig stattfindenden Standardisierungstreffen auf Stand gehalten werden, war als Antwort auf die letzte Frage auch irgendwie erwartbar. Man kann sich aber fragen, welche Qualität diese Schulungen haben, wenn über Jahre so viel Unsinn in einem Referat einer Bundesoberbehörde produziert wird.