Neue Medical-Regeln: Mehr Fokus aufs Alter

Neue Medical-Regeln
Mehr Fokus aufs Alter

Zuletzt aktualisiert am 05.05.2025
Mehr Fokus aufs Alter
Foto: Frank Martini

Spätestens mit dem 65. Geburtstag ist Schluss: Die europäischen Regelungen zum Flight Crew Licensing (Part-FCL) sind unmissverständlich. So heißt es im FCL.065 b: "Abgesehen von Inhabern einer Pilotenlizenz für Ballone oder Segelflugzeuge darf ein Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, nicht als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig sein." FCL.065 a macht zudem klar, dass Piloten über 60 Jahre nicht mehr single-hand kommerziell fliegen dürfen, sondern nur noch als Mitglied einer Mehrpersonen-Crew.

So weit, so vernünftig, denn dass die Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter sukzessive nachlässt, gilt als bewiesen. Demgegenüber steht die Gewissheit, dass ältere Piloten bei ihren Entscheidungen zumeist auf einen größeren Erfahrungsschatz aufbauen können. Allerdings spielt nicht nur der Erfahrungsschatz aus Sicht von Luftfahrtunternehmen eine Rolle, sondern auch ein anderes Thema: der Fachkräftemangel. Auf Druck von Piloten und Airline hin hat sich die europäische Flugsicherheitsagentur EASA in den vergangenen Jahren zunehmend mit dem Altern und seinen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Piloten und damit möglicherweise einhergehenden Gefahren für die Flugsicherheit befasst. Leider haben sich die daraus entstandenen, gefühlt "schärferen" Bedingungen für eine Tauglichkeit nicht nur auf die für Berufspiloten relevante Medical-Klasse 1 ausgewirkt, sondern auch auf die Klasse 2, die Privatpiloten benötigen, um die Rechte aus ihrer Lizenz ausüben zu dürfen. Einzig die Medical-Klasse LAPL bleibt – bisher – unberührt.

Das größte Risiko: "sudden incapacitation"

Aus flugmedizinischer Sicht ist die Betrachtung des Alterns und der damit verbundenen Einschränkungen eine große Herausforderung. Es interessiert vor allem die Frage, welche Erkrankungen zur gefürchteten "sudden incapacitation" führen können. Damit ist das plötzliche und unvorhersehbare Eintreten eines medizinischen Problems gemeint, das einen Piloten akut handlungsunfähig macht. Da Piloten eine sehr kleine Gruppe sind, die individuell nicht sinnvoll als Gegenstand von Studien herangezogen werden kann, hat man sich dazu der neuesten verfügbaren Daten von Studien aus der Allgemeinbevölkerung bedient und diese in die Entscheidungen einfließen lassen. Und das darf man auch aus flugmedizinischer Sicht durchaus als angemessen bezeichnen, denn auch wenn wir Flieger das oft anders sehen: Unter Piloten geht’s nicht anders zu als bei "normalen" Menschen, zumindest was die Gesundheit angeht.

In der Medizin arbeitet man dazu mit sogenannten Leitlinien. Das sind allgemeine und spezielle Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften, die einer ständigen Überarbeitung unterliegen, was unter Auswertung und Berücksichtigung wissenschaftlicher Daten bzw. Erkenntnisse geschieht.

Wer sich für die detaillierten Ausführungen der EASA zu genau diesem Thema interessiert, findet die Informationen im "Guidance Material der Part-MED unter GM1 MED.B.010 (b). Medizinisch versierten Lesern fällt bei der Lektüre auf, dass an dieser Stelle ein neues Verfahren Eingang gefunden hat, das sich als sehr sicher in der Risikobewertung des Herz-Kreislauf-Systems bewiesen hat: der "Calcium Score", eine vergleichsweise junge Methode, die zuverlässig Auskunft über den Zustand der (Herz)Gefäße gibt. Zwar ist diese Untersuchung nicht-invasiv, allerdings ist dafür ein Kardio-CT nötig, das stets mit einer vergleichsweise geringen Strahlenbelastung verbunden ist.

HEALTH-MEDECINE-RESEARCH
Philippe Merle AFP via Getty Images

Vorteile für jene, die gesund leben

Die Änderungen des Part-MED im Bereich der sogenannten kardiovaskulären Risikostratifizierung, also der Einschätzung des Risikos einer Herzgefäß-Komplikation, ist stark abgestuft worden und betrifft, wie oben angedeutet, vor allem Berufspiloten. Die Bewertung der neuen Regelungen dürfte sich irgendwo zwischen jenen abspielen, die sich über "Sippenhaft" beschweren, und jenen, die sich darüber freuen, dass sie dank gesunder Lebensweise und guten Grundvoraussetzungen einfach länger beruflich aktiv bleiben können.

Klar ist, dass Altern mit einer Zunahme von Herz- und Gefäßerkrankungen, im Fachsprech: "cardiovascular deseases" (CVD), einhergeht, und zwar bei allen Menschen. Klar ist aber auch, dass jeder selbst darauf Einfluss nehmen kann und sollte, der das Privileg der Fliegerei möglichst lange genießen möchte. Das heißt nichts anderes, als dass es empfehlenswert ist, einen adäquaten Lebensstil zu führen und Raubbau am eigenen Körper zu vermeiden. Niemand muss Leistungssportler sein, um gesund zu leben, es geht viel einfacher, und die Weltgesundheitsorganisation hilft dabei mit einfachen Orientierungsgrößen. Laut WHO gilt Rauchen als einer der größten, wenn nicht gar als der größte Risikofaktor überhaupt für CVD ist. Wer den Tabakkonsum aufgibt, hat einen der wichtigsten Schritte getan. Auf Rang zwei: Ernährungsverhalten. Dieses hat großen Einfluss auf alle anderen CVD-Faktoren. Wir sind aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht nun mal Jäger und Sammler, allerdings jagen wir heute mit dem Auto und sammeln im Discounter. So bequem und angenehm das für uns sein mag, es steht bezüglich der Energiebilanz nicht in dem Zusammenhang, für den unser Körper evolutionär gemacht ist. Hohe Cholesterinwerte, Übergewicht und Diabetes sind die Folgen.

Dazu kommt, dass insbesondere übergewichtige Menschen häufig unter Schlafapnoe leiden. Darunter versteht man nächtliche Atemaussetzer, die durch ein Zusammenfallen der Atemwege entstehen und meist von heftigem Schnarchen begleitet werden. Diese Aussetzer wecken den Betroffenen aus dem Tiefschlaf, was der meist gar nicht mitbekommt. Allerdings leidet die Schlafqualität darunter, und es entsteht eine zum Teil gefährlich starke, überdurchschnittliche Tagesschläfrigkeit, also der Drang, einzuschlafen. Im Zweifelsfall muss diese Möglichkeit mit einer sogenannten Polygrafie gescreent werden. Hinweis auf eine erhöhte Tagesschläfrigkeit geben verschiedene Instrumente. Ein einfacher Test ist die "Epworth Sleepiness Scale" (ESS), ein Fragebogen-Test, den man selbst machen kann.

Grundsätzlich kann man festhalten, dass der, der das Rauchen aufgibt und abends eine halbe Stunde mit dem Hund laufen geht, anstatt es sich mit einer Tüte Chips oder einer Tafel Schokolade im Fernsehsessel bequem zu machen, schon fast alles erledigt hat, was für ein langes und gesundes Fliegerleben nötig ist.

Jens Schmidt Bundeswehr

Ein Fehler im ESA Part-Med ist korrigiert

Bei allen Verschärfungen gab es Im Bereich Herz-Kreislauf allerdings auch eine Erleichterung, nämlich für die Piloten der Medical-Klasse 2 mit einem sogenannten Rechtsschenkelblock. Das ist eine in der Regel harmlose Überleitungsstörung des Herzreizleitungssystems, die, wenn sie nicht akut als Symptom einer anderen, schwerwiegenderen Herz- oder Lungenerkrankung auftaucht, keinen Krankheitswert hat. Hier gab es offensichtlich einen Fehler in der EU-Verordnung: Bei Berufspiloten wurde diese mit einer einfachen kardiologischen Untersuchung abgearbeitet, Limits waren nicht vorgesehen. Beim Text der Klasse 2 tauchten hingegen die Ausführungen des aus medizinischer Sicht deutlich kritischer zu bewertenden Linksschenkelblocks auf, die im Medical den Eintrag "ORL" (operational pilot restriction limitation) zur Folge hat. Dementsprechend dürfte der Betroffene nur fliegen, wenn ein zweiter, voll qualifizierter Pilot an Bord ist, der im Notfall die Steuerung übernehmen kann. Dieser Fehler war vom LBA bereits national durch ein eigenes AMC-Verfahren (akzeptiertes Nachweisverfahren) korrigiert worden. Man hat seinerzeit die Vorgaben der Klasse 1, die keine Einschränkungen nach einer unauffälligen Abklärung vorsehen, für die Klasse 2 übernommen. Damit ändert sich für deutsche Lizenzinhaber nichts, wohl aber für jene, die mit ihrer Lizenz – und damit auch mit ihrem Medical – in andere EU-Länder ausgewandert sind.

Eine weitere wesentliche Komponente des alternden Menschen ist hinsichtlich der Flugmedizin das Thema Augen. Die Verordnung gibt wortwörtlich vor: "The AME (Flugmedizinischer Sachverständiger – die Red.) should give proper consideration to the degenerative effects of ageing on the visual system." Letztlich zielt das vor allem auf Trübung der Linsen (Grauer Star), Glaukom (Augeninnendruckerhöhung, bekannt als Grüner Star) und Netzhauterkrankungen ab – im Alter durchaus übliche Probleme. Hierzu soll großzügiger eine erneute augenärztliche Untersuchung veranlasst werden. Die einzige feste Vorgabe dazu ist, dass bei jedem Piloten über 60 Jahren eine routinemäßige Untersuchung des Kontrastesehens, der sogenannte Mesotest, durchgeführt werden muss. Diese Untersuchung erfordert sehr teure Geräte und wird bei den meisten Fliegerärzten nicht vor Ort durchgeführt werden können, sondern eine Untersuchung beim Augenarzt nötig machen.

Die aktuellen Änderungen seitens der EASA-Medical-Regelungen gibt es auf der Website des Autors Dr. Benjamin Schaum.