Corona-Zeiten machen auch Flugzeugbauer erfinderisch. Sind sonst Messen wie die AERO Friedrichshafen die Hotsports der Saison, um Neuheiten vorzustellen und am besten gleich potenziellen Kunden den Kuli zwecks Unterschrift auf dem Bestellvertrag in die Hand zu drücken, wählte der italienische Flugzeughersteller Tecnam das Videoportal Youtube als Präsentationsplattform für sein neuestes Pferd im Stall. Und natürlich zeigte man die jüngste Entwicklung in hochglänzenden Bildern, untermalt von dynamischer Musik, um klarzustellen: Hier kommt ein echter Konkurrent für die Platzhirsche von Cessna und Piper.
Die umfangreichen Renovierungsarbeiten an dem Muster, das bereits 2012 seinen Erstflug hatte und sich seitdem solide verkauft, fanden vor allem unter der Cowling statt. Hier ersetzt der 170 PS (125 kW) starke CD-170-Dieselmotor von Continental Motors den Avgas-Brenner IO-390 mit 215 Pferdestärken (158 kW) aus gleichem Hause. Der Motor ist das jüngste Produkt von Continental. Er ergänzt die CD-100-Familie nach oben.

Dieselantrieb als Zukunftsstrategie
Zur Erläuterung der Stragie, auf den Dieselmotor zu setzen, erklärt Managing Director Giovanni Pascale Langer zu Beginn der Video-Präsentation mit recht deutlichen Worten. "Zum einen können wir mit P2010TDI unsere Flotte breiter aufstellen und jetzt alle Wünsche bezüglich Leistung und Kraftstoffart bedienen. Viel wichtiger ist aber die Tatsache, dass die technische Entwicklung in der Allgemeinen Luftfahrt ein stückweit stagniert hat und wir zum Teil mit antiquierter Technologie arbeiten. Dies in Verbindung mit der immer schwieriger werdenden Verfügbarkeit von Avgas in vielen Regionen hat uns bewogen, auf den Diesel als Antriebskonzept zu setzen." Mit den Kraftstoffpreisen seien auch die Betriebskosten in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen, und angesichts des hohen Kraftstoffverbrauchs von Ottomotoren müsse man an dieser Stellschraube ansetzen.
Mit Continental Motors habe Tecnam einen Partner gefunden, der über die größte Erfahrung mit Diesel-Flugmotoren verfüge, die meisten Flugstunden mit diesem Antriebskonzept absolviert und überdies das weltweit dichteste Servicenetz aufgebau habe, erklärt Langer weiter. Der Einsatz eines Aggregats von Continental sei demnach nur folgerichtig.
Bezüglich der technischen Daten unterscheiden sich die Diesel- und die Avgas-Version der P2010 nur unwesentlich. Für das Leergewicht der TDI gibt das Datenblatt 795 Kilogramm an, die Benzinerversion mit 215 PS kommt mit 40 Kilogramm weniger aus. Die Nutzlast betrage 365 bzw. 405 Kilogramm. Hier sei die Diesel-Twenty-Ten aber nur scheinbar im Nachteil, erklärt Langer, denn aufgrund des deutlich geringeren Verbrauchs an Jetfuel müsse für vergleichbare Strecken deutlich weniger Kraftstoff mitgeführt werden. So bliebe mehr Kapazität für Passagiere und Gepäck. Bei Cruise Speed laufen demnach nur 5,2 US-Gallonen pro Stunde durch die Spritleitungen, das entspricht knapp 20 Litern.

Die Effizienz des Dieselantriebs zeigt sich auch in den Angaben zur Reichweite. Während die Tecnam mit Ottomotor laut Angaben von Tecnam knap 1100 Kilometer nonstop schafft, kommt man mit Jetfuel-Brenner unter der Cowling fast doppelt so weit: 1940 Kilometer sollen es bei 75 Prozent Leistung sein, die 30-Minuten-Reserve ist dann noch unangetastet. In die Tanks passen bei beiden Versionen maximal 64 US-Gallonen bzw. 240 Liter Treibstoff.
Was die Geschwindigkeit angeht, behält die Benzinversion knapp die Nase vorn. 136 KTAS gibt Tecnam für die TDI-Version an, mit Benzinmotor sind 146 KTAS drin. Auch bezüglich der Steigrate ist die Diesel-Tecnam etwas zurückhaltender. Mit 787 ft/min soll sie klettern, ihre bezingetrieben Schwester schafft 1100 ft/min.
Die aerokurier-Frage, wie sich die aktuell noch geringe Standzeit der Dieselmotoren von aktuell nur 1200 Stunden mit dem Nachhaltigkeitsgebot der Zeit vertrage, gab der Tecnam-Manger an den Motorenhersteller weiter. Oliver Leber, Director OE Customers & Applications, räumte ein, dass man bei Continental häufiger mit der Frage nach TBR versus TBO konfrontiert werde. "Fakt ist, dass bei einer Überholung auch sehr viele Teile des Motors ausgetauscht werden. Aus unserer Sicht ist es da besser, das Triebwerk komplett zu ersetzen, weil der Kunde dann ein zu 100 Prozent perfektes Aggregat erhält, da es bei der Überholung naturgemäß Unregelmäßigkeiten gibt, die sich trotz genauester Kontrollen nie ganz ausschließen lassen." Den notwendigen Standards in Bezug auf Umweltschutz werde man durch umfassendes Recycling gerecht. Bezüglich der Standzeit der Motoren erklärte Leber, dass diese sukzessive erhöht werde, wie das auch bei den anderen Modellen der CD-100-Reihe der Fall gewesen sei.
Moderne Konstruktion, dezentes Interieur
Bezüglich der Konstruktion der Zelle bleibt sich Tecnam treu. Rumpf und Seitenflosse werden nach wie vor aus Kohlefaser-Prepregs gefertigt, während Flügel, Höhenleitwerk, Seitenruder und alle tragenden Strukturen aus Leichtmetall bestehen.
Im Cockpit geht es zurückhaltend, aber modern zu. Besonders stolz ist man auf die elektrisch höhenverstellbaren und crashsicheren Sitze, die Aufprallsituationen mit bis zu 26 g standhalten und die Crew dabei bestmöglich schützen sollen. Das Panel wird dominiert von Garmins G1000 NXi-Glascockpit, das in Verbindung mit dem GFC700-Autopilot und der Einhebelbedienung samt FADEC das Dieselmotors ein souveränes und sicheres Fliegen ermöglichen soll.

Flugschulen als Kernzielgruppe
Nach den Marktchancen für das neue Flugzeug befragt, gab sich Giovanni Pascale Langer selbstbewusst. Vor allem Flugschulen sehe man als potenzielle Kunden, da in diesem Segement Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit eine entscheidende Rolle spielten. Aber auch für Privateigner sei das Flugzeug interessant, da es eine große Reichweite, ausreichend Platzkapazität und genügend Zuladung biete.
Mit den ersten Auslieferungen rechnet Tecnam im September oder Oktober 2020. Dies sei auch davon abhängig, wann das Triebwerk seine EASA-Zertifizierung erhalte – Continental selbst erwartet diese bereits Ende Mai. "Wir haben alle Dokumente bei der eruopäischen Behörde eingereicht, es muss jeden Tag so weit sein", so Oliver Leber von Continental.