Es war ein Tag, wie es vielleicht nur vier, fünf in einer Saison gibt“, sagt Andreas Kunert, der Pilot der Aviat Husky, der den aerokurier-Fotografen Jörg Adam mit in die Schweizer Berge zum Gletscherfliegen „entführt“ hat. Jörg und Andreas haben sich im Juni, also am Ende der von Dezember bis Juni dauernden Gletscherflugsaison, frühmorgens am Flughafen in Bern-Belp getroffen. Kein Wind, keine Bewölkung, keine Thermik und ein tiefblauer Himmel, wie er im Buche steht, sind ein meteorologischer Glücksfall für den Ausflug in die Berge.
Die Notfallausrüstung ist schon seit dem Abflug vom Heimatplatz der Husky in Deutschland an Bord: Lebensmittel, Wasser, Rettungsdecken, Handfunkgerät und andere Utensilien, die bei einem Zwischenfall in den Bergen überlebenswichtig werden können.
Jörg ist schon nach dem Start begeistert: „Wir haben uns langsam hochgeschraubt, um die erforderliche Höhe für die Gletscherlandungen zu erreichen. Es ist unglaublich imposant, sich mit einem solchen Flugzeug in den Bergen zu bewegen!“ Dank der gut funktionierenden Heizung bleibt es in der Kabine der Husky bis zur Landung auf dem Eis auch angenehm warm. Jörg gefällt die Tandemsitzanordnung in der Husky, die auch dem Passagier eine hervorragende Aussicht bietet.
Von Bern steuert Andreas die mit einem O-360-Motor mit 180 PS Leistung und Verstellpropeller ausgerüstete Spornrad-Einmot nach Südwesten in Richtung des Mont-Blanc-Massivs. So spät in der Skiflugsaison muss man eben hoch hinaus, um geeignete Landeplätze zu finden.
Zusätzlich zum konventionellen Spornradfahrwerk verfügt diese Husky noch über Ski. Ohne die wäre eine Landung auf Schnee nicht ratsam. „Bei pulvrigem Schnee kann man bis zu 50 Zentimeter tief einsacken“, erklärt Andreas.
Die Gletscherlandeplätze müssen zugelassen sein, sonst ist eine Landung dort tabu. Die Plätze sind in den Schweizer Luftfahrerkarten verzeichnet und sind auch auf der Website des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL) zu finden. Gebirgslandeplätze sind laut BAZL-Definition „Landestellen außerhalb von Flugplätzen und ohne Infrastruktur, die über 1100 Meter über Meer liegen. Sie dienen einerseits Ausbildungs- und Übungszwecken, andererseits für Personentransporte zu touristischen Zwecken.“
Wenn ein Platz für die Gletscherfliegerei zugelassen ist, dann gibt es dort nicht eine bestimmte und markierte Landestelle. Der Pilot entscheidet nach eigenem Ermessen, wo auf dem Gletscher eine den meteorologischen und glaziologischen Gegebenheiten entsprechende Landestelle vorhanden ist, und landet dann. Vor der Landung ist ein Überflug des Landegebiets deshalb obligatorisch.
Jörg haben vor allem die Landungen auf den Gletschern mit einem starken Gefälle beeindruckt: „Der Anflug ist wie ein Flug gegen eine Wand. Vom hinteren Sitz aus sieht man nur eine weiße Fläche, auf die man zufliegt“, berichtet er. „Wow, dieser Gletscher ist aber kein flacher!“, schießt es ihm bei einer Landung durch den Kopf.
Gletscherlandungen erfordern eine hohe Konzentration vom Piloten, auch bei bestem Flugwetter. Er muss in der Lage sein, die Schneeverhältnisse und die Neigung des Geländes korrekt einzuschätzen. Die Landung auf einem Gletscher erfolgt grundsätzlich bergauf, dann beschreibt das Flugzeug beim „Ausrollen“ eine Kurve, damit es zum Start gleich in der richtigen Richtung steht.
„Dass man eine Maschine in dieser Parkposition stehen lassen kann, ist schon erstaunlich“, zeigt sich der Fotograf überrascht. „Bei der Landung wird die Geschwindigkeit viel schneller abgebaut als auf einer normalen Piste“, hat Jörg beobachtet, „und beim Start im steilen Gelände baut sie sich natürlich entsprechend schnell wieder auf.“ Andreas und Jörg sind unter anderem auf dem Glacier de Trient, Petersgrat, Rosa Blanche, Monte Rosa und Kanderfirn gelandet.
Mit der Gletscherfliegerei hat sich Andreas einen Jugendtraum erfüllt. Er sagt: „Ich bin ein begeisterter Freund der Berge und möchte vermitteln, wie schön die Fliegerei sein kann.“ Durch JAR und die EASA ist es für ausländische Piloten leichter geworden, das Rating für Gletscherlandungen zu erwerben.
Wer sich dranhält, über fliegerische Erfahrung verfügt und gutes Wetter antrifft, kann die erforderlichen 250 Gletscherlandungen in einem überschaubaren Zeitraum absolvieren. Andreas hat sein Brevet bei einer Flugschule in der Schweiz erworben und rüstet seitdem seine Einmot ab den Weihnachtsferien mit Ski aus. „Unglaubliche Aussichten!“, zieht Jörg Adam als Fazit seines Mitflugs, der sicher nicht der letzte dieser Art gewesen ist.
Gletscherfliegerei in der Schweiz: Aus der Not geboren
Am Anfang stand ein Absturz: Im November 1946 fliegt ein amerikanischer Militärtransporter vom Typ C-53 von München nach Marseille. Doch im Schneesturm und ohne Sicht kollidiert das Flugzeug mit dem Gauligletscher. Alle zwölf Insassen überleben. Eine große Suchaktion wird gestartet, und als sich das Wetter bessert, finden Suchflugzeuge das Wrack auf dem Gletscher oberhalb von Meiringen.
Die Schweizer Armee organisiert eine Rettungsmission mit Soldaten auf Ski und Schlitten. Doch der Flugplatzkommandant von Meiringen, Victor Hug, lässt zwei Fieseler Storch mit Ski ausrüsten und fliegt zur Unglücksstelle. Ihm gelingt die Landung auf dem Gletscher neben der C-53. Er benötigt acht Flüge, um die Verunglückten ins Tal zu fliegen. Damit begann die Rettungsfliegerei in der Schweiz. Die Flächenflugzeuge wurden mit dem Aufkommen leistungsfähiger Hubschrauber jedoch seit den frühen 70er Jahren nach und nach verdrängt.
aerokurier Ausgabe 01/2016