Pilot Report Great Lakes 2T-1A-2: So fliegt der Doppeldecker

Pilot Report Great Lakes 2T-1A-2
Klassik und Moderne: So fliegt der Kult-Doppeldecker

Zuletzt aktualisiert am 14.12.2023

Der Flughafen St.Gallen-Altenrhein am schweizerischen Südufer des Bodensees beherbergt einige nicht alltäglich Flugzeuge wie Pilatus PC-7, Boeing Stearman oder die Dornier Do27 des Fliegermuseums Altenrhein. Der Platz ist auch der Geburtsort des Flugboots Dornier Do X, einst das mit Abstand größte Flugzeug der Welt. Es hob im Juli 1929 zum ersten Mal vom Bodensee ab. Die Konstruktion, die ich an diesem geschichtsträchtigen Ort heute fliegen werde, hat dasselbe Geburtsjahr, wenngleich unser Flugzeug erst vor zwei Jahren gebaut wurde: Es ist die Great Lakes 2T-1A-2.

Stefan Löfgren

Klein aber fein

Im Hangar der Centennial Aircraft Services AG parkt der in Rot-Cremeweiß lackierte Doppeldecker zwischen Junkers F13 und WACO YMF-5 – und sieht ziemlich klein aus. Nicht so klein wie eine Pitts, aber doch klein. Alle möglichen Flugzeuge werden hier gewartet. Als ich eintrete, kommen gleich ein paar Mechaniker zur Begrüßung auf mich zu. Unter ihnen ist Andreas Züblin. Er stellt mich dem Team vor, das gerade unser heutiges Testobjekt für den Flug vorbereitet. Andreas ist selbst Techniker und organisiert die Demoflüge der WACO YMF-5 und der Great Lakes 2T-1A-2 des Unternehmens. Ich bin eingeladen, sie beide zu fliegen. An dieser Stelle geht es um die Great Lakes.

401 Flieger in 14 Jahren

Die Geschichte des Flugzeugs reicht ins Jahr 1929 zurück. Die Großen Seen im Nordosten der USA waren Namensgeber der Great Lakes Aircraft Corporation in Cleveland, Ohio, am Südufer des Eriesees. Nach sieben Jahren und 264 hergestellten Sport-Trainer-Doppeldeckern ging das Unternehmen in Konkurs. 1973 wurde die Produktion wieder aufgenommen, nun mit neuem Eigentümer. Auch diese zweite Generation der Great Lakes hatte eine siebenjährige Produktionszeit und endete 1980, nachdem weitere 137 Flugzeuge in die Luft gegangen waren.

Great Lakes Aircraft Corporation

Aus dem Schlaf erwacht

Doch auch diesmal ging es weiter: Im Jahr 1983 gründete eine kleine Gruppe Luftfahrtbegeisterte unter der Leitung von Peter Bowers die Classic Aircraft Corporation, zunächst mit dem Ziel, einem anderen schlafenden Klassiker, der WACO YMF-5, neues Leben einzuhauchen. Das klappte ziemlich gut: 2011 war das Team, nun unter dem Namen WACO Aircraft Corporation, bereit, auch die einst so beliebten Great Lakes aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Das erste Exemplar war 2013 abflugbereit. WACO stellt die Great Lakes allerdings nicht in Serie her. Das Werk in Battle Creek, Michigan, lieferte 2022 und 2023 jeweils drei Exemplare aus. Der Kunde entscheidet über Farbe, Innenausstattung und Avionik. Mehr als 4000 Stunden liebevoller Handarbeit stecken in jedem Exemplar. Das Ergebnis ist qualitativ perfekt.

Stefan Löfgren

Ein Klassiker mit Neuerungen

Unter der Schweizer Sonne erstrahlt die Great Lakes in vollem Glanz. Sie war einst für die fliegerische Grundausbildung und für den Kunstflug gedacht. Ursprünglich mit einem 85-PS-Reihenmotor ausgestattet, wird sie heute mit einem 180 PS (132 kW) starken Lycoming AEIO-360 ausgeliefert, der mit einem rückenflugtauglichen Öl- und Kraftstoffsystem ausgestattet ist. Diese Leistung dürfte für die meisten Piloten ausreichend sein. Der Rumpf besteht klassisch aus Rohr und Tuch, wobei die Stahlrohre innen und außen mit einer Korrosionsschutzschicht versehen sind. Die Strukturen sind mit strapazierfähigem Ceconite-Gewebe bespannt. Um die durch Ein- und Aussteigen besonders beanspruchten Flächen rund ums Cockpit zu schützen, sind die Rumpfseiten von der Cowling bis zum hinteren Cockpit mit Metall verkleidet. Noch weitere Verbesserungen sind in den Oldie eingeflossen. Eine davon ist die effizientere Kabinenheizung, die im offenen Cockpit zu spüren sein dürfte. Höhere Windschutzscheiben, eine größere Neigung der hinteren Sitzes für mehr Platz und Komfort und eine moderne EFIS-Instrumentierung sind weitere neue Features.

Andreas Züblin

Kein Reiseflieger

Zeit, endlich dem Bodensee einen Besuch aus der Luft abzustatten. Während ich mit Fluglehrer Oliver "Oli" Bachmann den Vorflugcheck durchgehe, gesellt sich Pilot Hans Breitenmoser zu uns. Er wird die Great Lakes später fürs Air-to-Air-Shooting steuern. Ich nutze die Chance für einen Blick auf die Details. Hinter der hinteren Kopfstütze befindet sich das sehr kleine Gepäckfach. Mit 4,5 Kilogramm Fassungsvermögen ist es nur für Handtuch und Zahnbürste geeignet. Was soll’s, eine Great Lakes ist ja kein Tourer. Sollte man sich dennoch für eine Reise entscheiden, kann der Alleinflieger entweder den Vordersitz fürs Gepäck nutzen oder dort einen Zusatztank mit zehn Gallonen Fassungsvermögen montieren. Letzteres bedeutet eine zusätzliche Stunde in der Luft.

Andreas Züblin

Mischung aus analogen und digitalen Instrumenten

Heute ist das vordere Cockpit von meinem Fluglehrer besetzt, und ich steige in zweiter Reihe ein, indem ich auf den unteren Flügel klettere, mit der linken Hand den oberen Flügelgriff packe und mein rechtes Bein über die Kante schwinge. Der Platz ist genau richtig für meine Größe, sodass ich mich sofort wohlfühle. Während Oli sich anschnallt, geht Hans mit mir die Bedienelemente durch und gibt mir Tipps für den Flug. Direkt unter dem Gashebel bemerke ich eine weiße Schnur, die an der linken Cockpitwand entlangläuft – mit ihr wird die Trimmung des Höhenruders angesteuert. Man fasst das Seil und bewegt es nach vorne, um die Nase nach unten, oder nach hinten, um die Nase nach oben zu bewegen. Das ist das erste Mal, dass ich so etwas sehe, und es funktioniert sehr gut. Die Instrumentierung besteht aus analogem Fahrt- und Höhenmesser. Drei Garmin GI 275 zeigen Fluglage und Motordaten an, das dritte Gerät dient als Multifunktionsdisplay.

Spaß beim Cruisen oder Turnen

Auf dem Weg zur Piste 28 darf sich der Lycoming warmboxen. Das Rollen ist einfach. Die mit einer Fußbremse ausgestatteten Seitenruderpedale sind mit dem Spornrad verbunden. Die Nase steht nicht allzu hoch, sodass wir eine passable Sicht nach vorne haben. Ganz ohne S-Kurven geht es aber nicht. Magnetcheck. Motor und Constant-Speed-Propeller zeigen keine Auffälligkeiten. Wir lassen die 180 Pferde laufen und heben bei 35 Meilen pro Stunde das Heck an. Der Rest des Flugzeugs verlässt bei 55 Meilen am Stau die Erde. Eine gute Steiggeschwindigkeit liegt bei 75 Meilen pro Stunde. Klappen oder Räder zum Einfahren gibt es nicht. Spiegelglatt liegt der Bodensee auf dem Weg zum Übungsraum unter uns. Ich sitze etwas zu hoch, also flattert meine Lederkappe im Wind, und ich muss leicht nach vorne gebeugt fliegen oder ein wenig im Sitz versinken, um mich hinter der Windschutzscheibe zu verstecken. Bei fast 30 Grad Lufttemperatur weiß ich den Charme des offenen Cockpits dennoch zu schätzen. Es ist ein entspannentes Flugerlebnis in diesem Klassiker.

Stefan Löfgren

Der originale Kunstflieger

Vier Querruder verleihen der Great Lakes eine sehr gute Rollrate. Um sie zu nutzen, muss sich der Pilot aber anstrengen – die alte Dame ist etwas steif um die Längsachse. Das Höhenruder hat jedoch viel Autorität. Insgesamt ist die Ruderharmonie sehr gut, ebenso wie die Steuerbarkeit bei niedriger Geschwindigkeit. Ein Stall kündigt sich mit leichtem Schütteln an und ist gut zu beherrschen. Bevor man mit dem Kunstflug beginnt, schaltet man die elektrische Kraftstoffpumpe ein, hält 2450 Umdrehungen pro Minute und beschleunigt im Sturzflug auf 125 Meilen pro Stunde. Abgesehen von kleinen Abweichungen je nach Manöver ist 125 die einzige Geschwindigkeit, die sich der Pilot merken muss. Dann geht es nur noch darum, innerhalb der zulässigen Lastvielfachen von +5,4 und -4 g ein paar erfrischend-akrobatische Kunststücke zu fliegen. Die Great Lakes war einst das Flugzeug der Kunstflugmeister. Dann kam die Pitts, und danach dominierten noch wendigere Flugzeuge wie die Extra-Serie die Kunstflugwelt. Aber für die meisten von uns ist eine Great Lakes vermutlich genau das Richtige, um ein Flugzeug auf den Kopf zu stellen.

Stefan Löfgren

Einfaches Landeverhalten

Vor der Landung trimme ich das Flugzeug mittels Leine ein wenig hecklastig. Im Sinkflug mit 75 Meilen pro Stunde steht die Nase niedrig genug, dass die Piste ins Sichtfeld rückt. Eine Great Lakes wird vorzugsweise auf allen drei Rädern gelandet, aber um besser sehen zu können, entscheide ich mich für eine Zweipunktlandung. Das Fahrwerk ist flexibel, und die Stoßdämpfer sorgen dafür, dass das Flugzeug relativ "wackelfrei" bleibt. Der Tanz auf den Pedalen, um den Kurs zu halten, beginnt, sobald das Spornrad am Boden ist, aber insgesamt gerät das Ausrollenziemlich stabil für einen ersten Versuch auf diesem Muster.

Stefan Löfgren

95 Jahre alt – die Faszination ist lebendig wie nie

95 Jahre alt ist das Design der Great Lakes 2T-1A-2. Auch heute noch bereitet es pure Freude, eine Runde mit ihr zu drehen oder einen Looping zu fliegen. Ja, sie tut sich ein bisschen schwer beim Rollen. Dafür ist sie eine wundervolle Partnerin, um Anfängern das Fliegen mit Taildraggern beizubringen und Fortgeschrittene in die hohen Weihen des Kunstflugs einzuführen. Wie alle Flugzeuge mit Spornrad, hat auch die Great Lakes Respekt verdient. Am Boden ist sie nicht übermäßig schwierig zu handhaben, gibt sich stets geradlinig und hält dennoch eine angemessene Herausforderung bereit. Der Doppeldecker ist nicht gerade das praktischste Flugzeug, aber muss er das sein? Wer ihn kauft, dürfte ein leidenschaftlicher Pilot sein, der ein exklusives Flugzeug mit Retro-Feeling fliegen möchte. Für dieses Gefühl wandern mindestens 490 000 US-Dollar über den Tresen.

Stefan Löfgren