Pilot Report Deperdussin TT: Fliegen wie ein Luftfahrt-Pionier!

Pilot-Report Deperdussin TT
So flogen die tollkühnen Helden in ihren fliegenden Kisten

Zuletzt aktualisiert am 26.04.2024

Abenteurer und Pioniere waren in Frankreich schon immer zu Hause. Und sie haben sich auch einen Platz in der Luftfahrtgeschichte gesichert. Dieses Erbe ist in der "Grande Nation" immer noch sehr präsent. Leider haben aber nur wenige Fluggeräte aus jener Zeit bis heute überlebt – geschweige denn, dass sie noch flugfähig wären. Sowohl der Zahn der Zeit als auch die technischen Revolutionen haben ihnen allzu oft ein schnelles Ende beschert.

Vergangenheit zum Leben erwecken

Einige Menschen haben aber schon früh den Wert dieser Maschinen erkannt und ein paar Exemplare vor dem Verschwinden bewahrt. So sind eine Blériot XI und eine Caudron G3 in der Sammlung des Freundeskreises Jean-Baptiste Salis erhalten geblieben. Aber es gibt auch Piloten, die mit sensationellen Nachbauten an die Pioniertage erinnern. Antony Pichon und seine Deperdussin TT sind ein solches Duo. Wenn Pichon seine Flugmaschine im nordfranzösischen Montargis startet, scheint eine längst vergangene Zeit wieder lebendig zu werden. Die Deperdussin TT war eines der ersten Flugzeuge, die im frühen 20. Jahrhundert für den Kampfeinsatz getestet wurden.

Vincent Masse

Eins der ersten Kriegsflugzeuge der Welt

Ein Schild vorne im Cockpit sollte dabei die Besatzung schützen. Über dem Propellerkreis war als Bewaffnung ein Maschinengewehr montiert. Der Schütze musste es auf seinem Sitz stehend bedienen. Das verringerte die ohnehin bescheidenen Flugleistungen zusätzlich. Das Militär war von den Fähigkeiten des Geräts dennoch überzeugt. Die TT wurde bestellt und in Serie gebaut. Ab Oktober 1912 war sie als Beobachtungsflugzeug auf Seiten der osmanischen Armee im Ersten Balkankrieg im Einsatz. Auch bei den französischen Streitkräften wurde sie zwischen 1914 und 1916 eingesetzt, hauptsächlich zur Aufklärung. Offenbar brachte der Einsatz an der Front aber keine zufriedenstellenden Ergebnisse. In den folgenden Kriegsjahren wurden ihr die Voisin Typ 3 und die Morane Typ H und L auf den Schlachtfeldern Europas vorgezogen.

Strahlender Nachbau

Über ein Jahrhundert nach dem Jungfernflug der Deperdussin Typ A im Jahr 1910 steht der Nachbau der TT von Antony Pichon blitzblank poliert in der Sonne. Die lackierten Holzmasten, die Stahlversteifungen und das khakibraun gefärbte Segeltuch versprühen den Charme des frühen Flugzeugbaus. Das filigrane Fluggerät mit dem Kennzeichen F-PDEP erinnert an jene Tage, als Pioniere noch von Heldentaten mit abenteuerlichen Fluggeräten träumten. Antony Pichon scheint genau der Richtige zu sein, um diese Geschichten zu erzählen. Im Hauptberuf ist er Airline-Pilot auf einer Boeing 747, früher diente er bei der französischen Luftwaffe. Es gibt nichts in der Luftfahrt, was ihn nicht interessiert, vom Jumbo-Jet bis zum Kunstflug.

Warbird – Auferstehung inklusive

Sein altertümliches Fluggerät bietet passend dazu auch noch eine Extraportion Warbird: Auf dem Seitenleitwerk trägt die TT den Code "D4": Ursprünglich zeigte dieser die Zugehörigkeit zum DEP4-Geschwader im Ersten Weltkrieg. Außerdem flog Antonin Brocard, 1915 Kommandeur der "Cigognes-Staffel", die D4. Seine Einheit nahm unter anderem vom Flugplatz Romilly aus im September 1914 an der Marne-Schlacht teil. Auf der linken Rumpfseite des Nachbaus ist der Name des Erbauers, Gilles Alexandre, eingraviert, der im Jahr 2001 die ersten Flüge der Deperdussin TT absolvierte. Alexandre musste die TT nur wenig später ein zweites Mal aufbauen, da sie 2002 nach einem Unfall durch einen Brand weitgehend zerstört worden war. In Anlehnung daran ziert heute ein Phönix den Rumpf.

Jean-Sebastien Seytre

Einige moderne Anpassungen waren notwendig

Die Unterschiede zwischen der F-PDEP und dem Modell von 1912 sind hauptsächlich dem modernen Flugbetrieb geschuldet: Radbremsen, das auf einen hölzernen Rahmen montierte Spornrad und weitere Details. Als Antrieb dient ein Lycoming O-320 mit 150 PS, der vieles deutlich leichter macht als der originale Sternmotor der 1910er Jahre. Dank der zylindrischen Motorabdeckung ist der Unterschied kaum zu sehen. Ein Zweiblatt-Valex-Holzpropeller mit 195 Zentimetern Durchmesser sorgt für Vortrieb. Antony Pichon will ihn jedoch mit Hilfe der Firma Evra durch die Nachbildung des historischen Propellers in Form eines Krummsäbels mit 210 Zentimetern Durchmesser ersetzen. Der würde der Ästhetik des Flugzeugs näherkommen und eine bessere Leistung bieten. Darüber hinaus hat der Nachbau Querruder, die eine bessere Kontrolle um die Längsachse gewährleisten als die Verwindung der Flügel beim Original. Gesteuert wird noch mit einem Knüppel, Antony plant aber, eines Tages ein Steuerrad nach dem Vorbild des Originals einzubauen.

Jean-Sebastien Seytre

Ultra-dünne Profile

Wie die Blériot XI ist auch die Deperdussin TT ein Eindecker mit geringer Streckung. Auch das Profil ist dasselbe, bekannt geworden unter dem Namen "Blériot-Profil". Es ist extrem dünn und hohl. Und es erzeugt ordentlich Auftrieb, aber auch viel Widerstand. Die Flügel sind durch zwei massive Beschläge am Rumpf befestigt. Am rechteckigen, aus Holz gebauten Rumpf selbst sorgen mehrere Querstreben und Stangen für die Steifigkeit, die die ganze Struktur auszeichnet. Hinzu kommen 42 Stahlseile, die Rumpf und Tragflächen miteinander verbinden und deren Spannung regelmäßig mittels eines Tensiometers überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden müssen. Diese Bauweise ist typisch für Fluggeräte des frühen 20. Jahrhunderts, vor allem bei Eindeckern, deren Flügel zu dünn waren, als dass ein Holm allein die Robustheit des Flügels hätte gewährleisten können. Trotz dieser überholten Konstruktion macht das Flugzeug insgesamt einen soliden und robusten Eindruck.

Sportlicher Einstieg ins Cockpit

Die Cowling der Deperdussin reicht bis in zwei Meter Höhe, entsprechend sportlich ist der Einstieg ins Cockpit. Ein Trittbrett im hinteren Teil erleichtert die Übung etwas, macht die Prozedur für den vorne sitzenden Passagier aber recht umständlich. Die Sitze sind überraschend bequem, Lederkissen und eine kleine Rückenlehne bieten fast schon ein bisschen Luxus. Dennoch ist der Eindecker kaum für längere Reisen gedacht: Die schwere Steuerung lässt schnell ermüden. Außerdem ist die Reichweite durch den 77-Liter-Tank hinter dem Motor auf zwei Stunden plus 30 Minuten Reserve begrenzt.

Jean-Sebastien Seytre

Takeoff!

Jetzt wollen wir aber fliegen! Der Lycoming bringt erstmal eine große Portion Vertrauen in die Sache. Allerdings muss der Magnetcheck etwas unterhalb von 1800 Umdrehungen pro Minute erfolgen, denn jenseits davon halten die schwachen Bremsen das Maschinchen nicht mehr auf der Stelle. Wenn sich die Deperdussin in Bewegung setzt, sieht der Pilot vom hinteren Sitz aus nicht allzu viel. Ordentlich angeschnallt, Brille und Lederhelm aufgesetzt, stellen wir uns auf die Piste 05 in Montargis und rauschen dann in die Zeit des Flugpioniers Maurice Prévost.

Jean-Sebastien Seytre

Behäbiges Flugverhalten

Allmählich beschleunigt der Motor das altertümliche Fluggerät. Den Steuerknüppel ein wenig nach vorne geschoben, und das Flugzeug bleibt schön in der Spur. Bei etwa 100 Kilometer pro Stunde gehen wir in die Luft. Der Motor erreicht bei Vollgas 2600 Umdrehungen pro Minute, im Anfangssteigflug reduzieren wir auf 2500. Sicher, dieses Fluggerät ist aerodynamisch noch ausbaufähig. Vx und Vy liegen mit 90 und 100 Stundenkilometer recht nahe beieinander. Mit einem Leergewicht von 500 Kilogramm ist der Urvogel zudem recht behäbig. Aber der Tag ist perfekt, um den Charme einer Flugmaschine aus den Anfängen der Luftfahrt in vollen Zügen zu genießen! Die Scheibe schützt gut vor dem Fahrtwind, unsere Lederjacken erfüllen ebenfalls ihren Zweck.

Sebastien Peron

Steuerung mit Kniff

Wir erreichen unsere "Spazierhöhe" von etwa 300 Metern über der Landschaft und drosseln den Lycoming auf 2350 Umdrehungen, was in etwa dem 80-PS-Gnome entspricht, mit dem die Deperdussin ab 1910 ausgestattet war. Mit rund 135 Kilometer pro Stunde schaukeln wir entspannt über Wald und Wiesen. Die moderate Geschwindigkeit und die Leistungseinstellung scheinen für das dünne Profil gut geeignet. Wir umrunden die Stadt Montargis von Westen, Antony überlässt mir das Steuer. Die Ruderabstimmung ist nicht sehr homogen, obwohl ausreichend dimensionierte Querruder den Kurvenflug verbessern sollten. Dennoch macht sich eine leichte Verzögerung zwischen Steuereingabe und Bewegung bemerkbar. Dies scheint mir auf die insgesamt flexible Konstruktion der Maschine zurückzuführen zu sein.

Tendenz zum Übersteuern muss kontrolliert werden

In diesem Moment kippt das Flugzeug zur Seite weg, das Schlingern ist beträchtlich. Ich muss beherzt gegensteuern. Obwohl Antony bei ruhigem Wetter problemlos Steilkurven fliegen kann, wie er mir erzählt, sei es am besten, sich erstmal auf 30 Grad Schräglage zu beschränken. In der Tat muss man sich dem Charakter des Flugzeugs anpassen und auf der Hut sein, besonders im Kurvenflug. Selbst mäßige Seitenruderausschläge haben eine Tendenz zum Übersteuern. Zum Glück bieten die Stangen vor dem Cockpit, an denen die Stahlseile von den Flächen zusammenführt sind, eine gute Referenz, um Fehler zu korrigieren. Das Höhenruder reagiert sehr präzise, auch wenn es ein wenig schwergängig zu bedienen ist. Alles in allem ist die Deperdussin im Vergleich zu anderen alten Maschinen aber recht gutmütig unterwegs. Und obwohl der Passagier auf dem vorderen Platz zwischen den Flügeln sitzt, ist die Sicht im Flug hervorragend. Über dem Lac du Grand Fontenay muss ich daran denken, wie vor über 100 Jahren die Beobachter aus einem solchen Cockpit die Bewegungen feindlicher Truppen ausspähten. Unser Flug ist zum Glück ein anderer.

Sanfte Landung

Die besten Dinge gehen zu Ende: Wir drehen ab und steuern wieder die Graspiste von Montargis an. Mit reduzierter Fahrt geht’s mit 120 Kilometer pro Stunde leicht abwärts. Bei der Deperdussin verlieren die Ruder schon lange vor dem Erreichen eines erhöhten Anstellwinkels ihre Wirkung. Eine etwas erhöhte Geschwindigkeit ist daher für einen stabilen und gut kontrollierten Anflug notwendig und stellt bei der Landung kein Problem dar, da das Maschinchen sehr schnell abbremst. Antony hält das Fluggerät in einigen Metern Höhe parallel zum Boden, dann reduziert er allmählich die Leistung, um mit einer Zwei-Punkt-Landung sauber aufzusetzen. Wenn das Heck dann von selbst aufs Gras geht, kommt die Deperdussin in kürzester Zeit zum Stehen.

Es war ein Genuss, mit dieser einzigartigen Maschine zu fliegen. Und sie ist eine großartige Hommage an die originale Deperdussin, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Es ist das ideale Flugzeug, um wieder mal in die Zeit der Luftfahrtpioniere einzutauchen.