
Es gibt Aufträge im Leben eines Selbstständigen, die man nicht herbeiwünscht. Der Juni 2013 brachte für Jens Knittel einen solchen Auftrag. Gemeinsam mit Ulrich Löflath flog er in 5000 Fuß die Donau zwischen Kelheim und Passau ab, um Luftbilder mit hoher Auflösung von dem Hochwasser in der Region zu machen. Was die meisten nur aus dem Fernsehen kennen, haben die beiden mit eigenen Augen gesehen: die gebrochenen Deiche, die alles verschlingenden Wasserflächen, die überfluteten Dörfer, die versunkenen Lastwagen. „Man kommt sehr ins Grübeln“, sagt Knittel über diesen Flug, der unter anderen Umständen ein Routinejob gewesen wäre.
Immerhin kann er sich sicher sein, dass die Bilder, die dabei entstanden sind, von großem Nutzen sind. Die Digitalkamera an Bord der firmeneigenen Cessna 180 hält die Wasserstandslinien aus senkrechter Perspektive auf die Sekunde genau fest, mit einer Genauigkeit im Zentimeterbereich. Auf dieser Grundlage lassen sich künftige Deichverstärkungen planen oder Schäden gegenüber der Versicherung dokumentieren.
Hochwassererkundungen kommen im Berufsalltag von Jens Knittel glücklicherweise nur sehr selten vor, Flussbefliegungen dagegen werden immer mal wieder in Auftrag gegeben. Die Wasser- und Schifffahrtsämter brauchen die hochauflösenden, geometrisch exakten Luftbilder, die Knittels Firma geoplana liefern kann, um hochpräzise Karten herstellen zu können, die selbst so unscheinbare Details wie Wegweiser auf wenige Zentimeter genau darstellen.
Knittel hat sich mit seiner in Marbach beheimateten Firma auf Photogrammetrie und sogenannte Orthophotos spezialisiert. Ein typisches Anwendungsgebiet der Photogrammetrie sind 3-D-Stadtmodelle. Dabei werden nicht nur die Dachformen, sondern auch Schornsteine und Dachfenster dreidimensional digitalisiert und zur Erzeugung eines erstaunlich detailreichen Stadtmodells verarbeitet. Hamburg zum Beispiel hat ein solches 3-D-Stadtmodell erstellen lassen und nutzt es für vielfältigste Aufgaben bei der Stadtplanung.
Der Systempreis für die Zeiss/Intergraph DMC II liegt bei 850 000 Euro

Sehr anschaulich wird die kaum glaubliche Genauigkeit dieser Art von Luftbildern bei der Deponievermessung. Große Energieerzeuger lassen zum Beispiel ihre Kohlehalden von geoplana aus der Luft vermessen, um die Volumenveränderungen exakt nachvollziehen zu können. Gefordert wird dabei eine Genauigkeit von 1,5 Prozent. Der Vorteil der Vermessung aus der Luft liegt, neben der Effizienz, vor allem darin, dass der Aufnahmezeitpunkt exakt definiert ist, da der Überflug nur wenige Minuten dauert. Ein Landvermesser zu Fuß würde Tage für diese Aufgabe brauchen – bis dahin wären etliche Kubikmeter Kohle weggebaggert oder aufgeschüttet worden.
Satelliten übrigens können diese Aufgaben nicht übernehmen. Zum einen schieben sich meist Wolken ins Bild, zum anderen sind sie weit entfernt von der Genauigkeit, die Jens Knittel mit seinen Digitalbildern liefern kann. Denn während ein Bodenpixel eines Satellitenfotos 35 Zentimeter abbildet, sind es bei Knittels Digitalkamera bis zu zwei Zentimeter.
Setzt man den Wert der Kamera mit dem Trägerflugzeug, der Cessna 180 aus dem Jahr 1963, ins Verhältnis, dann ist das Flugzeug der klare Verlierer: Der Systempreis für die fest in der Cessna installierte Zeiss/Intergraph DMC II liegt bei 850 000 Euro. Rund 160 Kilogramm wiegt die blaue Hightech-Einheit, die die teuerste Serienkamera der Welt sein dürfte.
Sie besitzt je ein Objektiv für die Farbkanäle rot, grün, blau, infrarot und schwarzweiß. Daher hat im Ergebnis jedes Pixel sämtliche Farbinformationen. Das Rohdatenbild ist etwa 800 MB groß, was mehr als 300 Millionen Pixel entspricht.
Alle zwei Sekunden kann die Kamera eine Aufnahme machen, die Ausbeute eines Flugtages kann somit ohne Weiteres 1,5 Terabyte groß sein. Jens Knittel fliegt seit 25 Jahren und hat dabei Bildstreifen beflogen, die 23 Erdumrundungen entsprechen.
Die Kamera wird von einer kreiselstabilisierten Plattform horizontal gehalten

Das andere Firmenflugzeug ist eine Cessna 340, die in Schwäbisch Hall stationiert ist. Die 180er hat ihren Hallenplatz am Rand des firmeneigenen Grasplatzes, nur wenige Autominuten vom Firmensitz in Marbach entfernt. Das bietet den unschätzbaren Vorteil, dass bei passender Wetterlage schnell gestartet werden kann.
Es versteht sich, dass jeder Flug bis hin zu den Auslösepunkten der Kamera exakt geplant wird. Im Flugzeug sieht der Pilot auf einem separaten Display den vorab berechneten Flugstreifen und fliegt ihn auf 20 Meter genau ab. Sollte er zu weit vom Streifen abkommen, schaltet die Kamera automatisch ab. Der Kameraoperateur kümmert sich nur um die Belichtung und achtet auf Wolkenschatten auf den Bildern. Sie dürfen nicht sein, diese Bereiche werden später nachgeflogen.
Um die höchste Messgenauigkeit herauszukitzeln, wird die Kamera von einer kreiselstabilisierten Plattform horizontal gehalten, außerdem werden die Kamerawinkel von einem Inertial Navigation System akribisch registriert, das Heading etwa wird auf 0,008 Grad genau festgehalten. Nach dem Flug werden die SSDs mit in das Büro genommen und auf die Rechner kopiert. Dort arbeiten Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen, um die diversen Produkte zu erstellen.
„Alles muss an einem Tag zusammenpassen“, sagt Jens Knittel, „die Anforderungen des Kunden, wolkenloses Wetter, Vegetation und die Koordination mit der Flugsicherung. Aber wenn man nach einem erfolgreichen Tag dem Sonnenuntergang entgegen fliegt, ist es doch wieder ein wunderbares Hobby.“
aerokurier Ausgabe 07/2013