Für die European Union Aviation Safety Agency (EASA) ist die neue urbane Mobilität vor allem eines: unbekanntes Terrain, das es schrittweise zu regulieren gilt. Viele Fragen sind unbeantwortet und einige Hürden noch zu nehmen, bevor Senkrechtstarter – VTOL für „Vertical Take-off and Landing“ genannt – Europas Innenstädte durch staufreie Punkt-zu-Punkt-Verbindungen revolutionieren könnten. Auf welcher Basis werden Lufttaxi-Konzepte wie beispielsweise CityAirbus, Lilium Jet und Volocopter zugelassen? Welche Lizenzen werden die Piloten benötigen? Wie realistisch sind Szenarien von autonom fliegenden Passagierdrohnen ohne Pilot? Wo werden die Luftfahrzeuge landen, die auf innerstädtische Anwendungen zugeschnitten sind? Und wie lassen sie sich zusammen mit bestehenden VFR- und IFR-Verkehren in den Luftraum integrieren? Fragen, die wir bei einem Besuch der Behörde in Köln einigen der Verantwortlichen aus diesem Bereich gestellt haben. Am Tisch saßen Volker Arnsmeier, Section Manager eVTOL & New Concepts, Gernot Kessler, Flight Standards, Principal Regulation Advisor und David Solar, Head of VTOL Department.
Special Condtitions für VTOL
Anfang Juli 2019 hat die Behörde eine Special Condition für batterie-elektrische, hybrid-elektrische und konventionell angetriebene VTOL-Fluggeräte veröffentlicht, die nicht unter die Kategorie Hubschrauber fallen. Dieser „erste Baustein für einen sicheren Betrieb von VTOL-Luftfahrzeugen“ gibt Regularien zur Entwicklung und zum Bau der neuen Klasse an Fluggeräten vor, denn bisherige Vorschriften sind auf herkömmliche Luftfahrzeuge zugeschnitten. Eine Zulassung auf Basis der Special Condition wäre möglich, wenngleich gegenwärtig noch keines der zahlreichen Projekte die Serienreife erreicht haben dürfte. Die EASA spricht in der Special Condition von einer „Small Category“. Bis zu neun Passagiere sollen in den Geräten Platz finden, die maximale Abflugmasse ist auf 3175 Kilogramm limitiert. Das Dokument unterscheidet zwischen den Zertifizierungskategorien „Basic“ und „Enhanced“. Für den kommerziellen Flugbetrieb oder für Flüge über dicht besiedeltem Gebiet gelten die strengeren Bestimmungen der „Enhanced“-Kategorie. „VTOL-Luftfahrzeuge, die in der Kategorie ‚Enhanced‘ zertifiziert sind, müssen die Anforderungen für einen weiterhin sicheren Flug und eine sichere Landung erfüllen und bei einer Störung zum ursprünglichen Bestimmungsort oder einem geeigneten alternativen Vertiport übergehen können“, heißt es. Anders gesagt: Es geht um zahlende Passagiere, für die ähnlich hohe Sicherheitsstandards wie bei Verkehrsflugzeugen gelten. In der Kategorie „Basic“ müssen für den Fall einer Störung zumindest Anforderungen an eine kontrollierte Notlandung erfüllt werden. In diesen Forderungen steckt eine Kernaussage der Special Condition: Ausfallsicherheit zum Schutz der Passagiere und Dritter am Boden wird großgeschrieben. Ziel ist es, die Special Condition schrittweise zu einer neuen Zulassungsvorschrift zu erweitern. Volker Arnsmeier nennt noch eine Besonderheit der Special Condition: „Es geht darin eher um die Ziele als um die Lösungen.“ Dementsprechend gibt es zwar beispielsweise Anforderungen an das Flugverhalten und Landemöglichkeiten im Falle einer Störung, aber keine konkreten Anweisungen zur Technologie. Auf dem Weg zu einer neuen CS-Vorschrift geht es um die Entwicklung von Industriestandards und um die Ausarbeitung behördlicher Vorgaben für AMC (Acceptable Means of Compliance). Zudem gibt es regelmäßig Gespräche mit anderen Luftfahrtbehörden wie zum Beispiel der amerikanischen FAA. Einzelne Unternehmen darf die EASA als Behörde nicht nennen.
Was gilt für Landeplätze und Luftraum?
Ein weiteres ungeklärtes Thema sind Landeplätze – schließlich sind Genehmigungen aufwendig. In ganz Deutschland gibt es nach unserem Kenntnisstand keinen öffentlichen innerstädtischen Landeplatz für Helikopter. Sollen die VTOL-Betreiber, die aktuell den Begriff „Vertiport“ für ihre geplanten Basen geprägt haben, eine Sonderbehandlung genießen? Welche Chancen hat die Vision vom Landedeck auf dem Parkhaus? Schließlich ist der innerstädtische Kurzstreckenverkehr das zentrale Geschäftsmodell der meisten VTOL-Unternehmen. Gernot Kessler stellt klar, dass auch für VTOL-Betreiber dieselben Regeln gelten werden wie für Hubschrauberfirmen. „Es ist nicht so, dass man den Hubschrauberverkehr in den Städten verboten hätte. Es gibt durchaus Möglichkeiten in Europa und anderswo, in den Städten zu verkehren. Das setzt entsprechende Performance Classes voraus. Es gibt diese Verkehre.“ Gleichzeitig weist er auf den hohen Aufwand hin, den die Zulassung eines Landeplatzes bedeutet, und bestätigt unsere Vermutung, dass es in Deutschland keine städtischen Landepads abseits der Krankenhäuser gibt. Diese Hürden werden auch die VTOL-Betreiber nehmen müssen. Wo sind überhaupt geeignete Flächen in den dicht bebauten Städten verfügbar? Hat man sie lokalisiert, würde ein entsprechendes Genehmigungsverfahren folgen. Hindernisfreiheit und Durchmesser sind zu berücksichtigen. Vor allem gilt es, die Anwohner von den Plänen zu überzeugen, denn trotz elektrischer Antriebe werden auch die neuen VTOLs Lärm verursachen. „Es ist weder komplettes Neuland, noch ist es unmöglich. Aber ein Reality Check besagt, dass es eine Herausforderung ist“, sagt Kessler. Ein solcher Check besagt auch, dass es anfangs den einen oder anderen Landeplatz am Stadtrand geben könnte und bestehende Flugplätze genutzt werden, also unkontrollierte VFR-Plätze, möglicherweise mit einem Flugleiter.
Geht es um den Lauftraum, gilt es, die VTOL-Geräte mit dem zunehmenden Drohnenverkehr sowie den bestehenden VFR- und IFR-Verkehren zu koordinieren. Das Stichwort heißt U-Space, dem wir uns in der Januar-Ausgabe eingehend gewidmet haben. Anfangs werden die Lufttaxis aller Wahrscheinlichkeit nach mit Pilot fliegen, wenngleich die Hersteller autonom fliegende Geräte anstreben. Volocopter beispielsweise kooperiert bei dieser Entwicklung mit dem Schweizer Start-up-Unternehmen Daedalean. „Es gibt gute Fortschritte, aber bis zur Zertifizierung wird es noch ein paar Jahre dauern“, mutmaßt Kessler. Ein Grund ist, dass künstliche Intelligenz eine Rolle spielt – es stellt sich die Frage, wie man eine solche Intelligenz zulassen könnte. Auch die Akzeptanz solcher Verkehrsmittel in der Öffentlichkeit ist ein Diskussionsthema: „Ist der Vater bereit, sein Kind dort hineinzusetzen? Wie weit ist die Öffentlichkeit bereit, mit dem Lärm umzugehen? Das sind auch Prozesse, die Jahre dauern werden.“
Welche Lizenzen braucht der Pilot?
Weiterhin geht es um die Lizenzierung der Piloten. „Ideen dazu werden in der zweiten Jahreshälfte 2020 vorgestellt“, so die EASA. Sie möchte eine NPA (Notices of Proposed Amendment) veröffentlichen, die Drohnen und Lufttaxis gleichermaßen berücksichtigt. Die Spannungsfelder aus Pilotensicht liegen in den unterschiedlichen Charakteristika der verschiedenen Konzepte: Der Lilium Jet dürfte fliegerisch, wenn er denn bemannt in die Luft geht, nicht allzu viel mit dem Volocopter gemein haben. Außerdem werden sich die Arbeitsbedingungen der Piloten permanent verändern, denn das Ziel ist schließlich die Abschaffung des Piloten. Eine zunehmende Automatisierung wird im Cockpit Einzug halten, die die Arbeit des Piloten Schritt für Schritt reduziert. Benötigt wird also eine Lizenz mit einem hohen Maß an Flexibilität. An dieser Stelle kommt eine weitere Besonderheit ins Spiel, die die Lufttaxis von der heutigen Industrie unterscheidet: Entwicklung, Fertigung und Betrieb der VTOLs liegen in der Hand eines einzelnen Unternehmens. Der Verkauf der VTOLs ist schließlich nicht unbedingt vorgesehen. Denkbar wäre also eine Lizenz oder ein Rating, gebunden an eine Firma. Benötigt der Pilot die Flexibilität, sich bei einem anderen Unternehmen zu bewerben? Oder bleibt er innerhalb einer Firma? Anfangs könnten CPL-Inhaber umgeschult werden. Doch welche Bedingungen gelten für die Umschulung? Wird eine eigene Lizenz benötigt? Oder wird es neue Ratings geben?
Die EASA hat die Bedeutung der VTOL-Entwicklungen erkannt, begleitet sie im Rahmen ihrer Funktion als Behörde, bewertet aber nicht. Fest steht: Investoren brauchen noch einige Jahre Geduld. Bis dahin, so Volker Arnsmeier, wird sich die Batterietechnik weiterentwickeln, und die Reichweiten werden sich erhöhen. Abseits der rein elektrischen Systeme könnten auch hybride VTOLs den Weg in die Zukunft ebnen.