Bei Rundflügen unterhalten Piloten ihre Passagiere gerne mal mit Anekdoten aus ihrem Fliegerleben oder erklären ihnen die Welt von oben. Dabei möchte der PIC natürlich zeigen, dass er sein Handwerk beherrscht und alles im Griff hat. Häufig wird dabei auch in geringer Höhe geflogen, damit die Passagiere etwas von der Landschaft zu sehen bekommen. Aber gerade dadurch kann es zu kritischen Situationen kommen, besonders dann, wenn nicht alles nach Plan läuft und die Luftraumbeobachtung zu kurz kommt. Denn gerade im Platzrundenverkehr oder im Nahverkehrsbereich eines Flugplatzes kann schon eine kurze Ablenkung gravierende Folgen haben. So oder ähnlich könnte es sich auch bei einem Rundflug im Sommer des Jahres 2018 nahe dem Sonderlandeplatz Borken-Hoxfeld in Nordrhein-Westfalen abgespielt haben.

Die Karte gibt einen Überblick über den Ort der Kollision.
Am nahe gelegenen Flugplatz Stadtlohn im westlichen Münsterland ist am 18. Juli ein Rundflug mit einer Cessna 172 N geplant.Bei besten VFR-Bedingungen und über zehn Kilometer Sicht bläst der Wind mit vier bis sechs Knoten aus nordöstlicher Richtung. Der 68-jährige Cessna-Pilot startet am frühen Abend mit drei Passagieren an Bord. Er hat seine Privatpilotenlizenz vor gut 20 Jahren erworben und laut seinem Flugbuch in dieser Zeit rund 1000 Stunden als PIC in unterschiedlichen Propellermaschinen verbracht, darunter auch zweimotorige Muster wie die Cessna 414 und die Cessna 421.
Nur wenige Minuten nach dem Start, gegen 18:10 Uhr, nähert sich die Cessna aus nordwestlicher Richtung dem Sonderlandeplatz Borken-Hoxfeld. Dort steuert zu diesem Zeitpunkt ein Segelflieger seine ASW 20 zum Landeanflug auf die Graspiste des Flugplatzes. Der Pilot des Segelflugzeugs ist nach einem fast siebenstündigen Überlandflug wieder zurück an seinem Startplatz Borken. Der 56-Jährige ist seit 1993 aktiver Segelflieger und hat in diesen rund 25 Jahren etwa 1865 Flugstunden sowie 3765 Starts und Landungen absolviert. Bevor er zur Landung ansetzt, muss er durch mehrere Vollkreise Höhe abbauen. Währenddessen bewegt er sich in etwa auf gleicher Höhe wie die aus nordöstlicher Richtung kommende Cessna, die ebenfalls rund 420 Meter über dem Gelände unterwegs ist.
Konfliktverkehr mindestens eine Minute lang in Sicht
Der Cessna-Pilot hat das kreisende Segelflugzeug zunächst mindestens eine Minute lang links neben sich in Sicht. Er korrigiert seinen Flugweg daher leicht nach rechts, um den Abstand zu der ASW 20 zu vergrößern. Dabei spricht er mit seinen Passagieren über das vorausfliegende Segelflugzeug und das Segelfliegen im Allgemeinen. Doch der Abstand, den er durch die Kurskorrektur zwischen sich und dem Segelflugzeug geschaffen hatte, ist offenbar nicht groß genug. Nach einer unerwarteten Richtungsänderung der kreisenden ASW 20 kommen sich beide Maschinen näher und befinden sich plötzlich auf direktem Kollisionskurs. Der Cessna-Pilot versucht nun erneut, nach rechts auszuweichen.

Während die ASW 20 vor der Landung in Borken-Hoxfeld in einer kreisenden Flugbahn Höhe abbaute, näherte sich die Cessna in gleicher Höhe. Eine abrupte Richtungsänderung des Seglers führte beide auf Kollisionskurs.
Der Pilot des Segelflugzeugs aber bemerkt das von rechts kommende Motorflugzeug viel zu spät. Dann erscheint die Cessna plötzlich wie aus dem Nichts ganz nah von rechts kommend. Hektisch versucht er nun mit seiner ASW 20 in einer Steilkurve nach unten abzutauchen. Doch es ist zu spät: Das Segelflugzeug rammt die linke Flügelstrebe der Cessna mit seiner rechten äußeren Tragfläche.
Solche Zusammenstöße in geringer Höhe enden in vielen Fällen unmittelbar nach der Kollision mit einem tödlichen Absturz. Doch wie durch ein Wunder bleiben beide Maschinen trotz teilweise abgerissener Teile flugfähig, können zum Platz zurückkehren und sicher landen. Die beiden Piloten und die drei Passagiere bleiben unverletzt.
Eineinhalb Meter großes Stück Tragfläche abgerissen
Der Ort, an dem es zu der Kollision gekommen ist, liegt nur zwei Kilometer nordwestlich von Borken-Hoxfeld. Erst nach der Landung zeigt sich an beiden Flugzeugen das Ausmaß der Schäden und zugleich das unwahrscheinliche Glück, durch das die Insassen mit dem Leben davongekommen sind: Von der rechten Tragfläche der ASW 20 ist ein etwa eineinhalb Meter großes Stück vollständig abgerissen. In dem Gelände, über dem der Zusammenstoß passierte, ist es nicht mehr auffindbar. Auch die linke Flügelstrebe der Cessna zeigt deutliche Spuren der Kollision. Die Strebe ist abgeknickt und weist über die gesamte Länge zwischen der Trittstufe und der Anschlussstelle am Rumpf Schleifspuren auf.

Die Strebe der linken Cessna-Fläche wurde durch die Kollision geknickt. Schleifspuren über die gesamte Länge der Strebe zwischen der Trittstufe und der Anschlussstelle am Rumpf zeigen den Verlauf des Zusammenstoßes.
Die Ermittler der Bundesstelle für Flug-unfalluntersuchung (BFU) stellen bei der Auswertung der Radardaten beider Flugzeuge fest, dass die Flugbahn des Segelflugzeugs nur wenige Augenblicke vor dem Zusammenstoß einen deutlichen Richtungswechsel aufweist. In dem summarischen Untersuchungsbericht, der ohne Analyse und Schlussfolgerung veröffentlicht wurde, heißt es: "Nach dem Fliegen von zwei Vollkreisen rechts erfolgte circa vier Sekunden vor der Kollision ein Kreiswechsel von rechts nach links."
Ein Blick auf die Ausweichregeln im Luftverkehr zeigt, dass das Zusammentreffen der beiden Flugzeuge bei Borken-Hoxfeld durchaus unterschiedliche Perspektiven auf den Unfall zulässt. Grundsätzlich basiert der VFR-Verkehr auf dem Prinzip "Sehen und gesehen werden". Da der Pilot des Segelflugzeugs die aus nordöstlicher Richtung kommende Cessna aber offenbar erst kurz vor dem Crash bemerkte, erscheint sein plötzlicher Richtungswechsel als tragischer Zufall, der in diesem Moment schwere Folgen hatte.
Motorisierte Flugzeuge müssen ausweichen
Der Cessna-Pilot dagegen hatte das Segelflugzeug lange vor der Kollision in Sicht. In den Ausweichregeln ist festgelegt, dass bei kreuzenden Flugbahnen das von rechts kommende Luftfahrzeug Vorrecht hat. Allerdings haben beweglichere Luftfahrzeuge unbeweglicheren auszuweichen. Demnach hätte der Cessna-Pilot dem Segelflugzeug ausweichen müssen. Tatsächlich hatte er dies auch getan, jedoch nicht in ausreichendem Abstand.
Mit dem plötzlichen Richtungswechsel des Segelflugzeugs hatte er nicht gerechnet. Möglicherweise hätte er aus der kreisenden Flugbahn der ASW 20 schließen können, dass ein größerer Sicherheitsabstand notwendig gewesen wäre, zumal das Segelflugzeug offensichtlich zur Landung ansetzte.
Klar ist aber auch, dass es ein Leichtes ist, sich in einer nachträglichen Analyse anhand von Radardaten und deutlich absehbaren Flugwegen ein vollständiges Bild der Lage zu machen. In der realen Situation dagegen ist eine Entscheidung bei oft eingeschränktem Sichtfeld und innerhalb kurzer Zeit für die Piloten ungleich schwieriger.
Allerdings hätte eine vergleichsweise einfache Maßnahme das Risiko einer Kollision deutlich verringert: eine kurze Meldung auf der Flugplatzfrequenz mit Absicht und Position der Cessna. Angesichts der ungewöhnlich niedrigen Reiseflughöhe von nur 420 Metern und der unmittelbaren Nähe zum Sonderlandeplatz Borken-Hoxfeld wäre der Pilot des Segelflugzeugs dadurch vor unerwartetem Verkehr gewarnt gewesen.