Unter Mischbetrieb verstehen viele Piloten das Nebeneinander von Motor- und Segelflugzeugen in derselben Platzrunde oder in unmittelbarer Nähe zueinander. Eine Gefahr, die allerdings häufig übersehen wird, ist Mischverkehr mit viel kleineren und schwer zu erkennenden Modellflugzeugen. Die Gefahr droht vor allem im Landeanflug und im Anfangssteigflug. Auf dem Segelfluggelände im südhessischen Reinheim hat ein erstaunlicher Umstand diese Gefahr noch verstärkt: Offenbar wussten manche Piloten nichts von dem benachbarten Gelände für ferngesteuerte Flugzeugmodelle.
Start des Schleppverbandes und Modellflugzeug
Am 25. September 2021 startet vom Segelflugplatz Reinheim ein Schleppverband. Die Robin DR 400/180 R, die um 15:25 Uhr von der Piste 19 abhebt, hat eine DG-1000S am Haken. Der 56-jährige Pilot hat seine Privatpilotenlizenz seit acht Jahren in der Tasche und seither insgesamt 346 Stunden im Cockpit verschiedener Kolbeneinmots verbracht. Außerdem hat er seit dem Erwerb der Schleppberechtigung 871 Schleppflüge absolviert. Wenige Sekunden nach dem Start kurvt die Schleppmaschine an diesem Tag im Frühherbst samt Anhang in rund 40 Metern über dem Gelände nach links. Der Pilot will damit vermeiden, die benachbarte Ortschaft im Bereich der Abfluggrundlinie zu überfliegen. Etwa zur selben Zeit startet auf einem Modellfluggelände zwei Kilometer südöstlich des Segelflugplatzes ein ferngesteuertes Modellflugzeug. Der Modellpilot steuert das unbemannte Fluggerät westlich des Geländes in Nord- und Südrichtung mehrmals hin und her.

Das ferngesteuerte Flugmodell krachte von unten kommend ins linke Höhenleitwerk der Schleppmaschine.
Steigflug über dem Modellflugplatz
Der Schleppverband hat inzwischen eine Höhe von 200 Metern erreicht. Nach dem Kurswechsel im Anfangssteigflug dreht der Schlepppilot nochmals leicht nach rechts, die Robin und das Segelflugzeug bewegen sich nun in etwa 250 Metern über dem Boden direkt auf das Modellfluggelände zu. In dieser Flugphase meldet sich der Pilot des Segelflugzeugs im Schleppverband über Funk und warnt den Robin-Piloten vor einem Modellflugzeug, das er in der Elf-Uhr-Position etwa auf gleicher Höhe entdeckt hat. Der Schleppzug ist jetzt nur noch rund 500 Meter von dem Modellflugplatz entfernt, weiterhin mit direktem Kurs in etwa 280 Metern Höhe. Auch der Schlepppilot sieht das Modellflugzeug, das sich jetzt in einer Ein-Uhr-Position, unterhalb des Schleppverbands, von links nach rechts bewegt und dann nach einer Rechtskurve aus dem Sichtfeld der beiden Piloten verschwindet. Da die ferngesteuerte Maschine zuletzt deutlich tiefer als der Schleppverband unterwegs war, scheint die Gefahr gebannt, so die Einschätzung des Motorpiloten. Mit 140 Kilometern pro Stunde überfliegt die Robin um 15:26 Uhr in leichtem Steigflug den Modellflugplatz. Doch die Lage ist längst nicht entschärft: Plötzlich taucht der kleine Tiefdecker in rund 300 Metern über Grund erneut auf. Dann geht alles sehr schnell: Das Modellflugzeug kracht von unten kommend in das linke Höhenleitwerk der Robin.

Das linke Höhenleitwerk des Schleppers wird fast komplett abgerissen.
Höhenleitwerk abgerissen
Bei der Kollision wird das linke Höhenleitwerk des Schleppers fast komplett abgerissen. Einzelne Trümmerteile sowie das zerstörte Flugmodell fallen etwa 20 Meter südwestlich des Modellfluggeländes auf ein Feld. Der Pilot des Segelflugzeugs, der die Kollision aus nächster Nähe gesehen hat, meldet den schweren Schaden sofort über Funk seinem Schlepppiloten. Der hat lediglich eine Erschütterung sowie eine leichte Nickbewegung nach unten bemerkt, die sich durch Nachtrimmen problemlos ausgleichen lässt. Auch einen Schiebeflug, den der einseitige Verlust des Höhenleitwerks ausgelöst hat, kann der Pilot mit einem Tritt ins Seitenruderpedal gut korrigieren. Über Funk weist er den Piloten der DG-1000S an, sich sofort auszuklinken. Dann drehen beide Flugzeuge zum Anflug auf die nahegelegene Piste ein. Kurz darauf können die Piloten unversehrt auf dem Segelflugplatz landen. Bei einer ersten Befragung durch die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) gibt der Schlepppilot an, dass er zwar bereits bei früheren Flügen in der Umgebung des Platzes gelegentlich Flugmodelle gesehen, von der Existenz des Modellfluggeländes jedoch erst nach dem Unfall erfahren habe. Weitere Befragungen ergeben außerdem, dass ein Zeuge von dem Modellflugplatz aus den Schleppverband bereits deutlich vor der Kollision bemerkt hatte und den Modellpiloten durch Zuruf darauf aufmerksam machte. Der 55-jährige Pilot mit der Fernsteuerung bemerkte den Schleppzug nach eigenen Angaben erst im Moment des Zusammenstoßes. Für ein Ausweichmanöver war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät.

Um nach dem Start keine Ortschaft zu überfliegen, nahm der Schlepppilot – ohne es zu wissen – Kurs auf den Modellflugplatz.
Unfallursachenermittlung
Die BFU-Ermittler sehen als Ursache für die begrenzte Wahrnehmung vor allem die Konzentration des Modellpiloten auf sein Fluggerät und den sehr lauten Zweitaktmotor. Auch der Zuruf des Zeugen, der den Schleppverband schon vorher bemerkt hatte, kam bei dem Modellpiloten offenbar nicht an. Auch der Schlepppilot war aufgrund seiner Fokussierung auf den Schleppflug in geringer Höhe nur sehr eingeschränkt auf die Luftraumbeobachtung eingestellt. Zudem ging er davon aus, dass ein unbemanntes Fluggerät ausweichpflichtig sei. Im Untersuchungsbericht stellen die Ermittler dazu fest: "Dass der Pilot des Schleppflugzeugs den Kurs nicht änderte, nachdem er das in seiner Flugrichtung fliegende Flugmodell wahrgenommen hatte, ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass er die Gefahr, nachdem das Flugmodell gesunken war, unterschätzte (...)." Ein Fehlverhalten von Seiten des Schlepppiloten, das die Kollision begünstigte, sehen die Ermittler aber bereits vor dem eigentlichen Unfallflug. Im Untersuchungsbericht verweisen die BFU-Experten auf die Flugvorbereitung: "Tatsächlich wäre es wesentlich zielführender, wenn der Pilot des Schleppflugzeugs bereits vor dem Start eingeplant hätte, den Flugraum des Modellfluggeländes in ausreichendem Abstand zu passieren."

Für den Betrieb auf dem Modellfluggelände und dem Segelflugplatz gab es bis zu dem Unfall keine klaren Absprachen.
Keine Absprachen beim Flugbetrieb
Dass dies nicht geschah, lässt ein weiteres Glied der Fehlerkette in den Fokus rücken: das Nebeneinander von Segelfluggelände und Modellfluggelände ohne gegenseitige Absprachen und ohne ein abgestimmtes Sicherheitsmanagement zur Vermeidung von Konfliktverkehr. Die BFU sieht darin ein besonderes Risiko: "Neben den betrieblichen Auflagen zur Reduzierung der Umwelteinflüsse fehlt eine Regelung zur Minimierung der Risiken aus dem Umstand, dass sich in unmittelbarer Nähe des Segelfluggeländes ein Modellfluggelände befindet." Auch ohne genauere Betrachtung des tatsächlichen Flugbetriebes am Segelfluggelände lasse sich ableiten, dass eine Überlappung der Betriebsbereiche vorliegt und eine betriebliche Regelung zur Vermeidung von Zusammenstößen erforderlich ist, betonen die BFU-Ermittler in der Beurteilung des Unfalls bei Reinheim. Im Untersuchungsbericht heißt es weiter: "Das einfache Festschreiben einer Ausweichpflicht für Flugmodelle ist (...) nicht zielführend. Alleine eine laterale Separierung der genutzten Lufträume ist geeignet, um das Kollisionsrisiko zwischen einem bemannten und einem unbemannten Luftfahrzeug, welches aus der Nähe der beiden Gelände zueinander resultiert, deutlich zu verringern." Sprich: Modellflugzeuge auf der einen Seite sowie manntragende Segel- und Motorflugzeuge auf der anderen müssen räumlich beziehungsweise zeitlich klar voneinander getrennt werden. Dabei sollten dem Untersuchungsbericht zufolge insbesondere die Verfahren im Schleppbetrieb wie auch die physikalischen Gegebenheiten unbedingt in die Planung des Flugbetriebs miteinbezogen werden.
Helfer als empfohlene Sicherheitsmaßnahme
Dies werde noch deutlicher, erklärt die BFU, wenn man berücksichtigt, dass bei Schleppflügen, wie sie an einem Segelfluggelände regelmäßig durchgeführt werden, die Steigleistung erheblich geringer ist als bei Flugzeugen und Motorseglern, die kein anderes Luftfahrzeug schleppen. "Für einen auf dem Segelfluggelände gestarteten Schleppzug wird es regelmäßig nicht möglich sein, den Flugraum des Flugplatzes für Flugmodelle (in ausreichender Höhe, die Red.) zu überfliegen", so die Ermittler in ihrer Analyse. In den Europäischen Luftverkehrsregeln, Anhang Teil A (UAS-Betrieb), ist jedoch auch die Verantwortung des Modellpiloten festgelegt. Dort heißt es, "dass der Fernpilot das unbemannte Luftfahrzeug (...) im Blick behalten muss, um jedes Risiko einer Kollision mit einem bemannten Luftfahrzeug zu vermeiden. Weiter muss der Fernpilot den Flug unterbrechen, sobald der Betrieb ein Risiko für ein anderes Luftfahrzeug darstellt." Das Risiko erkannte der Modellpilot vor der Kollision allerdings deshalb nicht, weil er den Schleppzug gar nicht erst bemerkt hatte. In Absatz 4 des Regelwerks wird daher eine weitere Sicherheitsmaßnahme empfohlen: ein Helfer, der bei der Luftraumbeobachtung unterstützt und den Piloten notfalls warnt.