Hilflos ausgeliefert: Tödlicher Kontrollverlust - Unfallanalyse

Gefährliches Spiel
Unfallanalyse: Kontrollverlust in geringer Höhe

Zuletzt aktualisiert am 05.03.2024

Fliegen lernen, um sich interessanter zu machen oder auf Partys mit der Pilotenlizenz prahlen zu können, ist vermutlich nicht die beste Motivation für unser Hobby. Schlimmer ist aber, wenn die Prahlerei im Cockpit und mit Passagieren an Bord zum Sicherheitsrisiko wird. In diese Kategorie fallen die Ereignisse vom 10. März 2018 im südhessischen Bensheim. Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) haben den Fall rekonstruiert.

Der Morgen des 10. März verspricht gute Sichtflugbedingungen am Flugplatz Worms, wo sich an diesem Vormittag ein UL-Pilot mit einer Bekannten verabredet hat. Der Wind weht mit fünf Knoten aus südlicher Richtung. Die Sichtweite: mehr als zehn Kilometer. Der Himmel ist mit bis zu zwei Achtel in 1000 bis 1500 Fuß bedeckt, darunter nur einige Wolkenfetzen in rund 800 Fuß.

BFU

Wenig Erfahrung

Der Pilot will mit einem gecharterten UL-Tiefdecker des Typs Zodiak DX zu Rundflügen von Worms in Richtung der östlich gelegenen hessischen Bergstraße starten. Mit Videokameras, die er an dem UL angebracht hat, will er die Flüge aufzeichnen. Der 32-Jährige ist als UL-Pilot noch nicht sehr erfahren, die Lizenz für Luftsportgeräteführer hat er erst rund eineinhalb Jahre zuvor erworben, die Passagierflugberechtigung dann im November des vorangegangenen Jahres. Insgesamt stehen in seinem Flugbuch rund 72 Stunden sowie 200 Starts und Landungen. Im Rahmen der Ausbildung war er knapp über 51 Stunden in der Luft. Die dokumentierten Flüge hat er allesamt mit der Zodiac absolviert.

Um 12:43 Uhr startet der Pilot zu einem ersten Flug mit Passagier, der etwa 40 Minuten dauert. Anschließend folgt nach einer kurzen Pause ein weiterer Rundflug. Wie schon beim ersten Mal lässt der Pilot den Passagier dabei die Steuerung übernehmen. Außerdem demonstriert er seinem Fluggast mit mehreren Stall-Übungen sein Können.

BFU

Unnötige Stall-Manöver

Beim dritten Rundflug am frühen Nachmittag nimmt eine junge Frau als Passagierin im Cockpit der Zodiak Platz. Auch diesen Flug zeichnet der Pilot mit seinen Videokameras auf. Die Zodiak startet und nimmt noch einmal Kurs auf die Bergstraße am westlichen Rand des Odenwaldes. Inzwischen hat es angefangen zu regnen. Erneut überlässt der Pilot seiner Passagierin das Steuer des ULs. In der Nähe des Segelfluggeländes Bensheim beginnt er nun abermals mit einigen Stall-Manövern. Dabei lässt er das Fluggerät zweimal aus einer Steigfluglage von etwa 30 bis 45 Grad nach vorn abkippen. Dann steuert er das UL in einen kurzen Horizontalflug und dreht anschließend in eine Rechtskurve. Dabei erhöht er die Querneigung des Tiefdeckers immer mehr.

Zu diesem Zeitpunkt fliegt die Zodiak nur etwa 200 Meter über dem Gelände. Während des Kurvenflugs senkt sich die Flugzeugnase. Als Reaktion zieht der Pilot am Steuerknüppel. In diesem Moment kommt es zum Strömungsabriss, und er verliert die Kontrolle über das UL. Das Flugzeug gerät jetzt ins Trudeln. Durch Drücken des Steuerknüppels und Querrudereinsatz entgegen der Drehrichtung versucht der Pilot noch, das UL abzufangen. Doch es ist zu spät. Wenige Augenblicke später schlägt die Maschine fast senkrecht auf einem Acker bei Bensheim auf. Der Pilot und seine Passagierin werden dabei getötet.

Harter Aufschlag

Das Wrack der Zodiak liegt eineinhalb Kilometer südwestlich des Segelfluggeländes Bensheimer Stadtwiesen auf einem Acker. Der Rumpf hat sich bei dem harten Aufschlag 50 Zentimeter tief in die Erde gebohrt. Das Cockpit ist stark gestaucht, das Leitwerk hinter dem Cockpit um etwa 80 Grad abgeknickt. Auch die Tragflächenvorderkanten sind bis auf Höhe des Holms gestaucht, ebenso die linke Tragflächenspitze. Außerdem sind beide Flächentanks geborsten, Kraftstoff ist ins Erdreich gesickert. Die Propellerblätter sind nach hinten abgeknickt – ein Hinweis darauf, dass der Motor beim Aufschlag noch lief. Das Motorgehäuse ist gebrochen. Beim Aufschlag wurden mehrere Werkzeugteile weit aus der Kabine herausgeschleudert, sie liegen bis zu zehn Meter vom Hauptwrack entfernt. Offenbar war der Pilot vom Kontrollverlust in den letzten Sekunden vor dem Absturz derart überrascht, dass er das Gesamtrettungssystem nicht mehr aktivierte. Der Auslösegriff wurde nicht gezogen. Die Fallschirmkappe liegt im Packschlauch vor dem Wrack.

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Kein Risikobewusstsein

Bei der Rekonstruktion des Unfallhergangs recherchieren die BFU-Ermittler auch die Vorgeschichte. Dabei ergibt sich ein Gesamtbild, das auf ein gering ausgeprägtes Risikobewusstsein des Piloten schließen lässt. Bei seiner Anreise einige Tage vor dem Absturz war er auf dem Segelfluggelände Bensheimer Stadtwiesen gelandet, obwohl der Platz für ULs nicht zugelassen ist. Die Manöver mit Überziehen nahe am Strömungsabriss und Abkippen in einen Sturzflug praktizierte er offenbar regelmäßig mit Passagieren an Bord. Auch gaben Zeugen an, dass sein Auftreten den Anschein machte, als habe er eine Lehrberechtigung. Vor dem Unfall hatte er Flugbücher und Ausbildungsnachweise an Passagiere verteilt und erklärt, die Flüge mit ihm zählten für die weitere Ausbildung und man könne sich diese im Tower bestätigen lassen. Andere Fluggäste berichteten, dass der Kohlenmonoxid-Melder im Cockpit während des Fluges eine Warnung abgab. Der Pilot habe seinem Passagier dann die Empfehlung gegeben, das Seitenfenster zu öffnen, und erklärt, dies würde manchmal passieren und sei bekannt.

Passagierin hilflos ausgeliefert

Bei dem Kontrollverlust am Unfalltag kamen zudem gleich mehrere ungünstige Faktoren zusammen. Die Überziehmanöver flog der Pilot in sehr geringer Höhe. Beim Abkippen nach einer Steilkurve blieb ihm daher keine Reserve, um das Flugzeug nochmals abzufangen. Darüber hinaus wirkte sich der Regen am Tragflächenprofil vermutlich zusätzlich negativ aus, sodass der Strömungsabriss früher als sonst eintrat. Die Steuereingaben des Piloten unmittelbar vor dem Strömungsabriss könnten die Situation noch verschärft haben. Im Betriebshandbuch des UL-Musters heißt es: "Werden im Stall die Querruder benutzt, hat das Flugzeug die Tendenz, in eine beginnende Drehung überzugehen, aus welcher es sich nur dann erholt, wenn die Nase noch mehr gedrückt und das Seitenruder gleichzeitig entgegengesetzt benutzt wird." Die Passagierin war dem Piloten bei all dem hilflos ausgeliefert, ohne zu wissen, worauf sie sich eingelassen hatte. Von seinem gefährlichen Spiel konnte sie nichts ahnen.