Unfallanlyse: Crash beim Anflugtraining

Unfallanalyse
Crash beim Anflugtraining

Zuletzt aktualisiert am 09.10.2023
Crash beim Anflugtraining
Foto: BFU

Wer schon einmal bei einem aktiven oder ehemaligen Militärpiloten mitgeflogen ist, weiß, was diese Flieger draufhaben. Da kann man durchaus ins Staunen kommen: Eine Cessna scheint in den Händen eines Profis zum Schienenfahrzeug zu werden, Forma-tionsflug scheinbar zum Kinderspiel. Dennoch sind selbst hochqualifizierte, gut trainierte und erfahrene Piloten nur Menschen, die auch Fehler machen. Beim Absturz einer EC135 auf dem Truppenübungsplatz Munster waren die Bedingungen hochkomplex. Eine kurze Konzentrationsschwäche hatte fatale Folgen.

Eine graue Wolkendecke liegt am 4. Februar 2022 über dem Truppenübungsplatz Munster in der Lüneburger Heide. Am Morgen hat Nieselregen eingesetzt. Zwei Hubschrauberpiloten wollen an diesem Tag mit einem zivil registrierten Eurocopter EC135 T3 zu einem Trainingsflug starten. Geplant sind spezielle Grundverfahren der Hubschrauberausbildung und die Navigation über dem Gelände des Truppenübungsplatzes entlang der sogenannten Low Level Route (LLR) East. Die beiden Piloten wollen dafür die Übungsräume "Heidehöfe" und "Kohlenbissen" anfliegen.

Airbus Helicopters

Crew mit wenig Erfahrung

Links im Cockpit sitzt der 24 Jahre alte PIC. Er absolvierte im Mai 2020 die Prüfung zum Militärluftfahrzeugführerschein mit Beiblatt H für Hubschrauber. In seiner Lizenz sind mehrere Musterberechtigungen eingetragen, unter anderem für EC135 T1 und T3 sowie die Instrumentenflugberechtigung. Er hat über 200 Stunden in seinem Flugbuch dokumentiert, davon rund 86 Stunden auf der EC135 T1 und 71 Stunden auf der EC135 T3. Außerdem hat er etwa 188 Stunden im EC135-Simulator verbracht. Sein Co-Pilot ist 29 Jahre alt und hat bis zu diesem Zeitpunkt 184 Flugstunden gesammelt, davon 133 Stunden im Cockpit der EC135-Versionen T1 und T3. Hinzu kommen 131 Simulatorstunden.

Die beiden Piloten starten um 8:36 Uhr auf dem Militärflugplatz Faßberg im Norden des Geländes und fliegen kurz darauf entlang der LLR East. Gegen 10:15 Uhr erreichen sie den Übungsraum "Heidehöfe" in der ED-R 32B. Hier wollen sie einen Anflug und eine Landung in abschüssigem Gelände, das sogenannte Slope Landing, üben. Ein Militärhubschrauber des Typs NH90 ist zur gleichen Zeit in einem nahe gelegenen Übungsraum unterwegs. Die Besatzung der EC135 hat Sicht- und Funkkontakt zu ihm.

BFU

Der links sitzende PIC dreht nun im Anflug auf die anvisierte Landefläche in 190 Fuß Höhe und bei rund 40 Knoten Geschwindigkeit einen Vollkreis und reduziert dabei die Fahrt. Den Pre-Landing-Check hat sein Co-Pilot bereits erledigt, Er weist den PIC darauf hin, dass sie noch etwas zu hoch sind. Dieser will daher in 100 Fuß über dem Gelände senkrecht zum Landepunkt sinken.

Stabilisierung misslingt

Der Hubschrauber giert kurz darauf ohne Vorwärtsfahrt, mit zehn Grad gehobener Rumpfnase zunächst wenige Grad nach links und dann plötzlich schneller werdend nach rechts. In der Drehung um die Hochachse senkt sich die Rumpfnase auf etwa minus 20 Grad innerhalb einer 90-Grad-Rechtsdrehung. Gleichzeitig erhöht der Pilot die Triebwerksleistung. Durch Einsatz der Pedale sowie der kollektiven und zyklischen Steuereingaben versucht der 24-Jährige jetzt, den Hubschrauber zu stabilisieren. Doch er verliert die Kontrolle: Zwölf Sekunden lang dreht sich der Helikopter insgesamt sechseinhalb Mal um die eigene Hochachse. Der PIC sendet geistesgegenwärtig einen Notruf an Faßberg-Turm. Schließlich kracht die EC135 um 10:20 Uhr mit der linken Seite auf eine ebene Grasfläche. Dabei werden die Piloten schwer verletzt, können sich aber selbst aus dem Wrack befreien. Die Piloten des NH90, der im benachbarten Übungsraum unterwegs ist, hören den aktivierten Notsender und fliegen sofort zur Unfallstelle. Dort nehmen sie die verletzten EC135-Piloten auf und bringen sie nach Faßberg zur medizinischen Erstversorgung.

BFU

An der Unfallstelle sichern Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) das Wrack. Das Höhenleitwerk wurde beim Aufschlag abgerissen. Die linke Kufe ist ebenfalls geborsten und liegt unter dem Rumpf. Zahlreiche Teile des Rotors sind um das Wrack herum verstreut.

Keine Vorwärtsfahrt in Bodennähe

Anhand der aufgezeichneten Flugdaten und Videoaufnahmen des Flugs aus dem Cockpit rekonstruieren die BFU-Ermittler das Unfallgeschehen unmittelbar vor dem Absturz. Dabei zeigt sich, dass die EC135 beim finalen Teil des Anflugs außerhalb des Bodeneffektes bereits keine Vorwärtsfahrt mehr hatte und etwa 100 Fuß über dem Boden schwebte. Dies, so stellen die Ermittler fest, entspricht nicht dem Anflugprofil einer üblichen Steillandung. Es sei jedoch ein häufig zu beobachtender Fehler von Flugschülern oder noch unerfahrenen Piloten, heißt es im Abschlussbericht der Untersuchung. Bei der folgenden Drehung um die Hochachse verlor der Pilot die Kontrolle über den Hubschrauber. Die BFU sieht darin ein typisches Unfallszenario beim Schwebeflug: "Unfälle (...) aufgrund eines plötzlichen unkontrollierten Drehens um die Hochachse während des Starts oder der Landung ereignen sich relativ häufig." Bei den Untersuchungen sei meist kein technisches Problem festzustellen, so die Experten.

BFU

Bei der EC135 wird das Gegendrehmoment mithilfe eines Fenestrons, ein als Mantelpropeller ins Leitwerk integrierter Heckrotor, ausgeglichen. Im Vorwärtsflug sorgt eine vertikale Finne zusätzlich für Stabilität. Für die Steuerung um die Hochachse und zur Unterstützung im Schwebe- und langsamen Vorwärtsflug wird der Fenestronschub genutzt. Er hat im Vergleich zu einem konventionellen Heckrotor jedoch keinen linearen Schub. Daher sind größere Pedalwege beim Wechsel der Fluggeschwindigkeit oder bei Leistungsänderungen notwendig. Der Hersteller empfiehlt bei einer Rechtsdrehung des Hubschraubers um die Hochachse, immer entgegen der Drehrichtung ins linke Pedal zu treten, unter Umständen bis zum Anschlag.

Unklar bleibt daher, warum der Pilot nicht mit einem starken Impuls ins linke Pedal die sich beschleunigende Rechtsdrehung beendete. Die Vermutung der BFU: Die hohe Automatisierung der Steuerung könnte die zurückhaltende Reaktion begünstigt haben.