Solingens Aerograf: Erinnerungen an Matthias Kunde

Solingens Aerograf
Heimat trifft  Facebook

Zuletzt aktualisiert am 14.08.2023

Solingen ist schön! "Nicht 365 Tage im Jahr und nicht 24 Stunden am Stück – aber wer kann das schon von sich behaupten?" So schreibt es Matthias Kunde im Vorwort seines Buchs "Solingen von oben", das "Dankeschön-Buch für alle, die Solingen lieben". Das Werk ist der vorläufige Höhepunkt seines Social-Media-Projekts. Es verkörpert Solinger Zeitgeist und ist – wie der Autor es ausdrückt – "ein Stück konserviertes Facebook".

Konserviertes Facebook? Um das zu verstehen, muss man in den April 2012 reisen. Damals drehte Matthias Kunde seine ersten Runden über seiner Heimatstadt Solingen. Flüge, die trotz anfänglicher Skepsis gegenüber der dritten Dimension, bleibende Eindrücke hinterlassen haben. Dank der Fliegerei hat er heute einen ganz anderen Blick auf die Stadt, in der er vor 48 Jahren geboren wurde.

Er schätzt Solingens Stärken und akzeptiert auch die Schwächen, stets gewürzt mit einer Portion Humor. "Die Autobahnanbindung ist schlecht, das wird auch immer so bleiben, aber da finden wir uns jetzt einfach mal mit ab und konzentrieren uns auf das, was eben schön ist." Sein Fazit: "Aus der Luft betrachtet sind die kleinen Probleme eben vor allem eins: klein!"

Begeisterung für die eigene Heimat

Matthias Kundes Begeisterung für seine Stadt ist so groß, dass er am liebsten allen Solingern zeigen würde, wie schön ihre Heimat, eingebettet im Bergischen Land, von oben ausschaut. Das Problem dabei: Längst nicht alle passen in seine viersitzige Cessna 182, die er seit zwei Jahren sein Eigen nennt.

Also bringt er den Menschen Bilder von seinen Ausflügen mit. Schließlich passt das perfekt zu seinem Hobby Fotografie. Die Fotos sind frei verfügbar, jeder darf sie kopieren und nutzen. Zu finden sind sie (auch ohne Anmeldung) auf facebook.com/svo24 oder über die Website solingen-von-oben.de. "Was hätte ich denn davon, die alle für mich zu behalten?", fragt der Pilot.

Patrick Holland-Moritz

Dass Matthias Kunde heute Social-Media-Profi, Buchautor und Solingens bekanntester fliegender Fotograf ist, überrascht ihn selbst. Mehr als 6500 Menschen haben "Solingen Von Oben" – kurz SVO – bei Facebook mit "Gefällt mir" markiert. Als er Anfang Januar die Müngstener Brücke im Nebel fotografierte, gab es für dieses Motiv auf Anhieb knapp 900 "Likes". Zeitungen und Zeitschriften berichten regelmäßig über ihn, und auch der WDR hat dem Projekt einige Sendeminuten in der "Lokalzeit" gewidmet. Auch die AOPA hat sich schon aus seinem Fundus bedient. "Dass das jetzt eine solche Begeisterung auslöst, war ja nie geplant." Ganz ungelegen kommt Matthias Kunde diese Begeisterung natürlich nicht, denn seine Ausflüge betrachtet er als Werbung für die Allgemeine Luftfahrt. Über Sätze wie "Wenn ich das Brummen des Motors höre, weiß ich schon, dass es schöne Bilder gibt", wie sie auf Facebook regelmäßig zu lesen sind, freut er sich jedes Mal aufs Neue. "Ich sehe dies als Chance für uns Piloten, unser Image ein wenig aufzupolieren, indem wir den Menschen auch etwas zurückgeben."

Ein Buch als bleibender Wert

Da Facebook ein schnelllebiges Medium ist, das zudem längst nicht alle nutzen möchten, wollte der fliegende Solinger etwas von bleibendem Wert schaffen. "Wenn ich morgens online bin, sehe ich ein anderes Facebook als abends. Dinge, die eben noch wichtig waren, verschwinden schnell wieder." An dieser Stelle kommt das Buch ins Spiel. Nicht nur die Bilder sind gedruckt, auch Kommentare der Nutzer sind für die Nachwelt auf Papier gebannt. QR-Codes schlagen die Brücke zur Onlinewelt und ermöglichen dem Leser Zugriff aufs digitale Foto. Auf Anhieb ist das Buch in der Stadt zum Bestseller avanciert: Nach dem Erscheinen im Herbst war Matthias Kunde wochenlang auf Tour, um sein Werk vorzustellen und Autogramme zu geben.

Viele im Solinger Mikrokosmos bedeutende Momente sind darin verewigt. Ganz besonders hat sich eine Aufnahme vom Freibad im Ittertal, aufgenommen Pfingsten 2014, ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Gelassen ziehen die Schwimmer ihre Bahnen im Becken, man sieht sie von oben über blaue Kacheln schweben. "Schöne Grüße vom DWD: Gewitterwarnung!!!", kommentierte ein Facebook-Nutzer. Nur wenige Stunden später tobte das Tiefdruckgebiet Ela mit Gewittern, Sturm und Hagel über Nordrhein-Westfalen. Die Schäden gingen in die Millionen, auch Solingen hatte es erwischt.

Matthias Kunde

Als "einfach, aber ehrlich" bezeichnet der Luftbildner seine Arbeiten. Doch der Aufwand dahinter ist enorm. Bei jedem seiner Flüge ist die Spiegelreflexkamera mit an Bord. Halterungen ermöglichen die Montage weiterer Kameras am Flugzeug. Sicherheit steht dabei an oberster Stelle. Alle Kameras sind gesichert, eine robuste Halterung hält das geöffnete Fenster in seiner Position. Mindestflughöhen hält der Pilot strikt ein.

Eine von Kundes Lieblingsdisziplinen sind VFR-Flüge bei Nacht. Sein Heimatplatz Essen-Mülheim bietet mit Öffnungszeiten bis 22 Uhr die besten Voraussetzungen dafür. Der Lohn für die nächtlichen Ausflüge sind teils einmalige Aufnahmen – wie jene Bilder aus dem August 2014, als tausende Fans der Kölner Gruppe "Brings" auf der Bühne am Neumarkt zujubelten. Matthias Kunde stand vor der Wahl: mitfeiern oder fliegen und fotografieren? Er flog. Auch diese Szenen sind im Buch gedruckt.

Jedes Jahr rund 200 Stunden im Cockpit

200 Stunden ist der Cessna-Pilot pro Jahr in der Luft. Er fliegt, wann immer es zeitlich passt und das Wetter mitspielt. Gerne erfüllt er dabei individuelle Wünsche: Motivanfragen arbeitet er bei nächster Gelegenheit ab. Ein Vielfaches der Flugzeit verbringt er am Computer mit der Nachbearbeitung. Zugute kommt dem IT-Dienstleister dabei die Selbstständigkeit. Durch die freie Zeiteinteilung kann er bei gutem Wetter vormittags fliegen und erledigt die Arbeit dann abends oder am Wochenende.

Kein Zweifel lässt Matthias Kunde daran aufkommen, dass die 1979 gebaute Cessna 182 RG das ideale Gerflügel für seine Zwecke ist. Ihr Einziehfahrwerk ermöglicht den freien Blick nach unten, perfekt für die Fotografie. Zudem bietet sie reichlich Platz, hat 600 Kilo Zuladung, verfügt über ordentlich Reichweite und ist mit bis zu 140 Knoten flott unterwegs. Das alles kommt ihm vor allem dann entgegen, wenn er mit seiner Frau und den beiden Kindern über die Grenzen Solingens hinaus unterwegs ist.

Patrick Holland-Moritz

Zwei Ableger seines Projekts sind bei solchen Touren entstanden. Da ist zum einen "Bodensee von Oben". Seit 30 Jahren ist Matthias Kunde Fan der Region, die er heute gerne mit dem Flugzeug bereist. Mehr als 1600 Anhänger hat sein Bilderportal "BVO" schon bei Facebook – Tendenz steigend. Schließlich gibt es noch "Solingen Von Oben On Tour". Hier sammelt er Bilder seiner Ausflüge kreuz und quer über die Republik und darüber hinaus. Eindrücke von der Römerstadt Xanten, dem Schloss Neuschwanstein oder dem Hambacher Tagebau haben hier ebenso ihren Platz wie Alpenpanoramen.

Solinger Bilder in New York

Auch das Interesse lokaler Künstler hat SVO geweckt – so ist das Projekt "Art & Fly" entstanden. Schlüsselfiguren sind der städtische Kulturmanager und Galeriebetreiber Timm Kronenberg sowie der Künstler Peter Wischnewski. Das Ergebnis gemeinsamer Flüge: Fotos, die zu Gemälden wurden, oder Zeichnungen von Pilot und Flugzeug, ausgestellt in der Galerie City-Art-Project. Zwischenzeitlich ist die SVO-Welle sogar in die USA geschwappt. Auslöser waren Fotos vom Düsseldorfer Kö-Bogen. Die Betreiber des Gebäudes sind auf Kundes Bilder gestoßen, befanden sie für gut und baten darum, sie nutzen zu dürfen. Per E-Mail gelangten die Motive so auch an den Star-Architekten Daniel Libeskind, der sie wiederum für sein Büro in New York auf Leinwand drucken lassen wollte. "Als ich davon hörte, bin ich losgezogen und habe direkt nochmal neue Aufnahmen gemacht. Man will sich ja nicht blamieren", schmunzelt der SVO-Erfinder. Libeskind schickte als Dankeschön ein gewidmetes Buch ins ferne Solingen.

Damit nicht genug: Auch der Redaktion des renommierten Architekturmagazins "Architizer" sind die Fotos in Libeskinds Büro aufgefallen. Libeskind bot an, ein Interview mit dem Piloten aus Deutschland zu vermitteln. "So wurden meine Fotos plötzlich einem Millionenpublikum gezeigt, immer mit der Geschichte des Hobbyfliegers, der einfach nur den Menschen den schönen Ausblick aus dem Cockpit zeigen möchte."