Knapp 20 Kilogramm Hund, vor Angst am ganzen Leib zitternd, vom Parkhaus 3 am ausgemusterten Zero-g-Airbus vorbei über den Busbahnhof zum Terminal 2 des Köln-Bonner Flughafens zu schleppen, ist Knochenarbeit. Hinter der automatischen Tür kehrt Stille ein. Endlich. Von der Knallerei draußen ist hier drinnen hinter Mauern aus Beton und Mehrfachverglasung nichts mehr zu hören. Der Ort, wo sonst Passagiere auf ihren Abflug warten oder von großer Reise zurückkehren, wird zum Jahreswechsel für ein paar Stunden zum Treffpunkt einer ungewöhnlichen Schicksalsgemeinschaft.
Das Team vom Flughafen Köln/Bonn bietet seine Terminals offiziell als Rückzugsort für alle Hunde an, die sich vor Raketen und Krachern fürchten. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Flughafen liegt ein gutes Stück außerhalb der Großstädte Köln und Bonn inmitten der Wahner Heide. Böllern ist am Airport sowieso nicht erlaubt. In einem Statement des Flughafens heißt es: "Der Köln Bonn Airport hat auch am bevorstehenden Jahreswechsel ein Herz für Tiere und ist in der Silvesternacht wie gewohnt auch für Hunde und ihre Halterinnen und Halter zugänglich. Es gibt kein spezielles Programm, aber die Terminals sind analog den Vorjahren öffentlich zugänglich und traditionell Orte, an denen keine Silvesterraketen oder laute Knaller die Tiere aufschrecken, da Feuerwerk am Flughafen generell verboten ist."

Warten aufs neue Jahr: Am Kölner Flughafen sind Hundehalter in der Silvesternacht willkommen.
Silvester am Flughafen? Wenn's denn sein muss
Geplant war es eigentlich nicht, dass Orion – unser liebenswert-sturer Straßenhund rumänischer Herkunft – und ich den Jahreswechsel im Terminal 1 von CGN verbringen. Zwar hatte ich die Hinweise auf die alljährliche Aktion auf der Website "Verliebt in Köln" und auf Social Media zur Kenntnis genommen, aber selbst hingehen? Hmmmm, es gibt sicher schönere Arten, die letzten Stunden des Jahres zu verbringen als diese am Flughafen abzusitzen. Doch das letzte Wort hat wie so oft der Hund. Wie sagte schon Hausmeister Krause: "Alles für den Dackel."
Orion hat sich (wie jedes Jahr) zitternd in die dunkelste Ecke des Kellers verkrümelt. Was bereits vor Weihnachten mit gelegentlicher Knallerei auf der Straße anfängt, gipfelt in der Silvesternacht mit einer beeindruckenden Lärmkulisse. Schon seit einer guten Woche ist an geregelte Spaziergänge für viele Hundehalter und auch für uns nicht mehr zu denken. Böllern mag für viele Menschen ein Riesenspaß sein – gleichzeitig ist es der ultimative Alptraum für unzählige Haus- und Wildtiere. In der WhatsApp-Hundegruppe findet sich spontan eine Mitstreiterin. Birgit ist dabei. Hatty, ihr Mini Aussie, leidet ebenso wie Orion unter der Knallerei, woran auch der laute Lüfter im Bad nichts zu ändern vermag. Also los: Beide Hunde ins Auto gepackt und ab zum Airport. In der hektisch gepackten Tasche sind Leckerchen, zwei Flaschen Sprudelwasser und die Handys für den Kontakt zur feiernden Außenwelt. Der Rest wird sich schon ergeben.

Herrchen und und Orion: Flucht vor den Böllern.
Das Terminal wird zum Hundetreff
Terminal 1 und 2 erinnern eher an einen Hundespielplatz denn an einen Flughafen. Große Hunde, kleine Hunde, manche flauschig, manche frierend in Pullöverchen verpackt – überall tummeln sich die Vierbeiner. Sie alle haben heute eines gemeinsam: Sie haben mächtig Angst. Vielleicht ist das der Grund, warum alles so friedlich bleibt. Hier und da bellt und knurrt es mal, aber insgesamt ist die Stimmung tiefenentspannt. Schnuffeln, schlafen, mit dem Schwanz wedeln – was Hunde eben so tun. Die Tiere spüren, dass sie in einem Boot sitzen und diese Nacht irgendwie ohne Rivalitäten zusammen überstehen müssen.
Ihre Frauchen und Herrchen und haben es sich auf den Sitzen in den Wartebereichen so gut es geht gemütlich gemacht. Einige Grüppchen haben mit Campingstühlen, Picknick-Körben und Deckchen ihre Lager aufgeschlagen. Andere Menschen liegen lieber allein neben ihren Vierbeinern auf dem Boden. So viel ist klar: Es wird ein langer Abend ohne "Dinner for one", ohne Tischfeuerwerk und ohne Bleigießen. Stattdessen vertreiben sich die Menschen mit Smalltalk, Gassirunden durchs Terminal und Streicheleinheiten für ihre Hunde die Stunden. Leckerchen sind die Währung, mit der heute neue Freundschaften geschlossen werden. Was mögen die Reisenden aus aller Herren Länder denken, die mit ihren Koffern durch die Gänge hetzen, auf der Suche nach ihrem Gate? Viele sind es nicht, aber Köln/Bonn hat kein Nachtflugverbot, entsprechend herrscht hier immer ein gewisses Grundrauschen an den Schaltern und der Security.

Wartebänke statt Fernsehsessel: Hunde und ihre Menschen finden sich zu einer Schicksalsgemeinschaft auf Zeit zusammen.
Das Angebot des Flughafens nehmen die Anwesenden dankend an. Manche von ihnen haben eine weitere Anreise auf sich genommen, kommen zum Beispiel aus Essen oder Mönchengladbach. Der Flughafen Düsseldorf ist als Alternative nicht allzu beliebt: Zu nah an der Stadt gelegen und vermutlich nicht ganz so gastfreundlich, heißt es zumindest von der Ruhrpott-Fraktion. Allerdings sollen auch dort Hunde gesichtet worden sein, ebenso wie in Hannover und an weiteren Flughäfen im Land. Zurück nach Köln, wo sich die Hotels in der Nähe über die ungewöhnliche Kundschaft ebenso freuen dürften wie der durchgehend geöffnete Dönerladen (von Lukas Podolski) im Terminal 2. Pommes-Ketchup-Majo und Cola sind für Birgit und mich mit Blick in die leere Tasche jedenfalls eine willkommene Option. Gesprächsthemen Nummer eins sind, wie sollte es anders sein, Böller und Feuerwerk. Verbieten? "Unbedingt", finden einige. Andere würden soweit nicht gehen. Aber: Wenn schon Krach, dann doch bitte nur in der Silvesternacht – und vielleicht auch nur an zentralen Plätzen in den Städten. So hätten die Tiere eine faire Chance, dem Drama zu entkommen.
Leiser Start ins Jahr 2025
Der eigentliche Jahreswechsel vollzieht sich unspektakulär, wird fast zur Nebensache, ganz ohne Countdown. "Prost Neujahr" und "Gutes Neues" tönt es hier und da. Einige stoßen leise mit Sekt aus der Kühltasche an. Telefonate mit den Liebsten werden geführt, Nachrichten geschrieben. In weiter Ferne leuchtet das Feuerwerk über dem Kölner Nachthimmel, zu hören ist davon nichts. Kurz nach Mitternacht ertönt eine Lautsprecherdurchsage, in der die Hundehalter noch einmal willkommen geheißen werden.
Für uns endet diese denkwürdige Nacht zu fortgeschrittener Stunde so wie sie begonnen hat: Mit einem 20-Kilo-Hund auf dem Arm auf dem Weg zum Parkhaus 3 – noch immer verstört durch die letzten Böller dieser Nacht in der Ferne.