Überflüge: Bis ans Limit

Überflüge
Bis ans Limit

Zuletzt aktualisiert am 19.01.2021
Bis ans Limit
Foto: Gerhard Marzinzik

Viele Segelflugpiloten kennen das Gefühl: Nachdem im Endanflug-Bart mühsam die nötige Höhe zum Nach-Hause-Kommen erkurbelt wurde, machen sich Zufriedenheit und Siegesstimmung im Cockpit breit. Warum dann nicht noch ein schneller, tiefer Überflug, um den Triumph den Kameraden am Boden zu zeigen? Kaum jemand denkt aber in solchen Momenten daran, wie nahe man bei derartigen Manövern einer möglichen Beschädigung oder Zerstörung des Flugzeuges kommt (ganz zu schweigen von den rechtlichen Rahmenbedingungen). Dieser Text soll allerdings keine Moralpredigt sein, denn jeder Pilot muss eigenverantwortlich entscheiden, in welche Situationen er sich begibt. Vielmehr ist er als Information gedacht, um dem Piloten mehr Hintergrundwissen zu geben, wo die Grenzen liegen und welche Sicherheitsreserven noch in seinem Flugzeug stecken.

The Need for Speed

Beim tiefen Überflug benötigt man hinreichend Geschwindigkeit, um nach dem Hochziehen wieder ausreichend Höhe für die Platzrunde zur Verfügung zu haben. Beim Hochziehen wird kinetische Energie (Fahrt) in potenzielle Energie (Höhe) umgewandelt. Den Höhengewinn Δh (sprich: delta h), den man in Abhängigkeit von der Ausgangsgeschwindigkeit Vinit erreicht, kann mit der Energieerhaltung berechnet werden und ist in der Grafik unten dargestellt. Es wird von 100 km/h Endgeschwindigkeit für die Platzrunde ausgegangen. Die gestrichelte Linie zeigt den theoretisch möglichen Höhengewinn ohne Luftwiderstand. Der Verlust durch den Luftwiderstand am Beispiel einer LS4-a ist in der durchgezogenen Linie berücksichtigt. Für eine ausreichende Platzrundenhöhe von mindestens 150 Metern sollen es schon 240 km/h oder mehr sein, die man auflegen muss. Mit einer VNE von 280 km/h ist bei einer LS4-a hinsichtlich der Geschwindigkeit nicht mehr so viel Spielraum nach oben, bei anderen Flugzeugen eventuell noch weniger.

Johannes Achleitner

Betriebsgrenzen

Welche Begrenzungen gibt es noch außer der Höchstgeschwindigkeit? Wir kennen die Markierungen im Fahrtmesser: grüner und gelber Bogen und roter Strich. Wir kennen auch die Limits für das Lastvielfache (g-Limits) aus dem Flughandbuch. Als Mindestforderungen werden alle diese Limits vom Gesetzgeber in den Bauvorschriften festgelegt. In der heute aktuellen Form ist das die von der EASA herausgegebene CS-22 (Certification Specification) für Segelflugzeuge und Motorsegler. Die für Normalsegelflugzeuge (Utility Class) mindestens zu ertragenden Belastungen hinsichtlich Geschwindigkeit und Lastvielfache, die Flight Envelope, werden dort im v-n-Diagramm festgelegt. Darin ist der zulässige Betriebsbereich abhängig von der Geschwindigkeit v und dem Lastvielfachen n aufgetragen. Hier ist das v-n-Diagramm für die LS4-a abgebildet.

Die Überziehgeschwindigkeit bei Höchstabflugmasse VS0 bildet das linke Ende des grünen Bereichs. Bei dieser Geschwindigkeit kann der Flügel gerade noch den Auftrieb für einen unbeschleunigten Geradeausflug, also n = 1 g, erzeugen. Erhöht man den Anstellwinkel weiter, kommt es zum Strömungsabriss. Der Staudruck und damit auch der mögliche Auftrieb nehmen mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zu. Bei 150 km/h kann man beispielsweise mit einer voll beladenen LS4-a laut v-n-Diagramm nicht mehr als 3,3 g ziehen. Jedoch kommt man dabei in den Bereich des accelerated stall, wobei aber die Beschleunigungskräfte wieder abnehmen. Mit steigender Geschwindigkeit nimmt der maximal mögliche Auftrieb immer weiter zu. Die Flugzeugstruktur ist laut Bauvorschrift auf maximal 5,3 g ausgelegt. Darüber kann es zu einer Schädigung der Flügelstruktur kommen. Die Geschwindigkeit, die mindestens erforderlich ist, um den Auftrieb für ein Lastvielfaches von 5,3 g zu liefern, ist die Manövergeschwindigkeit VA. Das heißt, dass bei voller Zuladung unterhalb der Manövergeschwindigkeit das Flugzeug mit Höhenruderausschlag nicht überlastet werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet es aber auch, dass ab der Manövergeschwindigkeit der Pilot aktiv gefordert ist, nicht zu viel Höhenruderausschlag zu geben, um das Flugzeug nicht zu überlasten. Bei einem tiefen Überflug befindet man sich, wenn man nach dem Hochziehen wieder genug Höhe erreichen will, deutlich im gelben Bereich. Es ist also Vorsicht geboten, beim Hochziehen die g-Limits nicht zu überschreiten, besonders bei böigem Wetter und noch aktiver Thermik.

Harald Hornig

Was vielleicht nicht alle Piloten wissen, ist, dass sich das zulässige Lastvielfache ab der Manövergeschwindigkeit bei Normalsegelflugzeugen kontinuierlich auf 4 g reduziert. Bei Flugzeugen der Kategorie A (Aerobatic) bleibt das Beschleunigungslimit laut CS-22 auf dem gleichen Wert wie bei der Manövergeschwindigkeit. Bei diesen Flugzeugen ist auch ein Mindestlastvielfaches von +7 / -5 g gefordert, je nach Muster sind die Kunstflugzeuge aber mitunter auf noch höhere Lastvielfache ausgelegt. Die g-Werte aus dem v-n-Diagramm gelten im Übrigen nur dann, wenn das Querruder neutral steht. Bei einem Querruderausschlag sind sie je nach Stärke deutlich geringer. Das resultiert unter anderem aus der durch den Ruderausschlag induzierten ungleichen Auftriebsverteilung am Flügel.

Nicht zum Thema Überflüge passend, aber dennoch wissenswert ist, dass durch Bremsklappeneinsatz die Belastung auf die Flügelstruktur bei gleichem Lastvielfachen steigt. Deshalb darf die Flugzeugstruktur bei ausgefahrenen Bremsklappen auch nur mit +3,5 / -1,5 g belastet werden. Bei einer verunglückten Kunstflugfigur ist es also meistens besser, hart abzufangen, als die Bremsklappen auszufahren und gleichzeitig abzufangen, um das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit zu vermeiden. Die geforderten Mindestwerte für Lastvielfache haben sich seit der Einführung der Lufttüchtigkeitsforderungen für Segelflugzeuge im Jahr 1966 nicht mehr wesentlich geändert. Alle Segelflugzeuge, die nach 1966 konstruiert wurden, haben die gleichen Belastungslimits. Die Hersteller haben diese meist (außer bei Kunstflugzeugen) auch nicht übererfüllt, da dies schwerere Flugzeuge bedeuten würde.

Festigkeitslimit – wann kracht es?

Was passiert nun, wenn man dennoch zu stark am Knüppel zieht? Die Bauvorschrift sieht einen Sicherheitsfaktor von mindestens 1,5 gegen Bruch vor. Ab etwa 8 g darf der Flügel deshalb brechen. Eine irreversible Schädigung darf allerdings schon ab der zulässigen Last auftreten, also knapp oberhalb 5,3 g bei VA! Das höchstbelastete Bauteil im Flugzeug ist meistens der Flügelholm. Der Holmgurt besteht bei modernen Kunststoff-Segelflugzeugen aus massivem Glasfaser- oder Kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff und ist im Wurzelbereich meist mehr als einen Zentimeter dick. Die Fasern im Holmgurt sind ausschließlich in Spannweitenrichtung ausgerichtet, da dies die höchste Festigkeit ergibt. Der Holmgurt nimmt die immensen Biegemomente auf, die beim Hochziehen auftreten. Bei der Mü 31 der Akaflieg München sind das beispielsweise maximal circa 45 000 Nm, das entspricht circa 450 Kilogramm auf einem zehn Meter langen Hebelarm, bevor er brechen darf. Die Festigkeit wird von den Herstellern mit einem Flügelbruchversuch nachgewiesen. Dabei wird meist mit einem Kran mittels Stahllastgeschirr über mehrere Lastscheren verteilt eine Kraft eingeleitet, die in Summe der Auftriebskraft beim Lastfall mit dem größten Biegemoment entspricht. Oft ist dies ein Abfang- oder Böenlastfall. Das Foto zeigt den Versuchsaufbau des Flügelbruchversuchs der Mü 31 im Moment kurz vor dem Bruch. Man kann erahnen, welche immensen Kräfte auf den Flügel wirken.

Volk

Flattern als limitierender Faktor

Die Flugzeugstruktur wird nur bei höheren positiven oder negativen Lastvielfachen stark belastet. Beim Horizontalflug treten allerdings auch bei hohen Geschwindigkeiten keine hohen Lasten an der Flugzeugstruktur auf. Wodurch wird also die zulässige Höchstgeschwindigkeit des Flugzeuges begrenzt? Die Antwort lautet: durch Strukturflattern. Beim Flattern koppeln zwei Eigenschwingungsformen mit den dadurch ausgelösten aerodynamischen Kräften. Was eine Eigenschwingungsform ist, kann man sich leicht vorstellen, wenn man sich ans Flügelende eines Segelflugzeuges stellt und den Flügel mit einer Auf-Ab-Bewegung durchschüttelt. Trifft man die richtige Frequenz, findet sich eine Resonanz, und man kann ohne erheblichen Kraftaufwand erstaunlich große Ausschläge (Amplituden) erreichen. Damit hat man eine Eigenschwingungsform gefunden, meist die erste symmetrische Flügelbiegeschwingung. Damit Flattern auftritt, braucht es aber noch mehr. Es muss auch noch eine zweite Eigenschwingungsform beteiligt sein. Diese zwei Schwingungen müssen mit ähnlicher Frequenz schwingen und den Auftrieb am Flügel bzw. Leitwerk beeinflussen.

Plastisch vorstellbar ist das anhand sogenannter Flatterplots, in denen die Eigenschwingungsformen (blau) gegenüber der unverformten Konfiguration (grau) dargestellt sind. Ein solcher Plot des kritischen Flattermodes der SB 14, der sogenannte Delphinmode, ist unten abgebildet. Dabei koppelt eine Flügelbiege-Eigenschwingung mit einer Rumpfbiegeschwingung. Der Rumpf nickt dabei an der Schnittstelle zum Flügel auf und ab, was zu einer periodischen Anstellwinkeländerung führt. Diese Anstellwinkeländerung hat eine periodische Auftriebsänderung zur Folge, die dafür sorgt, dass die Schwingungen immer weiter angefacht werden. Es kommt innerhalb von Sekundenbruchteilen zur Resonanzkatastrophe. Die Schwingungsamplituden werden so groß, dass das Flugzeug zerstört werden kann. Neben dieser Flatterschwingung gibt es noch andere Erscheinungen wie beispielsweise die Kopplung einer Flügelbiege-Schwingungsform mit einer Flügeltorsionsform oder einer Flügelbiegeschwingung mit der Querruderbewegung. Letztere kann mit dem Einsatz von Massenausgleich zu höheren Geschwindigkeiten verschoben werden, mit dem die Schwingungsfrequenz des Querruders beeinflusst wird. Damit beeinflussen sich die beiden Schwingungsformen nicht mehr gegenseitig und das Flattern wird vermieden. Deshalb ist es besonders wichtig, bei Reparaturen oder Neulackierungen an den Rudern das zulässige Ruderrestmoment einzuhalten.

Jan Schwochow

Am anschaulichsten wird das Phänomen Flattern beim Betrachten eines Films, der Flatterversuche mit der DG-300 des DLR zeigt. Dieser schwache Flatterfall tritt bei rund 140 km/h in einer speziellen Konfiguration auf und ist bedingt durch die Änderungen am Stück der DG-300, die im Rahmen der Umbauten zu einem Forschungsflugzeug durchgeführt wurden. Diese führen nicht zum Strukturversagen. Flattern kann also innerhalb von Sekundenbruchteilen durch extrem starke Schwingungen zur Zerstörung des Flugzeuges führen. Die gute Nachricht ist, dass der Flugzeughersteller die Flatterfreiheit bis zur Designhöchstgeschwindigkeit VD nachweisen muss, die elf Prozent über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit VNE liegt. Dies erfolgt vor der Flugerprobung zunächst am Boden durch einen Standschwingungsversuch und eine Flatterrechnung und später im Flugversuch mit Geschwindigkeiten bis zur VD. Elf Prozent hört sich nach einer ausreichenden Sicherheit an, das sind bei 280 km/h VNE wie bei der LS4-a etwa 30 km/h. Man sollte allerdings bedenken, dass der Standschwingungsversuch und die Flugerprobung meist nur mit einem einzigen Flugzeug, dem Prototyp, durchgeführt werden. Die Sicherheitsmarge kann z. B. durch Bauabweichungen in der Serie, durch Reparaturen, Neulackierungen oder Änderungen am Stück wie dem Anbau von Winglets verringert werden.