Fußball kontra VFR-Flieger: ED-Rs bis 30 Meilen

ED-Rs bis 30 Meilen
Fußball kontra VFR-Flieger

Zuletzt aktualisiert am 22.04.2024
Fußball kontra VFR-Flieger
Foto: Lars Reinhold, Google Maps

Sommermärchen oder ED-R-Alptraum für VFR-Flieger: Die Fußball-Europameisterschaft, die vom 14. Juni bis 14. Juli in Deutschland stattfindet, hat das Potenzial, beides zu werden. Die angespannte Sicherheitslage mit den Kriegen in Nahost und der Ukraine sowie terroristische Bedrohungszenarien durch Einzeltäter und radikale Gruppen stellt die Polizeien der Länder, des Bundes und andere Behörden vor riesige Herausforderungen, insbesondere wenn es darum geht, anhand potenzieller Risiken zu entscheiden, welche Einschränkungen des allgemeinen Lebens notwendig und angemessen sind, um die Sicherheit der EM-Spiele, der Teams und der Fans zu gewährleisten. Und klar ist, dass es ganz ohne Einschränkungen für die Allgemeine Luftfahrt nicht gehen wird.

Um die Piloten rechtzeitig über die Hintergründe zu informieren, hatte die Landespolizei Baden-Württemberg am Vortag der AERO Vertreter der Fachpresse eingeladen. Denn die Beamten der Polizeihubschrauberstaffel im südwestlichsten Bundesland sind für die Koordination der Luftsicherheit in ganz Deutschland zuständig und beraten die Polizeien vor Ort bezüglich möglicher Gefahren und der dafür notwendigen Gefahrenabwehr.

Lars Reinhold

"Eins gleich vorab zur Klarstellung: Wir versuchen, die Einschränkungen so gering wie möglich zu halten", sagte Polizeidirektor Martin Landgraf, designierter Chef der Polizeihubschrauberstaffel Baden-Württemberg. "Denn je höher die Bedrohungslage und je größer entsprechend die Beschränkungsgebiete, desto größer der Aufwand für die Polizei. Wir machen das nicht, weil wir nichts Besseres zu tun haben, Bußgelder eintreiben wollen oder gar um Piloten zu ärgern." Landgraf weiß, wovon er spricht, ist er doch selbst Privatpilot und regelmäßig über Baden-Württemberg und Deutschland unterwegs. Allerdings sei es seine Aufgabe, gemeinsam mit seinen rund 80 Kollegen die Bedrohungslage zu analysieren und mit dem richtigen Maß an Prävention eine Sichere Durchführung aller EM-Spiele zu gewährleisten.

Die Spielorte:

  • Berlin
  • Dortmund
  • Düsseldorf
  • Frankfurt am Main
  • Gelsenkirchen
  • Hamburg
  • Köln
  • Leipzig
  • München
  • Stuttgart

Eine Vielzahl an Faktoren

Die Herausforderungen, die anlässlich der EM auf die Polizei zukommen, sind gewaltig. Vier Wochen mit 51 Spielen an zehn Spielorten gilt es bezüglich der Gefährdungslage zu beurteilen. Anfangs habe man dabei vor allem die Spiele selbst im Auge gehabt, dazu kämen allerdings alle Veranstaltungen, die unmittelbar damit in Zusammenhang stehen, beispielsweise Public Viewings und Fanmärsche. "Menschenansammlungen sind immer potenzielle Ziele für Attentate, denn ein Terrorist will vor allem eins – größtmögliche Aufmerksamkeit erzielen", so Landgraf.

Von Landgraf und seinem Team wird erwartet, dass sie anhand einer Vielzahl von Faktoren die Gefährdungslage beurteilen und den Kollegen an den Spielorten die zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen im Luftraum vorschlagen. "Wir beraten dazu, die Entscheidung trifft der jeweils verantwortliche Einsatzleiter vor Ort.

Die Gefährdungsbeurteilung sei für die Gruppenphase schon anspruchsvoll, noch schwieriger werde es in der KO-Runde, wo noch nicht feststehe, wer gegen wen spielt. "Ich will nicht konkreter werden, aber bei bestimmten Ländern bzw. Paarungen müssen wir einfach mit einer höheren Bedrohungslage rechnen", so Landgraf. Um zu einer adäquaten Einschätzung zu kommen, sammeln Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter und andere Behörden Daten, und analysieren sie auf Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Luftfahrt wie beispielsweise Einbrüche in Hangars, verdächtige Fahrzeuge an Flugplätzen, auffällige Anmeldungen bei Flugschulen etc.

Ein weiterer Faktor, den die Beamten im Auge haben, sei die Tatsache, dass heute potenzielle Attentäter mit einem viel geringeren technischen Aufwand große Aufmerksamkeit erzielen könnten. "Wir erinnern uns alle an den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Dazu verwendete der Täter einen LKW. Die Welt hat sich weitergedreht, heute reichen Drohnen aus dem Spielzeugsegment, die mit improvisierten Sprengladungen ausgestattet großen Schaden anrichten können." Dementsprechend hat die Polizei sowohl die manntragende als auch die unbemannte Luftfahrt im Fokus.

Das Drei-Stufen-Modell

Für die EM sind aktuell drei Gefährdungsstufen geplant, die mit spezifischen Flugbeschränkungen einhergehen. In Stufe 1 gibt es für die bemannte Luftfahrt keine Einschränkungen abgesehen von Mindestflughöhen gemäß SERA. Für UAS hingegen gilt eine ED-R von zwei nautischen Meilen um den Spielort. "Dies hängt mit unseren technischen Fähigkeiten zur Drohnenabwehr und der üblichen Geschwindigkeit aktueller Drohnenmodelle zusammen", sagt Landgraf und fügt hinzu, dass diese Stufe für jedes Spiel gelte.

Lars Reinhold, Google Maps

Stufe zwei ist für mittlere Bedrohungslagen angesetzt und wir bei entsprechender Lageinformation ausgerufen. Hier gilt für die bemannte Luftfahrt eine ED-R von drei Nautischen Meilen um den Spielort, dazu kommt eine TMZ/RMZ von zwölf nautischen Meilen. Für die UAS bleibt es bei der Zwei-Meilen-ED-R. "Hier ist klar, dass die ED-R nichts nützt, um einen Attentäter abzuhalten. Sie macht vielmehr dem normalen Piloten klar, dass er das Gebiet zu meiden hat. Die TMZ/RMZ aber verschafft uns Zeit, um Kontakt mit Luftfahrzeugen aufzunehmen, die sich der ED-R nähern und uns über ihre Absichten zu informieren und auf die ED-R hinzuweisen." In diesem Stadium seien mehrere Polizeihubschrauber in der Luft, um gegebenenfalls visuell Kontakt aufzunehmen.

Lars Reinhold, Google Maps

Liegen der Polizei konkrete Bedrohungen vor, wird Stufe drei aktiviert. Hier ist eine ED-R von 30 Nautischen Meilen aktiv, und die Präsenz an Polizeiluftfahrzeugen wird deutlich erhöht. "Hier haben wir eine gewisse Möglichkeit, einzugreifen, wenn ein Anschlag aus der Luft droht", so Landgraf.

Ihm sei bewusst, welch massive Einschränkungen die Stufe 3 für die Sichtflieger der Allgemeinen Luftfahrt bedeute. Und auch für die Polizei sei das ein großer Aufwand. "Es geht nicht nur darum, die ED-R vor Einflügen zu schützen, sondern auch, Starts innerhalb zu verhindern." Dementsprechend müsse jeder Platz innerhalb des Beschränkungsgebietes von zwei Polizisten besetzt werden, die überwachen, dass kein Flugbetrieb stattfindet.

Lars Reinhold, Google Maps

Flugverbote vor und nach dem Spiel

Da nicht allein die Spiele potenzielle Angriffsziele sind, sondern auch Veranstaltungen in den Stunden davor und danach, werden die Flugbeschränkungen mit entsprechendem zeitlichem Vorlauf aktiv. Geplant ist, die ED-Rs drei Stunden vor Spielbeginn "scharf zu schalten" und bis maximal vier Stunden nach Anpfiff aktiv zu lassen. "Auf diese Weise sind wir für unvorhersehbare Ereignisse wie Verlängerung und Elfmeterschießen gewappnet und können das gesamte Spiel entsprechend absichern", so Landgraf. Die Bekanntgabe der für den jeweiligen Spieltag gültigen Gefahrenstufe soll spätestens 24 Stunden vorher via NOTAM erfolgen.

Da die Spiele jeweils um 15, 18 und 21 Uhr angepfiffen werden, sind die ED-Rs frühestens ab Mittag aktiv, Vormittags hingegen gibt es keine Einschränkungen. "Die Maßnahmen sind anlassbezogen, und ich kann nur an alle Piloten appellieren, sich gut auf anstehende Flüge vorzubereiten. NOTAMs lesen, Routing entsprechend planen und aufmerksam sein, dann ist man auf der sicheren Seite", appelliert Landgraf. "Einflüge in ein Flugbeschränkungsgebiet stellen eine Straftat dar und ziehen ernste Konsequenzen nach sich." Übrigens: Kommerzielle IFR-Flüge sowie jene, die von ICAO-Annex-17-Plätzen-Flughäfen aus erfolgen, sind von den Einschränkungen nicht betroffen.

Die geplanten Maßnahmen werden in den nächsten Tagen via NfL offiziell bekanntgemacht.