... wie Gott in Frankreich
Die Wetteraussichten am 23. August sind mies. Der Wetterberater spricht von Nebel im Saarland und meint, das sei nicht der Sommer, den man sich zum Fliegen wünscht. Immerhin können wir am Nachmittag einen Versuch wagen. Die Wolken hängen zwar tief, aber es ist fliegbar.
Um 16.55 Uhr sind wir in der Luft. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit fliegen wir nur bis Saarlouis. Das empfohlene Hotel ist ausgebucht. Die Alternative liegt auf halbem Weg zwischen Saarlouis und Flugplatz. Dafür speisen wir später vorzüglich im „Lothringer Hof“.
Tankstopp
Als wir am nächsten Morgen mit dem Taxi am Platz ankommen, hat sich der Nebel gelichtet. Der Flugleiter gibt unseren Flugplan auf. Wir wollen nach Bourges. Fünf Minuten nach dem Start überqueren wir die Grenze zu Frankreich. Der Flug ist angenehm. Das Wetter ist gut, die Lotsen gut zu verstehen. Wir überlegen, ob wir an dem kleinen Platz Cosne sur Loire tanken sollen. Als hätten wir es geahnt, teilt uns die Controllerin mit, dass wir wegen eines Meetings nicht in Bourges landen könnten. Also Cosne, zumal es dort laut AIP an Sonntagen zwischen 9 und 16 Uhr Benzin geben soll. Laut AIP!
Es gibt mehrere Hallen, ein Flugzeug steht draußen, aber weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Bei der in der AIP angegebenen Nummer läuft nur ein Anrufbeantworter. Unter der dort angegebenen Telefonnummer erklärt mir jemand freundlich, dass es kein Benzin gebe – AIP hin oder her! In Briare, 13 Meilen nördlich, sei aber bestimmt jemand. Also flattern wir wieder los, umfliegen ein Atomkraftwerk und landen nach 13 Minuten in Briare, wo nette Menschen die Dimona betanken, NOTAMs und Wetter für uns einholen und Kaffee kochen, den wir nicht mal bezahlen dürfen.
Richtung Mimizan

Dann fliegt Claudia weiter. Wetter gut, alles gut. Wir passieren Bourges, Châteauroux, Argenton, Angoulême, Chalais und Libourne. In der Ferne machen wir Bordeaux und die Gironde aus. Auf dem Weg nach Mimizan sind noch ein paar Beschränkungs- und Sperrgebiete im Weg, die wir umfliegen müssen. Mit dem neuen GPS Garmin 496 an Bord unserer Dimona ist das überhaupt kein Problem.
„Zeitreise“ in die Familienferien
Die Sonne sinkt immer tiefer. Die Seen von Cazaux und Biscarrosse kommen in Sicht. Am Flugplatz Mimizan antwortet niemand, also funke ich blind auf Französisch, und wir landen. Keiner da! Das kennen wir ja schon. Wir stellen den Motorsegler ab und erkunden das Gelände. Ein paar Fallschirmspringer rufen uns ein Taxi.
Im Hotel „Bellevue“ hat man ein schönes, großes Zimmer für uns. Zum Abendessen sitzen wir auf einer Terrasse direkt am Strand. Wunderbar! Wir sind angenehm erschöpft. Es ist eine milde Nacht, und wir essen herrliche Spezialitäten der Region: Rillettes vom Kabeljau, Foie Gras mit frischen Feigen, Bohneneintopf und Kartoffelpüreeauflauf, jeweils mit eingemachter Ente. Sehr lecker!
Bei Europcar mieten wir am nächsten Morgen ein Auto. Claudia möchte einige Orte besuchen, die sie aus der Zeit kennt, in der ihre Eltern ein Haus in Pontenx-les-Forges hatten. Mittags wollen wir in Pontenx picknicken. In einem kleinen Supermarkt kaufen wir Wasser und Obst. Dann besichtigen wir das Haus, in dem Claudia und ihre Familie viele schöne Urlaube verbracht haben.
Harry, Claudias Mann, hatte mir aufgetragen, unbedingt die Ile de la Promenade Fleurie am See von Biscarrosse zu besuchen, an die er sich gern erinnert. In der Nähe der Insel gäbe es ein Drei-Sterne-Restaurant, in dem wir unbedingt essen müssten. Leider ist das Anwesen von Gras überwuchert und offenbar schon seit längerer Zeit aufgegeben. Nun gut: Futtern wir eben Rosinenbrot und Obst und genießen die Vielfalt der Blumen.
Dann ist es Zeit, unsere Dimona zu betanken. Es ist inzwischen 14 Uhr, aber niemand ist am Platz. Ich wähle die in der AIP angegebene Nummer. Im leeren Flugplatzgebäude klingelt ein Telefon. Das ist also ein fruchtloses Unterfangen. Wir fahren zurück zum Strand. Später erreiche ich doch jemanden, der zwar nicht weiß, wie man tankt, sich aber kundig machen will. Wir jagen zum Platz, die Dimona wird vollgetankt, und wir sind in der Lage, am nächsten Tag in Richtung Bretagne zu fliegen.
Am Ziel herrscht noch Nieselregen
Per Telefon haben wir Kontakt mit unserem Butzbacher Fliegerkameraden Jean Yves Gonidec (Chicky), der mit seiner Frau Anke in Quiberon Urlaub macht. Er meldet Nieselregen und niedrige Bewölkung in der Bretagne. Falls wir nicht bis Quiberon durchkämen, sollten wir in La Baule landen. Ich starte. Das GPS hat keinen Empfang. Gerade hier! In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich ein militärisches Sperrgebiet, und wir wollen nicht riskieren, von Abfangjägern begleitet zu werden. Also muss Claudia mich zwischen diesem Gebiet und dem Sperrgebiet von Cazaux hindurch an die Küste lotsen. Der Küstenlinie wollen wir bis Quiberon folgen.
Wir fliegen in 1500 Fuß. Zwischen 500 und 1000 Fuß sind militärische Tiefflieger unterwegs. Der Weg führt vorbei an der Bucht von Arcachon, wo die größte Wanderdüne Europas von weither sichtbar ist. Wir müssen immer wieder Sperrgebiete umfliegen, was bei dem herrlichen Sonnenschein kein Problem ist, zumal unser GPS auch wieder Empfang hat. In der Gironde-Mündung, dort, wo sich Süß- und Salzwasser vermischen, sind interessante Strömungen, Sandbänke und Wasserfärbungen sichtbar.
Ankunft in Quiberon

Weiträumig umfliegen wir die CTR von La Rochelle, dann erreichen wir Les Sables d’Olonne. Die Bewölkung nimmt zu. Wir fliegen jetzt in 1000 Fuß, bleiben allerdings nahe der Küstenlinie. Hinter La Baule müssen wir auf 800 Fuß runter, über dem Wasser sind gerade mal 600 Fuß möglich. Bei 300 Fuß hört der Spaß auf. La Rochelle Info ruft uns. Wir hören gut, werden aber nicht mehr gehört, weil wir offenbar zu niedrig sind. Da wir keinen SAR-Einsatz riskieren wollen, wechselt Claudia auf die Frequenz von Brest Info. Dort versteht man uns gut. Wir wissen genau, wo wir sind, Hindernisse gibt es nicht (bis auf vereinzelte Leuchttürme, aber die sind wesentlich niedriger). Endlich wird schemenhaft die Halbinsel Quiberon sichtbar. Der Platz ist noch nicht zu sehen. Aber plötzlich reißt die Wolkendecke auf, und der Platz liegt direkt vor uns. Heureka!
Mit Anke und Chicky nehmen wir einen Willkommenstrunk auf der Terrasse des „Quiberon Air-Club“.
Kulinarisches in Quiberon
Das Apartment, das Anke und Chicky für ihren Urlaub gemietet haben, befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Platzes. Es ist urgemütlich. Selbst vom Esstisch aus sieht man direkt auf die Piste. Zur Begrüßung serviert Anke ihre berühmte Hühnersuppe. Am Abend essen wir in der „Crêperie de la Duchesse Anne“ herrliche Galettes (dünne Crêpes mit verschiedenen Belägen) und trinken Cidre. Ein Spaziergang durch das hübsche Städtchen Quiberon bis zur Strandpromenade und zum Fährhafen beschließt den Tag.
Mittwoch ist Markttag. Chicky hat uns Langschläfern Kaffee ans Bett gebracht. Dann schlendern wir am Strand entlang zum Hafen. Fische, Austern, Krebse, Hummer, Langusten, Gemüse, Blumen, Wurstspezialitäten, Gegrilltes, Käse, Wein, Klamotten – es gibt nichts, was es nicht gibt. Die vielen Düfte im Verbund mit dem Geruch des Meeres machen Appetit. Anke überrascht uns mit frisch zubereiteten Miesmuscheln.
Rundflug

Für den Spätnachmittag hat Chicky eine Cessna 150 (getauft auf: „Le péril jaune“ = die gelbe Gefahr) reserviert. Wir wollen als Formation einen Rundflug über die Hinkelsteine (Menhire) bei Carnac und zur Belle Ile machen. Die Sicht ist mies. Die kleine Cessna steigt wie verrückt und verschwindet im Dunst, obwohl wir direkt hintereinander gestartet sind. Irgendwann finden wir sie wieder. Der Formationsflug stellt sich als nicht so einfach heraus, denn im Reiseflug ist die Dimona schneller. Claudia ist damit beschäftigt aufzupassen, dass wir uns nicht zu nahe kommen. Die Sicht gegen die untergehende Sonne wird schließlich so schlecht, dass wir umkehren müssen.
Ile d’Yeu
Am nächsten Tag wollen wir nach Quimper fliegen. Chicky ist in der Nähe geboren, und dort lebt seine Familie. Da aber im Norden das Wetter schlecht ist, weichen wir nach Süden zur Ile d’Yeu aus.
Beim Flug ist die Sicht zwar immer noch schlecht, aber diesmal sehen wir die Hinkelsteine. Nach kurzem Zwischenstopp in La Baule geht es weiter. Wir fliegen in 1500 Fuß die Küstenlinie entlang. Claudia landet von der Côte Sauvage her. Unter uns liegt eine Ruine, deren Gemäuer die gleiche Farbe wie der Felsen hat. Die Vegetation der Insel wirkt trocken. Offenbar herrschen hier ganz andere Wetterverhältnisse als auf dem Festland. Der Tower schickt uns auf eine neu angelegte, aber noch nicht befestigte Abstellfläche.
Auf der Insel gibt es nur ein Taxi, und das ist gerade nicht verfügbar. In den viel zu kleinen Leihwagen quetschen wir uns zu fünft, denn wir müssen die Dame der Leihwagenfirma mit zurück in den Ort nehmen. Wir bummeln durch das Städtchen und landen schließlich wieder in einer Crêperie.
Rückflug nach Quiberon
Da das Wetter in Quiberon noch nicht wirklich besser ist, beschließen wir, nicht allzu lang mit dem Rückflug zu warten. Beim Start erwischt uns eine Böe, die uns zurück auf den Boden drückt. Obwohl ich schnell reagiere, kann ich nicht verhindern, dass wir noch einmal den Boden berühren. Schöner Schreck, aber gottlob ohne Folgen! Als wir landen, liegt Quiberon schon wieder im Sonnenschein.
Amboise-Dierre

Am Freitag müssen wir unsere Köfferchen packen. Wir checken die Dimona, tanken, bezahlen, nehmen Abschied von unseren Freunden und von Flugleiter Pierre. Claudia fliegt. Die Sicht ist wieder beschränkt, aber im Osten soll es besser sein. Wir fliegen nördlich an Nantes vorbei nach Ancenis, wo wir zum ersten Mal die Loire sehen. Wir überfliegen Saumur und folgen danach dem Flusslauf der Creuse bis zum Schloss Chinon. Nächster Wegpunkt ist Tours Le Louroux. Von dort fliegen wir nordöstlich zu den Schlössern Chenonceaux und Chaumont, dann westsüdwestlich an der Loire entlang nach Amboise-Dierre.
Auf dem Platz werden wir freundlich begrüßt und bekommen Sprit. Ein Mitglied des Clubs hat ein Hotel. Leider meldet er sich nicht am Telefon. Es gibt noch eine andere Möglichkeit: Ein ehemaliger Jagd- und Linienpilot und eine ehemalige Stewardess bieten Zimmer in Bléré an. Das Anwesen ist ein altes Herrenhaus mit einer hohen Mauer. In jeder der vier Ecken der Mauer befindet sich ein Häuschen. Wir bekommen eines davon und sind ganz hingerissen: Es ist mit viel Liebe ausgestattet und alles in Gelb gehalten mit farblich abgestimmten Vorhängen, Teppichen, modernsten Sanitäranlagen, Mikrowelle, Wasserkocher. Einfach toll!
Wir bummeln durch das Städtchen. Da wir fast verdurstet und ausgehungert sind, bestellen wir in einem Café Baguette mit Rillettes und Cornichons. Das dazu servierte Weißbier macht uns angenehm schläfrig.
Richtung Heimat
Nach einer herzlichen Verabschiedung durch die Gastgeberin fährt uns der Herr Gemahl am nächsten Morgen persönlich zum Flugplatz. Wir geben den Flugplan auf, holen Wetter und NOTAMs ein und bereiten uns auf den Abflug vor. Am Funk werden wir sehr freundlich verabschiedet und zum Wiederkommen aufgefordert.
Die Route führt über eine Landschaft mit Tausenden von Seen über Briare, Auxerre und Joinville, im Département Haute-Marne, zum Flugplatz Metz Nancy Lorraine, etwas südlich von Metz.
Lonschon oder London???
Die Verständigung mit Reims Info wird immer schlechter. Wir hören, werden aber nicht gehört. Mitten in der CTR von Metz ist es dann ganz aus. Claudia ruft den Tower von Metz Nancy Lorraine und meldet, dass wir den Kontakt verloren haben. Der Controller informiert Reims. Wir können auf seiner Frequenz bleiben, erhalten einen anderen Transpondercode. Kurz vor der Grenze zum Saarland sagt er, wir könnten jetzt die Frequenz 123,52 rufen. Der Name der Station ist unverständlich. Es klingt wie „Lonschon“. London kann er kaum meinen, also fragt Claudia nach. Der Controller bleibt stumm, dafür ertönt am Funk eine deutsche Stimme: „Der meint Langen!“ Unser Gelächter war sicher bis Reims zu hören. Langen verweist uns direkt
an Saarlouis-Düren. Die letzte Etappe führt uns an Baumholder vorbei über Idar-Oberstein, Kirn, den Pferdskopf im Taunus, über den Rhein zum Taunus-VOR und dann direkt nach Butzbach. Wir sind 3000 Kilometer geflogen, waren 19 Stunden und 57 Minuten in der Luft und haben jede Sekunde davon genossen!
aerokurier Ausgabe 02/2009