Filmflugzeuge: Platzer Kiebitz

Platzer Kiebitz
Auf der Suche nach dem richtigen Leben

Zuletzt aktualisiert am 17.02.2025
Auf der Suche nach dem richtigen Leben
Foto: Majestic Filmverleih GmbH

Der Tiefpunkt kommt schon ganz am Anfang des Films "Grüner wird’s nicht, sagte der Gärtner und flog davon": Schorsch ist pleite, seine Ehe liegt in Scherben, und die Beziehung zu seiner einzigen Tochter könnte kaum schlechter sein. Der letzte verbliebene Lichtblick in diesem trostlosen Dasein ist das Cockpit seines Kiebitz-Doppeldeckers, in dem er bei jeder Gelegenheit buchstäblich vor seinen Problemen davonfliegt. Doch dann wird ihm auch das genommen. Seine finanzielle Misere, verursacht durch einen zahlungsunwilligen Großkunden, holt ihn genau dort ein, wo er sich sein letztes Refugium eingerichtet hat. Wegen säumiger Rechnungen wird der rote Doppeldecker vor seinen Augen vom Gerichtsvollzieher gepfändet. Schorschs Reaktion: eine radikale Flucht nach vorne. Unter einem Vorwand setzt er sich nochmals ins Cockpit, startet den Motor und fliegt dem Gerichtsvollzieher und seiner gescheiterten Existenz erneut davon, diesmal aber auf Nimmerwiedersehen. Den tobenden Flugleiter hört er da schon gar nicht mehr: "Schorsch, du Depp, du depperter!", brüllt der ihm hinterher. Doch da ist Schorsch schon in seinem Element. Noch im Steigflug rubbelt er den Kuckuck von seinem Flugzeug, lässt den Frust über sein vermeintlich schicksalhaftes Versagen hinter sich.

Aus der reflexartigen Flucht wird ein Road-Trip quer durch Deutschland – nur eben am Himmel, nicht auf der Straße. Dabei dämmert es Schorsch langsam, dass er schon viel zu lange ein falsches Leben gelebt hat. Es sind vor allem die Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen, besonders die mit der aufsässigen Philomena, gespielt von Emma Bading, die seinen Blick auf das Leben verändern. Im Kiebitz-Cockpit scheint jetzt die ganze Last seiner gescheiterten Beziehungen von ihm abzufallen.

Mathias Bothor

Allerdings eckt der grantelnde Schorsch auch über den Wolken gehörig an, auf die Regeln pfeift er jetzt erst recht. Nach Herzenzlust landet er mit seinem Doppeldecker auf Äckern und Wiesen, der deutsche Flugplatzzwang lässt ihn kalt. Auch die Kontrollzone des Münchner Flughafens passiert er mit maximaler Rotzigkeit und fragt dabei noch in radebrecherischem Englisch nach Sprit: "I want buy Benzin from you." Der Rüffel vom Tower kommt unmissverständlich: "Leave my airspace immediately!" – "Verlassen Sie sofort meinen Luftraum!" Selbst diese Abfuhr quittiert Schorsch aus dem Kiebitz-Cockpit in einer Wurschtigkeit, die wie eine Befreiung von allen Zwängen wirkt: "Ja dann leck mich doch!", ruft er in sein Mikro und kurvt in die entgegengesetzte Richtung.

Der Traum des kleinen Piloten

Der Kiebitz im Film ist auch im wahren Leben ein Versprechen von Freiheit und Fliegerromantik. Während legendäre Doppeldecker wie Boeing Stearman oder De Havilland DH.82 Tiger Moth für normal sterbliche Piloten ohne Lotto-Gewinn oder stattliches Erbe meist ein unerfüllbarer Traum bleiben, so ist der Kiebitz für viele UL-Piloten ein realistisches Ziel: bezahlbar, robust und unkompliziert zu fliegen. Vor vier Jahrzehnten, im Jahr 1985, brachte Konstrukteur Michael Platzer die Baupläne für den Doppeldecker auf den Markt. Mit ein wenig handwerklichem Geschick kann man das UL selbst bauen. Zwar gibt es keinen Bausatz, einzelne Selbstbauer bieten aber immer wieder Baugruppen zum Tausch an. Auch Starter-Kits oder vorgefertigte Komponenten sind mitunter aufzutreiben. Eine Selbstbaulizenz inklusive der Konstruktionspläne kann man nach wie vor erwerben. Rund 200 Kiebitz-Doppeldecker fliegen derzeit schätzungsweise weltweit. Eine lebendige Community tauscht sich aus, hilft beim Bau und organisiert Treffen. Michael Platzer hat außer dem Kiebitz auch noch die einsitzige Motte, einen Parasol-Hochdecker entworfen. Ein Exemplar steht in der Dauerausstellung des Deutschen Museums in München.

Auf dem originalen Kiebitz aus dem Kinofilm, Kennzeichen D-MMWW, kann man bei der Flugschule Born-2-Fly GmbH im sächsischen Großenhain sogar die UL-Lizenz erwerben. Das ist zwar aufgrund der Spornradkonstruktion etwas anspruchsvoller als mit den üblichen Schulungsmaschinen wie C42 oder ähnlichen ULs. Dafür bietet der Kiebitz aber schon in der Flugschule, wovon viele angehende Piloten träumen: Fliegerromantik pur!

Flugschule Born-2-fly

Mit Schorsch am Steuerknüppel wird der rote Doppeldecker auf der Kinoleinwand in atemberaubenden Landschaften in Szene gesetzt. Man mag manchmal kaum glauben, dass diese grandiosen Bilder tatsächlich über deutschen Landen entstanden sind. So ist der Film auch eine Hommage an die Schönheit der Heimat, zumindest dort, wo man sie noch unverbaut erleben kann: im Alpenvorland, über den bayerischen Seen oder an der Nordseeküste. Trotz dieser starken Bilder wirkt der Film aber nie aufgesetzt oder inszeniert. Daran hat der grummelige Schorsch einen entscheidenden Anteil. Seine Geschichte wirkt ehrlich, sein Scheitern und seine kolossale Verunsicherung lassen die Zuschauer mit dem Anti-Helden mitfühlen. Und auch die Landschaft ist nicht nur Kulisse, sondern ein wesentlicher Teil der Reise. Erst durch sie bekommt die Geschichte ihre visuelle Kraft.

Majestic Filmverleih GmbH

Keine Rosamunde-Pilcher-Wendung

Am Ende wartet der Film deshalb auch nicht mit einer Rosamunde-Pilcher-Wendung auf, bei der alles wieder gut ist und ein Happy End die Verwirrung auflöst. Die Realität gescheiterter Beziehungen und unwiederbringlicher Brüche, die jedes Leben mit sich bringt, wird nicht weichgespült oder glattgebügelt. Die Reise hat bei Schorsch ihre Spuren hinterlassen, ohne sich in Kitsch zu verfranzen. Vermutlich ist er nicht der Einzige, der erstmal einen ordentlichen Tritt braucht, um neue, glücklichere Wege einschlagen zu können. Und warum nicht mit einem Kiebitz?

Flugschule Born-2-fly