Die Trike Globetrotter
Nomaden der Lüfte

Wenn Menschen ihr altes Leben für einen Traum aufgeben, können sie alles verlieren. Oder das ganz große Los ziehen und ein neues, intensives Leben beginnen. So wie Doreen und Andreas, die mit ihrem Hängegleiter-Trike um die Welt fliegen.

Nomaden der Lüfte

Schneebedeckte Berge. Inseln im türkisen Wasser. Regenwald. Wüsten. Großstädte und kleine Dörfer. Flughäfen und Landebahnen. Das alles aus der Vogelperspektive. Eigentlich keine ungewöhnlichen Bilder im aerokurier. Allein das Vehikel im Vordergrund sorgt für Staunen: ein Hängegleiter-Trike, beladen mit bescheidener Campingausrüstung und zwei verwegenen Abenteurern.

Die Geschichte, die Andreas Zmuda und Doreen Kröber beim Treffen mit dem aerokurier im Terminal des Tegeler Flughafens erzählen, ist so verwegen, dass man den beiden auf die Schulter klopfen und professionelle Hilfe empfehlen möchte. Allerdings: Für jede Episode haben die beiden Foto- und Videobeweise. So absurd die Geschichte der Weltumrundung mit einem „fliegenden Motorrad“ auch klingen mag – die beiden ziehen ihren Plan durch.

2010 hatten sie sich bei einer Amazonas-Expedition kennengelernt, Andreas war Reiseleiter, Doreen Teilnehmerin. „Ich habe mich Hals über Kopf in diese Frau verknallt und bin nach 25 Jahren als Überlebenskünstler in allen Teilen der Welt nach Deutschland zurückgekehrt. Es war mitten im Dezember, und ich besaß nicht mal ein Paar Socken, weil ich zuletzt in der Karibik gelebt habe.“

Unsere Highlights

Drei Flaschen Wein und eine Schnapsidee

Die Idee zur Weltumrundung mit dem Trike entstand im Februar 2012 bei einer Flasche guten Weins. „Die Urlaubsplanung stand an, es sollte unser erster gemeinsamer Sommerurlaub werden“, erzählt Doreen. „Bei der ersten Flasche Wein erfuhr ich, dass Andreas einen Pilotenschein hat. So kamen wir auf die Idee, ein Wohnmobil zu mieten und einige Wochen durch die USA zu touren und da zu fliegen. Als die zweite Flasche entkorkt war, diskutierten wir darüber, ob ich nicht eine längere Auszeit nehmen und wir den ganzen amerikanischen Kontinent aus der Luft erkunden könnten. Am Ende von Flasche drei war der Plan, unser altes Leben aufzugeben und mit dem Trike die Welt zu umrunden, perfekt.“

Viele Schnapsideen verlieren ja nüchtern betrachtet ihren Reiz. „Unsere Entscheidung aber stand auch am nächsten Morgen noch“, sagt Andreas. Jetzt galt es, einen Zeitplan aufzustellen und das alte Leben regelrecht abzuwickeln. „Als Starttermin wählten wir Mitte Juni, denn Doreen, die als Ingenieurin am Berliner Flughafen mitarbeitete, wollte die Eröffnung noch miterleben. Ein aus heutiger Sicht utopischer Plan.“ Fünf Monate blieben also.

Welches Fluggerät nehmen wir? Was muss mit? Klamotten, Campingausrüstung, Foto- und Videoequipment, Ersatzteile – für eine Tour dieser Art gibt es keine Reiseführer. Wohnung auflösen, das Hab und Gut zu Geld machen. „300 Designerkleider und 200 Paar Schuhe habe ich verkauft“, sagt Doreen ein bisschen wehmütig. „Nur ein Blümchenkleid ist geblieben, denn das ist knitterfrei und leicht.“ Auch ihrer Familie musste Doreen irgendwie das geplante Abenteuer verklickern. Nach Schule, Leistungssport, Studium und gutem Job ein derartiger Ausstieg – begeistert waren die Kröbers nicht. Außerdem brauchte jeder drei Reisepässe. „Mir war klar, dass es in gewissen Staaten Probleme geben würde, wenn im Pass Stempel gewisser anderer Staaten drin sind“, sagt Andreas.

Was das Fluggerät anging, fiel die Wahl auf ein DTA Voyageur II mit Rotax-912S-Motor. Auch die Frage nach Werkzeug und Ersatzteilen stand im Raum. „Auf Nachfrage schickte uns DTA eine Vorderachse für das Trike“, sagt Andreas. „Damals kam uns das komplett sinnlos vor, aber wir packten das schwere Teil ein. Auch zwei Propellerblätter wanderten ins Gepäck.“ Für die Routenplanung holten sich die Globetrotter Hilfe bei White Rose Aviation, einem englischen Dienstleister, der sich auf das Einholen von Überfluggenehmigungen spezialisiert hat. 

Am 8. Juni brechen Andreas und Doreen auf, reisen von Tegel aus per Linienflug in die USA. Die Weltreise soll am 21. Juli 2012 beginnen, Andreas 50. Geburtstag. Bis dahin gilt es noch eine Hürde zu meistern: Andreas muss seinen US-PPL machen, denn das Trike soll als LSA zugelassen werden. Außerdem muss es in die USA geliefert und dort zusammengebaut werden. „Das Trike kam mit zweiwöchiger Verspätung in Zephyrhills in Florida an, aber ohne Papiere“, berichtet Andreas von den Startschwierigkeiten. „Es war ein Akt, die ganzen Dokumente zu organisieren und unseren Flieger zuzulassen. Und dann, ja dann hab ich auch noch die Flugprüfung verhauen.“ Trotz 25 Stunden Erfahrung auf Flächenflugzeugen, 15 im Gyrocopter und 150 auf Trikes fällt Andreas zweimal durch die Theorie. „Erst im dritten Anlauf hat es geklappt, die Praxis hingegen ging reibungslos.“ Einen Tag vor dem geplanten Abflug ist die Lizenz im Sack. „Ich bin ihm einfach nur um den Hals gefallen“, erinnert sich Doreen an den Moment, in dem die letzte große Hürde genommen war. Das Trike bekommt das Kennzeichen N217TG. Die 217 steht für den Starttag, TG für Trike Globetrotter.

Bis Mitternacht packen die beiden ihre Ausrüstung zusammen. Eine wasserdichte Packrolle fasst den gesamten „Hausrat“, der geblieben ist. „Pro Nase vier T-Shirts, ein Hemd für Andreas, mein Blümchenkleid“, erklärt Doreen, die als Lademeisterin für das Equipment verantwortlich ist. „Dazu fünfmal Unterwäsche, Skisocken, Crocs, Turnschuhe, Toilettenartikel und Kleinkram wie Dokumente, Bargeld, Kreditkarten. Und natürlich Wasser und Notverpflegung – inklusive einer Flasche Rotwein.“ Die Rolle wiegt ganze zwölf Kilogramm. Außerdem verzurren die beiden Abenteurer ein ultraleichtes Campingzelt, Isomatten, Schlafsäcke und Kochausrüstung am Trike, in einer Tasche hat Doreen außerdem die Foto- und Videoausrüstung immer griffbereit.

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Einmal um die Welt

Von Zephyrhills aus starten sie in Richtung Suwannee am Golf von Mexiko. „Es war befreiend, endlich loszufliegen, den Wind im Gesicht zu spüren“, sagt Andreas. Nach 257 Kilometern sind die beiden wieder am Boden. 257 Kilometer von rund 160 000 sind geschafft. Und gleich bei ihrem ersten Stopp erleben sie das, was sie als herzliche Kameradschaft unter Fliegern überall auf der Welt bezeichnen. „Auf dem Flugplatz haben einige Mechaniker einen Geburtstag gefeiert. Wir wurden direkt eingeladen, dazuzukommen, und als wir von unserer Reise erzählten, bot man uns an, im Büro zu übernachten. So lagen wir mit Isomatte, Schlafsack und zwei Hunden auf dem Boden und waren die glücklichsten Menschen der Welt!“

Weiter geht die Reise über Georgia, Tennessee und Indiana. Pünktlich zum AirVenture wollen Doreen und Andreas in Oshkosh einfliegen. Dieser Plan findet in Kentland nahe Chicago ein jähes Ende. „Im Landeanflug erwischte uns hier eine heftige Windböe, das Trike setzte ziemlich hart auf und drehte sich dann um die Hochachse“, berichtet Andreas. „Das Ergebnis war ein verzogener Rahmen und eine gebrochene Achse. Aber genau dafür hatten wir ja Ersatz dabei.“ Die Reise nach Oshkosh treten die beiden daraufhin im Mietwagen an. „Das war die Höchststrafe.“ Dass sie sich von mehreren Oshkosh-Veteranen anhören müssen, der Plan, mit dem Trike um die Welt zu fliegen, sei komplett bescheuert, verkommt dabei zur Fußnote. „Das war mit Augenzwinkern“, versichert Andreas. Allerdings bleibt ein Problem: Das Trike ist kaputt und die Ersatzteile kommen nicht. Der Hersteller hat volle zwei Monate Betriebsferien. Die Verzögerung nutzen Andreas und Doreen, um nach Kuba zu düsen und die Insel mit dem Motorroller zu erkunden.

Als die Reparaturen Ende September erledigt sind, geht es weiter. Am Flughafen von Logan in Utah wieder das Roulette der Gastfreundschaft: „Ein Mechaniker lud uns ein, bei sich zu übernachten“, sagt Andreas und fängt an zu lachen. „Als die Terminalmanagerin von unserem Plan erfuhr, kam das erste Upgrade, nämlich die Einladung in ihre Wohnung. Als auch noch der Flughafenchef davon Wind bekam, hieß es, wir könnten in seinem Haus gleich mehrere Tage bleiben, wenn wir wollten. Echt unglaublich!“ Auch andernorts hilft man den Abenteurern. „Es kam mehrfach vor, dass uns Mechaniker einfach ihren Autoschlüssel in die Hand gedrückt und gesagt haben: ,Fahrt ihr in die Stadt, holt euch, was ihr braucht.‘ In der Zwischenzeit haben sie sich um den Check des Trikes gekümmert.“

Über fantastische Landschaften wie das Monument Valley geht es im November 2012 nach Mexiko. Hier müssen die Trike Globetrotter aufgrund heftiger Turbulenzen unplanmäßig landen. Dumm nur, dass die Piste zu einem Dorf gehört, in dem die lokale Drogenmafia das Sagen hat. „So richtig geheuer war uns das nicht, aber die Leute haben dreimal am Tag für uns gekocht. Als das Wetter wieder besser wurde, konnten wir einfach weiterfliegen“, erinnert sich der Trikepilot. 

In 15 000 Fuß Höhe passieren Doreen und Andreas Mexico City – hier kommt erstmals die Sauerstoffanlage zum Einsatz. Für den Abschnitt von Panama City nach Kolumbien geht es 350 Kilometer über unlandbaren Dschungel – bei einer Cruise Speed von 60 Knoten kommt das Trike insgesamt rund 500 Kilometer weit. „Mitte Juli 2013, auf dem Weg zum Flugplatz Tumaco in Kolumbien, zog unter uns die Wolkendecke immer mehr zu – kein Loch, um durchzuschlüpfen. Als wir die Fluglotsen auf unsere Lage aufmerksam machten, schickte das Militär zwei Kampfjets, die für uns ein Loch in den Wolken suchten und uns nach unten brachten“, berichtet Andreas von einer weiteren denkwürdigen Episode. Am Boden habe es aber nicht etwa Ärger gegeben. „Stattdessen kam ein Golfcart mit heißem Kaffee, und als die Kampfpiloten von unserer Geschichte hörten, schnitten sie tatsächlich ihre Hoheitsabzeichen von den Uniformen und gaben sie uns als Andenken mit.“

Und die denkwürdigen Episoden werden immer mehr. Manche Waldstücke müssen die Globetrotter hoch überfliegen, um vor den Waffen der Guerilla sicher zu sein. In Esmeraldas ist die Wolkendecke einmal mehr so dicht, dass ein Guide ein Loch sucht – dieses Mal ein Airbus A320 der Fluglinie TAME. In Ecuador muss Andreas wegen eines plötzlich aufziehenden Sturms notlanden. Mangels alternativer Pisten setzt er das Trike auf einen Sandstrand. „Da habe ich nur noch gebetet“, sagt Doreen. In Chile geht den Globetrottern fast der Sprit aus, weil sie wegen Bodennebels nicht landen können. Sie stranden schließlich auf einer alten Sandlandebahn in der Wüste. „Dort gab es freilich keinen Funkempfang, um unseren Flugplan zu schließen. Ich kletterte in voller Montur auf einen Hügel und setzte Blindsendungen ab. Da meldete sich eine Maschine der COPA Airlines und bot an, die Landemeldung an den Tower in Santiago weiterzugeben. Wieder half ein Airliner-Kapitän zwei Trikefliegern!“

Während Andreas viele Stunden braucht, um zur nächsten Straße zu marschieren, per Anhalter in die Stadt zu fahren und Wasser, Lebensmittel und Sprit zu organisieren, bekommt Doreen in der Wüste Besuch: einmal von drei Männern, die von dem Abenteuer so begeistert sind, dass sie kalte Cola und ihre Sandwiches dalassen, einmal von zwei mürrischen Beamten, die bemängeln, dass das ein Privatflugplatz sei, der zum Paranal-Observatorium gehöre. Als sie von der misslichen Lage der Flieger hören, ziehen sie vondannen.

Ein Tag für die Geschichtsbücher

Dann steht das bislang größte Abenteuer der Globetrotter an: Doreen und Andreas starten nach einer Woche wetterbedingter Bodenpause am 12. April 2014 um 10.48 Uhr in Puerto Montt und gehen auf Kurs Ost. Sie steigen auf 2100 Meter, passieren den Llanquihue-See und die Vulkane Osorno, Calbuco und Tronador. „Es war, als flöge man über eine Toblerone-Landschaft mit Zuckerglasur, die von türkisen Bergseen gesäumt ist“, schwärmt Andreas. „Minus zwei Grad, eiskalte Hände und Schüttelfrost trotz Heizklamotten, aber der Ausblick und das Gefühl, etwas Einmaliges zu tun, entschädigten für alle Strapazen.“ Zwei Stunden und 11 Minuten dauert der Ritt, und als sie auf der Landebahn in Bariloche, Argentinien, ausrollen, gehen sie in die Geschichtsbücher ein – als die Ersten, die zu zweit in einem Hängegleiter-Trike die Anden überquert haben.

Einige Tagestrips weiter westlich kommt es fast zur Katastrophe: Im Endanflug auf den Airport Rosario hört Andreas im Funk einen Airliner, der ebenfalls im Endanflug auf dieselbe Piste ist. Auf Nachfrage bestätigt der Lotse die Landefreigabe für das Trike. „Ich habe mich umgeschaut und kein anderes Flugzeug gesehen“, sagt Andreas, und Doreen ergänzt: „Kurz vorm Aufsetzen habe ich nach vorne gezeigt und gebrüllt ,Daaaaa!!‘“. Der Airbus hat den Platz ohne Clearance von der anderen Seite aus angeflogen, plötzlich sind Trike und Airliner auf Kollisionskurs. „Im letzten Moment brüllte der Fluglotse den Kapitän an, durchzustarten, und der Riese donnerte in beängstigend geringer Höhe über uns weg.“ Einige Interviews, viele Titelseiten und eine Flugsicherheitsuntersuchung später können die beiden weiterfliegen. 

Im August 2014 erleben die Globetrotter in Rio de Janeiro einmal mehr, welche Tore sich öffnen, wenn andere mitbekommen, dass man mit einem motorisierten Klappstuhl die Welt umrundet. „Ein Fluglotse, der auch in einem kleinen Luftsportclub aktiv ist, hat für uns den Luftraum um die Christusstatue gesperrt, damit wir sie zweimal umfliegen konnten“, sagt Andreas. „Normalerweise ist da alles voll mit Hubschraubern, die Bohrinseln versorgen, Touristen um die Statue fliegen oder Geschäftsleute von A nach B kutschieren. Aber für ein kleines Trike grounden die alle anderen – unfassbar! Allein mit ‚Christus‘, hunderte Meter über der Stadt – es war Wahnsinn!"

2015 lassen es die beiden etwas ruhiger angehen, arbeiten sich langsam bis in die Karibik vor und stellen das Trike für die Winterpause in Santiago in der Dominikanischen Republik ab. Die Frühjahrsmonate 2016 verbringen sie – wie jeden Winter – in Deutschland; mit Vorträgen über ihre Tour füllen sie die Reisekasse wieder auf. „Es reicht eben irgendwie, ich arbeite ja nebenbei auch noch für einen Reiseveranstalter. Homeoffice eben, oder besser: Zeltoffice.“

Seit April sind die Globetrotter wieder unterwegs, im Sommer steht  mit der Route Kanada–Grönland–Island–Färöer und Norwegen der Sprung über den Atlantik an. Das Endziel: Australien. „Inzwischen ist es für uns keine Tour mehr“, sagt Andreas. „Es ist die Art, wie wir leben wollen – als fliegende Nomaden.“

Reiseroute USA und Südamerika

Grafik und Copyright: aerokurier

Vom 21. Juli bis zum 29. Oktober 2012 überfliegen Andreas und Doreen die USA. Mexiko und Mittelamerika passieren sie bis Ende April 2013. Von Kolumbien aus fliegen sie nach Süden und setzen am 12. April 2014 in Südchile zum Sprung über die Anden an.

Wieder Richtung Norden unterwegs, erreichen sie am 31. Juli 2014 Rio de Janeiro. Im September geht es über den Amazonas und im Frühjahr 2015 in Richtung Karibik. Auf den British Virgin Islands verbringen sie ihr „Dreijähriges“ und parken das Trike Ende 2015 in der Dominikanischen Republik.

Im Sommer 2016 soll es über Kanada, Grönland, Island und die Färöer-Inseln nach Norwegen gehen.

Mehr über die beiden Trike-Globetrotter und über ihr Leben als fliegende Nomaden im exklusiven Blog bei aerokurier.

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