Bei vielen technischen Störungen gibt es wirksame Gegenmaßnahmen oder zumindest Sicherheitsverfahren, durch die der Pilot die Risiken reduzieren kann. Schwierig wird es allerdings, wenn er ein Problem erst sehr spät oder gar nicht bemerkt. Ähnlich erging es dem Piloten einer Absetzmaschine für Fallschirmspringer auf dem rheinland-pfälzischen Sonderlandeplatz Ailertchen im Frühling 2022.
Absolute Routine
Die Cessna 182 C rollt am Abend des 30. Mai zur Startbahn. Es ist bereits der zehnte Flug der Maschine. Am Steuer sitzt der 54 Jahre alte Absetzpilot. Er hat vier Fallschirmspringer mit an Bord, die zum letzten Sprung an diesem Tag in die Luft wollen. Bei den vorausgehenden Flügen stieg die Cessna auf Absetzhöhen zwischen 6500 und 7800 Fuß. Nach dem dritten und nach dem siebten Flug wurden jeweils 30 Liter Benzin nachgetankt. Vor dem achten Absetzflug waren noch 31 Gallonen (117 Liter) Kraftstoff in den Flächentanks. Die Cessna verbraucht für einen Absetzflug von rund 20 Minuten Dauer durchschnittlich etwa vier Gallonen (15 Liter). Wie bei den vorausgegangenen Flügen steht auch vor dem Start zum letzten Flug der Schalthebel des Kraftstoffhahns auf "both", auf beiden Tanks.

Zu spät bemerkte der Pilot den Motorausfall, der Flugplatz war nicht mehr erreichbar. Aufgrund der Waldfläche im Bereich der Anfluggrundlinie drehte er nach links, um eine Wiese anzufliegen. Doch nach der Kollision mit einer Freileitung stürzte die Cessna in ein Wohnhaus.
Bis zum Landeanflug ist alles normal
Um 18:55 Uhr startet der Schulterdecker auf der Startbahn 03 und verlässt die Platzrunde. Der Steigflug auf die Absetzhöhe verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Nachdem die Springer die Kabine der Cessna verlassen haben, dreht der Pilot südlich der Piste mit einer langen, flachen Rechtskurve in den Sinkflug zurück zum Platz. Kurz darauf nähert sich die Cessna im verlängerten rechten Queranflug der Piste 03. Doch in diesem Moment stutzt der Pilot: Das Triebwerk scheint sich ungewöhnlich schnell abzukühlen.
Warum kühlt der Motor so schnell ab?
Die elektronische Motorüberwachung des EDM 730 zeigt einen abrupten Temperaturrückgang. Der Pilot versucht die Abkühlung des Triebwerks durch eine Erhöhung des Ladedrucks zu kompensieren. Dieses Verfahren hat er im Sinkflug schon mehrfach genutzt, um ein zu schnelles Abkühlen des Motors zu verhindern. Doch diesmal zeigt es keine Wirkung. Trotz Erhöhung der Leistung kühlt sich das Triebwerk immer weiter ab. Der Pilot vermutet nun als Grund dafür eine zu geringe Kraftstoffverbrennung. Dann aber wird ihm schlagartig klar, dass der Motor komplett ausgefallen ist und sich der Propeller nur noch im Fahrtwind dreht. Er reagiert sofort und reduziert die Fahrt, um die Sinkrate zu verringern und Zeit zu gewinnen.
Anlassversuch erfolglos
Dann versucht er das Triebwerk wieder zu starten: Der Tankwahlschalter steht auf "both", das Gemisch auf "voll reich", Magnete ebenfalls auf "both". Aber der Versuch misslingt. Im verlängerten Endanflug auf die Piste 03 wird dem Piloten bewusst, dass der Flugplatz aufgrund der geringen verbliebenen Flughöhe im Gleitflug nicht mehr erreichbar ist, vor der Schwelle im Endteil jedoch ein Waldstück liegt. Eine Kollision mit den Bäumen wäre kaum überlebbar. Um das zu vermeiden, dreht der Pilot nach links ab, um auf einer Wiese nahe einem Wohngebiet zu landen. Dabei entgeht ihm ein anderes gefährliches Hindernis: eine Hochspannungsleitung unmittelbar vor der Ortschaft. Als er die Freileitung erkennt, ist es zu spät, er kann ihr nicht mehr ausweichen. Die Kollision verursacht einen Knall mit einem Lichtbogen. Dann stürzt die Cessna in den Dachstuhl eines Hauses am Ortsrand. Dabei wird der Pilot schwer verletzt, kann sich aber noch allein aus dem Wrack befreien und das Haus über die Treppe verlassen.
Totale Zerstörung
Von der Cessna bleibt nur ein Trümmerhaufen übrig. Das Triebwerk ragt aus dem schwer beschädigten Gebäude heraus. Cockpit und Instrumentenpanel liegen auf der rechten Seite des Dachbodens. Leitwerk und Tragflächen sind mehrfach abgeknickt und gestaucht. Sie liegen eng zusammengefaltet über den Trümmern des Rumpfs. Die beiden Flächentanks sind aufgerissen, Kraftstoff sickert durch den Dachboden in die darunterliegende Etage. Auch das Mauerwerk des Einfamilienhauses wird durch die Havarie der Cessna schwer beschädigt, es ist zu großen Teilen aufgebrochen. Das Satteldach ist auf der Südostseite großflächig aufgerissen, der Schornstein eingestürzt. Die Schäden zeigen, dass die Cessna mit großer Wucht in den Dachstuhl gestürzt sein muss.

Der Pilot überlebte den Absturz ins Wohngebiet schwer verletzt.
Die Ermittlungen beginnen
Bereits kurz nach dem Absturz sichern Mitarbeiter der Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) Hinweise auf die Ursache an der Absturzstelle und an der Freileitung, mit der die Cessna kollidiert war. Die Unfallstelle liegt etwa 1500 Meter südwestlich der Schwelle zur Piste 03 des Sonderlandeplatzes Ailertchen. Farbreste, die von der Cessna stammen, markieren den Kontaktbereich des Hochdeckers mit der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Freileitung. Die Kollision passierte demnach rund 250 Meter nordwestlich der Anfluggrundlinie zur Piste 03. Das Haus, in dessen Dachstuhl die Cessna gestürzt ist, steht nur etwa 100 Meter nordwestlich der Leitungstrasse. Das Wrack muss aus dem zu einem Wohnzimmer ausgebauten Dachboden geborgen werden.

Havarie im Wohngebiet: die Cessna stürze rund 1500 Meter südwestlich des Sonderlandeplatzes in den Dachstuhl eines Einfamilienhauses.
Spur der Trümmer
Zwischen der Freileitung und dem Einfamilienhaus finden die Ermittler der BFU mehrere Trümmerteile der Tragfläche, darunter den linken Randbogen. Ein abgerissenes Tragflächensegment ist teilweise verrußt. Während des Fluges und beim Aufprall kam es aber zu keinem Brand. Sehr wahrscheinlich war die Kontaktstelle der Tragfläche bei der Kollision mit der Hochspannungsleitung und dem dabei entstandenen Lichtbogen für einen kurzen Moment großer Hitze ausgesetzt. Nach Angaben des Netzbetreibers lag dort eine elektrische Spannung von 220 000 Volt an.
Keine technischen Probleme feststellbar
Weitere Untersuchungen ergeben keine Hinweise auf eine technische Störung am Triebwerk. Am Instrumentenpanel bestätigen sich die Angaben des Piloten zu den Leistungseinstellungen während des Sinkflugs. Das Panel ist weitgehend unversehrt. Der Klappenhebel steht auf null Grad, der Leistungshebel auf Vollgas. Der Mixture-Regler ist auf "voll reich", der letzten Position während des Abstiegs, gerastet. Auch die Zündung steht, seinen Angaben entsprechend, auf "both", die Vergaservorwärmung auf "kalt".
Thema Kraftstoffmanagement
Die wahrscheinlichste Ursache für den Motorausfall sehen die BFU-Ermittler beim Kraftstoffmanagement. Zwar sei über den Tag verteilt "ein ausgewogenes Fuel-Management" mit der jeweiligen Bestimmung der vorhandenen Menge an Restkraftstoff vor dem Nachtanken zwischen den Absetzflügen erfolgt, es sei jedoch davon auszugehen, dass der beim letzten Flug vorhandene Kraftstoffvorrat für ein steiles, zügiges Absteigen im Kurvenflug sehr knapp bemessen war, heißt es im Abschlussbericht.
Treibstoff nicht voll ausfliegbar
Dazu ermitteln die Experten, dass beide Flächentanks der Cessna bei dem Versuch der Notlandung mit jeweils sieben Gallonen Kraftstoff gefüllt waren. Unter Berücksichtigung, dass fünf Gallonen nicht ausfliegbar waren, wären für den Kurvenflug unter idealen Bedingungen aber nur noch zwei Gallonen an ausfliegbarem Restkraftstoff je Tank verfügbar gewesen. Außerdem sei fraglich, ob die angenommene Menge an Restkraftstoff nach dem letzten Flug tatsächlich auch vorhanden gewesen oder der Verbrauch bei den Flügen zuvor zu optimistisch kalkuliert worden sei, gibt die BFU zu bedenken. Darüber hinaus könne eine Ungleichverteilung der geringen Füllmenge auf die beiden Tanks nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
In der Kurve war plötzlich Schluss
Die Ermittler kommen daher zu folgendem Schluss: "Es ist davon auszugehen, dass es bei dem steilen Abstieg nach dem Absetzen der Springer in einer lang gestreckten Rechtskurve zu einer Unterbrechung der Kraftstoffversorgung kam." Die Ursache: eine zu geringe Kraftstoffmenge. Die Spritmenge sei gemäß den Angaben des Flug- und Betriebshandbuches der Cessna 182 C nicht ausreichend gewesen, um jederzeit den Kraftstoffabnahmepunkt zu bedecken.

Einschlag mit schweren Folgen: Durch die Kollision wurden das Mauerwerk der Giebelseite des Hauses und das Satteldach aufgerissen. Von der Cessna blieb nur Trümmerhaufen übrig.
Fatale Fehlerkette
Die Fehlerkette, die zu der Havarie führte, setzte sich in der verzögerten Wahrnehmung des Absetzpiloten fort. Der mit insgesamt 4495 Flugstunden sehr erfahrene PIC habe den Motorausfall im Sinkflug viel zu spät bemerkt. Auch seine anschließende Reaktion, die sehr wahrscheinlich unter großem Stress zustande kam, habe sich negativ auf den folgenden Notlandeversuch ausgewirkt. "Nachdem er realisiert hatte, dass das Triebwerk antriebslos war, wäre es folgerichtig gewesen, zunächst eine Notlandefläche zu bestimmen und anzufliegen", heißt es im Untersuchungsbericht der BFU. Der Pilot hatte dagegen zunächst versucht, den Motor wieder zu starten.
Westlich der Anfluggrundlinie wären mehrere Notlandeflächen anfliegbar gewesen. Doch diese Option war nach dem letzten Wiederstartversuch nicht mehr gegeben, so die BFU. Die Cessna berührte in etwa 25 Metern über dem Boden die Freileitung. Der Pilot hätte die Notlandefläche zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erreichen können.