Unfallanalyse UL-Doppeldecker-Absturz beim Flugplatzfest Dierdorf-Wienau

Unfallanalyse
UL-Doppeldecker stürzt beim Flugplatzfest in Dierdorf-Wienau ab

Zuletzt aktualisiert am 26.10.2017
UL-Doppeldecker stürzt beim Flugplatzfest in Dierdorf-Wienau ab

Die Stimmung beim Flugplatzfest in Dierdorf-Wienau am 3. September 2016 ist ausgelassen, die Kinder sind begeistert von den herabschwebenden Bonbons – niemand rechnet damit, Zeuge eines Absturzes zu werden. Nach dem Abwurf der Süßigkeiten kehrt die Murphy Renegade Spirit um 16.24 Uhr zurück, überfliegt den Platz zunächst in östliche Richtung, um kurz darauf einen westlichen Kurs einzuschlagen. Dann kippt das Flugzeug über die linke Tragfläche ab, beschreibt laut Bericht der Bundes­stelle für Flugunfalluntersuchung „zweieinhalb trudelnde Bewegungen“ und schlägt unweit der Piste 25 auf. Unmittelbar nach dem Aufprall bricht im Motorbereich ein Feuer aus, zwei Vereinsmitglieder eilen zu Hilfe, doch der Pilot kann erst nach dem Löscheinsatz der Feuerwehr geborgen werden und erliegt wenig später den Folgen der durch den Aufschlag erlittenen Verletzungen.

Der Pilot ist zum Unfallzeitpunkt 80 Jahre alt. Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis der LAPL-Klasse ist bis zum 19. Januar 2018 gültig und verpflichtet ihn, eine Sehhilfe zu tragen. Seit 1958 ist er im Besitz einer Segelflugzeugpilotenlizenz, 1983 erwirbt er zudem die Sportpilotenlizenz, die ihn dazu berechtigt, aerodynamisch gesteuerte Ultraleichtflugzeuge zu fliegen. Darüber hinaus verfügt er über eine Passagierberechtigung. Mit einer Gesamtflugerfahrung von 2424 Stunden – davon 933 Stunden auf der Renegade Spirit – gilt er als durchaus erfahrener Pilot. In den vorhergehenden 90 Tagen ist er jedoch lediglich eine Stunde und 55 Minuten mit dem Ultraleicht-Doppeldecker unterwegs gewesen und hat dabei drei Starts und Landungen absolviert.

Mit einer Sicht von mehr als zehn Kilometern, einer Temperatur von 25 Grad Celsius und Windstille haben die Wetterbedingungen keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen. Bei der Renegade Spirit handelt es sich um einen Eigenbau, der gemäß Flughandbuch über keine Überziehwarnanlage verfügt. Die Hebelarme für den Piloten, Kraftstoff und das Gepäck zur Schwerpunktberechnung sind im Flughandbuch nicht angegeben, allerdings kommen die Experten zu dem Schluss, dass das Luftfahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls nicht überladen war und der Schwerpunkt innerhalb der zulässigen Grenzen lag.

Unterschreiten der Mindestfahrt

Hinweise auf ein Motorversagen oder eine Triebwerksstörung findet die BFU nicht. Zwar kann das Funktionieren der Zündanlage aufgrund der durch das Feuer verursachten Schäden nicht mehr nachvollzogen werden, jedoch zeigen alle acht Zündkerzen ein sauberes Verbrennungsbild und weisen keine Auffälligkeiten auf. Die Druckverlustprüfung ergibt für alle Zylinder Werte im zulässigen Bereich, und auch bei der Überprüfung der mechanischen Motorbauteile werden keine Beschädigungen festgestellt, die zu einer Motorstörung hätten führen können. Es befindet sich in beiden Tanks genügend Restkraftstoff.Auf der linken Seite des Rum­pfes hatte der Pilot auf Höhe des hinteren Cockpits einen selbst konstruierten Behälter angebracht, der dazu diente, die Bonbons abzuwerfen. Der Behälter erhöhte den Widerstand zwar nur geringfügig, verursachte jedoch einen großen abgelösten Nachlauf, der gemäß BFU „insbesondere die Wirksamkeit des Seitenleitwerks beim Trudeln beeinträchtigen kann“. Inwieweit er die Strömungsverhältnisse beim Trudeln beeinflusst hat, ist nicht bekannt, da kein Wind­kanalversuch durchgeführt wurde. 

Es liegen keine Radar- oder GPS-Aufzeichnungen vor, daher rekonstruiert die BFU den Unfallhergang anhand von Videoaufzeichnungen und Beobachtungen von Besuchern. Der Doppeldecker sei langsam geflogen, geben die Zeugen bei der Befragung zu Protokoll, und habe die Höhe gehalten. Bestätigt werden diese Aussagen durch Videoaufnahmen, welche die Renegade Spirit kurz vor dem Abkippen mit gezogenem Höhenruder zeigen. Diese Indizien weisen auf ein aktives Handeln des Piloten hin.

Das Flughandbuch beschreibt diese Fluglage wie folgt: „Die Renegade trudelt mit ca. 40° Kopflage unter Horizont, wobei ein Beenden des Trudelns nach einer Viertelumdrehung erfolgt, sobald Höhen- und Querruder wieder in Neutralstellung sind und ein gegensätzlicher Seiten-ruderausschlag erfolgt.“ Als das Flugzeug abkippt und ins Trudeln kommt, ist auf den Videoaufnahmen zu sehen, dass das Höhenruder gezogen, das Querruder nach rechts und das Seitenruder leicht nach links ausgeschlagen ist, Steuereingaben, mit denen es nicht möglich ist, das Linkstrudeln zu beenden.

Bei den Untersuchungen an der Unfallstelle stellen die Experten fest, dass sich Höhen- und Seitenruder mit leichtem Widerstand bewegen lassen und auch die Höhenrudertrimmung in voll funktionsfähigem Zustand ist. Während des Unfalls befand sie sich zwischen neutraler und hecklastiger Stellung. Die Funktion der Querruder lässt sich nicht nachvollziehen, da das Feuer die Tragflächen komplett zerstörte.

Der Sicherungsstift des im Flugzeug verbauten Rettungssystems wurde entfernt, der Auslösegriff jedoch nicht gezogen. „Der Unfall ist auf einen Strömungsabriss während eines Langsamfluges durch ein Unterschreiten der Mindestfahrt für den jeweili­gen Flugzustand zurückzuführen“, lautet die nüchterne Schlussfolgerung der BFU. „Die vom Piloten gemachten Steuerausschläge waren nicht geeignet, das Trudeln auszuleiten.“

Beim Flugplatzfest im darauf folgenden Jahr, erklärt Bildautor Andreas Greß, sei die Stimmung zwar gedrückt gewesen, allerdings seien die Piloten und Besucher offen mit dem Unfall umgegangen, und auch der Moderator habe das Unglück angesprochen. Damit gehen die Flugplatzbetreiber von Dierdorf-Wienau mit gutem Beispiel voran, denn nur der offene Umgang mit Fehlern kann anderen Piloten helfen, Unfälle wie diesen künftig zu vermeiden.

aerokurier Ausgabe 10/2017