Start zum letzten Flug: Abschied von Reiner Stemme

Flugzeugkonstrukteur
Abschied von Reiner Stemme

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ArtikeldatumVeröffentlicht am 02.11.2025
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Abschied von Reiner Stemme
Foto: Gerhard Marzinzik

Mit Motorkraft ins schöne Wetter fliegen, dort den Propeller verschwinden lassen und Segelflug in Reinform genießen und am Ende wieder dahin zurück "ratteln", wo man gestartet ist – diesen Traum haben sich nicht wenige Piloten mit dem Kauf eines Motorseglers von Stemme erfüllt. Reiner Stemme, der dieses Flugzeug entwickelte und damit die Symbiose von Motor- und Segelflug zur Perfektion brachte, ist nun zu seinem letzten Flug gestartet. Dr. Reiner Stemme starb am 31. Oktober im Alter von 85 Jahren.

Physiker und Dr. ing.

Geboren wurde Reiner Stemme 1939 in Unterbreizbach im thüringischen Wartburgkreis. Von 1963 bis 1970 studierte er Physik an der Technischen Universität Berlin und baute anschließend in der Schweiz eine Firma für Lasertechnik auf. 1975 promovierte Stemme an der Universität Bern über "Untersuchungen zur definierten Materialabtragung durch Laserstrahlung" zum Dr. ing. Von 1976 bis 1985 war er als Geschäftsführer beim VDI-Technologiezentrum in Düsseldorf und Berlin zuständig für die Einführung und Finanzierung neuer physikalischer Technologien in die deutsche Industrie.

Als passionierter Pilot begann er ab 1985, seine Idee eines Hochleistungs-Motorseglers umzusetzen. Unter seinem eigenen Namen gründete er in Berlin eine Firma, die sich zunächst um Entwurf, Flugerprobung und Zulassung kümmerte und später auch den Serienbau realisierte. Das, worin sich Stemmes Flugzeug von allen bisher dagewesenen unterschied, war die Auslegung mit Side-by-Side-Cockpit, Mittelmotor und Frontpropeller, der bei abgestelltem Triebwerk zusammengeklappt unter dem Nasendom verschwand. Dank hoher aerodynamischer Güte, 23 Metern Spannweite und Zweibein-Einziehfahrwerk bot die Stemme S10 hervorragende Segelflugleistungen bei gleichzeitiger Eignung als Reiseomotorsegler.

Der Erstflug der S10 erfolgte 1986, die Musterzulassung lag 1990 vor. Zunächst mit einem Limbach-L2400-Motor und Festpropeller ausgestattet, kamen später Versionen mit Verstellpropeller und Rotax-914-Turbomotor dazu.

Im November 2006 startete der Reisemotorsegler Stemme S6 zum Erstflug, von dem aber nur rund 30 Stück gebaut wurden. 2013 verließ Reiner Stemme die Firma, die Weiterentwicklung seines Erfolgsflugzeugs, die S12 mit 25 Metern Spannweite, erfolgte unter neuer Leitung.

David Spurdens

Neue Firma, neue Projekte

Doch der passionierte Tüftler blieb nicht untätig, gründete die Reiner Stemme Utility Air Systems GmbH mit Sitz in Wildau. Bis 2017 wurden zwei Prototypen eines Fernerkundungsflugzeuges mit einer Abflugmasse von knapp 3000 Kilogramm für einen ausländischen Kunden entwickelt. 2017 gründete Reiner Stemme die ReinerStemme.Aero GmbH mit Sitz am Flugplatz Schönhagen. Das letzte Projekt, an dem er aktiv arbeitete, war der Hochleistungsdoppelsitzer elfin 20.e, der das bewährte Konzept mit versenkbarem Popeller und Side-by-Side-Cockpit beibehalten, aber bezüglich des Antriebs mit einem Elektro-Hybrid-Konzep in die Zukunft weisen sollte.

Für seine Leistungen wurde Reiner Stemme 2015 mit der Otto-Lilienthal-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt ausgezeichnet. In der Laudatio hieß es: "Reiner Stemme hat gezeigt, dass es auch in der heutigen Zeit noch möglich ist, mit einem unkonventionellen Konzept, mit Erfindergeist, gekonnter ingenieurmäßiger Umsetzung, mit Hartnäckigkeit und Ausdauer und mutigem Unternehmertum neue Anwendungsgebiete zu erschließen und dabei erfolgreich zu sein."