Das Szenario dürfte vielen Segelfliegern bekannt sein: Die Thermik ballert, der Bart ist gut zentriert, und die Höhenmessernadel fährt Karussell. Natürlich weiß man um die 1000 Fuß vertikalen Abstandes, die man zum Cumulus über sich einzuhalten hat, und natürlich nimmt man es damit nicht allzu genau, um keine Ausgangshöhe für die nächste Gleitflugstrecke zu verschenken. Bis an die Basis soll es gehen, und kaum ist man dran und leitet den Kreis zu spät aus, wird es milchig und Sekunden später weiß.
Unbeabsichtigte Einflüge in Wolken dürfte es an so ziemlich jedem Tag mit Cumulusthermik geben. Dank Aufmerksamkeit, FLARM und der Tatsache, dass die Piloten in kürzester Zeit wieder aus dem weißen Dampf heraussteuern, passiert dabei erstaunlich wenig. In den Berichten über Unfälle, an denen Segelflugzeuge beteiligt sind, findet sich kaum einmal der Einflug in eine Wolke als Ursache. VFR in IMC bringt – so scheint es – vor allem Motorflieger regelmäßig in Gefahr.
Bis zum Inkrafttreten der Standardised European Rules of the Air (SERA) war Wolkenflug in Deutschland erlaubt und geregelt. In Paragraf 14 der Luftverkehrsordnung hieß es: „Wolkenflüge mit Segelflugzeugen können von dem Flugsicherungsunternehmen erlaubt werden, wenn die Sicherheit der Luftfahrt durch geeignete Maßnahmen aufrechterhalten werden kann.“ In der Bundesrats-Drucksache 337/2015, die die EU-Verordnung zur SERA in deutsches Recht überträgt, heißt es hingegen: „SERA.5001 sieht vor, dass bei Sichtflugregeln stets ein Abstand von Wolken einzuhalten ist. Abweichungen von diesen Mindestwetterbedingungen sind […] nicht möglich, so dass § 14 […] aufgehoben werden muss.“
Aus Sicht des DAeC-Bundesausschusses Unterer Luftraum (BAUL) ist das eine nicht hinnehmbare Beschneidung der Luftraumnutzung für Segelflieger. „Beim Streckensegelflug kommt es darauf an, sich deutlich intensiver mit den Wettererscheinungen auseinanderzusetzen“, erklärt Volker Engelmann, Vorsitzender des BAUL. „Manchmal ist es nicht nur sinnvoll, sondern bisweilen sogar unumgänglich, durch eine Wolke fliegen zu können, um einem weit entfernten Ziel näher zu kommen.“ Dazu bedürfe es einer luftrechtlichen Genehmigung, einer besonderen Ausbildung und Ausrüstung. „Der Wolkensegelflug ist nicht neu, sondern wird in Deutschland und einigen umliegenden Staaten seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert“, so Engelmann. Die Flugsicherheit bei Wolkenflügen werde durch Eigenverantwortung, gute Ausbildung, ständiges Training und Selbstdisziplin sichergestellt.
Zumindest am ständigen Training darf gezweifelt werden. Darauf angesprochen, wie bisher Wolkenflüge in Deutschland praktisch geregelt wurden, konnte die Deutsche Flugsicherung kaum einen Fall von Wolkenflug in den letzten Jahren benennen. „Bisher galt, dass Piloten einen Wolkenflug am Tag zuvor via AIS angemeldet haben“, erklärt DFS-Sprecherin Kristina Kelek. „Daraufhin wurde eine Special Activity Area (SAA) eingerichtet und ein NOTAM herausgegeben. Die Fluglotsen konnten dann den IFR-Verkehr zu dieser SAA staffeln.“ Allerdings habe Kelek trotz intensiver Recherche keinen Lotsen gefunden, der sich erinnern konnte, in den letzten 15 Jahren einen Wolkenflug für ein Segelflugzeug freigegeben zu haben. „Im Raum Greifswald gab es 2009 mal eine Anfrage, stattgefunden hat der Flug dann aber nicht.“
Aufwand versus Nutzen

Rund 90 Piloten in Deutschland verfügen laut BAUL über eine Wolkenflugberechtigung. Angesichts dessen und der gemäß DFS geringen Nachfrage nach Wolkenflügen ist mehr als fraglich, ob der Aufwand, der in der Causa von allen Beteiligten betrieben wir, dazu in einem angemessenen Verhältnis steht.
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) informierte, dass es für die Flugsicherung grundsätzlich möglich sei, Wolkensegelflug in einer Special Activity Area (SAA) zu erlauben. Das sei in der NfL I-22/02 festgelegt. Auf dieser Grundlage werde nun eine weitere NfL erstellt, die die notwendigen Verfahren sowie die Rahmenbedingungen regeln soll. Bezüglich der sicheren Einbindung von Wolkenflügen in den übrigen Luftverkehr verwies das Ministerium nur pauschal und wenig zielführend auf die „Festlegung und Einhaltung von Betriebs- und Freigabeverfahren, auf Ausrüstungsanforderungen und die Luftraumeinbindung“. Auch die DFS wollte oder konnte auf Nachfrage weder genau mitteilen, wie man Wolkenflug im Luftraum E sicher gestalten kann und wie die neue NfL aussehen soll, noch eine Bewertung des DAeC-Vorstoßes aus flugbetrieblicher Sicht abgeben.
Zumindest die vom BMVI angesprochenen Ausrüstungsanforderungen lassen sich aus EASA-Dokumenten ableiten. In Part NCO unter IDE.S.120 (Instruments, Data and Equipment für Segelflugzeuge) sind für Wolkenflüge lediglich Kompass, Uhr mit Stunden-, Minuten- und Sekundenanzeige, Höhen- und Fahrtmesser, ein Variometer sowie ein künstlicher Horizont oder Wendezeiger vorgeschrieben – also deutlich weniger als für Instrumentenflug mit Motormaschinen. Laut SERA ist der Wolkenflug allerdings aufgrund der Tatsache, dass die Mindestwerte für Sicht und Wolkenabstände unterschritten werden, kein Sichtflug, sondern eindeutig Instrumentenflug.
„Die Minimalinstrumentierung hat sich bewährt“, erklärt Volker Engelmann und fügt hinzu, dass es im Segelflug nicht darauf ankäme, lange Strecken im Wolkenflug zu verbringen, sondern vielmehr meteorologische Barrieren zu überbrücken, um den Streckenflug fortzusetzen, beispielsweise durch eine Wolkendecke in eine Welle einzusteigen. Dabei verstehe es sich von selbst, dass ein Einflug beispielsweise in Gebiete mit „known icing conditions“ obsolet ist. In der Wolkenflugausbildung werde das vermittelt. „Es gilt – wie im Luftsport allgemein – ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Sicherheitsverständnis und Selbstdisziplin. Es soll und kann nur der Pilot selbst verantwortlich entscheiden, ob und wie Wolkenflug durchgeführt werden kann.“
Weiterhin weist er darauf hin, dass ein Transponder obligatorisch sei, um für den Fluglotsen sichtbar zu werden. Gefordert wird der Transponder in der IDE.S.120 allerdings nicht. Engelmann schließt damit, dass die Lizenzvorschriften in der FCL.830 die Wolkenflugberechtigung vorsehen und auch Flugschulen in Deutschland gerne wieder entsprechend ausbilden würden. Es fehlten derzeit aber die Rechtsgrundlagen.
Flugschulen sind zurückhaltend
Tatsächlich scheint das Interesse bei den Flugschulen weit geringer, als vom BAUL unterstellt. „Ich bin ein strenger Gegner des Wolkenfluges“, sagt Michael Zistler, Leiter der Fränkischen Fliegerschule Feuerstein. Ich predige meinen Flugschülern seit Jahrzehnten, dass man sich in große Gefahr begibt, wenn man VFR in IMC einfliegt. Und Wolken sind nun mal IMC!“ Das Lageempfinden des Menschen sei maßgeblich ans Sehen gekoppelt, und mit neuen Regelungen Piloten dazu anzuhalten, sich selbst dieser Grundlage zu berauben, könne kaum als Beitrag zur Steigerung der Sicherheit im Segelflug angesehen werden. „Ich würde so was auch nicht an unserer Schule ausbilden.“
Ähnlich argumentiert Jörg Praefke, Ausbildungsleiter an der DASSU in Unterwössen: „Man muss das nicht nur einmal gezeigt bekommen haben, sondern regelmäßig üben, sonst ist der Wolkenflug eine höchst gefährliche Sache.“ Und auch die Fliegerschule Wasserkuppe winkt ab. „Es gibt weit Wichtigeres als den Wolkenflug, dessen Gefahrenpotenzial man nicht unterschätzen darf“, so Schulleiter Harald Jörges. „Daran hängt der Fortbestand der Segelflugschulen sicher nicht.“
Stephan Olessak von der Segelflugschule Oerlinghausen ist etwas zurückhaltender. „Ich sehe den Wolkenflug nicht als flugpraktisches Problem. Ein Segelflugzeug ist eigenstabil, und was die Instrumentierung angeht, kommt man mit erstaunlich wenig Equipment aus, wie die Erfahrung zeigt.“ Für problematisch hält Olessak indes den Faktor Flugsicherheit. „Es bleibt eben dabei, dass man quasi blind fliegt. Ein Transponder und ein FLARM sind das Minimum, das man braucht, aber es wird für die Flugsicherung dennoch extrem schwierig, Wolkenflüge sicher abzuwickeln.“ Die fliegerische Notwendigkeit sieht Olessak nicht. „Klar steigt es in einer Wolke noch ein bisschen weiter, aber das als Argument anzuführen, dass wir Wolkenflug brauchen, so weit würde ich nicht gehen. Es ist aber ein eindrückliches fliegerisches Erlebnis, ähnlich wie der VFR-Nachtflug.“
Selbst Walter Eisele, Vorsitzender der Bundeskommission Segelflug, sieht Wolkenflug kritisch. „Auch wenn ich selbst vor mehr als 40 Jahren die Berechtigung gemacht habe, halte ich den Mischmasch aus Wolken- und VFR-Flug für absolut gefährlich.“ Die Krux sei, dass man es in Segelfliegerkreisen weitgehend toleriere, dass im Streckenflug auch im Luftraum E bis an die Basis gestiegen werde. „Wenn dann darüber Wolkenflug stattfindet, ergibt das eine erhebliche Kollisionsgefahr.“
Klar ist inzwischen, dass vorerst die SAA-Lösung kommen wird. „Diese sollen in der Nähe von Flugschulen und möglicherweise in Wellenfluggebieten eingerichtet werden, um durch Wolkendecken fliegen zu können“, sagt Volker Engelmann, verweist aber darauf, dass man sich damit nicht zufrieden geben werde.
Am Ende bleibt die Frage, ob Wolkenflug wirklich notwendig ist. Aus der Historie argumentiert, als Gleitzahlen von etwa 30 High End waren und es viel weniger Flugverkehr gab, mag das so sein. Heute jedoch bieten moderne Flugzeuge Gleitzahlen von 40 bis über 60, also genug Leistung, um meteorologischen Barrieren wie Wolken auszuweichen, zumal die Wettbewerbsregeln Wolkenflug ohnehin verbieten.
aerokurier Ausgabe 01/2018