Flugplatz Holzdorf, 4. August 2017: Es ist der vierte Tag des Internationalen Militär-Segelflugwettbewerbs, der traditionell an dem knapp 40 Kilometer östlich von der Lutherstadt Wittenberg gelegenen Fliegerhorst ausgetragen wird. Die Standard-/15-Meter-Klasse hat die Aufgabe, von Holzdorf aus über die Wegpunkte Herzberg Silo, Staupitz, Roßlau und Lübbenau wieder nach Holzdorf zu fliegen. Die AAT umfasst mindestens 191,5 und maximal 409,5 Kilometer, über die Wendepunkte sind es knapp über 300 Kilometer. 17 Flugzeuge treten in dieser Klasse an, zudem gehen in zwei weiteren Klassen 40 Segelflugzeuge auf anderen Strecken in die Luft. Die ersten Schleppzüge starten gegen 12 Uhr, zwischen 13 und 13:46 Uhr beginnen die Piloten mit ihren Aufgaben und kehren zwischen 16:39 und 17:23 Uhr nach Holzdorf zurück – zwei davon unter Zuhilfenahme ihres Motors. Zudem gehen zwei Außenlandemeldungen bei der Wettbewerbsleitung ein. Ein Flugzeug aber bleibt verschwunden: Eine ASW 24 E, die von einem erfahrenen 46-Jährigen geflogen wird, ist nicht in Holzdorf gelandet; eine Außenlandemeldung ist nicht eingegangen, und auch über Funk ist der Pilot nicht zu erreichen.
Die Suche beginnt

"Es war zwischen 17.30 und 18 Uhr, als mir unser Sportleiter mitteilte, dass ein Flugzeug noch nicht zurückgekehrt sei", erinnert sich Sven Baldauf, selbst erfahrener Segelflieger und im Beruf Oberstleutnant und Testpilot bei der Wehrtechnischen Dienststelle 61 der Bundeswehr. "Aber man weiß ja, wie es mitunter läuft: Man verbastelt sich einfach irgendwo und es dauert, und da ich den Piloten persönlich gut kannte, habe ich mir erst mal keinen Kopf gemacht." Erst als nach dem Abendessen immer noch jede Spur von der ASW 24 fehlt, wird Baldauf klar, dass etwas passiert sein muss. "Zuerst habe ich bei den Kameraden der SAR-Staffel in Holzdorf angerufen und sie gefragt, ob sie einen der üblichen Trainingsflüge entlang des letzten Schenkels der Aufgabe machen und nach dem Flugzeug suchen können, was sie auch direkt zugesagt haben. Das war der viel gerühmte ,kurze Dienstweg‘ par excellence. Direkt danach nahm ich Kontakt zur SAR-Leitstelle in Münster auf und habe unseren Fall geschildert." Dort ist man offenbar überrascht, direkt von einem Wettbewerbsleiter angerufen zu werden, denn Baldauf muss mit einigem Nachdruck und Verweis auf seinen Dienstgrad die Soldaten dort "in Schwung bringen", damit sie begreifen, dass hier ein Notfall vorliegt. Schließlich kontaktiert Baldauf die Polizei, erklärt, was vorgefallen ist, und erbittet eine Handyortung. "Das wiederum ging reibungslos. Vielleicht eine Viertelstunde später haben wir die Rückmeldung bekommen, dass die Ortung erfolgt ist und die Suche beginnen kann."
Bürokratie und schreckliches Warten
Die Zeit bis zum Auffinden des Flugzeugs beschreibt Baldauf als furchtbar. "Du sitzt rum, hast keine Ahnung, ob der Pilot noch lebt, und kannst nichts tun. Außerdem mussten wir mit den Wettbewerbsteilnehmern kommunizieren, denn die wollten ja auch wissen, was los ist." Klar ist für Baldauf und sein Team, dass erst dann etwas offiziell vermeldet wird, wenn die Frau des Piloten über den Unfall Bescheid weiß. Aber auch das ist schwierig, weil sich die örtliche Polizei nicht zuständig fühlt. "Als Fazit aus dem Erlebnis bleibt, dass in der ganzen Alarmierung damals unsinnig viel Zeit für die Klärung von Zuständigkeiten draufging." Warum erst gegen 23 Uhr ein Such-Hubschrauber der Bundespolizei startet, lässt der BFU-Bericht im Dunkeln. Mittels Wärmebildkamera findet dessen Crew die ASW 24 gegen 1:03 Uhr nachts nahe des Ortes Rädigke im Fläming, rund 20 Kilometer nördlich der Direktstrecke zwischen den Wendepunkten Roßlau und Lübbenau. Der Pilot ist tot.
Missglückte Außenlandung?

Der Logger der ASW wurde beim Aufprall schwer beschädigt, der Flugweg ließ sich deshalb nicht rekonstruieren. Angesichts der Tatsache, dass Störklappen und Fahrwerk ausgefahren und der Brandhahn geschlossen vorgefunden wurden, schlussfolgern die Experten der BFU jedoch, dass die ASW 24 im Anflug auf ein Außenlandefeld verunglückt sein muss. Die Spuren an der Unfallstelle belegen laut Bericht, dass das Flugzeug in sehr geringer Höhe zuerst mit der linken Tragflächenspitze Bodenberührung hatte, denn nur so konnte die notwendige Beschleunigung aufgebracht werden, dass an der rechten Tragflächenwurzel ohne weitere Schäden das Auge vom hinteren Querkraftrohr rutschen konnte. Da solch ein Szenario aus einem stabilisierten Endanflug laut BFU eher unwahrscheinlich ist, schließen die Experten auf eine erhebliche Richtungskorrektur in Bodennähe als Ursache für den Unfall. Eine zu spät eingeleitete Außenlandung könnte der Anfang der Fehlerkette gewesen sein.
Hohes "Verschwinde-Risiko"
Vermisste Segelflugzeuge gibt es immer wieder. Warum aber fällt die Suche nach überfälligen Wettbewerbsteilnehmern oder Vereinspiloten im Segelflug so viel schwerer als bei motorisierten Luftfahrzeugen? Die Gründe liegen in den Eigenarten des lautlosen Luftsports: Während Motorflieger zumeist mit klar kommuniziertem Ziel und definierter Route unterwegs sind, wählen Segelflieger ihren Weg operativ anhand des Wetters. Selbst wenn Strecken vorgegeben sind – wie im Wettbewerb in Holzdorf –, weichen die geflogenen Routen nicht selten erheblich von der "Ideallinie" ab. Zweitens geben Motoflieger bei Überlandflügen häufig Flugpläne auf. Ist ein VFR-Flug 30 Minuten nach der angegebenen Landezeit noch nicht eingetroffen, wird die "Ungewissheitsstufe" ausgerufen und die Flugsicherung stellt Nachforschungen zum Verbleib der Maschine an. Gleiches gilt, wenn ein Flugzeug, das mit FIS in Kontakt ist, plötzlich vom Radar verschwindet und nicht mehr antwortet. "Wir versuchen dann, die umliegenden Flugplätze zu kontaktieren und herauszufinden, ob das Flugzeug irgendwo gelandet ist", erklärt Nanda Geelvink, Pressesprecherin der DFS. "Lässt sich der Verbleib auch unter Zuhilfenahme von Quellen wie Flightradar24 oder ähnlichen Plattformen nicht klären, wird ein SAR-Einsatz eingeleitet."
Automatischer Notsender

Schließlich ist das ELT als Notfunksender in Motorflugzeugen verbindlich vorgeschrieben. Sofern es technisch in Ordnung ist und den Unfall übersteht, sendet es ab dem Aufprall ein Notsignal. Während bei älteren ELTs, die allein mit der Notfrequenz 121.5 Megahertz arbeiten, das Signal von einem anderen Flugzeug oder einer Bodenfunkstelle empfangen werden muss, senden moderne ELTs auf 406 Megahertz dank integriertem GPS die Position und Flugzeugkennung direkt über das COSPAS-SARSAT-Satellitensystem an die Search-and-Rescue-Zentren, die dann dem Alarm nachgehen.
(Zu) Viel Zeit bis zum Auffinden
Das Beispiel von Holzdorf zeigt, dass vom Unfall bis zum Auffinden von Pilot und Flugzeug sehr viel Zeit vergehen kann. Selbst wenn der Pilot erst gegen 18 Uhr verunglückte – laut BFU-Bericht angesichts des vorhergesagten Thermikendes die spätestmögliche realistische Zeit für eine Außenlandung –, dauerte es von diesem Zeitpunkt an immer noch mehr als sieben Stunden, bis ein Polizeihubschrauber die ASW 24 fand. Mit dem Auffinden ist aber noch keine Versorgung von möglichen Verletzten verbunden, denn das Heranführen von Rettungskräften am Boden benötigt weitere Zeit, wobei in den Rettungsdienstgesetzen der Länder für Einsatzstellen an öffentlichen Straßen Hilfsfristen zwischen acht und 17 Minuten gefordert werden. Geht es ins Gelände, kann es auch länger dauern.
Schwierige Abwägung
Aufgrund der Tatsache, dass am Flugplatz oder bei der Wettbewerbsleitung oft erst mit deutlichem Verzug Verdacht geschöpft wird, ist eine verzugslose Auslösung der Rettungskette realistisch betrachtet nur möglich durch eine Meldung von Piloten oder anderen Zeugen, die einen Unfall beobachten, oder ein ELT. Ein wesentlich günstigeres Personal Locator Beacon (PLB) oder ein SPOT-Tracker kompensieren die ELT-Funktion nur zum Teil, denn sie müssen manuell ausgelöst werden. Ist der Pilot dazu verletzungsbedingt nicht mehr in der Lage, sind sie nutzlos, es sei denn, jemand am Boden verfolgt regelmäßig das Tracking eines SPOT. Wann aber ist für die Bodencrew der richtige Moment, um Alarm zu schlagen?
Schnell alarmieren!
Sven Baldauf hat sich im Anschluss nicht wenige Gedanken über diese Frage gemacht und ist zu dem Schluss gekommen, dass bei einem begründeten Verdacht keine Zeit zu verlieren ist, wenn die eigenen Nachforschungen zum Verbleib eines Flugzeuges nichts bringen. "Rettungsleitstelle anrufen, den Fall melden und nachdrücklich darauf hinweisen, dass es ein Notfall ist und gegebenenfalls um Leben und Tod geht", so Baldauf. Das bestätigen auch die Verantwortlichen im Rescue Coordination Center (RCC) der Bundeswehr in Münster: "Nicht zweifeln oder unnötig abwarten, sondern lieber früher melden, ist die Devise", erklärt Isabella Gattermann, Presseoffizierin beim RCC, das hierzulande für den Such- und Rettungsdienst über dem Festland zuständig ist. "Um Leben zu retten, zählt jede Sekunde. Sollte sich der Alarm als falsch herausstellen, muss aber auch das unverzüglich kommuniziert werden, um die Einsatzkräfte zurückzurufen."
Internationale Regularien
Für Wettbewerbe werden die Handlungsabläufe bei Notfällen zumeist in den Local Procedures festgelegt. Bei internationalen Vergleichen gelten die Regularien der Internationalen Segelflugkommission (IGC) als Grundlage, die beispielsweise besagen, dass bei Unfällen alle Teilnehmer, die davon Kenntnis erlangen, verpflichtet sind, die Wettbewerbsleitung zu informieren und im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegebenenfalls selbst Hilfe zu leisten. "Ebenfalls festgelegt ist, dass in einem solchen Fall mindestens die vom Unfall betroffene Klasse sowie jene Klassen, deren Piloten in die Hilfeleistung involviert sind, neutralisiert werden, damit kein Pilot durch sein Engagement Nachteile erleidet", erklärt Christof Geissler, Sportreferent und IGC- Beauftragter der BuKo Segelflug.
Moderne Mittel für die Sicherheit
Aber auch vor dem Wettbewerb gebe es für Veranstalter und die Piloten einige To-dos im Sinne der Sicherheit, resümiert Sven Baldauf. Neben der oben angesprochenen technischen Ausstattung sei es essenziell, von allen Teilnehmern die FLARM-IDs zu erfragen und im Briefing nachdrücklich zu empfehlen, das Kollisionswarnsystem nicht im Stealth-oder No-Track-Mode zu betreiben, die das Tracking verhindern. Nur so könne über das Open Glider Network (OGN) und die verschiedenen Plattformen, die die Daten ausspielen, verfolgt werden, wo sich einzelne Flugzeuge und das Feld gerade bewegten. Das lasse auch Rückschlüsse auf möglicherweise verunfallte Teilnehmer zu. Ein Verzeichnis mit den regionalen Ansprechpartnern bei Feuerwehr und Rettungsdienst sei ebenso hilfreich. Das RCC empfiehlt Piloten, in ihren Vereinen oder bei der Wettbewerbsleitung eine Einverständniserklärung zur Handyortung samt der benötigten IMSI/IMEI-Nummern zu hinterlegen. Damit sei sichergestellt, dass im Fall der Fälle sofort eine Ortung eingeleitet werden könne, ohne umständlich über den Provider die Nummern anhand der Rufnummer abzufragen. Um die IMSI zu ermitteln, benötigt man spezielle Apps, die IMEI lässt sich durch Eingabe der Zeichenfolge *#06# aufs Display holen.
FLARM als letzte Hilfe

Tatsächlich können auch das zum Quasi-Standard avancierte und für die meisten Wettbewerbe vorgeschriebene Kollisionswarnsystem FLARM sowie kompatible Geräte anderer Hersteller im Fall von vermissten Segelflugzeugen bei der Suche helfen. Dafür gibt es zwei Wege: zum einen über das oben angesprochene OGN, zum anderen über die .igc-Dateien. Auf erstgenanntem Weg können die Wettbewerbsleitung oder Bodenmannschaften checken, ob alle Flugzeuge noch fliegen, oder, falls nicht, eine Außenlandung gemeldet haben. Ist dies nicht der Fall und eine SAR-Aktion läuft an, kann über FLARM-Daten, die das Gerät in die .igc-Dateien schreibt, der Flugweg des Vermissten rekonstruiert werden.
"Für eine Recherche brauchen wir zum einen entweder die FLARM-ID oder die ICAO-ID des Flugzeugs, sofern sie im FLARM hinterlegt ist, und möglichst viele .igc-Files von Flügen aus der Umgebung", erklärt Urban Mäder, CEO von FLARM. Eine Nachverfolgung sei möglich, indem man in den Daten der anderen Piloten nach Begegnungen mit dem vermissten Flugzeug suche. "Jedes FLARM zeichnet in regelmäßigen Abständen neu erkannte Kontakte auf, um daraus die eigene Reichweite ermitteln zu können – eine Funktion, die eigentlich für die Optimierung der Antennenpositionen gedacht ist. Anhand dieser Begegnungspunkte lässt sich der Flugweg des gesuchten Seglers nachvollziehen und das Gebiet eingrenzen, wo sein Flug endete."
Genauigkeit – aber erst nach einiger Zeit
Gerade bei zentralen Wettbewerben oder an starken Tagen mit vielen Flügen im betreffenden Gebiet lasse die Datenmenge eine recht genaue Lokalisierung zu. Einen Haken hat die Sache allerdings, gibt Mäder zu: "Die Dateien müssen erst mal zur Verfügung stehen. Das heißt, dass diejenigen, die den Vorfall bei uns melden, die Community aktivieren und möglichst viele Piloten bitten müssen, uns ihre Flüge zu schicken." Zwar sei die Hilfsbereitschaft im Fall der Fälle oft groß, aber prinzipbedingt stehen die Daten erst dann zur Verfügung, wenn die Piloten gelandet sind, ihre Logger ausgelesen und vom Notfall erfahren haben. "Sobald wir die ersten Flüge haben, fangen wir mit der Auswertung an. Je mehr Files dazukommen, desto genauer wird dann das Bild." Auch Mäder appelliert, dass eine schnellstmögliche Aktivierung der FLARM-Suche die Chancen erhöht, einen verunfallten Kameraden zu retten. Allerdings weist er auch darauf hin, dass das nur dann möglich sei, wenn der Stealth- oder No-Track-Modus deaktiviert sei. Außerdem sei dieser Service freiwillig, und es könne durchaus auch passieren, dass sein Team mal nicht erreichbar sei. In einem PDF, das unter https://flarm.com/sar verfügbar ist, beschreibt das Unternehmen die Möglichkeiten der SAR-Unterstützung detailliert, überdies finden sich hier Kontaktdaten für Notfälle.
Live-Tracking als Problem
Dass die Sichtbarkeit von Flugzeugen im Wettbewerb ein Nachteil sein kann, das ist spätestens seit der Frauen-WM im australischen Lake Keepit klar, als dort aktuelle Positionsdaten für taktische Tipps an einige Pilotinnen genutzt wurden. Angesichts solch unfairer Aktionen wundert es kaum, dass mancher Teilnehmer sein FLARM lieber im Stealth-Modus betreibt, um das Tracking zu umgehen. Allerdings hat die Internationale Segelflug-Kommission IGC inzwischen eigene Tracker entwickelt, die jeder Pilot bei internationalen Meisterschaften an Bord haben muss und deren Daten nur zeitverzögert für alle zur Verfügung stehen. "Der Wettbewerbsdirektor und die Stewards haben allerdings Zugang zum Echtzeit-Tracking, um die Daten im Fall eines vermissten Flugzeugs den SAR-Institutionen zur Verfügung stellen zu können", erklärt Christof Geissler von der BuKo Segelflug.
Organisatorische Schwierigkeiten
Ob Notsender, Tracker, FLARM oder Ortung des Mobiltelefons – es gibt durchaus Möglichkeiten, vermisste Segelflugzeuge zu finden. Problematisch bleibt der Zeitverzug, wenn der Unfall nicht unmittelbar von Zeugen gemeldet wird oder ein ELT auslöst. Schließlich bremsen auch organisatorische Probleme die SAR-Dienste aus, wie aus dem RCC zu erfahren ist. Demnach ist es in Deutschland noch immer nicht möglich, ein PLB zu registrieren, was angesichts des günstigeren Preises im Vergleich zum ELT möglicherweise mehr Segelflieger zur Mitnahme eines persönlichen Notsenders bewegen könnte.