Segelflug: 3000 Kilometer bis in die Nacht

Segelflug
3000 Kilometer bis in die Nacht

Zuletzt aktualisiert am 21.06.2023
3000 Kilometer bis in die Nacht
Foto: Gordon Boettger

3009 Kilometer – das ist in der Vorstellung vieler Segelflieger die unumstößliche Rekordmarke. Klaus Ohlmann flog diese Strecke 2003 über drei Wendepunkte mit einem Nimbus 4DM in den Anden in Südamerika. Über lange Zeit galt dieser Flug als die Mondlandung des Segelfliegens, und es gab auch nur wenig ernsthafte Versuche, Ohlmann vom Thron der Streckenflieger zu stoßen.

Dann kam Gordon Boettger. Der US-Amerikaner mit deutschen Wurzeln, der in seiner Jugend mit dem Segelfliegen begann, später zur Navy ging und als Pilot auf Flugzeugträgern diente und jetzt als Triple-Seven-Jockey im Frachtverkehr seinen Arbeitsalltag verbringt, kaufte vor einiger Zeit einen der Arcus J von Dennis Tito. Besonderheit dieses Flugzeuges: Es ist für den VFR-Nachtflug mit Bildverstärkerbrillen, umgangssprachlich als Nachtsichtgeräte bekannt, zugelassen.

Gut 17 Stunden in der Luft

Bereits im April überraschte er die Szene mit einigen Nachtflügen über große Distanzen, jetzt folgte der Coup: 3058 Kilometer in einem Flug über 17 Stunden und 16 Minuten – Schnittgeschwindigkeit 177 km/h. Um 9:31 Uhr UTC – das entspricht 2:31 Uhr Ortszeit – war er mit seinem Co-Piloten Bruce Campbell vom Minden-Tahoe Airport gestartet und und um 20:11 Uhr Lokalzeit am Cedarville Airport gelandet. (Link zu WeGlide)

Über seine Ambitionen hat Gordon Boettger dem aerokurier in einem Interview Auskunft gegeben, das in der aktuellen Ausgabe veröffentlicht ist. "Die Motivation ist, die Grenzen zu beseitigen, die uns Segelflieger bisher einschränken, und das ist vor allem die Länge des nutzbaren Tages", sagt er.

Lars Reinhold

Inwiefern die von Gordon Boettger geflogene Distanz als FAI-Rekord anerkannt werden kann, hängt von der Auslegung der Regularien ab. Die erste Recherche in den entsprechenden Dokumenten ergab keinen Hinweis darauf, dass die Flüge innerhalb eines bestimmten Zeitfensters stattfinden müssen. Vielmehr legt Punkt 4.4.2 a des Sporting Codes nahe, dass auch Flüge bei Nacht nicht ausgeschlossen sind, wenn der Pilot für den Flug die enstprechenden Berechtigungen hat und auch das Flugzeug innerhalb seiner Zulassung und seiner Betriebsgrenzen betrieben wird. Konkret heißt es:

PILOT CERTIFICATE OF REGULATORY COMPLIANCE The pilot certifies that the flight was conducted in accordance with the Sporting Code, and in compliance with all national and glider manufacturer’s operating limitations and national flight regulations (airspace, night flight, etc.).

Herausfinden, was möglich ist

Allerdings: Boettger geht es bei seinen Flügen wohl nicht vorrangig um formale Rekorde. "Gordon will einfach herausfinden, was möglich ist", sagt Tilo Holighaus, Geschäftsführer von Schempp-Hirth. Holighaus kennt Boettger gut und beschreibt ihn als "eine der coolsten Socken, die ich im Segelflug kennengelernt habe". Über viele Jahre habe sich Boettger den Wetterraum der Sierra Nevada erflogen und bis heute unfassbares Know-how angehäuft, das er jetzt ausspiele. "Er hat vor etlichen Jahren mit einer Kestrel angefangen, die er mit Batterien vollgepackt hat, um einen Transponder über Stunden betreiben zu können. So konnte er IFR fliegen und den Luftraumdeckel von 18.000 Fuß für VFR-Flüge in den USA umgehen", sagt Holighaus. Boettger verfüge über profunde Kenntnisse der regionalen Wellenaufwinde, die er mit einem Duo Discus weiter verfeinert habe. Der Arcus J biete ihm nun die Möglichkeit, all seine Erfahrungen auszuspielen.

Kaum verwunderlich, dass bei Tilo Holighaus auch ein gewisser Stolz mitschwingt, wenn er über die auf einem Muster aus dem eigenen Haus geflogenen Rekorde spricht. "Im Rahmen der Umbauten auf das große Jettriebwerk hat man herausgefunden, dass der Arcus erhebliche Flatterreserven hat. Daraufhin konnte die bis dato notwendige Geschwindigkeitsreduktion in großen Höhen etwas großzügiger gestaltet werden, sodass der Arcus auch unter diesen Bedingungen sicher betrieben werden kann", sagt Holighaus, ebenfalls begeisterter Strecken- und Wettbewerbsflieger.

Es darf erwartet werden, dass weitere Rekorde folgen. 4000 Kilometer hält er für möglich, sagte er im aerokurier-Interview. Man darf gespannt sein.