Glasflügel Kestrel: Stilikone einer vergangenen Zeit

Glasflügel Kestrel
Stilikone einer vergangenen Zeit

Veröffentlicht am 16.03.2025
Stilikone einer vergangenen Zeit
Foto: Tobias Barth

Glasflügel umwabert bis heute der Ruf, mit den hauseigenen Konstruktionen der Zeit immer ein bisschen voraus gewesen zu sein. Für die 301 Libelle galt das insbesondere, der Wölbklappenflieger verschaffte der Firma internationale Anerkennung auf dem Gebiet der leistungsstarken Segelflugzeuge aus dem damals hochmodernen glasfaserverstärkten Kunststoff. Dank des heute unvorstellbaren Leistungssprungs, der durch diesen Werkstoff möglich geworden war, wollte man mit einer neuen Konstruktion die Vorzüge der Libelle mit einer größeren Spannweite kombinieren, um das Leistungspotenzial noch weiter auszuschöpfen. Im Vergleich zum bisher üblichen Holz als Konstruktionswerkstoff ließ sich nicht nur eine bessere Oberflächenqualität erzielen, sondern auch dünnere Flügel bauen, was den Widerstand deutlich reduzierte.

Tobias Barth

Verantwortlich für den Entwurf mit 17 Metern Spannweite waren Dieter Althaus und Josef Prasser. Der Prototyp dieses anfänglich Super-Libelle genannten Flugzeugs, das heute als Wegbereiter der Offenen Klasse gilt, wurde ab Ende 1967 gebaut und flog bereits zur Weltmeisterschaft in Polen im August 1968, was aus heutiger Sicht sehr schnell erscheint. Bis 1975 verließen 129 Kestrel das Werk.

Aerodynamische Besonderheiten

Besonders auffällig war seinerzeit der Rumpf, der hinter dem Cockpit stark einschnürte. Das sollte die die Aerodynamik verbessern, indem die umspülte Fläche möglichst klein gehalten wurde. Allerdings war diese Neuerung in Zeiten, in denen solche Ansätze am Zeichenbrett entworfen und nicht über eine komplexe numerische Strömungsberechnung ermittelt wurden, etwas zu extrem ausgefallen. Aufgrund der Rückmeldungen amerikanischer Kunden, die das schlechte Steigen bemängelten, wurden Untersuchungen mit Wollfäden unternommen. Diese zeigten eine laminare Ablösung hinter der größten Rumpfdicke und bestätigten den unerwünschten Strömungsverlauf. Entsprechend wurde die Rumpfkontur überarbeitet.

Serienmäßig wurde ab der Werknummer 27 die anfänglich weit nach hinten gezogene Steckhaube durch eine aerodynamisch optimierte GFK-Abdeckung ähnlich der der K 8 ersetzt, an der wiederum eine nach hinten öffnende Klapphaube befestigt wurde. Gerade diesen Punkt der Kestrel finde ich besonders spannend, da eine solche Konstruktion von Haube und Abdeckung bei keinem anderen in größerer Zahl gebauten Segelflugzeug zu finden ist.

Tobias Barth

Parallelogramm-Steuerung und Knüppel unterm Knüppel

Da ich noch zu Akaflieg-Zeiten die Werknummer 9 der Glasflügel 604 fliegen durfte und seit vielen Jahren eine 303 Mosquito besitze, interessierte mich der Vergleich zur Kestrel ganz besonders. Natürlich auch, um die Lücke in meinem Flugbuch zu schließen, war ich bereits seit einiger Zeit um Werknummer 41 aus dem Jahr 1971 herumgeschlichen, die Felix und Uwe Schlenker ab und an in unserer Vereinshalle abstellten. Im Sommer 2023 ließ ich mich endlich zur ersten Sitzprobe im Objekt meiner Begierde nieder. Da ich Fallschirme mit angesetztem Sitzkissen eher als unbequem empfinde, brauche ich anfänglich etwas, um eine angenehme Position für mich zu finden.

Anschließend steht Vertrautmachen mit der Anordnung der vielen kleinen Hebelchen und Knöpfchen auf dem Plan. Als zentrales Element besitzt die Kestrel eine Parallelogrammsteuerung. Der angenehm leicht mit dem kleinen Finger bedienbare Trimmknopf sitzt am Übergang vom Knüppelgriff zum waagerecht angeschweißten Verbindungsrohr, von dem ich mir gewünscht hätte, er wäre mit in die neuen Flugzeuge von Schempp-Hirth gewandett. Direkt vor dem 90-Grad-Knick auf dem waagerechten Rohr sitzt die etwas klein geratene Anzeige der Trimmposition. Zwar muss man beim Startcheck einmal den Kopf verdrehen und seitlich am Knüppelgriff vorbeischielen um die genaue Position der grünen Anzeige zu sehen, doch braucht man dafür die Trimmanzeige während des Fluges keines Blickes zu würdigen, und der Bauraum ist effektiv genutzt. Ebenso ungewöhnlich ist der "Knüppel unter dem Knüppel". Wäre dieser zweite Griff selbst genauso geformt wie der eigentliche Steuerknüppel, könnte man diesen Radbremshebel glatt für einen Ersatzsteuerknüppel halten. Eine Kopplung der Bremsklappe mit der Radbremse wäre hier sicher die bessere Lösung gewesen.

Tobias Barth

Lässt man den Blick zur linken Bordwand schweifen, sieht man Brems- und Wölbklappenhebel. Letzterer ist etwas nach innen gebogen, um mehr Abstand zu ersterem zu schaffen, allerdings entriegeln kräftige Oberschenkel gelegentlich die eingelegte Wölbklappenstellung, was vor allem in geringen Höhen wie beim Landeanflug Aufmerksamkeit verlangt. Apropos Klappen: Die Bremsklappen fahren bei früheren Modellen nach oben und unten aus, später nur noch nach oben, was allerdings auch für einen flacheren Landeanflug sorgt. Für diesen Rückbau waren wohl einige verbogene untere Bremsklappen im Falle einer Landung in hohem Gras der Grund. Wandert der Blick im Uhrzeigersinn weiter, fällt zunächst ein kleiner schwarzer Hebel ins Blickfeld, der den Bremsfallschirm auslöst. Zentral über dem Steuerknüppel im unteren Bereich des Instrumentenbrettes sitzen drei weitere Hebel: ganz links ein weißer für die innere Wölbklappe, der aus der Kulisse herausgezogen und arretiert wird und dafür sorgt, dass nur die inneren Wölbklappen zur Landung ca. 10 Grad nach unten ausschlagen. Dadurch bleibt beim Landeanflug die Wirksamkeit der äußeren Querruder bis in niedrige Speeds erhalten, da diese nicht mit nach unten ausschlagen. Ganz rechts sitzt der blaue, T-förmige Griff für den Abwurf des Bremsschirms. Eine Vorrichtung, um den Bremsschirm gezielt zu verkleinern und damit seine Wirkung steuerbar zu machen, ist in "meiner" Kestrel nicht verbaut. Dazwischen sitzt noch ein blauer runder Knopf, der die aus meiner Sicht wenig effiziente Lüftung steuert. Der gelbe Ausklinkgriff und die Pedalverstellung befinden sich weiter unten und jeweils neben der Radbremse. Problematisch ist, dass der Ausklinkgriff schnell von dem Sitzkissen verdeckt wird, was in einer Stresssituation zu Verwirrungen führen kann. Sehr angenehm lässt sich dagegen das Fahrwerk ein- und ausfahren, obwohl es für größere Piloten mit längeren Armen etwas enger mit dem Ellenbogen werden kann. Die Griffpositionen sind natürlich nicht mit denen von Cockpits moderner Flugzeuge zu vergleichen, dennoch brauchte ich nur ein paar Minuten, um mich heimisch und fit für meinen ersten Flug zu fühlen.

Tobias Barth

Wunderbar dezente Geräuschkulisse

Der erste Windenstart bei leichtem Gegenwind verläuft problemlos, auch wenn ich ein aufbäumendes Moment beim Abheben bemerke. Das lässt sich aber gut aussteuern. In rund 400 Metern Höhe klinkt das Kunststoffseil aus, und nach dem obligatorischen Nachklinken visierte ich sofort die erste schöne Cumuluswolke an. Auf dem Weg dorthin fällt direkt die Masse des Flugzeuges auf, denn ich muss die Nase nur ein kleines bisschen senken, die Wölbklappe eine Raste nachführen, und schon nimmt die Kestrel Fahrt auf. Wie bei Glasflügel üblich ist auch die 401 angenehm leichtgängig mittels kleinem Finger zu trimmen. Auch die Geräuschkulisse ist bis 150 Kilometer pro Stunde so dezent, dass ich fast nicht glauben kann, vor dem Start nicht abgeklebt zu haben.

Ich setze die Geschwindigkeit vor dem Einkreisen in Höhe um. Dabei gefällt mir die Dynamik der Kestrel, denn aufgrund der Masse kann ich satt kinetische in potenzielle Energie umwandeln. Während ich den Bart zentriere, versuche ich die Temperatur im Cockpit zu verringern – die Lüftung ist dabei aber keine große Hilfe. Entweder zieht es an beiden Beinen, oder es kriecht nur ein sanfter Hauch Frischluft aus den Düsen. Angenehmes Klima? Fehlanzeige! Klarer Punktabzug!

Agil in der Thermik

Die Thermik an diesem Tag ist eng, also probiere ich steilere Kreise, um besser im Zentrum des Aufwindes zu bleiben. Das macht mit der Kestrel richtig Freude, auch wenn ich mehr als bei anderen Seglern mit dem Seitenruder arbeiten muss. Das ist sicher Übungssache und wird von Pilot zu Pilot unterschiedlich bewertet.

Umso mehr freue ich mich, wieder Fahrt aufnehmen zu können, um die nächste Cumuluswolke anzuvisieren. Dabei registriere ich das erste Mal den Haubenrahmen zwischen dem festen vorderen und dem hinteren klappbaren Teil der Cockpitverglasung. Er störte mich irgendwie immer und war mir bei meiner Sitzposition unangenehm im Sichtfeld. Als sehr angenehm empfinde ich dagegen das üppige Platzangebot im Cockpit, wobei die linke Hand lässig auf dem Oberschenkel liegt und ermüdungsfrei den Wölbklappengriff umfasst. Piloten einer höheren Gewichtsklasse könnten hier allerdings die Tendenz haben, den Griff mit dem Oberschenkel zu entriegeln, was insbesondere bei der Landung zum Problem werden dürfte. Ebenfalls ein Plus: Die Kestrel zeigt durch Heben oder Senken der Flügel die Thermik gut an und erleichtert die Entscheidung, zu welcher Seite man einkreist.

Felix Schlenker

Nach dem circa einstündigen Flug setze ich zur Landung an. Bei gut 90 Kilometern pro Stunde Anfluggeschwindigkeit wirken die Klappen trotz der extra gesetzten Landestellung der inneren Wölbklappen, wie von Felix gebrieft, nur mäßig. Hier sollte man vor allem bei kurzen Äckern oder kleinen Wiesen etwas üben.

Tobias Barth