Flugzeugreport - Binder Elektro EB 29DE

Gegen den Trend
Flugzeugreport: Binder Elektro EB 29DE

Zuletzt aktualisiert am 09.08.2015

Der Familienbetrieb in Ostheim vor der Rhön ist immer wieder für eine Überraschung gut. Laufend hält er seine Palette an Offene-Klasse-Flugzeugen auf technisch aktuellem Stand. Zum Doppelsitzer EB 28 kam die „edition“ und der Einsitzer EB 29 für den scharfen Wettbewerbseinsatz. Michael Sommer wurde damit Deutscher Meister und Weltmeister, Markus Frank Europameister.

Welches Potenzial in diesem Flugzeug steckt, hat Walter Binder, der mit Oliver Binder den Betrieb führt, nun – ganz im Gegensatz zum Trend zur Miniaturisierung der Offene-Klasse-Flugzeuge – mit einer kleinen Vergrößerung gezeigt: der Modifikation des Einsitzers zum sportlichen 1+1-Sitzer. Und gleich dazu mit einem elektrischen Antriebssystem, das satte Reserven bereithält. Die Initiative für dieses Flugzeug kam von Willi Balz. Der hatte schon geholfen, mit dem Arcus E einen Elektromotorsegler aus der Wiege zu heben. Er wünschte sich ein eigenstartfähiges Elektro-Segelfl ugzeug, das nach dem Start noch über reichlich Akkukapazität verfügt. Es sollten mehrere höhere Steigflüge und damit eine praxisgerechte große Reichweite möglich sein.

Walter Binder konnte in dieser Forderung nichts Unmögliches erkennen. Im Flügel der EB28/EB29 steckten schon alle Voraussetzungen, er verträgt dank 16,5 m2 Flügelfläche in der Version mit 28,3 m Spannweite und sehr großer Streckung (48) durchaus hohe Flächenbelastungen. Selbst in schwacher Thermik steigt eine schwere EB 29 noch gut. Das zeigte sich Ende Mai bei dem Probeflug mit der EB 29DE zwischen Rhön und Thüringer Wald unter aufgeblasenen, wässrigen Cumuli.

Anstelle von Wasserballast und Benzin nehmen die Innen- und Mittelflügel des sechsteiligen Tragwerks der EB 29DE 170 kg Lithium-Ionen- Akkus der neuesten Generation von Panasonic auf. Im Vergleich zur Version mit dem Klapptriebwerkssystem mit Solo-Motor, die Ende Mai als EB 29D zum Erstflug kam, wurde die EB 29DE nicht gleich um diesen Betragschwerer. Das Antriebssystem mit dem flüssigkeitsgekühlten Emrax- Elektromotor von Enstroj fällt deutlich leichter aus als das konventionelle System mit Verbrennermotor. An Mehrgewicht stecken in der EVersion denn auch „nur“ 110 kg.

Ein Gewichtsproblem hat die EB 29DE nicht. Die Zulassung soll für eine maximale Flugmasse von 900 kg erfolgen, dann können in den Doppelsitzer zwei 100 kg schwere Piloten ins Cockpit steigen. Nur für den Wettbewerbseinsatz muss sich die Besatzung bescheiden, dort gilt eine Obergrenze von 850 kg.

Die Sorge, dass das Auf- und Abrüsten des Elektroflugzeugs zur Herausforderung wird, relativiert Walter Binder rasch mit einem Vergleich: „Die Teilflügel mit den Akkus sind nicht schwerer geworden als der Innenflügel der neuen kleinen Offene- Klasse-Flugzeuge.“

Sollten allerdings tatsächlich zwei 100-kg-Piloten ins Cockpit steigen wollen, wird es eng. Walter Binder spricht bei der EB 29DE deshalb auch nicht von einem Zweisitzer, sondern von einem 1,5-Sitzer. Die Einschränkung leuchtet sofort ein, wenn man sich vergegenwärtigt, dass zwei Piloten unter der Haube des Einsitzers Platz nehmen müssen. Den Platz für zwei Piloten hat eine Verlängerung im Mittelbereich des Cockpits um gerade einmal 25 cm und eine Aufdickung um rund zwei Zentimeter ergeben. Im Unterschied zum Einsitzer sitzt der Pilot jetzt steiler, während der Copilot oder Gast etwas in den Rumpf versetzt Platz findet.

Die Piloten, die das Cockpit entern oder besser gesagt, sich die EB 29D „anziehen“, fliegen auf Tuchfühlung. Einen Teil des Cockpits müssen sie gemeinsam nutzen. So streckt der Copilot, um hinten unterzukommen, seine Füße weit nach vorn, seitlich am Vordermann vorbei bis in den Bereich von dessen Oberschenkeln und kann sie dort auf kleinen (demontierbaren) Seitenruderpedalen abstellen. Walter Binder und ich haben bei unserem Flug damit kein Problem.

Sauber, geruchsfrei, zuverlässig

Mit meinen 1,75 m Körpergröße finde ich auf beiden Sitzen bequem Platz, alle Bedienelemente sind ergonomisch gut erreichbar, und selbst hinten habe ich uneingeschränkte Sicht zu den Seiten. Bei der Unterbringung der Rettungsfallschirme musste allerdings getrickst werden, vorn verschwindet das Kohnke-Päckchen in einer Ausbuchtung der Rückenlehne und hinten im Gepäckraum, der noch zwei Sauerstoffflaschen aufnehmen kann.

Die Triebwerksbedienung gibt es in dem 1,5-Sitzer nur vorn. Entwickelt hat die kombinierte Steuer- und Kontrolleinheit EDM Utz Schicke, in dessen Werkstatt auch die Steuerautomaten für die Motorsegler von Glaser-Dirks/DG-Flugzeugbau entstanden. Mit dem EDM ist die Bedienung des Antriebs an Einfachheit nicht zu überbieten. Nach Umlegen eines Schalters fährt der Motor-/Propellerturm mit integriertem Kühler aus, dann kann mit einem Drehschalter der Motor in Betrieb genommen und die Leistung reguliert werden. Maximal stehen mit der aktuellen Softwareversion der Steuerung 52 kW (70 PS) zur Verfügung, ausgelegt ist der Motor für Leistungen bis 60 kW.

Zurück in die Segelflugkonfiguration geht es ebenso unkompliziert. Der Propeller wird von der Steuereinheit in der senkrechten Position abgebremst, gehalten und eingefahren – hier hat sich bei den Erprobungsflügen herausgestellt, dass die Binder- Konstruktion für die  Motorsegler mit Solo-Motor auch für die mit dem Elektromotor gut funktioniert. Ein externer Aus-/Einfahrschalter dient Wartungsmaßnahmen und Kontrollen, zu denen der Motor nicht betrieben wird.

Mit den 70 PS erwies sich die EB 29DE für unser Fluggewicht von rund 850 kg (F/G= 51,5 kg/m2) als gut motorisiert. Als wir auf dem Segelfluggelände Büchig das Ende des kurzen Asphaltstreifens erreichten, hob die EB 29DE ab, so wie zuvor die Solo-bestückte und ebenfalls mit zwei Piloten besetzte EB 29D. Die volle Motorleistung brachte den 1,5-Sitzer gleich mit rund 3,5 m/s himmelwärts. Ab rund 200 m Höhe ging es mit kapazitätssparender, auf 40 kW zurückgeregelter Leistung immer noch mit 2 m/s aufwärts. Danach verriet das EDM: Für die 750 Steigmeter hatten wir gerade einmal 17 Prozent der verfügbaren Energie verbraucht.

Später nutzten wir den Antrieb noch einmal für einen großen Hub. Die danach am EDM angezeigte Restkapazität bekräftigte Walter Binders Statement, dass die insgesamt „eingepackten“ 25 kWh für vier Steigflüge à 1000 Höhenmeter ausreichen. Nach einem Start auf 1000 m verbleibt der EB 29DE mithin noch eine Reichweite von deutlich über 200 km.

Zur Motor- oder Akkuschonung braucht im Steigflug die Leistung nicht einmal heruntergeschraubt zu werden. Der Entladestrom betrug im Maximum (2C) weniger als 50 Prozent des Limits (4C) für die Panasonic-Zellen. Dank der Flüssigkeitskühlung blieben auch die Temperaturen von Motor und Regler im grünen Bereich. Bei 40 kW stagnierte die Anzeige der Motortemperatur bei 65 Grad. Die modernen Akkus, deren eigentliches Einsatzgebiet Notebooks sind, kommen ohne Kühlung aus. Bei der Belastung stieg ihre Temperatur nicht über 35 Grad. Ihren besten Wirkungsgrad erreichen sie erst bei 40 Grad.

Gleiten und geniessen

Nach den ersten Erprobungsflügen im zurückliegenden Winter sieht sich Walter Binder bestätigt, dass auch eine Heizung der Akkus nicht erforderlich ist. Binder: „Die modernen Akkus sind nicht mehr so empfindlich gegenüber tieferen Temperaturen.“ Selbst in Gefrierpunktnähe standen bei den Tests noch 48 kW zur Verfügung.

Vieles hat in der EB 29 schon vor der „Elektrifizierung“ elektrisch funktioniert: die Trimmung und das Fahrwerk und natürlich das Ein-/Ausfahren des Propellerturms. Die Avionik wird auch bei der EB 29DE über einen eigenen Akku im Leitwerk versorgt. Dort gibt es auch einen Ausgleichstank zur Vermeidung von Schwerpunktverschiebungen für den Fall, dass ein schwerer Pilot alleine fliegt.

Richtig angenehm überrascht mich, wie leise und vibrationsarm die EB 29DE im Kraftflug ist. Auf Headsets kann getrost verzichtet werden. Einzige Lärmquelle ist der Propeller, dessen Geräusch für Bodenbeobachter nach dem Start rasch im Umgebungslärm untergeht. Probleme an Flugplätzen mit Umweltbeschränkungen sollte es für den Elektroflieger nicht geben.

Die EB 29DE hat nicht nur im Kraftflug ein sehr geringes Lärmniveau, in der Segelflugkonfiguration überzeugt sie mit Stille im Cockpit bis in den hohen Geschwindigkeitsbereich hinein. Da pfiff weder die gut abgedichtete Haube, noch kam Lärm von den Motorraumklappen.

Mit Gleiten und Genießen lässt sich wohl am besten das Segelflugerlebnis mit der EB 29DE beschreiben. Bei dem müden Wetter über triefnasser Landschaft, in der sich sonst unscheinbare Bachläufe zu breiten Flusslandschaften aufgebläht hatten und sich zwischen den Cumuli große thermiklose Distanzen auftaten, war es einfach ein Genuss, mit hoher Geschwindigkeit, dabei kaum abgesenkter Nase, immer wieder in ausreichender Höhe unter den Wolken für einen Wiederaufstieg anzukommen. Und das über Strecken, die bei einem 15-m-Flugzeug schon zu Bedenken geführt hätten, die Distanz überhaupt bewältigen zu können.

In der Thermikfühligkeit und der Steuercharakteristik hat die vergrößerte EB 29 nichts von den guten Eigenschaften des Einsitzers eingebüßt. Beim ersten Eindruck hat der etwas verlängerte Rumpf vor dem Flügel der Harmonie der Ruderabstimmung sogar eher gut getan als geschadet.

Selbst bei den recht mäßigen Bedingungen während des Fluges für diesen Bericht machte sich die hohe Flächenbelastung nicht negativ bemerkbar. Immer waren die Bärte zu packen. Und im Schwachen ließ sich die EB 29DE mit geringer Querlage noch mit 85 km/h kurbeln. Im Langsamflug erwies sie sich als so gutmütig wie die einsitzige Schwester. Die räumliche Begrenztheit des 1,5-Sitzers machte sich für mich einzig durch die aufs Notwendigste reduzierte Instrumententafel in der Kopfstütze des Piloten bemerkbar. Sie sitzt sehr nah vor der Nase des Copiloten. Die Sicht um die Kopfstütze herum ist dagegen durchaus ausreichend und lässt auch die Kontrolle der Instrumente vorn zu. Das Auge braucht nicht ständig von fern auf nah umzustellen.

Etwas Arbeit gibt es noch für den Binder Flugmotoren- und Flugzeugbau. So verdient der hintere Sitz eine eigene Belüftung, und es müssen noch die Mückenputzergaragen ausgeformt werden.

Nach der Landung kommt die EB 29DE an die Steckdose. Ein einfacher 220-Volt-Netzanschluss mit einer mit zehn Ampere abgesicherten Leitung reicht. Der Laderegler sitzt im Motorraum und ist gegen Überhitzung flüssigkeitsgekühlt. Über die Fortschritte beim Ladevorgang informiert das EDM. Bei einer Entladung bis zum Minimum beträgt die Ladezeit acht Stunden. Geladen wird zellenschonend auf nur 2,7 anstelle der möglichen mehr als 3 Ampere.

aerokurier Ausgabe 07/2013