Für Laien hat das Rohrgerippe, das im Werkraum der Freien Waldorfschule Braunschweig an einem Kran von der Decke hängt, nicht wirklich etwas mit einem Flugzeug zu tun. Julian, Norman und Rico wissen es besser. Die drei Schüler sind im vergangenen Schuljahr auf Tuchfühlung gegangen mit dem, was mal ein Bergfalke war und wieder werden soll. Drei bis fünf Stunden pro Woche haben sie Hand angelegt, haben Steuerungselemente ausgebaut, das Rohrskelett mit Abbeizer und Schleifpapier vom alten Anstrich befreit und nebenbei eine ganze Menge über Aufbau und Funktion eines Segelflugzeugs in Gemischtbauweise gelernt.
Mastermind hinter der Aktion ist Bernd Junker, Alter Herr der Akaflieg Braunschweig, Mitglied im Bundesausschuss Kultur des DAeC und Mitautor der interna-tional anerkannten „Charta von Braunschweig“, bei der es um den fliegerischen Erhalt von historischen Luftfahrzeugen geht.

Junker will im Sinne der Charta und gemeinsam mit den Schülern dafür sorgen, dass das Flugzeug mit der wechselvollen Geschichte wieder in altem Glanz erstrahlt – und wieder fliegt.
„Der Bergfalke II ist Baujahr 1955“, berichtet er. „30 Jahre ist er im Aero-Club Braunschweig geflogen, Klaus Ohlmann hat auf genau diesem Flugzeug das Fliegen gelernt.“ Nach tausenden Stunden hatte der Aeroclub den ziemlich abgerockten Oldie ausgemustert. Zwei Vereinsmitglieder kauften ihn, um ihn zu restaurieren. Danach erging es dem Flugzeug leider wie vielen anderen Restaurationsobjekten: mit Elan begonnen, dann weniger Zeit gehabt und – in der Hoffnung auf bessere Zeiten – liegengeblieben, schließlich nahezu in Vergessenheit geraten. „30 Jahre lang hing das Flugzeug unter der Decke der Werkstatt. Im Herbst 2015 wurde wärmetechnisch saniert, und es stand die Verschrottung an“, sagt Junker. Als Mit-autor der Charta konnte er das freilich nicht übers Herz bringen. „Früher haben Schüler auch in Schulprojekten am Bau von Segelflugzeugen mitgewirkt und beispielsweise Rippen für die Ka 8 gebaut. In der Jugendbildungsstätte in Ratzeburg wird das heute noch gelehrt und gemacht. Warum sollte man so was nicht auch in Braunschweig auf die Beine gestellt bekommen?“
Junker fragte bei mehreren Schulen in Braunschweig an, ob Interesse an einem solchen Projekt bestünde. Mit der Waldorfschule, die planmäßig praktische Projekt-arbeit von ihren Jugendlichen verlangt, fand er den richtigen Partner. Zudem unterstützt die Heinrich-Büssing-Berufsschule in Braunschweig die Restaurierung. Metallteile des Flugzeuges werden hier repariert oder neu gebaut.

Im Januar 2016 fiel der Startschuss für die Restaurierung. Zunächst wurde ein Kran zum Anheben des Bergfalken gebaut, um ihn auf einer Wandkonsole lagern zu können, damit der Werkraum der Schule nicht dauernd durch den rund acht Meter langen Rumpf blockiert wird. Dann wurden die Steuerungsteile und Verkleidungsteile ausgebaut, alles entlackt und mit Grundierung geschützt. „Wenn man die fünfte Lackschicht mit Zahnarztwerkzeug aus den Schweißknoten herauskratzt, dann fragt man sich schon manchmal, was mache ich hier eigentlich“, kommentiert Julian die harte Arbeit. Allerdings, so sind sich die Schüler einig, lerne man dabei auch wirklich was fürs Leben. Handwerkliches Geschick, Problem-lösungsstrategien und nicht zuletzt echtes Durchhaltevermögen. Neben der Demontage und Entlackung wurde mit dem Bau von Übungsrippen und dem Schäften von Sperrholz die Technik des Holzflugzeugbaus vermittelt. Mit einer selbst gebauten Messvorrichtung untersuchten die Schüler zudem die Festigkeit von Holzwerkstoffen.
Die Tragflügel werden aus Platzgründen in der Werkstatt des Aero-Clubs Braunschweig überholt. Hier galt es unter anderem, Rippen zu reparieren und Endleisten neu anzufertigen. „Klares Ziel ist, dass der Bergfalke wieder fliegen soll, möglichst ab Frühjahr 2018“, blickt Junker voraus. Auf der AERO in Friedrichshafen soll der Rumpf lackiert und ausgerüstet präsentiert werden. Außerdem will Junker mit dem Scheibe-Bergfalken auf dem gemeinsamen Stand von DAeC und Wasserkuppen-Museum unter dem Titel „Vom Hobby zum Beruf – Der Leichtflugzeugbauer und Restaurator“ junge Menschen für die Fliegerei und für diese Berufswahl ansprechen.
Natürlich ist das Projekt für die Schüler nicht nur Arbeit. Jeder Teilnehmer bekommt die Chance, beim Aero-Club Braunschweig selbst ins Flugzeug zu steigen. Immerhin einer der Beteiligten hat sich schon getraut.
Um den Flieger noch interessanter zu machen, soll auch eine zweiteilige Cabriohaube angefertigt werden. „Unser Bergfalke hat noch eine kleine Besonderheit“, sagt Bernd Junker zum Abschluss. „Es dürfen damit Fallschirmspringer abgesetzt werden. Es gibt nicht viele Segelflugzeuge, bei denen das möglich ist …“
Wer den Fortgang der Restauration verfolgen will, findet auf dem Blog https://braunschweigerschulprojektbergfalke.wordpress.com alle Informationen.
aerokurier Ausgabe 12/2016