Sicherheit im Flugzeug: Was bringen Schultergurte?

Gut angeschnallt
Schultergurte nachrüsten - was bringt das?

Veröffentlicht am 29.03.2024
Schultergurte nachrüsten - was bringt das?
Foto: Mark Juhrig

Wie bei jeder Veränderung, die liebgewonnene Gewohnheiten infrage stellt, führte auch die Anschnallpflicht auf deutschen Straßen im Jahr 1976 zu massivem Widerstand. Dabei rettete sie bereits im Jahr ihrer Einführung mehr als 1500 Leben. Erstaunlich ist außerdem, dass Gurte mit weit höherem Schutzfaktor in anderen Bereichen schon Jahrzehnte früher zur Grundausstattung gehörten. In Militär- und Verkehrsflugzeugen sind Vierpunktgurte bereits seit den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts Standard. Volvo führte den Dreipunktgurt im Jahr 1959 in Kraftfahrzeugen ein. Für Flugzeuge der Allgemeinen Luftfahrt bis 5670 Kilogramm Maximalmasse kam die Pflicht für wirkungsvolle Rückhaltesysteme mit Schultergurten allerdings erst in den 80er Jahren.

Verletzungsrisiken

Kommt lediglich ein Beckengurt als Körperrückhaltesystem zum Einsatz, dann sind bei einem Unfall vor allem der Kopf- und Brustbereich extrem starken Belastungen ausgesetzt. Durch die während eines Aufpralls auftretenden Kräfte vollführt der Oberkörper eine klappmesserartige Vorwärtsbewegung. Hierdurch kollidieren Kopf und gegebenenfalls auch der Oberkörper mit dem Steuerknüppel oder dem Steuerhorn und meist auch mit dem Instrumentenbrett, was häufig schwere oder sogar tödliche Verletzungen zur Folge hat. Weiterhin kann es durch die abrupte Rotationsbewegung des Oberkörpers zu Wirbelverletzungen kommen. Ein Dreipunkt- oder Vierpunktgurt verhindert die Kollision von Kopf und Oberkörper mit den Steuerorganen und dem Instrumentenbrett sehr effektiv, wenn er richtig am Oberkörper anliegt, sodass er diesen auch wirkungsvoll zurückhalten kann. Dabei erzeugen Dreipunkt- bzw. Vierpunktgurte Belastungen in anderen Bereichen des Körpers. Zum Beispiel werden die Wirbel gestaucht, was ebenfalls zu sogenannten Kompressionsfrakturen führen kann. Jedoch sind diese Belastungen bzw. Verletzungen in der Regel nicht lebensbedrohlich. Den höchsten Tragekomfort bieten Dreipunktgurte mit einer automatischen Aufrollvorrichtung, wie sie im Kraftfahrzeugbereich üblich ist.

Volvo

Anlegen, aber richtig!

Besonders bei Vierpunktgurten kann man beim Anlegen einiges verkehrt machen. Die Schultergurte sind in der Regel in ein zentrales Gurtschloss eingeklinkt. Bei einem Unfall üben die Schultergurte eine Kraft nach oben auf das Gurtschloss aus. Diese Kraft kann dazu führen, dass ein zu loser Beckengurt nach oben gezogen wird, wodurch der Unterkörper nicht mehr effektiv zurückgehalten werden kann. Es kommt zum sogenannten "Submarining", und der Unterkörper rutscht unter dem Beckengurt nach vorne durch. Dies kann zu lebensbedrohlichen inneren Verletzungen führen. Daher ist es unbedingt notwendig, den Beckengurt immer möglichst fest anzuziehen, erst danach werden die Schultergurte angezogen. Dies sollte auch bei Dreipunktgurten befolgt werden, da auch hier die Gefahr des "Submarining" besteht.

Mehr Gurte für akrobatische Flugeinlagen

In Kunstflugzeugen finden sich häufig Fünfpunkt- oder sogar Sechspunktgurte. Die zusätzlichen, nach vorne unter den Sitz führenden Gurte sollen das Hochrutschen des Beckengurtes verhindern. Aber auch hier muss der Beckengurt unbedingt stramm angezogen werden, damit der Unterkörper keinesfalls in die unteren Gurte rutscht, was zu Unterleibsverletzungen führen kann. Auch der Verlauf der Schultergurte (Geometrie) spielt eine wichtige Rolle. Um die Kompressionskräfte durch die Schultergurte auf die Wirbelsäule so gering wie möglich zu halten, sollten die Schultergurte von der Schulter ab horizontal oder mit bis zu 30 Grad nach oben zum Beschlag geführt werden. Verläuft der Schultergurt hinter der Schulter nach unten, ist eine höhere Verletzungsgefahr der Wirbelsäule durch die entstehenden Kräfte möglich. Dennoch ist auch ein Schultergurt mit ungünstiger Geometrie immer noch deutlich wirksamer als gar keiner. Dass der Schultergurt – der Name ist Programm – stets über der Schulter getragen werden muss, versteht sich von selbst.

Mark Juhrig

Kompromissfindung nötig

Schultergurte ohne Aufrollsystem können die Erreichbarkeit von Bedienelementen im Instrumentenbrett erschweren oder sogar verhindern. Hier muss ein geeigneter Kompromiss zwischen der passenden Sitzposition des Piloten und der Sicherung seines Oberkörpers gefunden werden. Besser sind Gurtsysteme neuerer Flugzeugbaujahre, bei denen bereits Aufrollvorrichtungen für die Gurte verbaut sind. Bei neueren Cessnas sind diese in der Mitte der Kabinendecke befestigt. Dies bringt einen weiteren Vorteil mit sich, denn solche Schultergurte können den Oberkörper besser von der seitlichen Kabinenwand beziehungsweise dem Fenster fernhalten und somit zusätzliche Verletzungen verhindern.

Nachrüstung schwierig

Die Anzahl der noch heute fliegenden Muster aus den 60er und 70er Jahren, die lediglich mit Beckengurten ausgestattet sind, ist nicht unerheblich. Eine Nachrüstung moderner Gurtsysteme verbessert die Sicherheit der Insassen erheblich. Üblicherweise ist dafür eine "erweiterte Musterzulassung" (EMZ oder Supplemental Type Certificate/STC) notwendig. Diese wird vom Hersteller der Gurtnachrüstung erstellt und durchläuft einen Zertifizierungsprozess, der gewährleistet, dass die entsprechenden Bauvorschriften eingehalten werden. Dieser bürokratisch-technische Prozess macht die Nachrüstung neuerer Rückhaltesysteme aufwendig und teuer.

FAA will Nachrüstung einfacher machen

Die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA hat aus diesem Grund bereits vor vielen Jahren eine Richtlinie für die Freigabe von nachgerüsteten Schultergurten herausgegeben (FAA Policy Statement Number ACE-00-23.561-01, Methods of Approval of Retrofit Shoulder Harness). Diese Richtlinie erlaubt auch die Nachrüstung von Schultergurten im Rahmen einer sogenannten Feldfreigabe (Field Approval), wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass an der Flugzeugstruktur keine Änderungen vorgenommen werden dürfen, etwa in Form von Bohrungen oder Schweißungen. Insbesondere Flugzeuge mit einem Rohrrahmen können aufgrund dieser Richtlinie leicht nachgerüstet werden, da sich die benötigten Befestigungspunkte vergleichsweise einfach mit Schellen am Gerüst des Rahmens befestigen lassen. Auch bei Flugzeugen aus Metall lassen sich die Befestigungspunkte für die Schultergurte noch vergleichsweise einfach nachrüsten.

Aircraft Design Certification GmbH

Strukturänderungen nötig – es wird teurer

Dennoch gibt es zahlreiche Flugzeuge, bei denen Änderungen an der Struktur unumgänglich sind, um den Befestigungspunkten einen sicheren Halt zu geben. In diesem Fall hilft nur die Nachrüstung eines Gurtkits mit EMZ/STC. Die Kosten für diese zertifizierten Einbauten liege meist im Bereich zwischen 1000 und 2000 Euro pro Sitz plus der benötigten Arbeitszeit für die Installation. Die EASA kennt die vereinfachte Freigabe von sogenannten Standardänderungen (Standard Changes/CS-STAN). Beispiele dafür sind der Einbau nicht zertifizierter GPS-Geräte, die Freigabe von bleifreiem Avgas UL91 und Ähnliches. Seitens der europäischen Luftfahrtbehörde gibt es die Standardänderung CS-SC153b (Exchange of safety belts). Wartungsbetriebe verwenden diese häufig, um Dreipunktgurte nachzurüsten, wenn in der Flugzeugstruktur bereits geeignete Befestigungspunkte vorhanden sind. Leider ist es nur selten der Fall, dass die Zelle bereits Befestigungspunkte für Schultergurte vorsieht, wenn das Flugzeug nur mit Beckengurten ausgerüstet ist. Daher kommt auch in diesen Fällen oft nur eine Nachrüstung von Schultergurten per EMZ beziehungsweise STC infrage.

Viele Kits für US-Muster

Für Flugzeuge amerikanischer Hersteller gibt es eine erfreulich große Anzahl von Nachrüstkits mit STC. Für europäische Flugzeuge sieht es hier meist schlechter aus. So sind zum Beispiel zahlreiche Modelle der Jodel-Familie nur mit Beckengurten ausgestattet. Lediglich für die DR 1050 ist eine erweiterte Musterzulassung der Firma Aircraft Design Certification GmbH für die Nachrüstung von Schultergurten verfügbar. Auf Basis dieser EMZ könnten natürlich noch weitere Zulassungen für andere Jodel-Modelle abgeleitet werden, die Kosten hierfür wären jedoch erheblich. Daher ist es wünschenswert, dass die EASA die Nachrüstung von Schultergurten erleichtert, um die Sicherheit der Insassen älterer Muster zu erhöhen.