Praxis Startabbruch
Der Flieger ist ausgerichtet, die Bahn ist frei. Vollgas! Die Drehzahl ist okay, der Flieger beschleunigt. Aber irgendwie nicht so wie gewohnt. „Irgend etwas stimmt nicht!“, ruft der Pilot. Der Blick wandert zum Mixturehebel, zur Vorwärmung und zum Primer. Alles da, wo es sein soll. Der Flieger beschleunigt weiter, jedoch viel zu schwach. Die Halbbahnmarkierung zieht vorbei, aber der Flieger hat seine Abhebegeschwindigkeit noch nicht erreicht. „Das gibt’s doch nicht!“ Der Pilot wird sichtlich nervös. Das Ende der Bahn kommt immer näher. In diesem Moment zieht der rechts sitzende Prüfer dem Piloten das Gas raus und bremst den Flieger auf dem Rest der Bahn ab. Der Prüfling schaut seinen Prüfer mit fragendem Blick an.
Dies war zum Glück nur ein Prüfungsszenario, und der Prüfer stand beim Start in den Bremsen, aber auf die Frage, warum der Prüfling denn den Start nicht abgebrochen habe, erntet der Prüfer nur Schulterzucken. „Hab ich nicht dran gedacht.“
Bei den Verkehrspiloten ist der Startabbruch ein normales, ständig trainiertes Verfahren. Hier liegt der Schwerpunkt des Trainings in den letzten Jahren eher darin, unnötige Startabbrüche zu vermeiden, da ein Startabbruch für ein Verkehrsflugzeug, bei hohen Geschwindigkeiten, grundsätzlich eine kritische Situation darstellt.
Ganz anders in der Allgemeinen Luftfahrt. Hier wird das Thema eher stiefmütterlich behandelt. Wirft man das Thema im Clubheim in die Runde, weiß natürlich jeder, was zu tun ist: einfach anhalten. Aber ist das wirklich so einfach?
Welche Gründe gibt es überhaupt, weshalb man den Start abbrechen sollte? In erster Linie natürlich bei allen Arten von Triebwerksproblemen. Bringt der Motor nach dem Setzen der Startleistung nicht die gewünschte Leistung, läuft er unrund oder macht er Geräusche, die er sonst nicht macht, ist es sinnvoll, erst einmal am Boden zu bleiben. Denn es gibt bei einem einmotorigen Flugzeug keinen ungünstigeren Moment für einen Motorausfall als unmittelbar nach dem Start.
Haben wir den geringsten Zweifel daran, dass das Flugzeug nach dem Start flug- und steuerbar ist, muss ein sofortiger Startabbruch erfolgen. Dies kann durch eine vergessene Ruderverriegelung oder ein aus einer Umlenkrolle gesprungenes Steuerseil begründet sein.
Merken wir während des Startlaufs, dass wir zum Beispiel vergessen haben, die Klappen auf Startstellung zu setzen, weil es doch auf die Schnelle auch mal eben ohne Checkliste ging, ist der hastige Griff zum Klappenhebel nicht gerade das beste Rezept. Brechen wir den Start ab, bleibt danach genügend Zeit zu checken, was wir vielleicht sonst noch alles vergessen haben.
Es gibt natürlich auch gemeine Fehler, die auf auf Anhieb nicht zu entdecken sind: eine festsitzende Bremse zum Beispiel. Der Motor läuft mit voller Leistung, der Flieger beschleunigt jedoch nicht wie gewohnt. Hier sind ein schnelles Erkennen des Problems und ein ebenso schnelles Handeln gefragt, damit wir nicht am Ende der Bahn im Acker stecken.
Bei der Überlegung, wie ein Startabbruch aussehen kann, kommt erst einmal die Frage auf, wie viel Bahnlänge uns eigentlich für den Startabbruch zur Verfügung steht. Während bei einem Airliner vor jedem Start die Accelerate Stop Distance berechnet wird, also die Strecke, die wir zum Beschleunigen auf Abhebegeschwindigkeit und dann zum Abbremsen bis zum Stillstand benötigen, finden wir in den Handbüchern unserer Einmots diesbezüglich keine Angaben. Hier gibt es lediglich Tabellen zur Berechnung der Takeoff Distance, also der Entfernung bis zum Überfliegen des 50-ft-Hindernisses, oder des Takeoff Roll, also der benötigten Strecke bis zum Abheben des Flugzeugs. Wer diese jedoch als einzige Größe in seine Startstreckenberechnung einbezieht, kommt logischerweise bei einem Startabbruch in arge Bedrängnis.
Als Faustregel sollte gelten: Wenn der Flieger an der Halbbahnmarkierung noch nicht fliegt oder man hier den geringsten Zweifel an der Leistung des Fliegers hat, sollte der Start abgebrochen werden.
Ganz besonders spannend wird es, wenn wir uns diese Situation beim Start eines F-Schlepps vorstellen. Nehmen wir an, das Schleppflugzeug hat seine Abhebegeschwindigkeit noch nicht erreicht, das Segelflugzeug hinter ihm fliegt jedoch schon. In diesem Moment hat die Schleppmaschine ein Problem und bricht den Start ab.
Das Wichtigste ist jetzt, dass der Segelflieger die Situation schnellstmöglich erkennt, um entsprechend handeln zu können. Hierzu bedarf es eines festgelegten Kommandos, mit dessen Hilfe der Schlepppilot dem Segelflieger unmissverständlich die Situation klarmachen kann.
Genauso wie jeder Segelflieger beim Windenstart das Kommando „Halt-Stop!“ kennt, muss es auch hier ein entsprechendes Kommando geben, das jeder kennt und anwendet. Ein „Die Alpha-Bravo hat ein Problem“ wird dem geschleppten Segelflieger die Situation sicher nicht so schnell begreiflich machen können wie ein „Alpha-Bravo Startabbruch!“.
Wenn der Segelflieger jetzt noch ein bereits trainiertes Verfahren zur Hand hat und weiß, wohin er auszuweichen hat, ist die Situation schon weitestgehend entschärft.
Wie so oft ist auch bei diesem Thema wieder einmal die mentale Vorbereitung das A und O. Wir sollten uns grundsätzlich vor jedem Start die Zeit für ein sogenanntes Takeoff-Briefing nehmen. Neben der Überlegung, wohin wir bei einem Motorausfall nach dem Start ausweichen können, sollten wir uns auch Gedanken darüber machen, in welchen Fällen wir den Start abbrechen wollen und bis zu welcher Stelle der Bahn dies spätestens passieren muss. Haben wir diese Überlegungen im Hinterkopf, kann uns beim Start so schnell nichts überraschen.
Der Autor: Michael Kückelmann
Gründe für einen Startabbruch/Das Abflug-Briefing
Der Start sollte immer dann abgebrochen werden, wenn eine abnormale Situation vorliegt oder eintritt. Gründe für einen Startabbruch können sein:
- Hindernis auf der Bahn
- ungenügende Beschleunigung im Startlauf
- Motor- oder Kraftstoffproblem
- starke Vibrationen am Flugzeug
- aufspringende Tür, Haube oder Klappe
- platter Reifen
- Ausfall von Flug- oder Motorüberwachungsanzeigen
- falsche Startkonfiguration
- Fahrwerksproblem
- Rauch/Geruch/Feuer
- Vogelschlag beim Startlauf oder Vogelschwarm im Abflugsektor
Bei einer Störung im Startlauf muss schnell über einen Startabbruch entschieden werden, denn jedes Zaudern kostet wertvolle Bahnmeter. Bei einer Geschwindigkeit von 50 kts zum Beispiel verlängert jede Sekunde Verzögerung die verbleibende Rollstrecke um 25 m.
Wenn das Verhalten bei einem Startabbruch fester Teil des Abflug-Briefings ist, verringert sich die Gefahr, unter Stress eine falsche Entscheidung zu treffen. Die Form eines solchen Briefings ist nicht vorgeschrieben, und es ist stets den aktuellen Verhältnissen anzupassen.