Marginale Sichtflugbedingungen: Wenn dunkle Wolken aufziehen

Marginale Sichtflugbedingungen
Was, wenn dunkle Wolken aufziehen?

Zuletzt aktualisiert am 21.06.2024

Mal ehrlich: Egal ob Motorsegler, Ultraleichtflugzeug oder Echo-Klasse – all diese Maschinen sind in erster Linie Freizeitgeräte und meist keine alltagstauglichen Transportmittel. Wer meint, per VFR-Flug zuverlässig und sicher auf Geschäftsreise gehen oder wichtige private Termine einhalten zu können, der ist schon in die erste Falle getappt. Das wäre fast so, als würde man mit dem Segelboot zum Vorstellungsgespräch fahren und das stürmische Meer mal eben der Karriere unterordnen. Aber es muss noch nicht einmal eine Gewitterfront oder ein Hagelsturm im Anmarsch sein. Schon ein strammer Seitenwind jenseits der im Betriebshandbuch genannten Limits kann die Pläne derart durchkreuzen, dass an eine pünktliche Ankunft beim Meeting oder beim Geburtstag der Schwiegermutter nicht mehr zu denken ist. Doch was ist zu tun, damit man als VFR-Pilot nicht den eigenen Scheuklappen zum Opfer fällt und im schlimmsten Fall ein Aktenzeichen bei der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung wird?

Samuel Pichlmaier

Auswege aus der Entscheidungskrise

Wer sich schon bei der Planung seiner Reise niederschwellige "Ausstiegsklauseln" einbaut, hält sich von vorneherein sichere Auswege aus einem möglichen Desaster offen. Denn je schwieriger die Vorstellung ist, seinen Plan aufzugeben oder zu verschieben, desto eher geht man ein größeres Risiko ein und startet womöglich trotz marginaler Bedingungen. Besonders Überlandflüge mit mehreren Übernachtungen machen die Planung schwierig, da die Wettervorhersage mit jedem Tag in die Zukunft unsicherer wird. Die Notwendigkeit, mehrtägige Prognosen einzubeziehen, lässt das Risiko einer aufkommenden Regenfront oder turbulenter Bedingungen am Startplatz wachsen. Wer in einer solchen Situation nicht darauf vorbereitet ist, das Unwetter auszusitzen, kommt schnell in Versuchung, eine falsche Entscheidung zu treffen. Man könnte ja noch schnell starten, bevor die dunklen Wolken am Platz sind. Hauptsache, nicht festsitzen. Und schon ist da wieder die Falle – und die BFU-Statistik.

Samuel Pichlmaier

Ein kleiner Rucksack als Sicherheit

Hat man aber einen kleinen Rucksack mit ein paar Wechselklamotten und Kulturbeutel dabei, scheint die Aussicht auf eine weitere Nacht am Platz nicht mehr ganz so abwegig. Auch ein Laptop fürs mobile Arbeiten unterwegs reduziert den Druck, überstürzt in Richtung Heimat zu starten. Vor besonders wichtigen Terminen wie Arztbesuch, Dienstreisen oder der eigenen Hochzeit sollte man einen längeren Trip sowieso eher vermeiden, da ein Ausflug unter diesen Umständen recht unentspannt werden kann. Eine weitere "Ausstiegsklausel" für einen vermeintlich unumstößlichen Plan sind klare Grenzen. Dazu sollte man sich grundsätzlich bewusst machen, welche Bedingungen den eigenen Fähigkeiten und der Ausrüstung des Flugzeugs angemessen sind und ab welchem Punkt ein Start tabu ist. Bei diesen Überlegungen ist es hilfreich, sich gleich einen Plan B zurechtzulegen, der für schwierige Situation klare Handlungsoptionen bereithält: Abstellplatz fürs Flugzeug, Maschine festzurren, Unterkunft für Übernachtung organisieren, gegebenenfalls Personen informieren, die Bescheid wissen sollten, und anschließend: gemütlich einen Kaffee in der Luftaufsichtsbaracke schlürfen. Und wenns länger dauert und die Zeit irgendwann doch drängt, ist auch eine Weiterreise mit der Bahn eine Option. Den Flieger abholen kann man später immer noch.

Samuel Pichlmaier

Sich der Gefahr bewusst werden

Um sich der Gefahr eines Starts bei marginalen Bedingungen bewusst zu werden, kann außerdem ein echter Schlechtwetterflug mit erfahrenem Fluglehrer und intensiver Planung (samt Ausweichrouten) einen realistischen Eindruck für ein solches Vorhaben bieten. Wer bei extremen Wetterverhältnissen schon einmal in der Luft war, weiß, was das bedeutet, und überlegt es sich vermutlich zweimal, in einer ähnlichen Situation ohne Not sein Leben zu riskieren. Auch die Erkenntnis, wie schwierig eine ordentliche Planung und Ausführung bei schlechten Bedingungen sind, wirkt meist wie eine Impfung gegen allzu leichtfertige und riskante Entscheidungen.

Perspektivwechsel

Und noch eine weitere Maßnahme kann verhindern, dass man sich dem selbst gemachten Stress ergibt und die Gefahr übersieht: der Perspektivwechsel. Bevor ich bei ungewohnten Voraussetzungen, aufziehendem Unwetter oder extremen Windverhältnissen starte, rufe ich eine Person meines Vertrauens an und erzähle kurz, was ich vorhabe und unter welchen Umständen. Das Gute daran: Ich kann anschließend eigentlich gar keine falsche Entscheidung mehr treffen. Denn vom anderen Ende der Leitung werde ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hören: "Du wirst jetzt auf gar keinen Fall starten, sondern wartest auf besseres Wetter, egal wie lange das dauert!" So ein Telefonat kann erstaunlich befreiend wirken, denn es schiebt die Prioritäten zurecht, bestätigt die eigenen Zweifel an der Umsetzung des Plans und macht selbst dem stärksten Druck den Garaus.