Meine Kritik hat für unglaublich viel Resonanz gesorgt. Ich habe Anrufe bekommen, E-Mails, Kommentare auf LinkedIn und bin persönlich auf all das angesprochen worden, und das ausschließlich positiv und unterstützend.
Ich bin in der Nähe des Frankfurter Flughafens aufgewachsen und war schon immer flugbegeistert. Nach der Schule habe ich Jura studiert und mich auf Medizinrecht spezialisiert, dann als Anwältin in diesem Bereich gearbeitet. Aber von der Fliegerei bin ich nie ganz losgekommen. Ich hab mir Dokus angeschaut, Podcasts angehört, und dabei wurde mir klar, dass ich mich beruflich in diesem Bereich engagieren will. Als Juristin habe ich über das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung den Einstieg gefunden und war dort mit Flugverfahren befasst. Dann habe ich die Ausschreibung des LBA gesehen und erkannt, dass ich im Medizinrecht einen wichtigen Beitrag leisten kann.

Nina Coppik ist selbst PPL(A)-Flugschülerin. Aus diesem Grund haben wir das Interview im unter Piloten üblichen "Du" geführt.
Ich hatte davon gehört, es gab auch vorsichtige Warnungen von Kollegen. Aber ich bin da wohl etwas blauäugig rangegangen.
Ich war juristische Referentin. Da ist man zum einen mit allgemeinen Rechtsfragen befasst, also beispielsweise der Auslegung der EU-Verordnungen, der Analyse, wie das mit nationalem Recht vereinbar ist, wo die LuftPersV Dinge genauer oder zusätzlich zum Part-MED regelt etc. Zum anderen habe ich Widerspruchs- und Klageverfahren betreut, also Widersprüche von Piloten bearbeitet, denen die Tauglichkeit verwehrt wurde. Und hier wurde es fies.
Ich habe erlebt, wo es im Referat L6 überall Defizite gibt. Und fies ist es deswegen, weil hier durch die Verwehrung der medizinischen Tauglichkeit berufliche Existenzen vernichtet werden.
Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf die Klasse-1-Medicals für Berufspiloten. Wenn ein Fliegerarzt eine bestimmte, im Part-MED genannte Diagnose stellt oder eine entsprechende Krankheit bekannt wird, muss er den Patienten ans LBA verweisen, die Entscheidung über die Tauglichkeit wird dann der Behörde übertragen. Ein Arzt des LBA trifft dann die Entscheidung: tauglich oder nicht tauglich. Immer wieder passieren dabei aber rechtliche Fehler, weil die Ärzte kaum oder gar nicht verwaltungsrechtlich geschult sind und es ihnen oft auch an der Einsicht dafür fehlt, welche Tragweite die Entscheidung hat. Im Fall der Nichttauglichkeit kann man dagegen in Widerspruch gehen. Diese Widerspruchsverfahren werden dann meist von den juristischen Referenten betreut. Da das aber eine medizinische Fachentscheidung ist, können das die Juristen natürlich nicht allein tun. Der Fall wird dann wieder an einen der LBA-Ärzte gegeben oder kommt vor den fliegerärztlichen Ausschuss und wird dort diskutiert. Dieses ehrenamtlich tätige Gremium besteht aus niedergelassenen Fliegerärzten, die vom LBA bestellt werden, und tagt unter – meiner Wahrnehmung nach mitunter tendenziöser – Moderation einer LBA-Ärztin einmal im Monat. Hier werden Empfehlungen zur Handhabe des Falls ausgesprochen, an die die Behörde allerdings nicht gebunden ist.
Das ist eins der Probleme! Die Fliegerärzte werden durch das LBA zugelassen. Man kann sich also vorstellen, dass sich deren Lust auf Widerspruch zu einer LBA-Entscheidung in diesem Gremium in Grenzen hält, wenn sie befürchten müssen, sich dabei mit genau der Behörde anzulegen, die ihnen ihre AME-Zulassung erteilt. Dennoch gab es hier immer wieder Fälle, in denen Ärzte interveniert haben und ein Pilot am Ende zumindest mit Auflagen seine Tauglichkeit bekam.
Beispiel: Ein LBA-Arzt schreibt jemanden untauglich, weil ein Befund fehlt. Damit verletzt er den Amtsermittlungsgrundsatz, denn demzufolge müsste er den Befund aktiv anfordern. Hier muss ich kurz einen Exkurs machen, weil das so wichtig ist: Der Amtsermittlungsgrundsatz ist ein zentrales Prinzip in deutschen Verfahren. Es verpflichtet eine Behörde oder ein Gericht, den für eine Entscheidung relevanten Sachverhalt von Amts wegen, also unabhängig von Anträgen der Beteiligten, zu untersuchen und aufzuklären. Ziel ist die Gewährleistung einer objektiven und fairen Entscheidung, indem die Behörde aktiv die Tatsachen ermittelt, die für ein gerechtes Ergebnis wichtig sind. Und das setzt eine entsprechende Kompetenz voraus. Genauso rechtswidrig ist es, völlig wahllos Befunde anzufordern, wofür es keine Grundlage gibt, weil sie mit dem konkreten Fall nichts zu tun haben. Alles über die notwendigen Akten hinaus ist Schikane. Das LBA behauptet zwar, es gäbe für die Ärzte entsprechende verwaltungsrechtliche Schulungen, ich habe davon aber in den eineinhalb Jahren nichts mitbekommen. Und die Fehler, die ich in den Fällen gefunden habe, in die ich involviert war, zeugen von massiver Inkompetenz.
Das LBA hat selbst eingeräumt, dass nicht immer Mediziner der entsprechenden Fachrichtung entscheiden. Es kann also sein, dass ein Facharzt für Augenheilkunde einen Fall bearbeitet, in dem es um eine kardiovaskuläre Erkrankung geht. Es ist meiner Erfahrung nach mehr oder weniger Zufall, welcher Fall welchem Arzt zugeteilt wird. Viele Diagnosen drehen sich um Herz-Kreislauf-Erkrankungen, weiterhin spielen Augenerkrankungen, neurologische und psychische Erkrankungen eine wichtige Rolle. Allerdings weiß ich nur von einem Kardiologen, und der arbeitet in Teilzeit fürs LBA. Folgte man dem Amtsermittlungsgrundsatz, müsste man sich die Expertise, die man im eigenen Haus nicht hat, extern holen. Dem-gegenüber stehen die von mir mehrfach erlebte krasse Ignoranz und die Hybris der Ärzte, zu glauben, man könnte alles allein entscheiden. Übrigens, nicht alle Ärzte, die beim LBA Entscheidungen treffen, haben Erfahrung als niedergelassene Fliegerärzte.
Ich kenne einen Fall, da wurden fünf Befunde vorgelegt, anhand derer man den Piloten hätte tauglich schreiben können. Aussage des betreuenden Arztes: "Das mache ich trotzdem nicht!" Auch einer der Fälle, die ich LBA-Präsident Jörg-Werner Mendel im Rahmen meiner Kündigung vorgelegt habe, war so gelagert. Der Mediziner hat immer wieder Befunde nachgefordert, was irgendwann verständlicherweise zu Unverständnis des Antragstellers und seines Fliegerarztes führte. Die Antwort der LBA-Ärztin wortwörtlich: "Der soll endlich die Fresse halten." Anfangs habe ich in solchen Zweifelsfällen noch nachgefragt, wo eigentlich das Pro-blem liegt, warum noch mehr Befunde angefordert werden sollen und dann oft fadenscheinige Erklärungen kommen. Irgendwann hab ich es gelassen. Und wenn sich ein niedergelassener Fliegerarzt traut, die Entscheidungen von LBA-Medizinern zu kritisieren, dann ist Ärger programmiert. Da gab es auch schon den Spruch: "Wir müssen mal ein Aeromedical Center dichtmachen!"
Im juristischen Austausch ist es üblich, sich gegenseitig einen Zeitrahmen zur Beantwortung zu setzen, manche Rechtsakte haben auch festgesetzte Fristen. In meinem Arbeitsalltag habe ich es immer wieder erlebt, dass man Fristen verstreichen ließ, auch Gerichtsfristen. Ich wurde in mehreren Fällen angerufen und gefragt, ob man die entsprechende Akte endlich mal haben könne.
Mein Lieblingsbeispiel ist die Untauglichkeitsfeststellung im Rahmen eines Antrags auf Auflagenänderung, was ich auch selbst erlebt habe. Ein Pilot wollte eine Medical-Auflage ausgetragen haben, weil seit vielen Jahren keinerlei entsprechender Befund mehr aufgetreten ist. Im Zuge dessen hat ihm das LBA die medizinische Tauglichkeit komplett abgesprochen. Selbst im Widerspruchsverfahren kann die Ausgangsentscheidung nur unter engen Voraussetzungen verschärft werden (reformatio in peius). Bei der Auflagenänderung sind wir aber nicht im Widerspruchsverfahren, sondern in einem neuen Ausgangsverfahren, wo eine Verschlechterung des Status quo bei einem Tätigwerden auf Antrag rechtswidrig ist. Der LBA-Arzt indes hat sich in seiner Betrachtung nicht auf die Auflage beschränkt, wie es geboten gewesen wäre, sondern die ganz große Hafenrundfahrt gemacht. Das gibt die EU-Verordnung aber gar nicht her. Die Reaktion des Arztes, den ich daraufhin angesprochen habe: "Ist mir egal!" Ein weiteres Beispiel sind Verweisungen beim Medical-Upgrade von Klasse 2 auf 1. Das LBA verlangt vom Piloten, sein Klasse-2-Medical einzuschicken, weil es der Meinung ist, dass dieser während der Verweisung ans LBA überhaupt keine Lizenzrechte ausüben darf. Begründet wird das damit, dass im Klasse-1-Medical auch die Tauglichkeit der Klasse 2 enthalten ist, und das wenden sie dann entgegengesetzt von unten nach oben an. Das ist klar rechtswidrig.

Entscheidungen des LBA sind immer wieder Gegenstand von Gerichtsverfahren. Aktuell sind am Verwaltungsgericht Braunschweig 78 Verfahren gegen das Luftfahrt-Bundesamt anhängig, 34 davon befassen sich mit der medizinischen Tauglichkeit von Piloten.
Ich habe natürlich bei meinem Ausscheiden aus dem Dienst keine Dokumente mitgenommen. Aber es gibt unzählige Aktenvermerke von mir, in denen ich Probleme anprangere, und die Betroffenen – also Piloten, deren Fliegerärzte und Anwälte – können die von mir vorgebrachte Kritik durch eigene Erfahrungen bestätigen.
Ich habe alle mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt, um etwas zu bewegen. Ich habe die Referatsleitung über die aus meiner Sicht mangelnde Rechtskenntnis der LBA-Ärzte informiert, habe Präsentationen und Aktenvermerke angefertigt, die wochenlang ungenutzt herumlagen oder ignoriert wurden. Ich habe eine Präsentation zu juristischen Anforderungen an medizinische Bescheide ausgearbeitet, die von einem der Ärzte mit dem Spruch "Das interessiert keinen" kommentiert wurde. Ich habe ein Muster für einen rechtlich sauberen Einziehungsbescheid für Medicals verfasst, der zwischen Aussetzung und Widerruf differenzierte, der auch nicht beachtet wurde. Schließlich gingen unzählige E-Mails an die Referats- und Abteilungsleiter, in denen ich die Missstände aufgezeigt habe. Antwort oder gar ernst zu nehmende Auseinandersetzung damit? Fehlanzeige.
Kritikfähigkeit ist im medizinischen Bereich und in der Referats- und Abteilungsleitung von L6 weitgehend ein Fremdwort. Viele der Ärzte dort legen eine Hybris an den Tag, dass es nur schwer auszuhalten ist. Widerspruch? Schwierig bis zwecklos. Den Medizinern ist entweder nicht bewusst, dass sie mit ihrer Entscheidung Existenzen zerstören können, oder sie nehmen das mut- oder gar böswillig in Kauf. Bei den Kollegen im juristischen Bereich hatte ich den Eindruck, dass die weitgehend resigniert haben. Mir ist eine Kollegin in Erinnerung geblieben, die wie ich versucht hat, effizient und nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu handeln. Einige Sachbearbeiter indes versuchen, einen guten Job zu machen, so es die Umstände denn zulassen.
Ich habe es nicht mehr ausgehalten, dass mancher beim LBA – man verzeihe mir die Wortwahl – darauf scheißt, dass er Existenzen zerstört. Es war insgesamt alles so himmelschreiend ungerecht und unmenschlich. Ärzte ohne Verantwortungsbewusstsein, Verantwortliche, die getroffene Absprachen nicht einhalten, eine Sachgebietsleiterin, die bis heute nicht den Unterschied zwischen EU-Verordnung, Acceptable Means of Compliance und Guidance Material verstanden zu haben scheint, und das ganz offensichtliche und mir gegenüber immer wieder wortwörtlich geäußerte Desinteresse daran, für die Beteiligten positive Lösungen zu finden. Eine der medizinischen Sachverständigen betonte immer wieder, es gebe kein Grundrecht aufs Fliegen. Dass es aber ein Recht auf freie Berufswahl gibt, das in Artikel 12 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, schien sie nicht zu interessieren. Wenn ich jemandem sein Medical wegnehme, ist das ein massiver Eingriff in dieses Grundrecht, und an diesem Maßstab muss ich meine Entscheidung messen. So was einfach wegzuwischen zeugt von Ignoranz und Arroganz, spiegelt aber ein Stückweit die generelle Haltung in diesem Referat wider.
Es sind Feigenblätter, sonst nichts. Das Referat L6 ist weitgehend dysfunktional, die Verantwortlichen ducken sich weg. Allein die Aussage, es ginge um insgesamt sechs problematische Fälle, zeigt, wie man Informationspolitik betreibt. Sechs Fälle waren es, die ich beispielhaft an die Behördenleitung übermittelt habe. Eine Umfrage der Vereinigung Cockpit ergab, dass 257 Teilnehmer im Rahmen ihrer Tauglichkeitsuntersuchung Probleme mit dem LBA hatten. Und dass man bezüglich der immer wieder kritisierten schlechten Erreichbarkeit des LBA auf telefonische Sprechzeiten verweist, ist lächerlich angesichts der Tatsache, dass sich die LBA-Ärzte gegenüber Anrufern gerne auch einfach verleugnen lassen. Überdies ist eine Akteneinsicht via Telefon schwierig bis unmöglich, denn kein Anwalt will sich eine Akte vorlesen lassen.
Der lässt mich weitgehend kalt. Mein Script zum Thema Medical ist kostenfrei, das kann sich jeder herunterladen und sich überlegen, ob er mir dafür etwas zukommen lassen will oder nicht. Auch Erstberatungen zu Medical-Fällen werde ich weiterhin kostenfrei anbieten. Ich bin jetzt Vollzeit als Juristin bei der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO angestellt und werde nebenberuflich als Anwältin arbeiten. Ich für meinen Teil finde es nicht verwerflich, wenn man mit seinem Beruf auch Geld verdienen will. Aber ich will Piloten künftig dabei helfen, in die Luft zu kommen, und nicht daran beteiligt sein, sie am Boden zu halten. Es geht mir um die Sache. Wenn ich auch ohne gute Arbeit sicheres Geld hätte haben wollen, hätte ich beim LBA bleiben können.