Als die Meldung über die Außenlandung einer Einmot in der Nähe von Moers-Kapellen die Runde macht, schrillen in der Redaktion alle Alarmglocken. Dieses Flugzeug. Ist sie es? Das kann nicht sein! Sie ist es! Auf dem Acker war jene RW-3 gestrandet, über die das Magazin "Deutscher Aero Club", der Vorläufer des aerokuriers, in seiner ersten Ausgabe im Jahr 1957 berichtete. 60 Jahre nach diesem Bericht saß bei der Außenlandung kein Geringerer als Konstrukteur Hanno Fischer persönlich im Cockpit des zweiten Prototyps, der D-EKUM.
Der Draht zu Hanno Fischer ist schnell aufgebaut. Der zwischenzeitlich 93-Jährige ist bei Facebook, besitzt ein Handy und ist per E-Mail erreichbar – und immer noch als Flugzeugkonstrukteur im Geschäft. Dass es fast ein Jahr bis zu unserem Treffen dauern soll, ist zunächst der Untersuchung von Motor und Propeller, dann dem Winter und schließlich der Umrüstung auf das 8,33-kHz-Funkgerät geschuldet. Im Mai 2018 ist es geschafft: Hanno Fischer und sein Flugzeug erwarten uns an seinem Heimatplatz Mönchengladbach.
Außenlandung? Kein Grund zur Panik!

"Ich hatte in meinem Leben mindestens ein Dutzend Außenlandungen, das war nichts Besonderes", kommentiert er seinen Ausflug ins Feld. Aufklärung statt Aufregung lautet die Devise. "Zu 99 Prozent waren Dampfblasen im Mogas die Ursache." Rund 30 Grad zeigte das Thermometer an jenem Sommertag. "Ich musste vor dem Start lange mit laufendem Motor warten, da waren die Temperaturen ganz schön hoch", erinnert sich Fischer. Auf dem Flug zum Tanken nach Stadtlohn fiel die Drehzahl des turbogeladenen Rotax 914 ab, als beste Option blieb der Acker bei Moers-Kapellen. Am Ende war der mediale Wirbel zwar groß, der Schaden aber gering. Mehr als einen Flurschaden nahmen die Polizisten nicht zu Protokoll. "Die Schaulustigen haben mehr Schaden angerichtet als ich bei der Landung."
Das Gespräch mit dem Piloten und Konstrukteur ist eine Zeitreise ins Wirtschaftswunder-Deutschland, aber auch ein Abstecher in die Kriegsjahre. Als technischer Leiter trug er bei Rhein-Flugzeugbau in Mönchengladbach, einem ehemals "kerngesunden Unternehmen", die Verantwortung für 460 Mitarbeiter. "Die deutschen Gesetze verlangten, dass ich 1989 in Rente gehen musste." Entschieden zu früh, findet er. Kurzerhand führte der Rentner wider Willen seine eigenen Geschäfte fort und widmete sich verstärkt der Entwicklung von Bodeneffektfahrzeugen, eine Leidenschaft, die schon früh aus dem Kontakt mit Alexander Lippisch entstanden ist. Seine Firma ist bis heute aktiv, zudem hält Fischer etliche Patente. "Ich habe noch einige Beraterverträge", erzählt er. Weltweit fliegen – oder besser gesagt gleiten – Fluggeräte, die auf seinen Entwürfen beruhen, als flotte Alternative zum Boot übers Wasser, berichtet er.
Seit 1943 im Cockpit zu Hause
Abitur, Segelflug auf dem Schulgleiter, schließlich Kampfpilot auf der Focke-Wulf Fw 190 – Fischers Weg in die Fliegerei war für seine Generation klassisch. "Ich fliege seit 1943." Er sagt das, als sei es die normalste Sache der Welt. Der Abschuss kam kurz vor Kriegsende, als "sieben Jaks Hase und Igel spielten". Die Notlandung verlief glimpflich. Einer Odyssee quer durch Deutschland folgten drei Jahre als Zwangsarbeiter in Frankreich.
Zurück in Deutschland, widmete sich Hanno Fischer einem Fernstudium im Maschinenbau. Während der Motorflug in der jungen Bundesrepublik noch verboten war, tüftelte er bereits an Flugzeugentwürfen. Mit dem einsitzigen Motorsegler FiBo 2, angetrieben von einem kleinen DKW-Motor mit 12 PS, startet er 1953 in Bonn/Hangelar zum Erstflug. Kennzeichen, Zulassung, Versicherung? Fehlanzeige. Ein fingiertes Telefonat und etwas Mut genügten, um die Militärs von der vermeintlichen Legalität des Flugs zu überzeugen. Ein Bericht im "Kölner Stadt-Anzeiger" brachte Fischer später zwar in Erklärungsnot, doch auch da bekam er gerade noch die Kurve. "Heute kann man ja darüber reden", grinst er. Es folgten weitere "schwarze Flüge", unter anderem auch Starts auf der Autobahn.

Vom Schwarzflieger zum Konstrukteur
"Nach den fliegerischen Demos mit der FiBo 2a, die ich als privater Enthusiast schwarz gebaut hatte, gab es Interessenten, die eine Fortsetzung als Zweisitzer wünschten. Darunter auch Bernd Schulze-Wilmert aus Münster. Das führte zur meiner RW-3- Auslegung, für deren Realisierung aber das Geld fehlte." Es war die Geburt der Firma Rhein-West-Flug Fischer & Companie aus Porz-Westhoven: Fischer war Geschäftsführer, Schulze-Wilmert der Finanzier. Mit dem Bau der RW-3-Prototypen wurde die Firma Gomolzig in Wuppertal beauftragt.
Von der Idee bis zum Erstflug in Köln-Wahn am 7. September 1955 mit Hanno Fischer am Steuer dauerte es nur ein Jahr. Die erste RW-3, Kennzeichen D-EJAS, war vom Konzept her ein Motorsegler mit 15 Metern Spannweite, angetrieben von einem 40-PS-Motor mit Druckpropeller. Ein knappes Jahr später, im Juni 1956, kam es zu einem Unfall: "Bei einem Demoflug in Bonn/Hangelar wollte der Pilot Reinhard Meier mit abgestelltem Motor die gute Gleitzahl demonstrieren. Bei einer Umkehrkurve in Bodennähe berührte die Flügelspitze den Boden. Ein Ringelpietz war die Folge, der Pilot blieb zum Glück unverletzt."
Vielseitig mit Ansteckflügeln
Der zweite, 1955 und 1956 gebaute Prototyp D-EKUM erhielt zwei Flügel-Konfigurationen und den Beinamen "Multoplane". Jeweils 2,50 Meter lange Ansteckflügel ermöglichen den Umbau zwischen Motorflugzeug mit zehn Metern Spannweite und Motorsegler. Im Artikel von 1957 heißt es: "Diese beiden Arten des Flügels sind in ihrer Verwendungs- und Beanspruchungsgruppe statisch so ausgelegt, daß der gleiche Holm mit Anschlußbeschlägen unverändert zweisitzig mit 10 m und mit 15 m für die Beanspruchungsgruppe 4 (Schulflug) und mit 10 m Spannweite, einsitzig geflogen, sogar für die Beanspruchungsgruppe 5 (volle Kunstflugtauglichkeit) ausreichend ist." Mit diesem Flugzeug startete Fischer auf dem Butzweilerhof zum Erstflug.
Die RW-3 war laut Fischer das erste deutsche Motorflugzeug nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie erhielt die Zulassungen in Deutschland und den USA, Kunstflug inklusive. Sie war auch das erste Muster, bei dessen Verkleidung Composite-Materialen zum Einsatz kamen. Fischers Entwurf erreichte einen Geschwindigkeitsrekord für Motorflugzeuge unter zwei Litern Hubraum. Außerdem kann man die RW-3 als Vorfahr des Fantrainers betrachten. Für die Serienfertigung wurde ein Vertrag mit Rhein- Flugzeugbau geschlossen. Fischer war dort zunächst Berater für den Serienstart und wurde später technischer Leiter.
Ihrer Zeit voraus
Im Mai 2018 steht die D-EKUM in Mönchengladbach vor uns. Rund 3000 Stunden war sie bis dato in der Luft, "die schwarzen Flüge mal ausgenommen". In der Flugsportgruppe von Rhein-Flugzeugbau wurde sie als Schulflugzeug eingesetzt. Hanna Reitsch soll bereits in diesem Cockpit gesessen haben. Auch der Jagdflieger und damalige Motorflugreferent des DAeC, Heinz Bär, sowie Kunstflugmeister Albert Falderbaum sind die RW-3 geflogen. In einem Gutachten sieht ein gewisser Oberingenieur Gerhard Siegel in Fischers Konstruktion gar eine Alternative zu damaligen Leistungssegelflugzeugen.
Die Form des Tandemsitzers mutet auch heute auf gewisse Weise noch modern an. Der äußere Zustand ist nach mehr als sechs Jahrzehnten noch immer passabel, technische Probleme waren selten. Abgesehen von einigen Motorumbauten ist das Flugzeug weitgehend im Originalzustand. Recht früh wurde die Nase verlängert, hauptsächlich aus optischen Gründen. Viele technische Lösungen waren ihrer Zeit voraus.Das gilt zum Beispiel für die Ansteckflügel, den durch eine Fernwelle angetriebenen Propeller und das elektrisch angetriebene Hauptfahrwerk, für das ein Fiat-Anlasser herhalten musste.

Mit den Eigenschaften eines Jets
Fischers Ziel war es, ein Flugzeug zu entwerfen, das die Flugeigenschaften eines Jets simuliert. "Der beste Platz im Flugzeug ist vorne, da gehört der Pilot hin. Der Schubpropeller im Heck ist um drei Prozent effizienter als ein Zugpropeller", beginnt er sein Konzept zu erklären. Beim Startlauf geht der Pilot wie beim Jet zusammen mit dem Bugrad zuerst nach oben. Das T-Leitwerk bleibt dabei frei vom Propellerstrahl. Auch beim Horizontbild und dem großzügigen Sichtfeld zeigt die RW-3 ihre Nähe zum Jet. Das laminare NACA-Profil trägt zu den guten Flugleistungen bei.
Die Bauweise beschrieb der Autor des Artikels 1957 wie folgt: "Der Rumpf ist eine geschweißte Stahlrohrkonstruktion mit leicht abnehmbaren Verkleidungsschalen aus Kunststoff. Dadurch sind alle Einbauteile, einschließlich des Triebwerks, nach Lösen weniger Schrauben gut zugänglich." Zu den Flügeln hieß es: "Das Tragwerk stellt eine einholmige Leichtmetall-Konstruktion dar. Die Holmgurte sind stranggepreßte Flachprofileaus der hochfesten Aluminium-Legierung AlCuMg (Durali). Für die durchgehende Beplankung wurde die korrosionsbeständige Aluminium-Legierung AlMgSi verwendet. Auch die Querruder und Landeklappen bestehen aus einem Leichtmetallgerippe, das stoffbespannt ist." Die Flügelspitzentanks der D-EKUM, einst auf Wunsch eines Kunden gebaut, haben heute nur noch dekorativen Charakter.
Von Porsche zu Rotax
Anfangs werkelte im Bauch der RW-3 ein 65-PS-Industriemotor von Porsche mit 1,6 Litern Hubraum. Trotz der späteren Steigerung auf 75 PS war die Leistung für ein Flugzeug mit –je nach Ausführung – bis zu 950 Kilogramm MTOW nicht üppig. "Porsche hatte eine stärkere Version mit 130 PS versprochen, doch die kam nie", erinnert sich Hanno Fischer. Somit wurde die RW-3 zum dankbaren Erprobungsträger für weitere Motorisierungen. Da Motor und Passagier im Schwerpunkt sitzen, ist der Einbau verschiedener Antriebe vergleichsweise einfach zu realisieren. Anfang der 1960er Jahre erschien die Version Passat mit einem 150 PS starken Lycoming-Motor.
"Flüsterfan" nennt Hanno Fischer ein Projekt, bei dem ab 1994 zwei Mantelpropeller im Heck über Zahnriemen von einem NSU-Wankel mit 150 PS angetrieben wurden. Tatsächlich reduzierte sich der Lärm um 12 dB(A). Das Geheimnis lag in den gebogenen Propellerblättern, in der technischen Dokumentation "Türkensäbel" genannt. Nach einem Motorschaden wurde die D-EKUM auf ihre heutige Konfiguration mit dem Rotax 914 (115 PS/85 kW) umgerüstet. Markenzeichen ist der Lufteinlass unter dem Rumpf für die Kühlung. Zwischen 20 und 30 Exemplare der RW-3 wurden in Serie gebaut.

Die RW-3 ist Vorfahr des Fantrainers
Gerne berichtet Hanno Fischer auch über den Fantrainer, der 1977 erstmals abhob. Mit diesem Muster hatte er seine Vision vom Jet mit Propeller auf ein neues Level gebracht. Mit der Turboprop hatte Rhein-Flugzeugbau das Militär im Visier, das seine Piloten zu moderaten Kosten ausbilden und in Übung halten sollte. Ein Vergleichsfliegen der Bundeswehr mit der Pilatus PC-7 und der Beech T-34C Turbo Mentor gewann zwar der Fantrainer, doch die Politik hatte sich für den Weiterbetrieb der Piaggio P.149 entschieden. Fischer versuchte später, ranghohe US- Politiker von dem neuen, vielleicht etwas lauten Trainer aus Mönchengladbach zu überzeugen. "Wir hätten die Cockpits verschiedener Jets nachbilden können. Die Flugeigenschaften waren sehr ähnlich, die Leistung natürlich nicht."
Zum Abschluss unseres Treffens bietet Hanno Fischer an, die D-EKUM im Flug zu erleben – eine Einladung, die ich nicht ausschlagen kann. Ich klettere auf den hinteren Sitz, lege den Gurt an. Das Platzangebot unter der Schiebehaube kann sich sehen lassen, der Blick zur Seite über die Flügel ist ähnlich wie aus einem Segelflugzeug. Hanno Fischer folgt auf den Pilotensitz – auch mit 93 Jahren ist der Einstieg eine seiner leichtesten Übungen. Wir rollen auf die Piste 31, verlassen die Kontrollzone Richtung Norden. Schnell ist klar: Weder Pilot noch Flugzeug gehören zum alten Eisen. Ich lehne mich zurück, genieße den Moment. Wann darf man schon mal in einem historischen Flugzeug Platz nehmen, das von einer Luftfahrt-Legende gesteuert wird?

Zitterpartie beim Fliegerarzt
Wir rollen zurück zur Halle. Motor aus, Haube auf. Hanno Fischer steigt aus dem Cockpit. Dass wir ihn seit Stunden auf Trab halten, Formationsflug für die Air-to-Air-Fotos inklusive, merkt man ihm nicht an. Trotzdem denkt er daran, einen Gang zurückzuschalten. "Langsam lasse ich es beruflich und fliegerisch ausklingen", sagt er. "Das Medical ist immer eine Zitterpartie. Ich habe meinen PPL zum LAPL herabstufen lassen, da gilt das Medical immerhin zwei Jahre." Ein paar Monate bleiben Hanno Fischer noch bis zum nächsten Besuch beim Fliegerarzt. Die Chancen stehen gut, dass es wieder ein Happy End geben wird. Wie so oft seit den ersten Hüpfern im Jahr 1943.