Die Fragen des aerokuriers erreichten Lilium am 13. Dezember 2019 mit folgendem Anschreiben:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Seit mehreren Jahren verfolgt der aerokurier als Deutschlands vielseitigstes Magazin für die Allgemeine Luftfahrt die Entwicklungen im Bereich E-Flight und Urban Air Mobility. Auch Lilium war für uns immer wieder Gegenstand der Berichterstattung, wenngleich unsere Anfragen zu Details des Öfteren ins Leere liefen oder mit Gemeinplätzen abgespeist wurden, die für eine Tageszeitung vielleicht Futter genug sind, nicht aber für eine Fachzeitschrift.
Derzeit arbeiten wir an einer umfassenden Konzeptkritik von E-VTOLs im Allgemeinen und dem Lilium Jet im Speziellen. Uns liegt dazu eine umfangreiche Konzeptbetrachtung eines Luftfahrtingenieurs vor, der den Lilium Jet anhand bekannter Parameter und daraus abgeleiteter weiterer Konstruktionsdaten eine fundierte Kritik an der Konstruktion formuliert, die von zwei Professoren für Luftfahrttechnik nachgerechnet und bestätigt wurde.
Aus dieser Analyse heraus ergeben sich für uns Fragen, die wir gerne an Lilium stellen möchten.
- Wie kommen die seit Jahren postulierten Leistungsdaten zustande, dass das Fluggerät in der Lage sein soll, fünf Personen mit 300 km/h über eine Strecke von 300 Kilometern befördern zu können? Unsere vorliegende Konzeptbetrachtung geht bei 1,5t MTOW, von denen 500 Kilogramm für Passagiere und Gepäck und etwa 500 Kilogramm für Zelle und Antrieb abzuziehen sind entsprechend von etwa einem Drittel Akkugewicht aus. Bei der heute verfügbaren Energiedichte von rund 220 bis 240 Wh/kg, dem mit hohen Verlusten behafteten Antrieb mit kleinen Propellern und der extrem energieintensiven VTOL-Flugphase errechnet unser Experte eine Schwebeflugzeit von knapp über einer Minute. Fachleute der TH Ingolstadt und der Universität München halten die Berechnungen für plausibel.
- Wie ist zu erklären, dass Lilium auf einen im Vergleich mit großen Rotoren ineffizienten Antrieb aus vielen kleinen Rotoren setzt?
- Warum hält sich Lilium mit der Kommunikation von wichtigen Parametern, die eine sachlicher Beurteilung des Konzepts anhand fundierter Daten ermöglichen würden, so sehr zurück, dass diese Beurteilung für Außenstehende unmöglich ist?
- Wie soll ein Luftfahrzeug wie Lilium einen Zertifizierungsprozess durchlaufen, in dem Sicherheit in Form von Reserven bei Flugzeit und damit Reichweite ein essenzieller Parameter ist? Gleiches gilt für das Geschäftsmodell des kommerziellen Personentransports, denn auch hier sind Reserven einzuplanen, Stichwort Alternate.
- Welchen Markt avisiert Lilium für seine Dienstleistung? Deutschland? Europa? Asien?
- Was soll die Fortbewegung mit dem Lilium Jet kosten? Auf der Internetseite wird gesprochen von „konkurrenzfähig mit dem Taxi“. Wie soll das gehen, wenn das Fluggerät ein Vielfaches an Energie verbraucht im Vergleich mit konventionellen Fortbewegungsmethoden und ein Vielfaches an Zertifizierungs- und Entwicklungskosten verursacht?
- Gibt es bereits Bestrebungen für die Schaffung eines notwendigen Landeplatznetzes?
- Wie bewertet Lilium die nicht unproblematische Gewinnung der großen Mengen Rohstoffe für Akkumulatoren, die das Unternehmen künftig benötigen wird? Stichwort ökologischer Fußabdruck?
Wir bitten um eine Beantwortung der Fragen bis Dienstag, 17. Dezember, damit wir Ihre Statements in unserem Artikel berücksichtigen können.
Freundliche Worte, eine subtile Unterstellung und bekannte Phrasen
Pressesprecher Oliver Walker-Jones antwortete am 16. Januar (auf Englisch):
Vielen Dank für Ihre E-Mail und Ihre Fragen. Vielen Dank auch für Ihre bisherige Berichterstattung. Wie letzte Woche versprochen, haben wir unten einige ausführliche Ausführungen zur Beantwortung Ihrer Fragen bereitgestellt.
Wie Sie sicher verstehen werden, sind einige Details unserer Arbeit kommerziell sensibel – wie bei jedem Unternehmen, das neue Technologien entwickelt – aber wir haben versucht, so viele Informationen wie möglich bereitszustellen, um der von Ihnen in Ihrer E-Mail erwähnten Skepsis entgegenzuwirken.
Dennoch ist es ein wenig enttäuschend, dass Sie sich offenbar bereits für eine negative Richtung für diesen Artikel entschieden haben. Lilium ist eines der ganz wenigen Unternehmen, die sich wirklich dafür einsetzen, die Mobilitäts- und Klimaherausforderungen durch Innovation und Kreativität zu lösen, und wir würden es viel lieber sehen, wenn die deutsche Luftfahrtpresse den Schritt zur klimaneutralen Luftfahrt unterstützen würde, als die wenigen Unternehmen, die an Lösungen in diesem Bereich arbeiten, zu kritisieren. Es erscheint auch ein wenig unfair, eine derartige Kritik auf Berechnungen von Menschen mit wenig oder keinem Zugang zu relevanten Daten zu stützen.
Dennoch hoffen wir, in den kommenden Monaten und Jahren auf dem Weg zur Inbetriebnahme einen engen, positiven Kontakt mit Ihnen zu pflegen. Und wie in den ersten sieben Monaten der Testphase des Lilium Jets werden wir auch weiterhin die erreichten Meilensteine mit Ihnen teilen. Am Mittwoch werden wir auf YouTube einen Film über einen vollständigen Testflug von Anfang bis Ende ohne Schnitte veröffentlichen, von dem wir hoffen, dass er Kritiker wie die von Ihnen erwähnten besänftigt (es sind etwa drei Flugminuten, die die von Ihnen unten erwähnte eine Minute Schwebebehauptung bereits deutlich widerlegen). Hier ist ein Link, den wir Ihnen für Ihre Berichterstattung vorab freischalten.
Bitte bleiben Sie mit uns in Kontakt und verwenden Sie das Material in dieser E-Mail gerne für Ihre Berichterstattung.
Mit besten Grüßen
Oliver
Die von uns veröffentlichten Leistungsdaten basieren auf einer Synthese aus der individuell am Boden gemessenen Leistung bestimmter Komponenten des Flugzeugs, den Daten, die wir aus sieben Monaten Flugerprobung erhalten haben, und modernster Simulationssoftware. Lilium ist ein hochinnovatives Unternehmen, das bedeutende Innovationen im Verhältnis von Leistung und Gewicht vieler Komponenten sowie bedeutende Innovationen auf der Ebene der Flugzeugkonfiguration erreicht hat, die zusammen dieses Leistungsniveau ermöglichen. Die Daten, die wir aus unserer Flugtestkampagne erhalten, bestätigen weiterhin unsere Vorhersagen.
Mit dem Lilium Jet wollen wir einen grundlegenden Wandel hin zum klimaneutralen Flugverkehr herbeiführen und haben mehr als 250 der weltweit besten Luftfahrtingenieure für unsere Mission nach Deutschland geholt. In weniger als zwei Jahren haben wir das fünfsitzige Fluggerät entworfen, gebaut und geflogen und in den letzten sieben Monaten haben wir die erste Testphase abgeschlossen und fliegen bereits mit Geschwindigkeiten von über 100 km/h. Wir werden unsere Fortschritte auch weiterhin kommunizieren und möchten Skeptiker ermutigen, etwas Geduld zu haben, wenn wir unsere Mission umsetzen, Deutschland als Heimat des innovativsten Luftverkehrs der Welt zu etablieren.
Wir gehen auch von etwa 100 Kilogramm pro Passagier aus, aber die anderen in der Analyse verwendeten Dimensionen sind ungenau, was zu unzutreffenden Schlussfolgerungen führt. Die Angaben zum Gewicht des Lilium Jets sind im Moment noch vertraulich, aber öffentlich zugängliche Videos des Lilium Jets zeigen das Flugzeug bereits über zwei Minuten in einer Schwebekonfiguration und entkräften diese Behauptung. Die bei diesen Testflügen verwendeten Batterien sind Standard-Lithium-Ionen-Zellen aus dem Jahr 2016 und liefern ca. 240 Wh/kg. Während selbst diese älteren Batterien einen Großteil ihrer Ladung während eines solchen Fluges beibehalten, testen wir bereits jetzt im Labor 300 Wh/kg Batterien, die leicht verfügbar sind.
Was die Größe der Mantelpropeller angeht stimmen wir zu, dass kleinere Rotoren weniger effizient sind als größere. Der Unterschied liegt aber nur im einstelligen Prozentbereich und dem stehen Vorteile gegenüber, die wir für den Lilium Jet nutzen.
Insgesamt stehen wir berechnungen von Außenstehenden, die auf Vermutungen basieren, kritisch gegenüber.
Die Verwendung von elektrisch angetriebenen Ductet Fans anstelle von größeren offenen Rotoren bringt eine Reihe von bedeutenden Vorteilen für den Lilium Jet: Erstens – und vielleicht am wichtigsten – bedeutet es, dass wir Verkleidungen verwenden können, um die Ausbreitung des Lärms gezielt zu steuern und damit die Geräuschemission zu reduzieren. Wir haben ein hochinnovatives Akustikkonzept entwickelt, das das Fluggerät im Schwebeflug rund 25 Dezibel leiser macht als einen Hubschrauber mit vergleichbarem Startgewicht. Diese Technologie ist mit den von unse verwendeten kleinen Triebwerken leichter zu realisieren. Zweitens können wir die kleinen Fans in den Flügel integrieren. Dadurch wird der Luftwiderstand reduziert, was den Verlust an Effizienz durch kleinere Triebwerke aufwiegt. Drittens können wir durch die Integration kleiner, schwenkbarer Triebwerke in den Flügel dieselbe Mechanik sowohl für die Schubvektorsteuerung als auch für die aerodynamische Steuerung verwenden. Dies führt zu einer viel einfacheren Konstruktion als bei vielen anderen VTOLs, die eine separate Mechanik zur Bewegung der Triebwerke und zur Steuerung der Ruderflächen erfordern. Viertens reagieren kleinere Triebwerke extrem schnell auf Leistungsänderungen, was dem Lilium Jet eine bemerkenswerte Manövrierfähigkeit bei niedrigen Geschwindigkeiten ermöglicht. Das konnten wir bei den jüngsten Flugtests nachweisen.
Schließlich definiert die EASA für die Zulassung eine Ausfallrate von 10^-9 für den Totalausfall des Antriebs. Aus diesem Grund müssen alle Systeme redundant ausgelegt werden. Die 36 Triebwerke sind auf zwölf separate, voneinander unabhängige Klappen verteilt. Das bedeutet, dass insgesamt weniger Schub installiert werden muss, um bei Ausfall eines Triebwerks alle notwendigen Manöver fliegen zu können, wodurch Gewicht im Gesamtsystem eingespart wird.
Anmerkung: In den Originalantworten, die trotz deutscher Anfrage komplett auf Englisch an uns geschickt wurden, hieß es: „Finally, for certification, EASA defines a failure rate of 10 ^ -9 with ' no single point of failure'. For this reason, all systems must be designed with redundancy. The 36 engines are spread across 12 seperate flaps, each independent from each other. This means that less thrust has to be installed in order to fly all necessary maneuvers in the event of failure of a thrust unit, saving weight in the overall system.“ Hierbei ist uns völlig unklar, wie infolge von Redundanzauslegungen insgesamt weniger Leistung installiert werden soll. Eigentlich bedeutet Redundanz immer ein Überangebot an Leistung wie beispielsweise bei zweistrahligen Jets, die auch bei Ausfall eines Triebwerks im Start noch genug Leistung haben müssen, um den Start sicher durchzuführen.
Wir sind dankbar für jedes Interesse an unserer Technologie und werden in den kommenden Monaten und Jahren weitere Einzelheiten veröffentlichen, aber wie jedes Technologieunternehmen müssen wir unser geistiges Eigentum schützen, wenn wir sicherstellen wollen, dass Lilium auch weiterhin eine Erfolgsgeschichte für Deutschland ist.
Die EASA und die FAA haben für diesen neuen Sektor alternative Reservekonzepte entwickelt, die sich von der generellen 45-Minuten-Pflicht für propellergetriebene Fluggeräte verabschieden. Da viele andere VTOL-Modelle insgesamt weniger als 45 Minuten Flugzeit erreichen, war ein neuer Standard eindeutig erforderlich, und insbesondere die EASA hat sich als äußerst dynamisch gezeigt, wenn es darum geht, die Regelungen anzupassen und so Zulassung und Betrieb neuer Entwicklungen zu unterstützen. Das Lilium-Team sit seit langem in intemsivem Austausch mit industrieweiten Gremien, die an der Entwicklung dieser Vorschriften arbeiten. Es ist absurd zu vermuten, dass sich Lilium zu einem Unternehmen mit mehr als 400 Mitarbeitern und 100 Millionen Dollar an Finanzmitteln entwickelt hätte, ohne sich vorab mit diesen Themen entsprechend auseinanderzusetzen.
Wir haben Lilium mit Blick auf die europäische Mobilität und Siedlungsstruktur entwickelt und sehen darin einen attraktiven Markt für unsere Aktivitäten. Wir glauben jedoch, dass das Konzept global anwendbar ist und planen, bis 2025 an mehreren Standorten weltweit tätig zu sein. Mit unserem Service werden wir Tausende von kleinen und mittleren Städten mit hoher Geschwindigkeit miteinander und mit Großstädten verbinden können. Dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der ländlichen Regionen deutlich verbessert, das Wachstum gefördert, die Lebensqualität verbessert und Staus verringert. Eine solche Verbindung wäre mit bodengebundenen Verkehrssystemen wie ICE oder Autobahnen niemals möglich, da die Infrastrukturkosten untragbar hoch wären.
Wenn man die typische, erwartete Auslastung eines Lilium Jets (65%) und eines Elektroauto-Taxis am Boden (1,2 Passagiere) nimmt, benötigt der Lilium Jet tatsächlich weniger Energie pro Sitzkilometer. Das Flugzeug ist zwar etwa zehnmal teurer als das herzustellende Auto, aber durch die höhere Auslastung und die fünfmal höhere durchschnittliche Reisegeschwindigkeit werden in einem bestimmten Zeitraum 15-20 Mal so viele Passagierkilometer erbracht wie mit einem Taxi, so dass wir ähnliche Preise wie bei einem bodengebundenen Taxi erzielen können. Die Kunden werden es akzeptieren, gemeinsam ein EVTOL zu nutzen, da die Reisezeit viel kürzer als im Auto ist. Dieses Geschäftsmodell wurde berechnet und durch viele aktuelle Berichte in der Branche bestätigt. Was Lilium hier auszeichnet, ist ein innovativeres, leistungsfähigeres Flugzeug, mit dem wir eine noch bessere Wirtschaftlichkeit der Einheiten erreichen können als die meisten unserer Wettbewerber.
Ja, wir haben ein gut aufgestelltes Team, das sich mit allen Fragen und Aufgaben beschäftigt, die für die Bereitstellung eines funktionierenden Flugbetriebes erforderlich sind, einschließlich der Entwicklung einer Landeplatzinfrastruktur. Wir arbeiten weltweit daran, Partnerschaften für den Bau von Landeplätzen aufzubauen und freuen uns darauf, zu gegebener Zeit weitere Informationen zu diesem Thema veröffentlichen zu können.
Wir sind uns des ökologischen Fußabdrucks unserer zukünftigen Flugzeuge sehr bewusst, einschließlich der für die Batterien benötigten Materialien und der CO2-Emissionen im Energiemix. Wir werden hart daran arbeiten, unseren ökologischen Fußabdruck überall dort zu minimieren, wo wir tätig sind, aber wir dürfen dabei nicht das größte Ziel aus den Augen verlieren, nämlich eine revolutionäre Form des klimaneutralen Flugverkehrs zu ermöglichen.
Fossile Treibstoffe wie Kerosin können niemals klimaneutral werden, aber Elektroflugzeuge haben das Potenzial, eines Tages eine CO2-neutrale Hochgeschwindigkeitsmobilität zu ermöglichen. Dies wird nicht am ersten Tag geschehen, sondern in Schritten. Zunächst müssen wir zeigen, dass das Fluggerät selbst und das Geschäftsmodell funktionieren. In einem zweiten Schritt werden wir den Betrieb CO2-neutral machen. Im dritten Schritt werden wir die Produktion auf CO2-neutrale Fabriken umstellen und im letzten Schritt die Batterien und die Flugzeugstruktur vollständig recyceln. Auf diese Weise glauben wir, dass wir einen echten positiven Einfluss auf die Nachhaltigkeit unseres Planeten haben können.
Fragmente aus dem Baukasten der Lufttaxi-PR
Mit den Antworten Liliums auf unsere Fragen hat sich die aerokurier-Redaktion intensiv auseinandergesetzt. Das schien geboten, weil viele der Aussagen darauf hindeuten, dass man sich wieder der üblichen, von Lilium bekannten Phrasen bedient und wenig Konkretes preisgibt. Bereits die Aussage über die extreme Innovativität des Unternehmens, die bahnbrechende Entwicklungen hervorgebracht hat, muss man kritisch sehen. Sollte es den vier Gründern und ihrem Team gelungen sein, Institutionen wie die NASA, das DLR und andere Organisationen, die seit Jahrzehnten in der Luftfahrt forschen, zu überholen? Wenig wahrscheinlich. Auch der Verweis auf 250 der weltbesten Ingenieure im Team wirkt wie eine Nebelkerze, schaut man sich das sehr junge Durchschnittsalter derjenigen an, die in den Lilium-Videos die ersten Flugversuche bejubeln. Natürlich können junge Ingenieure innovative Ideen haben. Aber sie gleich zu den weltbesten zu erklären, das klingt doch ziemlich großspurig.
Weiterhin verweist Lilium auf ein Video, das einen gut zweiminütigen Flug des Lilium Jets zeigt. Damit seien die Berechnungen des Ingenieurs, der bei genannten Annahmewerten zum MTOW auf eine Schwebeflugzeit von nur gut 60 Sekunden kommt, bereits hinreichend widerlegt. Angesichts der Tatsache, dass Lilium wieder keinerlei Angaben zur Masse seines Fluggeräts macht, muss diese Aussage als PR-Phrase angesehen werden. „Das widerlegt zwar die Erstberechnung, jedoch bei weitem nicht die Variationen, zumal ich vom genannten Gesamtgewicht von 1,5 Tonnen ausgegangen bin, Lilium sich aber zur im Flug tatsächlich bewegten Masse ausschweigt.“
Auch die Aussage, dass Akkus mit einer Energiedichte von 300 Wattstunden pro Kilogramm „leicht verfügbar“ seien, ist zumindest gewagt. Die „Gesamt-Roadmap Energiespeicher für die Elektromobilität“, die das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung 2015 herausgab, sieht 300 Wh/kg als technisch realisierbare obere Grenze für klassische Li-Ion-Akkumulatoren. Lithium-Schwefel-Zellen hingegen, die theoretisch bis zu 450 Wh/kg möglich machen, befinden sich aktuell noch in der Prototypenphase und sind demnach weit von einer Serienreife entfernt – zumal in sicherheitskritischen Anwendungen wie Luftfahrzeugen.
Liliums Antwort, warum man auf die kleinen und weniger effizienten Mantelpropeller setzt, verwundert ebenso. Eine Lärmreduktion von 25 Dezibel verglichen mit einem gleich schweren Hubschrauber wird als entscheidendes Kriterium genannt, erst danach kommen die einfache Integration in die Tragflächen und die sich daraus ergebende gute Manövrierfähigkeit. Der Autor unserer Konzeptkritik entgegnet dazu: „Bei vergleichbarem Startgewicht braucht es auf Ober- und Unterseite der Rotorkreisflächen dieselben Druckunterschiede, die an den Blattspitzen ineinander wirbeln und den Lärm verursachen. Werden nun Ummantelungen zur Abschirmung eingesetzt, sinkt vielleicht der Lärm, aber damit auch der Wirkungsgrad. Lärmreduzierung bedeutet nichts anderes als Leistungseinbuße. Hier forschen Triebwerkshersteller wie Rolls Royce, P&W und GE auch schon seit Jahrzehnten. Krass, wie Lilium das alles besser weiß.“
Noch härter entgegnet der Ingenieur den Aussagen zu den Vorzügen der Integration der Antriebe in den Tragflügel. „Hier wird das Märchen der Effizienzsteigerung durch die “embedded wing propulsion„ wieder erzählt. Das Konzept tauchte erstmals bei ein paar wenigen Bombern zu Beginn des Kalten Krieges. Die NASA und andere haben daran endlos lang geforscht, dennoch ist es Exoten wie der B2B vorbehalten geblieben und hat sich sonst nicht durchgesetzt. Das sehr verklausuliert formulierte Argument, dass durch Grenzschichtabsaugung an der Flügeloberseite signifikant Widerstand eingespart wird, zeugt von fehlendem Verständnis für Profilaerodynamik. Heutige Laminarprofile haben schon laminare Lauflängen bis zu 90 Prozent. Nun sitzen bei ca 70 Prozent Tiefe schon die Triebwerke, die die Strömung erst in Rotation versetzen und dann wieder zurückdrehen, was ebenso Energieverlust bedeutet wie die Wandreibung. Schließlich sind die Triebwerke nicht voll in den Flügel integriert, was noch einmal Formwiderstand und damit Energieverlust bedeutet.“
Die großspurige Ankündigung, bis 2025 ein erstes Landeplatznetz zur Verfügung zu haben, ist ebenso denkwürdig. Zwar erklärt Daniel Wiegand bei seinem Auftritt bei der EASA High Level Conference on Drones 2019, dass der Lilium Jet problemlos Flächen von der Größe eines Heliports nutzen könnte. Allerdings sind nahezu alle Deutschen Heliports Landestellen an Krankenhäusern, klassische, zivile Hubschrauberlandeplätze für die Allgemeinheit, wie sie in den USA nicht selten auf Hochausdächern existieren, gibt es hierzulande nicht.
Schließlich muss man auch die Aussagen zur Effizienz kritisch hinterfragen. In seiner Berechnung zieht der Ingenieur mehrfach Vergleiche zum Tesla Model S, und jedes Mal wird deutlich, dass der Elektro-Sportwagen den Lilium Jet deutlich übertrifft. Auch die Argumentation zur höheren Passagierkilometerleistung des Jets ist laut Ingenieur nicht haltbar. „Wenn im selben Zeitraum entsprechend den Durchschnittsgeschwindigkeiten (60 km/h gegenüber 300 km/h) fünfmal so viele Passagiere befördert werden, bedeutet das nicht, dass der Verbrauch je Kilometer um den Faktor fünf gesunken ist, sondern die Gesamtenergieabgabe beim Jet um den Faktor fünf höher ist. Der Jet musste also fünfmal öfter an die Ladesäule. Dort verbringt das Gerät auch Zeit, sodass der Faktor hier eigentlich niedriger anzusetzen ist.“
Fazit
Insgesamt wirkt Liliums komplette Argumentation wie die Manifestierung eines Wunschtraums. Wer sich auf der Website des Unternehmens umschaut, die Bilder sieht vom Kerl mit dem Surfbrett im Sonnenuntergang, dem Typen in Befreierpose vor dem Wasserfall und den Menschen, die in den Himmel blicken, bekommt eine Ahnung davon, was Prof. Dr. Mirko Hornung von der TU München meinte, als er im Gespräch mit dem aerokurier davon sprach, dass Lilium mittels genialer PR eine Scheinwelt errichte, um Investoren anzulocken.
Es ist Lilium nicht gelungen, unserer Kritik entkräftend zu begegnen. Wir sind gespannt, ob sie dennoch ihr Ziel erreichen, mit dem Lilium Jet fünf Personen mit 300 km/h über 300 Kilometer zu befördern und ab 2025 einen funktionierenden Lufttaxi-Service mit zahlreichen Landeplätzen in Klein- und Großstädten anzubieten.
Wir gönnen ihnen den Erfolg, denn der aerokurier hat stets den Fortschritt der Allgemeinen Luftfahrt im Fokus. Aber im konkreten Fall bleiben wir so lange skeptisch, bis uns Lilium das Gegenteil beweist.