Zehn Prozent über dem Limit ist noch im grünen Bereich – dieser weit verbreitete Irrtum steht nicht zum ersten Mal im Fokus eines Praxis-Berichts (siehe aerokurier 12/2021). Selbst wenn die Betriebsgrenzen eines Flugzeugs nur minimal überschritten werden, kann sich das Risiko eines Unfalls deutlich erhöhen. Ein Fall aus dem Jahr 2020 zeigt, wie sich mehrere ungünstige Faktoren am Rande der Betriebsgrenzen zu einer gefährlichen Situation addieren können.
Der 12. Juli 2020 ist ein vergleichsweise kühler Hochsommertag. Der Flugplatz Daun-Senheld in der Vulkaneifel meldet am Vormittag Sichtflugbedingungen mit geringer Bewölkung. Laut METAR des 15 Kilometer entfernt gelegenen Militärflugplatzes Büchel weht ein lauer Wind mit sieben Knoten aus Nordost. Die Bodentemperatur beträgt nur 17 Grad Celsius.
Kurz vor elf Uhr bereitet sich auf dem rund 100 Kilometer südlich von Senheld gelegenen Segelfluggelände Kusel-Langenbach ein Pilot auf einen Überlandflug vor. Der 59-Jährige will mit einem Ultraleichtflugzeug des Typs Eurofox Pro in die Vulkaneifel fliegen. Der Zielflugplatz: Daun-Senheld. Mit an Bord ist ein Passagier.
In seinem Flugbuch hat der UL-Pilot bis zu diesem Zeitpunkt rund 200 Stunden gesammelt. Im Hauptflugbuch am Flugplatz Langenbach sind für das Jahr 2020 drei Starts des Piloten mit dem Eurofox dokumentiert. Demnach war er bis zum 12. Juli drei Stunden und zwölf Minuten in der Luft.
Gegen elf Uhr Ortszeit startet der Eurofox von der 800 Meter langen Graspiste in Kusel-Langenbach und nimmt Kurs Richtung Norden. Der Flug nach Daun-Senheld dauert rund 50 Minuten. Kurz vor zwölf Uhr meldet sich der Pilot über Funk zur Landung am Zielflugplatz an. Der Senhelder Flugleiter informiert ihn darüber, dass die Piste 09 in Betrieb ist. Außerdem meldet er schwachen Wind in Bodennähe.

Missglückte Landung auf kurzer Piste
Der Eurofox fliegt daraufhin in die Senhelder Platzrunde ein und setzt zur Landung auf der lediglich 482 Meter langen Asphaltpiste an. Offenbar ist das UL im Endteil noch sehr hoch, sodass der Pilot erst auf Höhe der Halbbahnmarkierung zum ersten Mal den Boden berührt. Zeugen, die den Landeanflug beobachten, berichten später vom Versuch des Piloten, das Flugzeug kurz nach dem Aufsetzen abzubremsen. Da die Piste jedoch ab der Halbbahnmarkierung nur noch etwa 240 Meter Asphalt bis zur Schwelle bietet, beschließt er, ein Durchstartmanöver einzuleiten – ein verhängnisvoller Fehler, wie sich nur wenige Sekunden später zeigen wird. Am Ende der Piste zieht der Pilot den Hochdecker mit einem deutlich vergrößerten Anstellwinkel in die Luft. Nur wenige Augenblicke danach kippt das Ultraleichtflugzeug nach links ab und kracht fast senkrecht auf einer nahe gelegenen Wiese auf. Die Maschine fängt beim Aufprall sofort Feuer und brennt innerhalb kurzer Zeit aus.
Für den Piloten können die herbeieilenden Rettungskräfte nichts mehr tun, er hat sich beim Aufprall tödliche Verletzungen zugezogen. Sein Passagier kann sich schwerverletzt aus dem Wrack des Eurofox befreien. Ersthelfer bringen ihn anschließend aus der unmittelbaren Gefahrenzone des brennenden Flugzeugs.

Absturzstelle direkt hinter der Schwelle
Die Stelle, an der der Eurofox aufgeschlagen ist, liegt nur etwa 250 Meter von der Schwelle der Landerichtung 27 entfernt. Von dem Ultraleichtflugzeug ist nicht mehr viel vorhanden. Lediglich Höhen- und Seitenleitwerk wurden nicht ganz vom Feuer erfasst. Das übrig gebliebene Stahlrohrgerüst des Rumpfes ragt an der Absturzstelle nahezu senkrecht in die Luft.Durch den harten Aufschlag ist sogar der Motorträger geborsten. Der Motor selbst wurde dabei von der Zelle abgerissen. Auch die Tragflächen sind wie der Rumpf durch das Feuer regelrecht skelettiert worden. Zudem wurden die Aluminiumteile an der Zelle durch die extreme Hitzeentwicklung zum Schmelzen gebracht.
Die starken Schäden aufgrund des Brandes lassen eine genaue technische Begutachtung durch die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) nicht mehr zu. Darüber hinaus ergibt eine Überprüfung der Steuerflächen jedoch keine Hinweise auf eine Fehlfunktion der Steuerung.
Die BFU-Experten ermitteln im Zuge der Unfalluntersuchung das Abfluggewicht des Eurofox. Demnach hatte das Ultraleichtflugzeug beim Start eine Zuladung von 174 Kilogramm. Bei einer angenommenen Kraftstoffmenge von rund 25 Litern (18,75 Kilogramm) ergibt sich nach den Berechnungen der BFU eine Abflugmasse von 491,25 Kilogramm. Laut Handbuch betrug die maximal zulässige Abflugmasse jedoch nur 472,5 Kilogramm. Folglich war der Eurofox in Langenbach mit 18,75 Kilogramm überladen. Nach knapp unter einer Stunde Flugzeit bei einem angenommenen Kraftstoffverbrauch von zehn Litern (7,25 Kilogramm) hatte das UL zum Zeitpunkt des Durchstartmanövers in Senheld immer noch eine Überladung von 11,5 Kilogramm.

Fehlentscheidung unter Stress
Als Unfallursache verstärkten sich mehrere Faktoren gegenseitig: Das Abbremsen des ULs nach dem Aufsetzen auf Höhe der Halbbahnmarkierung verringerte die ohnehin geringe verbliebene Bahnlänge zusätzlich. Selbst eine minimale Überladung kann unter diesen Umständen fatale Folgen haben, da sie die Mindestgeschwindigkeit erhöht. Dann kommt es möglicherweise schon in einem Geschwindigkeitsbereich, der nicht als gefährlich wahrgenommen wird, zum Strömungsabriss. Vermutlich reagierte der Pilot unter dem Stress der missglückten Landung mit der folgenreichen Fehlentscheidung: dem Durchstartmanöver. Kurz darauf steuerte er das UL in einen überzogenen Flugzustand. Da ein Rollweg direkt ans Ende der Bahn in Startrichtung anschließt, wäre ein Überschießen der Schwelle wohl mit einem deutlich geringeren Risiko verbunden gewesen.