Unfallanalyse: Der letzte Flug der GrassHoppers

Unfallanalyse
Der letzte Flug der GrassHoppers

Zuletzt aktualisiert am 11.01.2024

Spätestens seit der verheerenden Katastrophe von Ramstein im Jahr 1988 stehen Formationsflugvorführungen regelmäßig in der Kritik. Für viele Zuschauer gehören sie dennoch zu den Highlights einer Airshow. Dass enge Manöver mehrere Flugzeuge aber selbst bei vermeintlich einfachen Figuren mit einem großen Risiko verbunden sind, zeigt das dramatische Ende der UL-Staffel Grass-Hoppers bei einer Airshow im schweizerischen Dittingen.

Drei freundlich hellgrün-weiß lackierte Ultraleichtflugzeuge des Typs Comco Ikarus C42 B stehen am Morgen des 23. August 2015 auf dem Vorfeld des Segelfluggeländes Dittingen im Kanton Basel, Westschweiz, bereit. Die Piloten wollen im Rahmen einer Airshow vor zahlreichen Zuschauern ihr Formationsflugprogramm vorführen. Sie lassen die Rotax-Triebwerke auf dem Vorfeld des Flugplatzes warmlaufen und rollen kurz darauf in Richtung der Piste 11.

Um 11:17 Uhr startet die erste Maschine, die anderen beiden folgen in kurzem Abstand. Nach dem Takeoff schließen sich die drei ULs in etwa 300 Fuß Höhe über dem Platz zu einer Dreiecksformation zusammen.

Frank Herzog

Routinierter Programmablauf

Das zuerst gestartete UL führt die Gruppe als Leader an. Es folgen Pilot 2 in der Position hinten rechts und Pilot 3 hinten links. Die beiden hinten fliegenden ULs halten eine Linie mit jeweils gleichen Abständen zum Formationsführer. Die ersten Figuren des Programms laufen wie geplant, die Kommunikation funktioniert routiniert. Vor der letzten Figur wollen die Piloten ein von ihnen "die Welle" genanntes Manöver zeigen. Dazu drehen die Schulterdecker erneut in der Dreiecks-formation in eine Linkskurve, um auf die Vorführachse nördlich des Platzes, parallel zur Startbahn zu kommen. Im Geradeausflug reduziert der Leader die Geschwindigkeit seines Ultraleichtflugzeugs, damit die hinter ihm fliegenden Piloten ihn überholen können. Die Piloten 2 und 3 fliegen daraufhin rechts und links, leicht oberhalb am Formationsführer vorbei. Nach dem Überholmanöver fliegen sie mit einem seitlichen Abstand von etwa vier Flügelspannweiten voraus. Dabei übernimmt nun Pilot 3 die erste Position. Über Funk gibt er das Kommando: "Smoke on!" Die C42 von Pilot 2 fliegt zu diesem Zeitpunkt rechts von Pilot 3 auf gleicher Höhe.

Mit dem Kommando "Smoke on" geht Pilot 1 in einen Steigflug. Er will zwischen den Flugbahnen der beiden anderen ULs eine auf- und abschwingende Linie fliegen – die Welle. An den höchsten Punkten seiner Bahn ist er höher als die beiden vor ihm fliegenden ULs, in den Wellentälern befindet er sich unterhalb von deren Flugwegen.

Die Piloten 2 und 3 nähern sich einander nun bis zu einem seitlichen Abstand von etwa einer Flügelspannweite. Bei seinem zweiten Sinkflug hin zum Wellental verringert sich auch der Abstand von Pilot 1 zu den anderen beiden ULs. Am tiefsten Punkt seiner Flugbahn vor dem dritten Steigflug bewegt er sich deutlich unter den beiden anderen ULs. Währenddessen hat sich die Flughöhe von Pilot 3 seit dem Vorbeiflug am Leader, unmittelbar vor der Figur "Welle", um rund 30 Meter verringert.

SUST

Riskante Konstellation

Die Konstellation der drei Flugzeuge ist in diesem Moment hochriskant: Pilot 1 kann beim Einleiten des dritten Steigflugs die beiden anderen ULs und deren Rauchfahnen nicht sehen. Er reduziert die Motorleistung, drückt den Knüppel nach vorn und will einen Funkspruch abgeben. Dann hört er einen lauten Schlag: Um 11:21 Uhr kollidiert sein UL mit der vor ihm, leicht erhöht fliegenden C42 von Pilot 2. Bei dem Zusammenstoß treffen Antrieb und Cockpit von Pilot 1 den hinteren Rumpfteil des ULs von Pilot 2. Daraufhin kippt dessen UL nach vorne und stürzt senkrecht in die Tiefe. Kurz darauf kracht die Maschine in dem Dorf Dittingen in einen Unterstand und fängt sofort Feuer. Das UL brennt dabei vollständig aus. Der Pilot hat keine Chance, den Absturz zu überleben.

Pilot 1 aktiviert kurz nach der Kollision das Gesamtrettungssystem seiner Maschine. Die C42 geht wenig später am Fallschirm hängend im Garten eines Hauses am Ortsrand von Dittingen zu Boden. Der Pilot kann sich mit nur leichten Verletzungen selbst aus dem Wrack befreien.

SUST

Währenddessen ist der dritte Pilot von dem Zusammenprall nicht betroffen. Er wartet im Moment des Unfalls auf das Kommando "Smoke off" des Leaders. Das Geräusch der Kollision beschreibt er später mit den Worten: "Als würde sich ein Propeller in etwas hineinfressen." Er dreht daraufhin einen Vollkreis nach links und sieht das UL von Pilot 1 am Fallschirm hängend zu Boden gehen. Den brennenden Unterstand im Dorf bemerkt er erst danach. Dann meldet er den Unfall über Funk der Flugleitung und landete kurz darauf sicher auf dem Flugplatz.

Bei der Untersuchung der Ereignisse vom 23. August 2015 nehmen die Ermittler der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) die Hintergründe der UL-Formation Grass-Hoppers unter die Lupe. Die Gruppe stammt aus dem badischen Bremgarten. Die Idee zu einer Formation von Ultraleichtflugzeugen entstand bereits einige Jahre zuvor. Die drei UL-Piloten wandten sich zur Umsetzung ihrer Pläne an einen ehemaligen Waffensystemoffizier der deutschen Luftwaffe, der ihnen als Ausbilder und Berater zur Seite stand. Als Fluglehrer verfügte Pilot 3 zwar über viel Flugerfahrung, jedoch hatte er bis zur Gründung der Formation im Jahr 2011 keine nennenswerte Praxis im Formationsflug. Die beiden anderen Piloten hatten das Fliegen bei ihm gelernt.

Leader mit weniger Erfahrung

Die Gruppe traf sich in der Ausbildungsphase wöchentlich ein- bis dreimal zum gemeinsamen Training. Die Funktion des Leaders der Formation habe Pilot 1 übernommen, da das Aufschließen im Formationsflug für die beiden anderen Piloten mit ihren stärker motorisierten ULs einfacher gewesen sei, heißt es im Schlussbericht der SUST. "Als Leader der Formation wurde nicht der Pilot mit der grössten Flugerfahrung bestimmt, sondern der mit dem schwächer motorisierten Flugzeug. Die drei Piloten waren sich offenbar der Aufgaben und der Rolle eines Leaders einer Formation nicht bewusst", so die Ermittler.

Die drei Piloten hatten die Figuren aus dem Training Schritt für Schritt zu einem Programm zusammengefügt. Die Ideen zu den Manövern entstanden im Team oder kamen von Außenstehenden. Bis zum Unfallflug hatten sie ihr Programm bereits mehrfach öffentlich vorgeführt.

Die SUST bemängelt bei der Planung besonders die mangelhafte Struktur der Formation: "Eine klare Führungsverantwortung, wie sie für die Planung, Durchführung und Analyse von Trainings und Vorführungen hilfreich wäre, war nicht vorhanden", so die SUST.

Eingeschränke Sichtverhältnisse

In der Flugfigur, die schließlich zur Kollision führte, sehen die Ermittler ein besonders hohes Risiko: "Die Figur Welle, wie sie mit den drei Flugzeugen geflogen wurde, beinhaltete nahezu keine Fehlertoleranz. Mit ihr war deshalb ein inhärentes Kollisionsrisiko verbunden." Die SUST sieht dabei insbesondere auch die eingeschränkten Sichtverhältnisse aus dem Cockpit der C42 kritisch. Das Problem sei den Piloten durchaus bewusst gewesen, heißt es im Schlussbericht weiter.

SUST

Aber auch das Verfahren der Piloten halten die Experten für problematisch: "Zur Abschätzung des Abstandes zu den beiden vor ihm (...) fliegenden Flugzeugen gab es keine objektiven Kriterien, anhand derer er (Pilot 1, die Red.) den Zeitpunkt zum Einleiten der ersten Steigphase bestimmen konnte." Die Ausgangslage konnte demnach stark variieren. Pilot 1 habe die Flugebene der vorausfliegenden ULs am Unfalltag dann ohne Sichtkontakt durchstoßen.

Als Sicherheitsrisiko bewertet die SUST darüber hinaus die Tatsache, dass das Schweizerische Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) den Piloten überhaupt eine Vorführbewilligung erteilt hatte.