Praxis Steuerseile
Eine aktuelle Lufttüchtigkeitsanweisung zu den Steuerseilen in Flugzeugen der Firma Piper erinnert daran, dass auch die sehr einfache Technik unserer Flugzeuge hin und wieder ein wenig Aufmerksamkeit braucht.
Seile werden in unseren Flugzeugen für alle Hauptsteuerungen verwendet. Das Seitenruder wird in fast allen Sportflugzeugen mit Seilen bewegt. Bei den sehr verbreiteten Mustern PA-28 von Piper und C-152/172 von Cessna wird auch das Höhenruder über Seile betätigt. In der Querrudersteuerung findet man Seile zum Beispiel bei Klassikern wie PA-18 und Rans S6/S7. Versagt eine Seilverbindung in der Hauptsteuerung, so sind die Folgen meist verheerend.
Auch in den Nebensteuerungen werden häufig Seile verbaut. So zum Beispiel für die Trimm- oder Bremsbetätigung.
Es sind auch Seile als Verspannungen in der Struktur von vielen älteren Flugzeugen zu finden. Um diese Seilverbindungen geht es hier nicht, viele Dinge, insbesondere die Wartung, sind aber übertragbar.
Auch für ein einfaches System wie ein Steuerseil ist ein grundlegendes Verständnis des Systems die Voraussetzung für eine angemessene Kontrolle und Wartung.
Welche Vorteile hat eine Anlenkung über Seile? Der Werkstoff (Stahl) wird im Seil nur auf Zug beansprucht - das erlaubt eine optimale Ausnutzung der Festigkeit. Die gute Ausnutzung der Festigkeit führt zu kleinen Systemmassen, hilft also Gewicht sparen. Gleichzeitig bietet ein Stahlseil eine sehr hohe Sicherheit gegen Gewaltbruch, und Dauerfestigkeitsprobleme sind nur an Umlenkungen denkbar. Weiterhin lässt sich mit einer richtig konstruierten Seilanlenkung ein sehr geringes Spiel realisieren.
Und die Nachteile? Die Seilspannung kann sich mit unterschiedlichen Umgebungstemperaturen ändern, und es können nur Zugkräfte übertragen werden.
Da die Vorteile sichtbar die Nachteile überwiegen, werden Seilverbindungen seit Anbeginn der Luftfahrt in Flugzeugen verbaut. Bei den in der Steuerung von heutigen Flugzeugen verwendeten Seilen handelt es sich um verzinkte Stahlseile nach DIN ISO 2020 (früher LN9374) oder Seile aus rost-freiem Stahl, Ausführung 1B (früher LN9389). Diese Normen legen den Aufbau der Seile fest. So besteht jedes Seil aus sieben Litzen, auch Kardeele genannt. Das sind dünnere Seile, die je nach Durchmesser des Gesamtseils aus sieben oder 19 Einzeldrähten aufgebaut sind. Verwendet werden in der Flugzeugzelle hauptsächlich Seile mit 2,4 Millimeter (sieben Drähte pro Kardeele) und 3,2 Millimeter (19 Drähte pro Kardeele) Außendurchmesser.
In Hauptsteuerungen findet man immer das dickere Seil. Die Einzeldrähte der Kardeele sind geschlagen, also in sich verdrillt. Die Kardeele wiederum sind gegenüber dem Gesamtseil in der anderen Richtung geschlagen, Kreuzschlag genannt. Dadurch liegen die Oberflächen der Einzeldrähte außen am Seil praktisch in Längsrichtung. Das Seil wird dadurch glatter und neigt weniger zum Knicken oder zur Schlingenbildung. Weiterhin hält der Schlag das Seil zusammen und verhindert das Auflösen in Kardeele und Einzeldrähte.
Um mit einem Seil nun aber eine Steuerkraft zu übertragen, muss das Seil in geeigneter Weise mit anderen Teilen verbunden werden. Ein Knoten ist sicher nicht geeignet. In der Regel werden die Seile an den Enden durch Quetschen mit Anschlussstücken verbunden oder zu Schlaufen geformt. Beim Quetschen wird eine Hülse unter Druck so stark auf das Seil aufgepresst, dass sich der Hülsenwerkstoff bis in die Vertiefungen zwischen den Einzeldrähten legt und so eine kraftschlüssige Verbindung entsteht. In der Serienproduktion können solche Anschlussstücke als Gewindestift, Gewindehülse, Öse oder Gabel ausgeführt sein. In Motorseglern und Segelflugzeugen findet man meist Seilenden, die mit einer Kausche zu einer Schlinge oder Öse geformt sind. Die Schlinge ist dann durch eine auf gequetschte Aluminium-(Talurit®-) oder Kupferhülse (Nicopress®) geschlossen. So eine Verbindung lässt sich mit einer Quetschzange oder einem Schlagwerkzeug schnell und unkompliziert herstellen und reparieren.
Eine weitere Möglichkeit, ein Seil zu einer Schlinge zu schließen, stellt das Spleißen dar. Dabei wird das freie Seilende mit dem Seil selbst verwoben. Dieses Verfahren ist festigkeitsmäßig optimal, für die Reparatur oder Produktion von Flugzeugen aber zu zeitaufwendig.
Ist es nicht möglich, ein Steuerseil geradlinig im Flugzeug zu verlegen, so muss es umgelenkt werden. Die Umlenkung kann durch Umlenkrollen oder Gleitführungen realisiert werden. Mit einer Gleitführung sind allerdings nur Richtungsänderungen bis maximal drei Grad zulässig. Außerdem ist der Verschleiß an Seil und Gleitstück größer als bei Verwendung einer Umlenkrolle.
Auf Grund von Herstellungstoleranzen und weil eine Seilverbindung sich im Laufe der Jahre längen kann, ist es nötig, eine Möglichkeit zur Einstellung der Seilspannung vorzusehen. Am einfachsten geschieht das mittels Spannschlössern. Es ist aber auch möglich, Spannrollen zu integrieren. Im Wartungshandbuch sind die geforderten Seilspannungen für das spezielle Flugzeugmuster zu finden.
Mit diesem kompakten Grundwissen fällt die Beurteilung der Steuerseile bei Kontrolle und Wartung schon sehr leicht. Natürlich ist eine genauere Kontrolle der Steuerseile nicht nur bei Flugzeugen von Piper sinnvoll. Je nach Alter des Flugzeugs sollte man sich im eigenen Interesse die Zeit dafür nehmen.
Im ersten Schritt sollte die Seilverbindung immer von Schmutz und Oberflächenkorrosion befreit werden. Zink aus den galvanisierten Oberflächen oxidiert mit der Zeit zu Zinkoxidpulver, welches als weiße Flecken zu sehen ist. Mit einem sauberen Tuch oder Poliervlies (z. B. Scotch-Brite®) und wenn nötig etwas Reinigungsmittel werden die Oberflächen abgewischt. Während man mit dem Tuch über das Stahlseil gleitet, wird es gleichzeitig auf gebrochene Drähte kontrolliert, da die Drahtenden sich im Tuch verhaken. Oder in der Haut der Hand, wenn man nicht vorsichtig ist. Ein Seil mit gebrochenen Drähten ist in jedem Fall auszutauschen. Insbesondere an Umlenkungen sind Drahtbrüche zu erwarten.
Auch die Abnutzung der Seiloberfläche wird an den Umlenkungen kontrolliert. Die Oberflächen der außen liegenden Einzeldrähte können Schleifflächen aufweisen. Spätestens, wenn diese Flächen die Breite des Einzeldrahtes erreicht haben, also zusammenwachsen, ist auch hier ein Austausch des Seils nötig.
Die vorhandenen Gleitführungen werden auf übermäßige Abnutzung geprüft und bei Bedarf ausgetauscht. Umlenkrollen werden auf den Zustand der Rollennut kontrolliert. Abnutzungserscheinungen in der Rollennut deuten auf eine zu große Seilspannung, eine blockierte Seilrolle oder nicht fluchtende Ebenen von Rolle und auf- oder ablaufendem Seil hin. Manche Seilrollen müssen bei Steuerbetätigung eine Schwenkbewegung vollführen. Die Lagerung der Rolle wird auf freies Schwenken geprüft. Abschließend wird an der Rolle die Ablaufsicherung begutachtet. Sie verhindert ein Abspringen des Seils von der Rolle bei fehlender Seilspannung.
Zur Kontrolle der Anschlussstücke und Spannschlösser einer Seilverbindung werden diese sehr genau auf Risse oder andere Auffälligkeiten untersucht. Piper Aircraft empfiehlt in der technischen Mitteilung (SB 1245) dazu ein Zehnfach-Vergrößerungsglas, einen Spiegel und eine Lichtquelle. Seilschlingen mit stark verformten Kauschen oder Quetschhülsen sind zu reparieren oder zu erneuern. Das freie Seilende muss immer sichtbar aus dem Ende einer Quetschhülse herausschauen.
Die korrekte Seilspannung ist nach Vorgaben des Wartungshandbuches zu kontrollieren und bei Bedarf zu korrigieren. Eine zu geringe Seilspannung bedeutet erhöhtes Spiel in der Steuerung und die Gefahr eines klemmenden Seils in Umlenkrollen.
Ist das Seil zu straff, so führt das zu erhöhtem Verschleiß von Seilrollen, Gleitführungen und Anschlussstücken. Zum Messen der Seilspannung werden spezielle Geräte verwendet, die jeder luftfahrttechnische Betrieb haben sollte.
Alle Verschraubungen von Schäkeln und Ösen sowie auch die Spannschlösser müssen in geeigneter Weise gegen Lösen gesichert sein. Bei Spannschlössern geschieht das in der Regel mittels Siche-rungsdraht.
Abschließend ist der Korrosionsschutz des vorher gereinigten Seils wieder herzustellen. Dazu bieten sich wachshaltige Mittel an, wie sie beim Hohlraumschutz angewendet werden. Öl und Fett sind nicht empfehlenswert, da sie Staubkörner binden und so in das Seil und die Seilführungen bringen, wo sie als Schleifmittel zu verstärktem Verschleiß führen können.
So gepflegt, sind die Seilverbindungen im Steuersystem von Sportflugzeugen fast unbegrenzt haltbar.
Autor: Tim-Peter Voß, selbständiger Luft- und Raumfahrtingenieur