Zugegeben: Der Bericht ist schon ein paar Tage alt, fertiggestellt wurde er am 6. Dezember 2024. Er fasst zusammen, was drei Inspekteure der europäischen Flugsicherheitsagentur EASA bei ihrer Überprüfung der für Flugmedizin zuständigen Abteilung L bzw. des Referats L6 zwischen dem 23. und 27. September 2024 feststellten. Die Ergebnisse sind eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und sollten im Kreise der davon Betroffenen, sprich EASA und LBA, bleiben. Sie wurden dem aerokurier im Zuge der aktuellen Debatte rund um die Zustände im Referat L6 und das mutmaßliche Versagen von Abteilungs- und Behördenleitung anonym zugespielt. Da in diesem Bericht keine personenbezogenen Daten verarbeitet sind und sein Inhalt aus Sicht der aerokurier-Redaktion von hohem öffentlichem Interesse ist, haben wir uns entschlossen, daraus zu zitieren.
Sprengstoff in sachlich-ruhigem Stil
Wenngleich im typisch sachlich-ruhigen Stil von EASA-Berichten verfasst, so birgt der Schriftsatz doch einigen Sprengstoff, denn er bestätigt das, was unsere bisherigen Recherchen ergeben haben: massive Probleme im Referat L6.
Im Rahmen der Inspektion wurden laut einleitender Zusammenfassung des Berichts ein flugmedizinisches Zentrum (Aeromedical Center, kurz AeMC) besucht, um die Aufsicht über zugelassene Organisationen im inspizierten Bereich zu überprüfen. Darüber hinaus nahmen die Inspektoren zwei flugmedizinische Sachverständige (Aeromedical Examiner, kurz AMEs) unter die Lupe, um die Erstzertifizierung und Aufsicht über die AMEs in der Zuständigkeit des LBA zu überprüfen.
Insgesamt, so die Zusammenfassung, habe das LBA zwar nachweisen können, dass es in der Lage sei, seine Aufgaben im Zusammenhang mit der medizinischen Zertifizierung von Flugbesatzungsmitgliedern wahrzunehmen. Allerdings attestieren die Inspekteure der Behörde in einigen Bereichen erheblichen Verbesserungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der Zertifizierung von Aeromedical Centern und der Aufsicht über niedergelassene Fliegerärzte.
Die EASA kommt – und kein LBA-Arzt ist da
Einerseits bedankte sich die EASA bei der LBA-Geschäftsführung für ihre Offenheit, Transparenz und Professionalität während der gesamten Inspektion. Andererseits bedauerte das Team die Abwesenheit der vom LBA benannten medizinischen Gutachter, die "eine Schlüsselrolle bei der medizinischen Zertifizierung spielen", wie es im Bericht heißt. Und weiter: Nach Einschätzung der Inspekteure "hatte diese Abwesenheit Auswirkungen auf die Gesamteffizienz und -wirksamkeit der Inspektion".
Nochmal im Klartext: Die EASA schickt Inspekteure, um sich ein Bild von der Funktionsfähigkeit des Referats zu machen, in dem über die medizinische Tauglichkeit von Piloten entschieden wird. Aber von denjenigen, die hier das letzte Wort haben, ist in dieser Zeit nicht einer da, um Fragen zu beantworten. Das muss man sich als Behörden- bzw. Abteilungsleitung auch erstmal trauen, mit so viel Chuzpe in ein derartiges Verfahren zu gehen und der europäischen Aufsicht zu sagen, "Sorry, von den Ärzten ist keiner da, aber die Sachbearbeiter könnt ihr fragen". Es werden also nicht nur Piloten, Fliegerärzte und Gerichte vom LBA vorgeführt, sondern auch die Europäische Flugsicherheitsagentur.

Die EASA kommt zur Kontrolle, aber die Fliegerärzte sind nicht da. Zufall oder Absicht?
LBA sieht keine Auswirkungen
Dass das Luftfahrt-Bundesamt in der Diskussion über den Bericht die EASA-Kritik bezüglich Abwesenheit seiner Ärzte abzubügeln versucht und erklärt, Auswirkungen seien nicht erkennbar gewesen, zeugt einmal mehr von der Hybris der Behörde. Die EASA kontert entsprechend: "Das während der Vorbereitungsphase vereinbarte Standardisierungsinspektionsprogramm sieht vor, dass der Vertreter der für den inspizierten Bereich zuständigen Behörde während der entsprechenden Inspektionsphase für Gespräche zur Verfügung steht. Der Grund dafür ist, dass gemäß ARA.GEN.200(b) und ARA.MED.120 der medizinische Gutachter die Schlüsselperson für die Durchführung aller Aufgaben im Zusammenhang mit der flugmedizinischen Zertifizierung und de facto der wertvollste Ansprechpartner auf technischer Ebene ist. Daher hatte diese Abwesenheit Auswirkungen auf die Gesamteffizienz und -wirksamkeit der Inspektion."
Die in der Zusammenfassung des Berichts lobend erwähnte "positive und konstruktive Haltung", die Abteilungsleiterin Yvonne Dams und die damalige Leiterin von Referat L6, Susanne Schneider, "in allen Phasen des Prozesses" an den Tag gelegt haben sollen, liest sich angesichts der Ärzte-Posse wie eine deplatzierte Höflichkeitsformel. Die Einzelnen Findings tun ein Übriges dazu.
Acht Findings, sechs davon Sicherheitsrelevant
Von den insgesamt acht Feststellungen stuften die EASA-Vertreter sechs als sicherheitsrelevant ein. Dazu zählen unter anderem die personelle Besetzung und das Personalmanagement, die Qualifikation und Schulungen der medizinischen Gutachter – sprich der beim LBA angestellten Fliegerärzte –, die Verwaltung der Revalidierung von AMEs und allgemein die Zertifizierung und Überwachung von Fliegerärzten und Flugmedizinischen Zentren.
Der erste wesentliche Punkt, der der EASA missfällt, ist die personelle Ausstattung von L6. Seinerzeit sind dort elf Vollzeitstellen für Ärzte vorgesehen. Die damalige "Kapazität zur Erfüllung der Aufgaben gemäß ARA.MED.120" betrug jedoch nur 2,81 Vollzeitstellen für voll qualifizierte medizinische Gutachter. Interessant ist, dass der Bericht hier explizit von "voll qualifizierten" Ärzten spricht, weshalb man sich fragen darf, warum gemäß Auskunft des LBA Entscheidungen dort noch immer von Ärzten getroffen werden, denen diese Kompetenz fehlt. In entsprechender Ausbildung befanden sich laut Bericht damals zweieinhalb Vollzeitstellen-Äquivalente. Den Sachverhalt stuft die EASA als Klasse-D-Verstoß ein. Damit werden laut Durchführungsverordnung 628/2013 Feststellungen klassifiziert bezüglich "Nichteinhaltung der anwendbaren Anforderungen, die bei nicht rechtzeitiger Korrektur zu Normungsproblemen und Sicherheitsproblemen führen können".
"Experten" überprüft von Nicht-Experten
Ein zweiter Kritikpunkt von erheblichem Gewicht und in Klasse D eingestuft ist die Überprüfung eines Fliegerarztes durch LBA-Mitarbeiter, die zu diesem Zeitpunkt nicht die Fähigkeiten als qualifizierte medizinische Gutachter besaßen, zwecks Revalidierung der AME-Zulassung. Laut EASA sei bei dieser Überprüfung nicht darauf geachtet worden, ob die Praxis technisch vollständig ausgerüstet gewesen sei, und in der Folge habe der Fliegerarzt weiter gearbeitet, obwohl ihm entsprechende Geräte, konkret Farbtest-Tafeln und ein kalibriertes Audiometriegerät, fehlten. Auch hier argumentierte das LBA mit verschiedenen Aussagen dagegen, die EASA wies schließlich darauf hin, dass das Augenmerk der Kritik auch explizit auf die fehlende Qualifikation des Auditors bezogen sei.

Die EASA verweist immer wieder auf die mangelhafte oder fehlende Qualifikation von LBA-Medizinern.
Zu diesem Finding passt der dritte Punkt, den wir hier exemplarisch herausgreifen. Demnach konnte das LBA offenbar auch kein Verfahren etablieren, mit dem es die flugmedizinische Kompetenz der niedergelassenen Fliegerärzte und ihre Kenntnis über die aktuellen rechtlichen Vorschriften im Rahmen einer Revalidierung überprüfen kann. Wenngleich das Luftfahrt-Bundesamt sich einmal mehr in seinem Kommentar herauszureden versuchte und unter anderem auf die Überprüfung von medizinischen Untersuchungsberichten sowie eine mündliche Befragung der Fliegerärzte verwies, blieben die EASA-Inspektoren bei ihrem Fazit. Die Ohrfeige fürs LBA in Textform: "Die mündlichen Fragen während der Vor-Ort-Kontrollen sind nicht medizinischer Natur und lassen keine Rückschlüsse auf die medizinische Kompetenz der AME zu." Klassifizierung D, also sicherheitsrelevant.

Fragen, die nichts mit der medizinischen Qualifikation von Fliegerärzten zu tun haben, sind Teil der Revalidierung von AMEs durch das LBA.
Welche Auswirkungen hatte der Bericht?
Ob man im Luftfahrt-Bundesamt bzw. im Bundesverkehrsministerium aus dem EASA-Audit endlich die notwendigen Schlüsse gezogen hat, darüber kann man nur mutmaßen. Wie bereits in mehreren vorangegangenen Artikeln angedeutet, sind Antworten der Pressestelle entweder einsilbig und versuchen, Probleme herunterzuspielen, oder sie sind schlicht falsch wie die erste Antwort auf die Frage nach dem bevorstehenden Ruhestand von LBA-Präsident Jörg Mendel. Aus diesem Grund haben wir uns auch dieses Mal entschieden, auf eine Stellungnahme des LBA zu verzichten. Ein EASA-Auditreport spricht für sich, das LBA kommt darin zu Wort und versucht wie üblich, an den entscheidenden Stellen Nebelkerzen zu zünden, die aber weitgehend ohne Wirkung verpuffen. Zumal auch die Kritik von Ex-LBA-Juristin Nina Coppik einen Teil der Probleme aufgreift, die die EASA gut ein Jahr vor ihrem Ausstieg konstatierte.
Übrigens: Bereits 2014, also zehn Jahre zuvor, hatte die EASA in einem Audit erhebliche Mängel im Bereich Personal, dessen Qualifikation und in der Organisation flugmedizinischer Tauglichkeitsuntersuchungen festgestellt. Zudem wurden damals auch in den Gebieten Luftfahrttechnik und die Lizenzierung Probleme ausgemacht. Der damalige Bericht ist bis heute nicht an die Öffentlichkeit gelangt, lediglich die Drucksache 18/5075 vom 8. Juni 2015 über eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion gibt Aufschluss darüber, dass damals bereits dieselben Probleme in der Flugmedizin existierten. Und was das LBA allgemein von der EASA hält, erkennt man an der Abwesenheit der Fliegerärzte während des Audits.











