Dass sie überhaupt zu dem Wettbewerb angetreten sind, verdanken sie einem alten Hasen. Oskar Deppe, ein Vereinskamerad der LSG Breitscheid, habe 500 Euro für die Teilnahme eines Nachwuchsteams ausgelobt, erzählt Daniel Hardt am Vorabend des Starts im edlen Lübecker Hotel Radisson blue. Hierhin hatte der DAeC alle Deutschlandflieger zur Auftaktveranstaltung geladen, darunter auch den 21-jährigen Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik und seine Mitstreiter in der Klasse der bis 27-jährigen Erstteilnehmer.
Der Startort ist geschichtsträchtig: Schon auf dem ersten Deutschlandflug 1911 war Lübeck angeflogen worden. 40 dieser Wettbewerbe weist die offizielle Verbandschronik inzwischen aus. „Es könnte aber eine Dunkelziffer geben“, so Jürgen Leukefeld vom DAeC. Denn berücksichtigt habe man nur die Wettbewerbe, für die sich noch Nachweise hätten finden lassen. Als relativ sicher kann gelten, dass in den Jahren unmittelbar nach dem Auftakt im Jahr 1911, der in Berlin startete und vor der letzten Landung die gesamte Nordhälfte der heutigen Republik abdeckte, kein Deutschlandflug stattgefunden hat. Von 1914 bis 1918 hatte man in Deutschland und Europa andere Sorgen, erst 1925 ging es mit dem Wettbewerb weiter.
Da hatte der Verein Deutscher Flugtechniker Kritik wie Begeisterung gleichermaßen für seine Ausschreibung geerntet. Manchem erschien ein solches Vorhaben schlicht größenwahnsinnig. Den Mutigen, die ein Rennen durch das halbe Kaiserreich in den doch eben erst erfundenen Motorflugzeugen wagen wollten, stiftete dagegen der Verlag einer Berliner Tageszeitung publikumswirksam ein Preisgeld von 100 000 Mark. Dem folgte neben zahlreichen Städten, Vereinen und Privatpersonen auch das Kriegsministerium, das die militärische Bedeutung der neuen Technologie erkannt hatte, und so kamen schließlich 400 000 Mark an Prämien zusammen. Hart erstrittenes Geld, denn geflogen wurde bei jedem Wetter – mit geringer Überlanderfahrung der Piloten und mit noch ziemlich anfälligen Motoren. Jeder wollte auf den 17 Tagesetappen der Schnellste sein. Am Ende setzte sich das Duo König/Steffen durch, das auf seinem LVG-Doppeldecker in den knapp vier Wochen 1883 Kilometer zusammenflog.
14 Jahre später wurde das Ereignis bereits deutlich ausgeweitet. Mit 34 Städten war nun genau die doppelte Zahl an Zielen anzufliegen. Außerdem hatte man das Reglement geändert. Jetzt galt es nicht nur, die einzelnen Etappen der nun insgesamt 5000 Kilometer langen Strecke möglichst schnell abzufliegen. Der Wettkampf wurde nun auch als Zuverlässigkeitsprüfung angelegt. Insgesamt 54 Flugzeuge in drei Leistungsklassen waren dazu angetreten. Am Ende bewältigten nur 31 von ihnen die gesamte Distanz. Fliegen war gerade in den Pioniertagen gefährlich, aufwendig und teuer. Zumindest an Letzterem hat sich bis heute nicht viel geändert.
Auch Daniel Hardt und sein erst 16-jähriger Navigator Luca Manuel Born wären ohne die finanzielle Unterstützung Oskar Deppes kaum angetreten. Und hatten doppeltes Glück: Denn außer der Zusage über 500 Euro hatten sie sich auch noch um die Förderung der Luftsportjugend im DAeC beworben, die in der Einsteigerklasse insgesamt drei Teams – zwei in der Wettbewerbs- und eines in der Touringgruppe – mit jeweils 1500 Euro unterstützt. Der Förder-antrag von Daniel und Luca lief durch, und so reichten die beiden die 500 Euro kurzerhand an ihre ebenfalls an der Teilnahme interessierten Vereinskameraden Jan-Philipp Jarmer und Kevin Holighaus weiter; good airmanship at its best. Damit war die LSG Breitscheid gleich mit zwei der drei Nachwuchsteams vertreten. Mit vier weiteren erfahrenen Besatzungen stellte die nordhessische Luftsportgemeinschaft das größte Kontingent unter den 29 Wettkampfteams überhaupt.
Daniel und Luca starteten in einer Grob G109, Jan-Philipp und Kevin in einer Katana. Daniel hat erst in diesem Jahr seine TMG-Berechtigung erhalten, kommt inklusive seiner Segelflugerfahrung auf gute 200 Stunden. Auch sein Navigator Luca ist als Segelflieger schon ein passionierter Pilot. Anders dagegen sieht der Erfahrungsmix bei dem anderen jungen LSG-Team aus: Der 25-jährige Jan-Philipp verfügt bereits seit 2009 über eine PPL-A, sein zwei Jahre jüngerer Co Kevin hat neben dem Segelflugschein noch eine SPL für aerodynamisch gesteuerte ULs in der Tasche und für diese Klasse vor einiger Zeit auch die Lehrberechtigung erworben. Die beiden sind in der einzigen Echo-Klasse-Maschine bei den Jugendteams angetreten.
Good Airmanship
Die erste Etappe der Wettbewerbsgruppe führte von Lübeck zunächst nach Neubrandenburg. Die Touringgruppe flog von hier aus nach Stralsund, von wo aus es der Küste entlang nach Eberswalde ging, ehe sie in Dresden wieder mit der Wettbewerbsgruppe zusammentraf. Der stand nach Neubrandenburg noch eine Etappe nach Dessau bevor.
Schon hier bei der Ziellandung geriet Kevin vor Freude erkennbar aus dem Häuschen. Sein Pilot Jan-Philipp hatte die Katana gleich im ersten Feld hinter der Ziellinie mit dem Hauptfahrwerk auf den Boden gebracht. Auch sonst war es bei dem bockigen Wind, der nun leicht nördlich versetzt in Böen mit bis zu 30 Knoten auf die 27 blies, für die beiden super gelaufen. Keiner hatte an diesem Tag eine bessere Landung hingelegt, auch die alten Fahrensleute Astrid und Marcus Ciesielski nicht. Ihre Wettbewerber vom Jugendteam des LSV Lüchow-Rehbeck schwebten noch zwei Felder weiter, und Daniel und Luca schafften es auch erst in Feld B auf den Boden.
Hinter der Ziellinie folgten zunächst ein sieben Meter tiefes und dann drei zehn Meter tiefe Felder; jedes kostete 20 Strafpunkte. Mehr nahmen Jan-Philipp und Kevin hier also nicht mit, und nach keinem verpassten Wendepunkt, nur 44 „Miesen“ bei der Navigation und 30 weiteren Strafpunkten für nicht erkannte Fotomotive waren die beiden in der Tageswertung nun auf einem sagenhaften vierten Platz! Vor ihnen lagen nur Piloten von Weltrang in der Navigations- und Präzisionsfliegerei: Klaus und Renate Heege fanden sich an diesem Tag auf Platz drei, vor ihnen Marcus und Astrid Ciesielski, die den Tagessieg ihrer Vereinskollegin Esther Rimensberger überlassen mussten. Die Schweizer Präzisionspilotin war mit Thomas Kirchner als Navigator gestartet. Daniel und Luca hatten vor allem bei den Fotos und der Navigation Federn gelassen und waren auf Rang 17 in Dessau gelandet – zwei Plätze hinter ihren jungen Mitstreitern Moritz Möller und Yannick Posselt vom LSV Lüchow-Rehbeck.
Neben möglichst präzisen Landungen werden beim Deutschlandflug noch die genaue Einhaltung der berechneten Flugzeiten sowie eine exakte Navigation gewertet. Wer unsauber fliegt, kassiert nicht nur in diesen beiden Kategorien unnötige Strafpunkte, sondern verschenkt auch Zähler bei der Fotowertung – Bilder von Landmarken, die während des Fluges nicht nur wiedererkannt, sondern auch an der richtigen Position in die Karte eingetragen werden müssen.
Eine erste Entwicklung des Wettbewerbs in diese Richtung wurde bereits nach dem dritten Deutschlandflug 1931 sichtbar. In dem Jahr mussten neben einer Strecke von 2000 Kilometern binnen zweier Tage noch technische Prüfungen absolviert werden.
Erst nach Abschluss des 1931er Deutschlandfluges legte der Deutsche Luftfahrt-Verband fest, dass zukünftige Wettbewerbe nicht mehr die Technik der Flugzeuge im Fokus haben sollten, sondern ausschließlich die Leistungen der Besatzungen. 1933 gilt mithin als die erste rein sportliche Prüfung für die Piloten des Deutschlandfluges. Doch mit dem Wettbewerb, der nun allein auf fliegerisches Können, Präzision und Zuverlässigkeit sowie perfekte Zusammenarbeit im Cockpit statt auf technische Leistung abstellte, war es aufgrund der Vorbereitungen auf den bald folgenden Zweiten Weltkrieg erst einmal vorbei.
Er lebte erst 1956 wieder auf – ein Jahr, nachdem die Lufthoheit über der jungen Republik von den Alliierten wieder ihrer Bevölkerung zugestanden wurde und Deutsche wieder fliegen durften. Es ist das Jahr, in dem nach Ernst Udet als Gewinner des Otto-Lilienthal-Preises 1925 noch ein weiterer großer Name deutscher Luftfahrtgeschichte Einzug in die Annalen des Deutschlandfluges hielt: Elly Beinhorn. In der Gruppe der langsamsten Flugzeuge wird sie gemeinsam mit Gerd Maier 1956 Siegerin des Deutschlandfluges.
Dass es bei solchen Erfolgen nicht auf schnelle Flugzeuge ankommt, erlebten am Ende auch Daniel und Luca in ihrem Motorsegler. Sie schoben sich vom 17. Platz in Dessau auf Rang elf in der Gesamtwertung vor, einen Platz vor ihren Breitscheider Mitstreitern Jan-Philipp und Kevin in deren schnellerer Katana. Am meisten machte den beiden Jugendteams der bockige Wind bei den häufigen Richtungswechseln zu schaffen – eine Erschwernis nicht nur für das möglichst exakte Einhalten der Zeit, sondern auch des Flugkorridors, der für das Auffinden und genaue Eintragen der Fotomotive in die Karte entscheidend ist. Doch mit fortschreitendem Wettbewerb, so Jan-Philipp, habe man sich im Cockpit immer besser aufeinander eingestellt. Trotzdem ermüde die fortwährende Konzentration ungemein: „Ich war froh, dass die Wettbewerbsleitung die zweite Runde in Dessau auf den Folgetag verschob – nach der Ankunft aus Neubrandenburg war ich erstmal k.o.“ Dabei war es schon bevor er und Kevin sich in Dessau auf den vierten Tagesrang geflogen hatten gut für die beiden gelaufen: „Mit der Navigation und der Zeit sind wir nach dem Start in Lübeck super klargekommen, und bei der Landung haben wir auch nur 40 Punkte verschenkt.“ Eine Leistung, die sie mit dem Touchdown in Dessau noch verbessern konnten.
Nachwuchs auf DAeC angewiesen
Bei dem auf den Folgetag verschobenen Flug über die Stadt allerdings patzten die beiden bei ihrer Ziellandung. Sie war – erst hinter Feld D – mit 200 Strafpunkten ihre teuerste, ehe es auf die Schlussetappe nach Dresden ging. Vor der stand nun aber erst einmal ein abendliches Büffet im Dessauer Hugo-Junkers-Museum – ein besonderes „fliegerisches Leckerchen“, das sich die Organisatoren des Wettbewerbs bei der Auswahl der Stationen ausgeguckt hatten.
Für die Touringgruppe hatten die Veranstalter einen ähnlichen Programmpunkt geplant. Mit der ging es am Abend nach der zweiten Etappe ins Luftfahrtmuseum Eberswalde-Finow. Damit hatte der DAeC den 40. dokumentierten Deutschlandflug gleichsam zu einem kleinen Aus-Flug durch die Geschichte des Wettbewerbs gemacht. Denn auch Dessau gehört zu den Städten, die die Piloten des Deutschlandfluges bereits 1911 anzusteuern hatten.
Von dort an lief es immer besser. In der zweiten Runde um Dessau patzten Daniel und Luca nur in der Navigation geringfügig, legten dafür aber eine Nuller-Landung hin. Das glückte über den gesamten Wettbewerb hinweg nur vier weiteren Teams! Und auch auf dem Weg nach Dresden ließen sie nur wenig liegen und landeten mit lediglich zwei Strafpunkten hinter ihren Teamkameraden Jan-Philipp und Kevin auf Platz sieben in der Tageswertung. Die beiden hatten schon in der Dessau-Runde weniger Federn gelassen, am Ende aber eben die Landung total versemmelt. Damit belegten Jan-Philipp und Kevin in der Gesamtwertung schließlich nur eine Nasenlänge hinter ihren Kameraden Daniel und Luca den zwölften Platz unter allen 29 Teilnehmerflugzeugen. Die beiden Elftplatzierten sicherten sich als bestes Nachwuchsteam auch noch den vierten Platz der Landeauswertung und rangierten damit noch vor solchen Fliegerassen wie Marcus Ciesielski oder Esther Rimensberger, die sich mit ihren Partnern die Plätze eins und zwei in der Gesamtwertung teilten.
„Ohne die Förderung der Luftsportjugend wäre das wohl schwierig geworden“, so Daniels Resümee. Meldegebühren, Hotelkosten, Sprit – überschlägig 1700 Euro haben ihn und Luca die Teilnahme gekostet. Mit der haben sie sich übrigens für die Deutsche Meisterschaft im Motorflug im kommenden Jahr qualifiziert. Und an der wollen sie, dank einer erneuten Förderzusage – diesmal von Renate Heege – auch teilnehmen. „Renate hat abends in Dresden die Übernahme sämtlicher Hotelkosten auf der DM für das beste Nachwuchsteam zugesichert“, freut sich Daniel.
Aber auch Jan-Philipp und Kevin werden wohl dabei sein. Denn schließlich, so Jan-Philipp, seien es die gegenseitigen Frotzeleien gewesen, mit denen man sich angespornt habe – so sehr, dass man am Ende zwei aufeinanderfolgende Plätze in der oberen Hälfte der Wettbewerbsgruppe einfliegen konnte.
aerokurier Ausgabe 09/2017