Transatlantik-Reise: Mit der Malibu in die Karibik

Transatlantik-Reise
Mit der Malibu in die Karibik

Zuletzt aktualisiert am 19.01.2024

Die Sonne im Cockpit, Flight Level 180, auf den Headsets Dire Straits. Freiheit pur, man will gar nicht mehr runter. Aber dann im Augenwinkel ein Zucken der analogen Fuel-Flow-Anzeige, der Zeiger fällt zügig auf Null. Der Blick geht sofort zur elektronischen Anzeige: auch Null! Adrenalin und Puls steigen rasant. Emergency Fuel Pump "ON", umschalten auf den anderen Tank, Gemischhebel nach vorn. Nichts. Die Anzeigen melden immer noch Null. Das darf doch nicht wahr sein! Jeden Moment wird unser turboaufgeladener 540er Lycoming seine Arbeit einstellen.

Monate zuvor: Die Vorbereitungen für unsere erste Atlantiküberquerung nehmen Gestalt an. Wie sich viel Wasser unter unserer Kolben-Einmot anfühlt, haben meine Frau Ute und ich mit einem Flug nach Madeira zu Coronazeiten bereits probiert. Bei allem gebotenen Respekt überwog die Faszination deutlich. Diesmal wollen wir mehr: Das Ziel ist die Karibik. Doch vor dem Vergnügen steht die Arbeit. Bei der AOPA haben wir das Seminar des bekannten Ferrypiloten Arnim Stief "Crossing North Atlantic" besucht. Wir besorgen die Charts and Manuals und erweitern die Flight Displays um alle notwendigen Karten, Terrain- und Hindernisdatenbanken. Hinzu kommen B-1/B-2-Visa für die USA, denn ESTA genügt nicht, wenn man mit dem Privatflugzeug einreist. Über das Decal and Transponder Online Procurement System (DTOPS) des US-Zolls erwerben wir ein Private Vessel Decal, um es gut sichtbar auf dem Flugzeugrumpf anzukleben. Außerdem benötigen wir eine Electronic Travel Authorisation (eTA) für Kanada.

Notequipment: Haben ist besser als brauchen

Weiter geht es mit der Notausrüstung: Schwimmwesten, ein hochseetaugliches und gleichzeitig extra leichtes Rettungsfloß, Überlebensanzüge, Proviant, Messer, Lampen, Pyrotechnik, ein schwimmfähiges PLB, Satelliten-Messenger samt Anmeldung beim International Emergency Response Coordination Center. Die Liste ist ganz schön lang. Puuuh! Zu guter Letzt kaufen wir eine Signalpistole Kal. 4, mit der wir uns zur Not auch hungriges Getier auf Grönland oder in den Weiten Kanadas vom Leib halten könnten. Voraussetzung sind dazu der Abschluss eines Sachkundenachweises nach Waffengesetz und eine Waffenbesitzkarte. Atlantiküberquerer sind also gut beraten, sich etwas Zeit zu nehmen, bis alles beisammen ist. Unsere Piper PA-46-350P Malibu Mirage erhält vor Reisebeginn noch eine 100-Stunden-Kontrolle einschließlich Predictive Maintenance sowie den neuesten Vierblattpropeller von Mühlbauer. Anschließend drehen wir noch ein paar Runden um den Block in Hannover, dann sind wir ready.

Hille

Das Zeitfenster für unser Vorhaben ist knapp. Die Nordroute über Grönland ist für Kleinflugzeuge etwa ab April/Mai fliegbar; vorher ist es zu kalt, und die Stürme können einem einen Strich durch die Rechnung machen. Da wir von den USA aus einen Abstecher in die Karibik machen wollen, sind wir wegen der Ende Juni beginnenden Hurrikansaison auch nach hinten begrenzt. Die Wetter-App Windy avanciert zu unserem besten Freund, zahlreiche Wettersimulationen auf Basis unterschiedlicher Prognosemodelle erlauben es, sich ein umfassendes Bild von der Entwicklung zu machen. Die Entscheidung steht: Am 15. Mai 2023 ist Abflug von unserer Homebase Hannover (EDDV). Einen Monat haben wir nun Zeit für die Reise unseres Lebens.

Von den Shetlands nach Island

Das erste Ziel sind die 1200 Kilometer entfernten Shetlands. Schon mal gehört? Genau, von dort kommt das gleichnamige Pony. Die zu Schottland gehörende Inselgruppe liegt im Nordatlantik zwischen Norwegen, Schottland und den Färöern. Endlose Küstenlandschaft und Wikingervergangenheit. Das Meer sorgt auf den Shetlandinseln für mildere Temperaturen als an anderen Orten auf dem 60. Breitengrad. Der Anflug bei bestem Wetter über Wasser auf den Flugplatz von Sumburgh (EGPB) ist wirklich ein Traum. Wir beziehen ein kleines "Castle" als Hotel mit Blick auf das Flugzeug und wandern entlang der Steilküste. Besser hätten wir uns den Start nicht wünschen können, das gibt Selbstvertrauen und Zuversicht.

Hille

Herausfordernder ist das Leg nach Island. IFR-Wegpunkte werden erstmalig auch durch Längen- und Breitengrade definiert. Das muss man vorher unbedingt üben. Gemeldet werden sie auch anders als geschrieben, und es gibt drei  verschiedene Eingabeformate am GPS. Das von uns in Europa seit Langem gerne verwendete Flugplanungstool Garmin Pilot kann darüber hinaus die vom Autorouter generierten Waypoints im Lat/Lon-Format nicht darstellen, also müssen wir diese einzeln als User Point manuell im System anlegen. Das ist ebenso nervig wie fehleranfällig.

Hille

Mit dem Start erhalten wir die Oceanic Clearance und können damit in den zunächst von Shanwick, später von Reykjavik kontrollierten Oceanic Sector einfliegen. Unterwegs werden wir nach unserer Mach number gefragt, da müssen wir allerdings passen … Das Leg ist ähnlich lang wie das von Hannover zu den Shetlands, die reine Überwasserstrecke mit 1000 Kilometern aber deutlich länger. Mit vorhergesagten 90 Stundenkilometern Gegenwind und in der tatsächlichen Spitze mit 130 Stundenkilometern brauchen wir fünf Stunden bis nach Akureyri (BIAR) auf der Nordseite Islands. Unterwegs erleben wir ein faszinierendes Zusammenspiel von Himmel und Erde. Der Anflug wäre bei Instrumentenflugbedingungen mit steilerem ILS und Localizer offset in ein enges Tal hinein anspruchsvoll geworden. Dank des guten Wetters können wir uns bei Sichtflugbedingungen an der Landschaft erfreuen.

Hille

Grönland: Reichweite ist gefragt

Grönland, die größte Insel der Welt, mitten im nordatlantischen Ozean, liegt vor uns. Dort waren wir noch nie. Wir wollen in die auf direktem Weg 1600 Kilometer entfernte Hauptstadt Nuuk (BGGH) auf der Westseite der Insel. Über das gewaltige Eiskapp fliegen, höher als 10 000 Fuß – ohne Turbolader ist das nicht ratsam. Weite Strecken auf der Route führen uns über eiskaltes Wasser, teilweise ohne Radarabdeckung und ohne direkte Funkverbindung im unkontrollierten Luftraum.

Neben den 450 Litern fassenden Standardtanks füllen wir vor Abflug auch die beiden je 35 Liter fassenden Tankerweiterungen in den Flächen der Malibu mit Avgas. Das ergibt je nach Powersetting eine Endurance von mehr als acht Stunden plus Reserve. Einschließlich Gepäck und Notausrüstung wird unser Sechssitzer dann zum Zweisitzer, allerdings einer mit großer Reichweite, und das innerhalb des maximalen Abfluggewichts von 1950 Kilogramm.

Das Wetter kann im hohen Norden sehr schnell wechseln, und Alternates sind oft weit entfernt. Anders als man das von Europa kennt, gibt es auch keine Transitions aus der Reiseflughöhe zum Initial Approach Fix der IFR-Anflüge. Auch gibt es keinen Lotsen, der einen mit Radarvektoren an die Hand nimmt. Vertut man sich in IMC nur ein wenig, kann der Flug am nächsten Berg enden. Vor der Reise hatte ich daher in Hannover auf dem Simulator der school4pilots Anflüge auf einige der in Frage kommenden Flugplätze in Grönland geübt.

Morgennebel verzögert unseren Abflug um eine Stunde. Auf Strecke kämpfen wir abermals mit starkem Gegenwind. 70 Kilometer vor der grönländischen Küste tut sich eine andere Welt vor uns auf: Staunend kleben wir als norddeutsche Flachlandindianer beim Anblick der ersten Eisschollen mit der Nase am Fenster. Aufgrund der Wetterinfos von ATC ist uns aber noch gar nicht klar, ob wir wegen des sich nur zögerlich auflösenden Seenebels in Nuuk landen können. Der nächste Alternate, Kangerlussuaq/Sondrestrom (BGSF) ist mit 300 Kilometern Entfernung von Nuuk auch nicht eben um die Ecke. Bevor wir nun über der Eiskappe direkt zum Alternate abbiegen, telefonieren wir nach zeitweisem Verlust der Funkverbindung zu ATC per Iridium-Satellitentelefon mit unseren Pilotenfreunden, die abwechselnd mit einem unserer Söhne unsere Überwasserstrecken beobachten und uns bei Bedarf beraten. Über VHF kontaktieren wir zudem eine vorausfliegende Air-Greenland-Maschine, ebenfalls mit Ziel Nuuk. Damit ist klar, dass uns bei Ankunft strahlender Sonnenschein erwarten wird. Touchdown nach 6:20 Stunden Flugzeit.

Hille

Wer mit Nuuk eine pulsierende Großstadt erwartet, liegt gründlich daneben. Gerade einmal 19 000 Einwohner zählt die größte Stadt Grönlands. Es gibt keine Straßen außerhalb des Ortes, wie uns die Taxifahrerin erzählt. Wohin sollten die auch führen? Jenseits der Stadtgrenze geht es nur noch per Snowmobil (in fast in jedem Vorgarten parkt eines) oder eben per Schiff oder Flugzeug weiter. Vom Stadtzentrum ist man zu Fuß in ein paar Minuten an den Ufern eines der größten Fjordsysteme der Welt. Mit etwas Glück und zur richtigen Zeit sind dort Eisberge und Wale zu bestaunen. Hübsch anzusehen sind die bunten Inuit-Häuser mit dem Berg Sermitsiaq im Hintergrund, ein Wahrzeichen der Stadt.

2000 Kilometer bis Kanada

Obwohl wir gefühlt schon fast "drüben" sind, liegt das bisher längste Leg der Reise mit knapp 2000 Kilometern nach Deer Lake (CYDF) in Kanada, Neufundland, noch vor uns. Der Start in Nuuk mit 50 Stundenkilometern Wind, in Böen 75 Stundenkilometern, ist schon etwas Besonderes. Immerhin steht der Windsack einigermaßen parallel zu Piste. Über der Davis Strait, der von Leif Eriksson als erstem Europäer durchquerten Meerenge zwischen Grönland und Kanada, ist es in Flugfläche 220 so kalt, dass die Heizung in unserer Piper überfordert ist und die Seitenscheiben von innen zufrieren. Einmal mehr sind wir das einzige Kleinflugzeug weit und breit.

Vorfreude und ein wenig Erleichterung machen sich im Cockpit breit, als wir in der klaren Luft aus knapp 300 Kilometern Entfernung Kanadas Küste am Horizont ausmachen. Mit nur zwei Minuten Abweichung von der geplanten Landezeit nehmen uns nach fünf Stunden Flugzeit die vorab bestellten Officer der kanadischen Border Control freundlich in Empfang. Deer Lake hatten wir anstelle von Gander als Airport of Entry gewählt, um im nahe gelegenen Gros-Morne-Nationalpark ordentlich Kilometer zu Fuß zu machen. An einem Ausläufer der Appalachen gelegen, ist der Park in Neufundland neben seiner atemberaubenden Natur besonders für die geologisch wertvollen Tablelands bekannt. Das durch den Eisenanteil rötlich oxidierte Gestein zeugt davon, dass einst ein Teil des Erdmantels an die Oberfläche getragen wurde.

Welcome to the United States

Problemloser Funk erst mit Gander, dann mit Moncton Center auf dem Weg nach Bangor (KBGR), unserem Einreisepunkt in die USA. Es folgt ein Hopser nach Bar Harbor (KBHB) auf Mount Desert Island an der Küste des Bundesstaats Maine. Unser Mietwagen wird direkt neben den Flieger aufs Vorfeld gebracht, das ist halt US-amerikanischer Service. Zur Entspannung erarbeiten wir uns einige der insgesamt über 200 Kilometer langen Wanderwege im Arcadia-Nationalpark einschließlich einer Klettertour. Der Ort selbst hat Charme, der Lobster ist ein Muss.

Wir folgen der Ostküste nach Süden zum Cape Fear Jetport in North Carolina: viel Strand, Golfplätze und der nördlichste Ort der amerikanischen Ostküste, an dem wilde Palmen wachsen. Dort treffen wir Franklin "Howie" Howard, den sympathischen und immer zu Geschichten aufgelegten ehemaligen "Air Force One" Chief, der fünf US-Präsidenten geflogen hat – so viele wie kein anderer Pilot. Er kümmert sich im Ruhestand um den Airport, der den Beinamen "Howie Franklin Field" trägt.

Hille

Vor uns liegt ein langes Leg von 2000 Kilometern. Es geht vorbei an Florida und den Bahamas bis zu unserem Ziel in der Karibik, den Turks- und Caicosinseln. Laut Wetterberatung wissen wir, dass sich östlich von Florida im Atlantischen Ozean große Gewitterzellen aufbauen könnten, wie oft um diese Jahreszeit. Selbst auf Flight Level 250, das Maximum, was die Piper erreicht, könnten wir nicht drüber-, sondern nur drumherum fliegen. Mental sind wir auf Umwege eingestellt und haben genug Sprit in den Tanks. Spannend wird es, als unser bordeigenes Wetterradar ausfällt. Ausgerechnet jetzt! Zum Glück kann uns Miami Oceanic mit entsprechenden Informationen versorgen, sonst müssten wir umkehren. Die Controller haben alle Hände voll zu tun, um den Verkehrsflugzeugen um uns herum Diversions zu genehmigen, zumal ein militärisches Sperrgebiet den Handlungsspielraum einengt. Die größte Gewitterzelle hat einen Durchmesser von mehr als 100 Kilometern.

Roter Teppich auf Turks & Caicos

Der Anflug auf Provenciales (MBPV) ist entspannt, bis kurz vor der Landung wegen drehender Winde die Landerichtung geändert wird … Der Empfang am FBO ist herzlich, und das erste Mal in unserem Leben wird uns ein – wenn auch kleiner – roter Teppich ausgerollt. Das britische Überseegebiet mit seinen 40 Koralleninseln ist ein echter Karibiktraum. Unser gemietetes, kleines Beachhouse liegt am Grace Bay Beach, der zu den schönsten Stränden der Welt zählt. Am liebsten möchten wir gar nicht mehr weg, aber es muss sein.

Heimreise über die Bahamas

Das Wort "zurück" steht im Raum, aber vorerst nur ein bisschen. Zunächst geht es auf die Bahamas mit ihren rund 700 Inseln, von denen viele unbewohnt sind. Der Weg nach Great Harbour Cay (MYBG) ist ein Slalom um kleinere Gewitterzellen herum. Unser repariertes Wetterradar leistet dabei gute Dienste. Der Flugplatz der idyllischen Insel hat keinen Tower, es gibt keine Anflugkarten, und den Zustand der Bahn darf der Pilot selbst beurteilen. Aus der Luft sieht alles prima aus, am Boden dann erfreulicherweise auch. Es gibt sogar für den gelegentlich verkehrenden, neunsitzigen Inselhopper ein Flughafengebäude, das vor 30 Jahren, als Ute und ich mit frischer PPL von Florida aus mit einer gecharterten Piper Warrior hierher geflogen sind, noch nicht existierte. Vom Flugplatz laufen wir zu Fuß zu unserem Beachhouse. Auch hier genießen wir einen wunderschönen Blick auf den menschenleeren Strand und das türkisblaue Wasser. Am nächsten Tag sollen allerdings meine durch diverse Kinofilme geschärften Sinne – um nicht zu sagen: Befürchtungen – in Sachen Haie Realität werden. Ein großes Exemplar nähert sich im hüfthohen Wasser dem Strand. Blitzschnell überlasse ich ihm das Meer allein. Als er dann näherkommt, entpuppt sich der vermeintliche Hai als etwa drei Meter langes Karibik-Manati, eine Seekuh-Art. Aber es hätte eben auch ein Hai sein können.

Hille

Der Weg zurück in die USA führt über den Treasure Coast International Airport in Fort Pierce, Florida (KFPR). Vorab hat uns der Officer am Telefon eingeschärft, niemals vor Öffnung des Zollbüros zu landen. Würden wir auch nur eine Minute zu früh aufsetzen, würde uns das 5000 US-Dollar wegen illegaler Einreise in die USA kosten. Nach den Formalitäten geht es weiter nach Hilton Head Island (KHXD) in South Carolina, wo wir nach 50 Flugstunden auch das Öl wechseln lassen. Die Insel erinnert ein wenig an die Nordsee mit Dünen und vielen Kilometern Strand, aber auch Süß- und Salzwassersümpfen. Vorsicht ist vor den Alligatoren geboten. Im vergangenen Jahr gab es zwei tödliche Angriffe.

Niagarafälle und Québec

Eigentlich wollen wir weiter nach Cape Cod, ein großräumiges Schlechtwettergebiet lässt uns aber kurzfristig nach Niagara Falls (KIAG) umdisponieren. Der Flug dorthin führt über New York, Virginia und Pennsylvania, als die Fuel-Flow-Anzeige wie eingangs beschrieben auf Null fällt. Obwohl wir die Notfall-Items abarbeiten, ändert sich daran nichts. Binnen Sekunden würden wir zum Segelflugzeug werden, zwar mit ganz passabler Gleitzahl, aber mit hoher Sinkrate. Doch der Motor läuft einfach weiter. Alle anderen Anzeigen sind normal, auch das Warnlicht für den Benzindruck bleibt aus. Okay, schlussfolgere ich: Wenn alles im normalen Bereich bleibt, dann kann es eigentlich nur am elektronischen Sensor oder den zugehörigen Kabeln liegen. Die Minuten vergehen, der Motor läuft und läuft. Weiterhin bleibt alles im grünen Bereich. Auch der Puls beruhigt sich wieder.

Hille

Zurück am Boden, öffne ich die Cowling. Nach telefonischen Infos von meiner Werft – am Platz gibt es keinen Wartungsbetrieb – spüre ich den Wackelkontakt auf. Beim Probelauf funktioniert alles wieder. Aber ganz ehrlich, einen solchen Schreckmoment braucht man nicht, schon gar nicht auf einer solchen Tour. Versöhnlich und beeindruckend zugleich ist dagegen der Anblick der Niagarafälle. Besonders abends bieten sie ein spektakuläres Panorama. Zwei Tage später folgen wir dem schönen Wetter zum frankophonen Québec (CYQB) im Osten Kanadas entlang des Sankt-Lorenz-Stroms mit fantastischem Blick auf den District of Old Québec, ein Weltkulturerbe der UNESCO.

Auf der Südroute nach Europa

Für den Flug zurück nach Europa entscheiden wir uns für die Südroute über die Azoren. Die Wasserstrecke ist zwar länger als auf der Nordroute, auch gibt es auf der Strecke weniger Flug- und Schiffsverkehr, was die SAR-Zeiten verlängert, dafür ist das Wetter beständiger und das Wasser wärmer, was die Chancen auf eine Rettung im Fall der Fälle wiederum erhöht. St. John’s (CYYT) auf der Halbinsel Avalon an der Südostküste Neufundlands dient uns als östlichster Absprungpunkt vom amerikanischen Kontinent für die knapp 2600 Kilometer lange Strecke nach Santa Maria (LPAZ), auf der geologisch mit acht Millionen Jahren ältesten Insel der Azoren gelegen. Es ist zudem der einzige Flugplatz dort mit Avgas (Voraussetzung ist eine Repsol-Karte oder ein Fuel Release, zum Beispiel von World Fuel).

Hille

Eine Mischung aus Vorfreude und Respekt vor der langen Überwasserstrecke lässt uns in der letzten Nacht auf dem amerikanischen Kontinent unruhig schlafen. Wir starten im Nebel, sehen fortan aber nur noch Sonne und Blau. Der Himmel, das Wasser – es ist ein herrliches Schauspiel! Als wir nach einer Weile aus der Radarüberwachung herausfliegen und auch der Funkkontakt mit Gander Oceanic abbricht, sollen die notwendigen Reports unserer Positionen mangels Kurzwellenfunkgerät über Satellitentelefon erfolgen, was aber nicht zufriedenstellend funktioniert.

Ohne diese Reports läuft nach einer gewissen Zeit automatisch die SAR-Maschinerie an. Nicht witzig, und in einem solch riesigen Gebiet wären wir im Worst Case ohne ungefähre Angabe der ungefähren Position chancenlos. Die Strecke wird auch von Airlinern nicht so häufig beflogen. Über die internationale Notfrequenz erreichen wir einen Business Jet, dessen hilfsbereite Crew für uns alles über Datalink weitergibt. Nach zügigen fünf Stunden und 58 Minuten landen wir dank des Flugs im Westwindgürtel auf Santa Maria.

Wieder empfängt uns die FBO-Crew herzlich, auf dem Weg ins Hotel bekommen wir von ihnen noch eine Stadtrundfahrt spendiert. Jetzt ist es nur noch ein kleiner Hüpfer aufs Festland, wobei – so klein ist der gar nicht. Dann sind wir auch schon fast wieder in Hannover. Glauben wir zumindest.

Transponder streikt in Frankreich

Unser Ziel ist, nach zwei Tagen relaxen und wandern in herrlicher Natur auf den Azoren Arcachon (LFCH) an der Südwestküste Frankreichs, bekannt durch Austernzucht und die größte Wanderdüne Europas, der Dune du Pilat. Wir landen für einen schnellen Tankstopp, dann geht es weiter: Motorstart, Avionik hochfahren und … Transponder "ADS-B OUT FAILED". Nein, bitte nicht jetzt, auf der letzten Etappe, nachdem wir so viel geschafft haben. Ich probiere alles. An/Aus, Sicherung, Check des Garmin GTN. Nichts! Per Telefon berate ich mich mit dem heimischen Avioniker. Vielleicht liegt es am Squad Switch am Fahrwerk? Also starten wie geplant, aber Radar bekommt kein Signal. Und nun? IFR und kontrollierter Luftraum sind tabu. Auf einen Low-Level-VFR-Flug in Frankreich mit seinen zahlreichen Sperrgebieten und militärischen Lufträumen sind wir nicht vorbereitet. Wir kehren um.

Hille

Nasser Empfang in Hannover

Wieder am Boden, sprechen wir ein junges Pärchen an ihrer Cessna vor dem Fliegerclub an. Was wir dann erleben, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Marine und Axel, beide Piloten bei Air France, organisieren für uns einen Termin beim Avionik Shop in La Rochelle. Sie fahren uns zum Hotel und klären am nächsten Morgen mit dem Controller der militärischen Kontrollzone, dass da gleich eine Piper Malibu ohne Transponder in 1000 Fuß entlang der Küstenlinie nach Norden zur Werft fliegen wird. Zwei Stunden dauert der Werkstattbesuch in La Rochelle, dann fliegen wir das letzte Leg nach Hannover wieder im Instrumentenflug.

Ohne es zu ahnen, bereitet uns die Flughafenfeuerwehr einen nassen Empfang. Wir sind emotional angefasst. Die unbewusste Anspannung von einem Monat (plus einem Tag) fällt von uns ab. 23 000 Kilometer, deutlich mehr als die Hälfte des Erdumfangs, liegen hinter uns. Tage voller faszinierender Eindrücke, Erlebnisse und toller Menschen. Ein professioneller Ferrypilot mag an dieser Stelle lächelnd abwinken, aber für uns ist damit ein langer Fliegertraum wahr geworden. Einmal im Leben.

Hille