Sikorsky S-58T: Zu Besuch bei der legendären "Screaming Mimi"

Sikorsky S-58T
Die legendäre „Screaming Mimi“ lebt!

Veröffentlicht am 09.05.2024

Der Flug beginnt mit einem Stoßgebet. "Bitte Herr, segne diesen Helikopter und ganz besonders die Kolben! Amen." Wenn es schnell gehen muss, genügt auch ein "Sei brav, Mimi!". Pilot Nick Ryder spricht’s und erweckt mit einem durchchoreografierten Fingerballett über unzählige Schalter das rosafarbene Ungetüm zum Leben. Der Hubschrauber streckt die Zunge aus seinem gewaltigen Maul, spuckt Rauch und Feuer, schreit, knallt und bockt, dann hebt er ab. Einmal in der Luft, haben Kaliforniens Bösewichte kaum eine Chance, den lauthals brüllenden sechs Tonnen Stahl zu entkommen. Ältere Semester erinnern sich, jüngere haben vielleicht schon mal von ihr gehört: Die Rede ist von Screaming Mimi, der vermutlich bekanntesten Sikorski S-58T der Welt, einem schrullig-sym-pathischen Helikopter wie aus einem Cartoon, maßgeschneidert für die 80er-Jahre-Detektivserie "Ein Trio mit vier Fäusten". Stationiert ist Mimi am fiktiven Pier 56 von King Harbor in Redondo Beach, Kalifornien.

Was ist aus der "Screaming Mimi" geworden?

Die Handlung in Kurzform: Die Vietnam-Veteranen Cody Allen (Perry King) und Nick Ryder (Joe Penny) gehen zusammen mit dem bisweilen etwas schusseligen Computer-Nerd und Wissenschaftler Dr. Murray "Boz" Bozinsky (Thom Bray) auf Ganovenjagd. Ihre Detektei ist auf Codys Jacht "Riptide" beheimatet, die Namensgeberin der Serie im amerikanischen Original ist. Doch was ist aus Screaming Mimi geworden? Verstaubt sie in der Wüste, oder fliegt sie vielleicht irgendwo in Afrika als Seelenverkäufer? Weit gefehlt! Im Sommer 2023 ruft mich mein Kollege an: "Wusstest du eigentlich, dass es die Screaming Mimi noch gibt?" Eine kurze Internetrecherche fördert den ehemaligen TV-Star schnell zutage. Bei 5 State Helicopters in Royse City bei Dallas ist sie heute zu Hause. Das aus der TV-Serie bekannte Kennzeichen N968 musste im Laufe der Jahre N9VY weichen, zudem hat sie eine schicke, rot-schwarze Lackierung erhalten. Eine E-Mail genügt, schon steht der Kontakt nach Texas. Vorbeikommen, quatschen und gucken? Gerne! Chefpilot und General Manager Bobby Smith sagt sofort zu. Der Insta-Auftritt des Unternehmens dokumentiert Mimis Leben mit Fotos und Videos, Selfie-Wettbewerb der Fans inklusive. Mein erster Eindruck: Das muss ein ziemlich entspannter Laden sein.

Patrick Holland-Moritz

Wiedersehen mit einer TV-Ikone

Ein paar Wochen später rolle ich tatsächlich mit dem Mietwagen auf den Hof von 5 State Helicopters, gut versteckt in ländlicher Umgebung. Bobby führt mich in die Halle. Hier steht sie: die leibhaftige Screaming Mimi, der TV-Star aus den 1980er Jahren, eine Ikone meiner Jugend. Top gepflegt sieht sie aus – und ist es auch, wie sich gleich zeigen wird. Und sie ist nicht allein: Airbus BK 117 B2, Sikorsky UH-60A Black Hawk und eine weitere S-58 warten hier auf ihre Einsätze als Packesel. Die dritte S-58, mit der Kennung N6BL, soll 2025 mit neuer Lackierung und neuem Antrieb wieder abheben. Alles, was man zum Hubschraubertransport leichter, mittlerer und schwerer Lasten so braucht, ist in der Flotte von 5 State Helicopters vereint. Gleich werden die Jungs Mimi für den nächsten Auftrag startklar machen. Das wird meine Chance für Fotos, zum Anfassen, Einsteigen und Träumen. Zumindest am Boden, denn das Flugerlebnis bleibt der Crew vorbehalten. Bis dahin unterhalte ich mich mit Bobby in seinem Büro. 23 interne und externe Mitarbeiter sind für das Unternehmen tätig, sagt Bobby. Das Kerngeschäft ist schnell umschrieben: HVAC-Flüge in Texas und den vier Bundesstaaten rundherum. Fast immer geht es darum, Module aus dem Bereich Heizung, Lüftung und Klimaanlagen (heating, ventilation and air-conditioning) mit dem Hubschrauber auf Dächer zu transportieren. Mit der Flotte ist man für alle Gewichtsklassen gewappnet: 7400 Pounds, also 3356 Kilogramm, schleppt die Black Hawk mit ihren beiden jeweils 1890 Wellen-PS starken Triebwerken General Electric T700-GE-700. Damit ist sie die Heavy-Work-Spezialistin bei 5 State. Die Europäerin BK-117 B2 schafft mit 900 Kilogramm kleinere Lasten vom Fleck.

Big Red mit "kleinem" Antrieb

Bei den S-58T gibt es Unterschiede: Screaming Mimi, auch Big Red genannt, hat den "kleinen" Antrieb an Bord, zwei über ein gemeinsames Getriebe gekoppelte PT6-Turbinen. Das PT6T-3 Twinpac leistet beim Start 1505 Wellen-PS und 1262 Wellen-PS im Dauerbetrieb. Damit schleppt Mimi in der Praxis bis zu 3500 Pounds, also rund 1590 Kilogramm, bei niedrigen Temperaturen auch mal mehr. Die N4XY, Spitzname "Big Blue", ist mit der stärkeren Doppelturbine PT6T-6 (1625 WPS Startleistung) ausgerüstet. 1814 Kilogramm am Außenlasthaken sind damit laut Betreiber möglich. Oft macht dieses vermeintlich kleine Plus im heißen Süden der USA den entscheidenden Unterschied: Was die große Turbine auch in den Mittagsstunden schleppt, schafft die kleine unter Umständen nur zu den kühlen Tagesrandzeiten. Künftig dürfte sogar noch mehr drin sein. 5 State hat ergänzende Musterzulassungen (STC) für die neueren, leistungsoptimierten B-Versionen der Antriebe erhalten, die im Gegensatz zu den installierten Turbinen von Pratt und Whitney voll unterstützt werden. Wer aufgepasst hat, wird den Widerspruch bemerkt haben: In der Serie wird Screaming Mimi als Hubschrauber mit Kolbenmotor dargestellt, was auch nicht ganz falsch ist. Im Jahr 1962 als militärische Version UH-34D an die US Navy ausgeliefert, wurde sie anfangs von einem Wright-R-1820-84D-Sternmotor mit 1525 Pferdestärken angetrieben. Erst 1973 erfolgte die Turbinen- umrüstung. Bei den Dreharbeiten rund zehn Jahre später flog sie längst mit Turbine, der Kolbenmotor war also nur vorgetäuscht.

Patrick Holland-Moritz

Transport in Häuserschluchten

Mimis Missionen laufen stets ähnlich ab. 5 State Helicopters stellt den Hubschrauber und drei Mitarbeiter, also zwei Helfer am Boden und einen Piloten. Den Rest organisiert der Kunde. Berechnet wird eine Pauschale für die Anreise und jeder Lift nach Gewicht. "Ein durchschnittlicher Lift dauert etwa zwei Minuten, schnelle Piloten schaffen ihn auch in 90 Sekunden." Böen machen die Sache anspruchsvoll, konstanter Wind bis 35 Knoten hingegen ist okay. Ob nicht ein Kran kosteneffizienter wäre? "Meistens nicht", sagt Bobby. Auf- und Abbau nehmen bis zu vier Tage in Anspruch für eine Arbeit, die der Helikopter in viel kürzerer Zeit erledigen kann. Zudem sollte man die Höhe der Gebäude in Downtown Dallas und anderen Städten nicht unterschätzen. Für die Piloten geht es auch um den Spaß bei der Sache: "Zwischen Gebäuden zu fliegen, das ist schon ein ziemlich cooler Job!" Die Frage, ob so ein Koffer in heutigen Zeiten noch effizient zu betreiben ist – TV-Historie hin oder her –, beantwortet Bobby ganz pragmatisch mit "Yes". 1500 US-Dollar kostet es das Unternehmen, Mimi eine Stunde in die Luft zu bringen. In dieser Zeit verbrennen die beiden Turbinen 120 Gallonen Jet A-1, wobei rund 290 Gallonen in die Tanks passen. 300 Stunden war Mimi im Jahr 2021 in der Luft.

Patrick Holland-Moritz

5 State Helicopters hält die Musterzulassung

Das eigentliche Geheimnis für einen wirtschaftlichen Betrieb liegt in der Musterzulassung der Sikorsky S-58T, die im Besitz von 5 State Helicopters beziehungsweise der Tochtergesellschaft Centerpointe Aerospace ist. Auch die Musterzulassungen für S-55 und S-62 liegen bei Bobbys Unternehmen, die sie im Jahr 2019 durch eine Übernahme von California Helicopters bekommen hat. Bis 2015 lagen die Rechte beim Hersteller Sikorsky Aircraft. Dahinter steht allerdings mehr als nur eine Menge Papierkram. Was genau, zeigt mir Bobby im Lager und der nach Part 145 zugelassenen Maintenance mit eigener Lackiererei: "Wir haben tonnenweise Ersatzteile." Etliche Regale sind prall gefüllt, sodass der Betrieb von Mimi und ihren Geschwistern auf viele Jahre gesichert ist. Ein kostbares Gut sind die Rotorblätter der S-58, die auf 3000 Flugstunden limitiert sind. "Wir haben noch welche in England und Neuseeland gefunden. Zusammen mit der FAA arbeiten wir außerdem daran, die Lebensdauer auf 5000 Stunden auszudehnen wie bei der S-61." Auch der Rotormast ist in seiner Lebensdauer begrenzt, Ersatz ist anspruchsvoll zu produzieren. Centerpointe Aerospace leistet auch Maintenance-Unterstützung für weitere S-58-Betreiber. Vier davon gibt es in den USA. In Europa nennt der Chef die Flying Bulls, die 2023 eine ebenfalls an diversen Filmproduktionen beteiligte S-58C übernommen haben. Die Antriebe werden für Wartungsarbeiten zum Hersteller Pratt & Whitney Canada beziehungsweise den entsprechenden Servicebetrieben geschickt.

Lucio Perinotto

Flugerlebnis ohne Schnickschnack

"Viele Kunden wissen heute gar nicht mehr, dass unsere Mimi einst ein TV-Star war. Einige wenige fragen aber schon gezielt nach", sagt Bobby. Bei den Piloten ist das Urteil dagegen eindeutig: "Sie bietet pures, einfaches Fliegen ohne überflüssigen Schnickschnack. Und sie ist ein sehr guter Lifter", sagt der Chef, der selbst rund 1500 Stunden auf der S-58T im Flugbuch stehen hat. "Ich liebe es, sie zu fliegen. Das gilt aber auch für die Black Hawk." Unterwegs ist sie ausschließlich im Sichtflug bei Tag und bei Nacht. Wie sich der Betrieb in etwa anfühlt, erahne ich beim Rollout und dem folgenden Take-off. Das Team schiebt Mimi aus der Halle. Die Stimmung ist entspannt und konzentriert zugleich. Professionell eben. Ein Kunde aus San Antonio hat Mimi und ihre Crew für heute angefordert. Das bedeutet: tanken, Vorflugcheck, kurze Besprechung des Auftrags. Für mich bleibt Zeit, den Hubschrauber aus der Nähe zu betrachten. Der Einstieg ins erstaunlich kleine Cockpit im Obergeschoss erfolgt mit etwas Akrobatik durch den Innenraum. Irgendwie fühle ich gerade Nick Ryders Geist, sehe Pier 56, die kalifornische Landschaft und den Pazifik vor meinem geistigen Auge. Ich frage mich, wie sich ein Flug anfühlen mag. "Ziemlich laut", sagt einer der Jungs von der Bodencrew mit einem Augenzwinkern. Er klettert mit mir in die Kabine und zeigt auf eine Aufschrift im Heckausleger, der von Mimis Restaurierung im Jahr 2003 zeugt. "Da war ich auch dabei", sagt er mit einer Portion Stolz. Man sieht, dass der Hubschrauber mit Liebe gewartet und erhalten wird. Mimi wirkt mit ihren 61 Jahren beinahe wie frisch aus dem Werk. Wer genau hinschaut, sieht im Lufteinlass der Cowling noch ein wenig mattrosa Farbe schimmern – ein Stück "Riptide" hat die Zeit überdauert. Dann beginnt das Spektakel, strikt nach Checkliste statt nach Gebet. Die Crew geht an Bord, die Turbinen laufen an. Erst leise, dann immer lauter, bis Screaming Mimi ihrem Namen gerecht wird und die beiden PT6 ein infernalisches Geschrei über den Platz schicken. Der Rotor baut Drehzahl auf, und nach knapp fünf Minuten nimmt Mimi die Räder vom Boden und Kurs auf San Antonio. Als sie nach ein paar Runden fürs Fotoshooting hinterm Horizont verschwunden ist und mein Besuch bei 5 State Helicopters endet, bleibt nur noch eine Frage: "Wie wäre es mit einem neuen Maul für Mimi, vielleicht mit Folie aufgeklebt?" Bobby schweigt, überlegt einen Moment und grinst. "Vielleicht."

Patrick Holland-Moritz

Daten Sikorsky S-58T "Screaming Mimi"

Propeller
Hersteller Sikorsky Aircraft, USA
Baujahr 1962

Antrieb
Antrieb Pratt & Whitney Canada PT6T-3 Twinpac
Startleistung 1505 WPS
Dauerleistung 1262 WPS

Abmessungen
Länge 20,06 m
Höhe 4,85 m
Rotordurchmesser 17,07 m

Massen und Mengen
Leermasse 3356 kg
maximale Abflugmasse 5896 kg
Treibstoffkapazität 1071 l

Flugleistungen
Reisegeschwindigkeit 110 kts
Dienstgipfelhöhe 15000 ft
maximale Schwebeflughöhe 4900 ft (mit Bodeneffekt)
Reichweite 242 NM