Quest Kodiak
Leverkusen Info, die N500QK im kurzen Endteil der 15.“ Ich stehe am Bahnanfang und sehe das Flugzeug, eine rote Turboprop, erstaunlich langsam einschweben, nur begleitet von einem Rauschen, das sich erst nach dem Aufsetzen kurz in ein Donnern verwandelt. Auf der Besucherterrasse verfolgt man interessiert die Landung und analysiert gleich fachkundig: „Aha, eine Caravan“, worauf ich schmunzelnd korrigiere: „Nein, eine Quest Kodiak!“
In der Tat sind auf den ersten Blick diese beiden abgestrebten Schulterdecker nicht leicht zu unterscheiden, insbesondere, wenn sie unter dem Bauch ein Bellypod zur Vergrößerung des Frachtraumes tragen. Im Gegensatz zur Cessna 208, die schon 1984 eingeführt wurde, gibt es die Kodiak erst seit 2007 und ist, zumindest hierzulande, kaum zu sehen. 161 Stück hat Quest Aircraft aus Sandpoint, Idaho, bis jetzt gebaut, und die meisten davon fliegen im harten Arbeitseinsatz in Entwicklungsgebieten.
Besonderer Wert wurde bei der Entwicklung auf eine geräumige und leicht zu beladende Zelle mit hoher Zuladung gelegt, auf ein Fahrwerk, das auch mit unbefestigten Behelfspisten nicht überfordert ist, und auf herausragende STOL-Eigenschaften. Die leer 1,7 Tonnen wiegende Kodiak kann 1,6 Tonnen zuladen und braucht selbst mit maximalem Startgewicht keine 300 Meter zum Abheben und gerade mal 200 Meter für die Landung. Für diese aerodynamischen Leistungen sind die 750 PS starke PT6A-34 Turbine von Pratt & Whitney sowie die spezielle Flügelgeometrie mit den Fowler-Klappen und Vortex-Generatoren am Leitwerk verantwortlich.
Wird das Flugzeug als „Lastesel“ eingesetzt, können durch die 125 mal 125 Zentimeter große Türe hinten links sieben Kubikmeter geladen werden und zusätzlich noch einmal knapp 1,8 Kubikmeter im Außenbehälter unter der Zelle. Für den Personentransport gibt es eine „Holzvariante“, etwa für Fallschirmspringer, bei der einfache Sitzbänke entlang der Außenwand angebracht sind und statt der zweigeteilten Türe ein Rolltor, oder die VIP-Ausführung mit bis zu acht Ledersitzen und Arbeitstischen. Auch Floats können angebaut werden.
In Europa wird Quest Aircraft Company durch die Firma Rheinland Air Service vertreten. Deren Vertriebsleiter Frank Prochaska flog die Maschine von Mönchengladbach hierher zum Luftsportclub Bayer Leverkusen, weil hier optimale Rahmenbedingungen für meine Testflüge herrschen.
Beim Einsteigen ist es ausnahmsweise von Vorteil, dass ich groß bin, denn man muss 1,20 Meter hochklettern. Allerdings gibt es unterwegs eine kleine Trittstufe. Also Platz nehmen, den Sitz in Richtung, Höhe und Neigung einstellen und sich mit dem Cockpit vertraut machen. Das wird vom serienmäßigen Garmin-G1000-Glascockpitsystem dominiert. Auf drei großen Bildschirmen sind alle erdenklichen Funktionen abrufbar: Flugdaten, Betriebswerte, Navigation; integriert sind auch das TCAS zur Kollisionswarnung, Hindernisanzeigen und ein Wetterradar. Die Schalterpanels befinden sich eine Ebene tiefer. Auf der Mittelkonsole sind unter anderem die Hebel für Triebwerksleistung, Propellerverstellung, Kraftstoff und den Klappen platziert. Darunter liegen übersichtlich angeordnet sechs Reihen mit Sicherungen. Die Tankwahlschalter für die beiden 600 Liter fassenden Flächentanks sind im Cockpitdach untergebracht. Das Steuerhorn liegt griffig in der Hand, könnte für mich aber etwas breiter sein.
Im Gegensatz zu modernen Turbinenhubschraubern und Jets gibt es bei Turboprops kaum digitale Triebwerksmanagementsysteme (FADEC). Das Anlassen erfolgt somit manuell: Kraftstoffpumpe und Zündung einschalten und Startertaster gedrückt halten. Jetzt fließt aus den beiden 24-Volt-Batterien Strom zum Anlassermotor, der die Verdichterstufe in Gang setzt. Sind 14 Prozent Turbinenleistung angezeigt, ist der Kraftstoffhebel (Fuel Condition Lever) auf „Low Idle“ zu stellen, und das in die Brennkammern eingespritzte Jetfuel-Gemisch beginnt zu verbrennen. In dieser Phase muss die Turbinentemperatur ITT (Intern Turbine Temperature) im Auge gehalten werden, um bei einer eventuellen Überschreitung des Maximums den Anlassprozess sofort abzubrechen. Bei 52 Prozent kann der Starter losgelassen und die Zündung ausgeschaltet werden, denn jetzt läuft die Turbine selbstständig.
Auch mit 40 knoten noch stabil
Mit zwei halbvollen Tanks, vier Personen und reichlich Gepäck im Bellypod dürften wir nun etwa zweieinhalb Tonnen wiegen. Dieses Gewicht auf dem Grasboden präzise zu steuern ist nicht schwierig, erfordert aber schon etwas Krafteinsatz in den Pedalen. Auf der Bahn 15 aufgestellt, sind 20 Grad Klappen gesetzt, der Propellerhebel steht auf 2200 RPM, der Fuel Condition Lever auf „High Idle“ und die Bremsen sind voll getreten. Jetzt wird der Leistungshebel unter Berücksichtigung von Turbinentemperatur (ITT) und -drehzahl nach vorne geschoben und kurz danach die Bremsen gelöst. Die Kodiak spurtet los, und bereits nach gut 200 Metern wird sie leicht und hebt mit nur 60 Knoten ab. Ich muss nur ganz leicht nachdrücken, und schon erhöht sich die Fahrt auf 85 Knoten. Nach Einfahren der Klappen steigen wir mit 1400 Fuß pro Minute. Das Austrimmen kann man nicht vergessen, denn die Steuerdrücke sind ganz erheblich. In 2400 Fuß über Grund, über uns ist noch Luftraum C, fliege ich einige Kurven und Vollkreise und bin erstaunt, wie leicht sich dieses Flugzeug steuern lässt, obwohl keine hydraulische Unterstützung vorhanden ist, und wie wenig Seitenrudereinsatz für sauberen Kurvenflug erforderlich ist.
Selbstverständlich lassen sich Seiten- und Querruder elektrisch austrimmen. Jetzt möchte ich gerne ein paar Steilkurven fliegen. Willig und verzugsfrei lässt sich die Kodiak wechselseitig auf 45 Grad legen. Frank ermutigt mich, noch steiler in die Kurve zu gehen, und bald spüre ich am Steuerhorn, abhängig von der aktuellen Geschwindigkeit, einen warnenden Gegendruck. Das ist das elektronische Stabilitäts- und Sicherheitssystem, das automatisch eingreift, um das Flugzeug in eine stabile Fluglage zu bringen. Als Nächstes nehme ich im Geradeausflug immer mehr Leistung weg, bis nur noch 80 Knoten anliegen. Auch ohne Klappen bleibt die Maschine gutmütig und voll steuerbar. Mit 35 Grad Klappen, full flaps, reduziere ich die Fahrt weiter bis auf 60 Knoten, ohne Anzeichen eines Stalls. Langsam ziehe ich am Steuerhorn auf 50 Knoten und es sind noch immer saubere Kurven möglich. Es ist unglaublich, dieser „Koffer“ fliegt auch noch mit 40 Knoten stabil! Erst darunter geht die Nase moderat nach unten, bleibt aber über die Seitenruder gut steuerbar. Ich drücke nach, nehme schnell Fahrt auf und höre bei 110 Knoten ein Warnsignal, weil die zulässige Geschwindigkeit für Klappenstufe 3 gleich überschritten wird. Eine weitere Funktion ist bemerkenswert: Auf Franks Anweisung bringe ich das Flugzeug in eine unkoordinierte Steilkurve und gehe dann aus allen Controls. Er drückt jetzt die LVL-Taste (Level), wodurch sich der Autopilot aktiviert und das Flugzeug wie von Geisterhand in eine stabile vertikale und horizontale Fluglage bringt. Eine lebensrettende Funktion, wenn der Pilot plötzlich die Orientierung verliert.
Irgendwann wird es Zeit, wieder zurück nach Leverkusen zu fliegen, und mit 170 Knoten Reisegeschwindigkeit sind wir auch schnell da. Jetzt wieder Leistung wegnehmen, Propeller auf kleine Steigung stellen und Klappen setzen. Ich fliege mit 130 Knoten in die Platzrunde und hole etwas weiter aus, um mehr Zeit zu gewinnen. Als Frank im Endanflug volle Klappen setzt, meine ich, ein Bremsfallschirm werde ausgefahren, denn fast schlagartig sind wir auf 80 Knoten. Ich halte auf den Bahnanfang zu und muss wegen des Seitenwinds deutlich ins Pedal treten, um auf der Centerline zu bleiben. Da mir das aber nicht auf Anhieb gelingt, sagt Frank nur: „Go around“, schiebt Leistung rein und nimmt die Klappen etwas zurück. Den nächsten Anflug teile ich so ein, wie man es mit einer 172 macht, denn ich habe gemerkt, dass die schwere Kodiak nicht mehr Platz braucht – im Gegenteil. Ohne jegliche Hektik drehe ich in das kurze Endteil, und wir schweben gemächlich der 15 entgegen. Nach dem Aufsetzen zieht Frank den Propellerhebel in die Umkehrschub-Position, und unter lautem Donnern bremst die Kodiak heftig ab. So reduziert sich die Rollstrecke ganz erheblich, und es dauert keine zehn Sekunden, bis wir auf Abrollgeschwindigkeit sind.
Nach dem Debriefing im Cockpit öffne ich meine Türe und vernehme ein Zischen, als ob Überdruck aus der Kabine entweicht. Da die Kodiak aber keine Druckkabine hat und Frank meine Verwunderung sieht, erklärt er, dass die Türdichtungen mit Druckluft aufgeblasen werden, um eine absolute Dichtigkeit und weniger Geräuschentwicklung im Inneren zu erreichen. Als ich nach dem Aussteigen zum Fotografieren die Türen offenhalten möchte, stelle ich fest, dass es keine Haltevorrichtung dafür gibt. Stattdessen holt Frank schmunzelnd ein Gummiband hervor, und ich frage amüsiert, ob dies denn im Preis von 2,2 Millionen Dollar enthalten sei.
Quest Aircraft hat mit der Kodiak ein Flugzeug geschaffen, das durch seine besonderen aerodynamischen Eigenschaften, der Nutzungsflexibilität und der Betriebswirtschaftlichkeit Maßstäbe setzt.
Technische Daten





Quest Kodiak
Hersteller: Quest Aircraft Company Zulassung: FAR 23
Sitzplätze: 1+5/9 Bauweise: Metall Verwendung: multifunktional
Antrieb
Hersteller: Pratt & Whitney Canada
Typ: PT6A-34
Startleistung: 750 WPS
Dauerleistung: 700 WPS
Propeller: Vierblatt, Metall
Abmessungen
Länge: 10,42 m
Spannweite: 13,70 m
Höhe: 4,64 m
Massen und Mengen
Leermasse: 1603 kg
Zuladung: 1606 kg
maximale Startmasse: 3290 kg
Tankinhalt: 1211 l
Flugleistungen
Startrollstrecke: 285 m
bestes Steigen: 1375 ft/min
Reisegeschwindigkeit: 182 kts
maximale Flughöhe: 25 000 ft
aerokurier Ausgabe 08/2015