Ostermontag. Deutschland: Schmuddelwetter bei zehn Grad Celsius. Gut 2000 Kilometer entfernt: strahlend blauer Himmel bei 22 Grad Celsius. Wo ist die Sonnencreme? Ach ja, ich vergaß: Die Quecksilbersäule des Thermometers steht im Minusbereich! Also, wo ist die dicke Steppjacke? Ich befinde mich im nördlichen Polargebiet auf dem 68. Breitengrad, eine Autostunde von Kiruna entfernt. Hier erstreckt sich über 50 Kilometer der Laukkujärvi-See, der im Winterhalbjahr komplett zufriert und von den Piloten der regionalen Fliegerclubs als offizieller Wasserflugplatz genutzt wird.
Dr. Michael Ullrich, ein bekanntes fliegerisches Urgestein, hat in Nordschweden seine Heimat gefunden und betreibt hier eine Flugschule. Immer wieder hat er mir vorgeschwärmt, wie toll das Fliegen hier in der unberührten Natur sei. „Das Tüpfelchen auf dem i“, sagt er, „sind die zwei Wochen zur Osterzeit, wenn auf dem See das internationale Fliegerlager stattfindet.“
Und da stehe ich nun – auf der über einen Meter dicken Eisplatte, eingepackt in Thermokleidung, und bin einfach überwältigt: Die Sonne glitzert auf dem spiegelglatten Eis der Startbahn und beleuchtet eine schier unendliche Schneelandschaft ringsumher, Felsmassive werfen darauf ihre kontrastreichen Schatten, und am Himmel reihen sich die bei Segelfliegern begehrten Lenticularis-Wolken auf. Der stets kräftige Westwind in Verbindung mit den Gebirgszügen prädestiniert diese Region für Wellenflieger zum Erreichen von Rekordhöhen. 9000 Meter sind hier keine Seltenheit. Die Piloten studieren Wolkenformationen, Wetterkarten und Vorhersagen und lassen sich dann von der clubeigenen PA-22 Colt oder der PA-25 Pawnee direkt in die Aufwinde schleppen. Wer sein eigenes Fluggerät nicht mitgebracht hat, kann mit einem der drei Grob-Segelflugzeuge fliegen. Aber auch Motor-flieger müssen nicht am Boden bleiben. Sie können sich auf einer Cessna 182 einweisen lassen. Für Ultraleichtpiloten gibt es eine Rans S6 und sogar zwei Tragschrauber.
Schnell bringe ich meinen Koffer in Michaels Holzhütte, von denen am Seeufer zehn Stück stehen. „Luxus gibt es hier aber nicht“, hatte er mich schmunzelnd schon vorgewarnt – und wirklich nicht übertrieben. Vier spartanische Feldbetten, ein Tisch, drei Stühle und eine gute Heizung müssen reichen. Ein Sanitärgebäude ist nicht vorhanden, stattdessen ein einsames Toilettenhäuschen und reichlich Schnee. Back to the roots – das Abenteuer beginnt!
Patrik, der „Wortführer“ des Segelflygklubben Kiruna, so heißen in Schweden die Vereinspräsidenten, wartet schon an einer DG-500 auf mich. „Du willst doch fliegen“, fordert er mich auf. „Also los, Fallschirm angelegt und rein in die Kiste!“ Mit etwas Mühe wegen der dicken Klamotten klettere ich in den Flieger.
Die Piper zieht uns in Richtung Gebirge, bei 1200 Metern Höhe klinkt Patrik aus. Dann ist um uns nur noch eine weiße Unendlichkeit, darüber der stahlblaue Himmel und sanftes Rauschen. Wie von Geisterhand gehoben steigen wir fast geräuschlos, manchmal mit sieben Metern in der Sekunde, der Sonne entgegen. Für einen Motorflieger eine ungewohnte Erfahrung. Nach einer halben Stunde zeigt der Höhenmesser 2600 Meter, und es geht unaufhörlich weiter aufwärts. Ich sehe zwei weitere Segelflieger über uns in der Sonne leuchten, die schon fast 6000 Höhenmeter erreicht haben. „Die sind auf der Jagd nach Höhendiamanten“, erklärt Patrik. Diese Auszeichnung gibt es ab 5000 Meter Höhengewinn ohne Fremdhilfe. Uns wird aber nach einer weiteren guten Stunde langsam kalt, denn hier oben hat es jetzt minus 32 Grad, und der Westwind bläst mit 65 Stundenkilometern.
Elektrische Heizanlage hält Motoren permanent warm
Gegen 19 Uhr beginnt am Flugplatz das große Verpacken. Alle Flugzeuge werden abgedeckt und an mindestens vier Stellen im Eis verankert. Die Motorflugzeuge bekommen zusätzlich Planen über die Cowling gezogen und werden ans Stromnetz angeschlossen. Damit der Motorblock über Nacht nicht auskühlt, sind hier im Norden alle Motoren mit einem fest eingebauten „Tauchsieder“ ausgestattet, der das Öl konstant auf 70 Grad Celsius hält. Nach getaner Arbeit kommt der gemütliche Teil. In der zum Camp gehörenden Grillhütte treffen sich die Piloten und führen bei bester Stimmung dem Körper Festes und Flüssiges zu, worauf er tagsüber weitgehend verzichten musste. Noch vor Mitternacht liege ich im Schlafsack und lasse die überwältigenden Eindrücke des Tages noch einmal Revue passieren. Da stört es mich nicht einmal, dass meine beiden Zimmergenossen schon tief schlafen – und ganze Wälder zersägen.
Für den späten Nachmittag des nächsten Tages kündigt der Wetterbericht eine hereinziehende Warmfront an. Michael Ullrich empfiehlt daher, noch vormittags mit der PA-22 auf Einweisungstour zu gehen. Gegen elf Uhr steigen wir in die Maschine, die dank Stromanschluss schon fast auf Betriebstemperatur ist. Aber wie mache ich auf einer Eisfläche den Run-up? Michaels Erklärung: „Ganz normal, aber halt nur mit 1200 Umdrehungen.“ Beim Startlauf mit Querwind nützt auf einer Eisfläche die Radsteuerung recht wenig. Wir haben Wind von links; also am linken Bahnrand aufstellen und Steuerhorn nach links halten. Die 150 PS des Lycoming-Motors bringen uns schnell in die Luft. Wir nehmen Kurs auf den Kebnekaise, Schwedens höchsten Berg. Leider liegt seine Spitze in 2106 Metern Höhe schon in den Wolken. Deshalb durchfliegen wir die Seitentäler mit schroffen Felswänden und vereisten, blau schimmernden Wasserfällen. Unterwegs kommen wir in Aufwindgebiete, die uns sogar im Leerlauf mit immer noch drei Metern steigen lassen. Wellenfliegen im Motorflugzeug! Gespannt bin ich dann auf die Landung – auf einer anderthalb Kilometer langen Bahn aus spiegelglattem Eis. Ich halte also die vorgeschriebene Anfluggeschwindigkeit ein, ziele auf die Markierung am Bahnanfang und tue so, als wäre es eine ganz normale Grasbahn. Nach dem Aufsetzen kann ich mit Querruder links und Seitenruder rechts die Centerline halten und lasse die Maschine einfach ausrollen. Michaels Empfehlung: „Intervallartiges Bremsen hilft auch ein bisschen.“
Das nächste Highlight ist ein Rundflug mit dem Tragschrauber. Mit der mir bestens bekannten Trixy Princess stehen wir am Startpunkt der Rollbahn. Vom Hubschrauberfliegen weiß ich, dass durch die geringe Bodenhaftung auf eisigem Untergrund das Gegendrehmoment leicht zum Wegdrehen der Zelle führt. Also gebe ich beim Vorrotieren nur sehr gefühlvoll Gas, auch wenn bei ungefähr 140 Rotorumdrehungen die Radbremse ihre Wirkung verliert. Mit halb gezogenem Knüppel wird bis zum Abheben weiter beschleunigt. Der Rotax fühlt sich angesichts der niedrigen Außentemperatur besonders kräftig an und bringt uns fahrstuhlmäßig in den Himmel. Beim engen Kurven an Felswänden heben uns die Aufwinde mit bis zu fünf Meter pro Sekunde nach oben. Ich könnte den ganzen Tag in diesem Cockpit verbringen, zumal Heizung und Belüftung des Tragschraubers ein ausgesprochen angenehmes Klima in der Kabine erzeugen.
Wieder daheim, werde ich gefragt, ob sich die Strapazen denn überhaupt gelohnt hätten. Meine Antwort: Ja, auf jeden Fall! Ich habe fliegerisch schon so manch Außergewöhnliches erlebt, aber das Fliegen in einer unendlichen Schneewüste, verbunden mit dem Abenteuer eines völlig komfortfreien Lebens auf einer Eisplatte, ist schon etwas ganz Besonderes. Das ist ganz sicher auch der Grund, warum dieses Fliegerlager seit 1961 international so großen Zuspruch findet.
aerokurier Ausgabe 11/2017