Ercoupe 415D
Das Flugzeug, das nicht trudeln kann

Die Ercoupe stellt einige der wichtigsten Prinzipien auf den Kopf, die für Leichtflugzeuge allgemein gelten.

Das Flugzeug, das nicht trudeln kann

Ercoupe 415D

Heutigen Betrachtern fällt es zumeist schwer, den Tiefdecker mit dem ungewöhnlichen Doppelleitwerk zeitlich zuzuordnen. Tatsächlich ist die Ercoupe 415D ein Produkt der frühen Nachkriegszeit.

Die doppelsitzige Bugrad-Einmot fand unmittelbar nach den Zweiten Weltkrieg in ihrer Heimat USA reißenden Absatz, alleine in jenem Jahr wurden 4000 Stück gebaut, in der Fabrik wurde in drei Schichten gearbeitet, auf dem Höhepunkt der Produktion wurden täglich etwa 30 Ercoupes fertig gestellt. Für die Vermarktung wurden ungewöhnliche zusätzliche Verkaufsstellen gefunden: So bot die Kaufhauskette Macy´s das kleine Reiseflugzeug in ihrer Herrenabteilung an.

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Doch so schnell, wie sich die Jedermannflugzeugblase in den Nachkriegs-USA aufgebläht hatte, so schnell zerplatzte sie auch wieder, nicht nur für den Ercoupe-Hersteller ERCO in Riverdale in Maryland. Immerhin 5028 Exemplare verließen zwischen 1945 und 1952 das ERCO-Werk.

Nach verschiedenen Zwischenstationen landete der Entwurf 1967 schließlich bei Mooney, die daraus die Cadet machten, ein Jahr später das Doppelleitwerk absägten und durch die unverwechselbare Mooney-Flosse ersetzten und das Muster von da an M10 nannten.

Am Ende, das 1970 kam, wurden zusammen mit etwa 100 Vorkriegsexemplaren 5685 Stück des Zweisitzers gezählt, dem sein Konstrukteur Fred E. Weick die Rolle eines nahezu unfallfrei zu fliegenden Volksflugzeuges zugedacht hatte und dem er dafür eine Reihe seinerzeit absolut unüblicher, aber brillanter technischer Detaillösungen mit auf den Weg gegeben hatte.

Doch die kommerzielle Verwertung der Vision von einem Fehler verzeihenden Einfachflugzeug wurde erst unter dem Dach der Engineering and Research Corporation, kurz ERCO, möglich.

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Erstflug im Oktober 1937 und Überarbeitungen

Ausgestattet mit höchst ungewöhnlichen Ideen. © Foto und Copyright: Frank Herzog

Die Ercoupe flog im Oktober 1937 zum ersten Mal. Nach diversen Überarbeitungen bescheinigte die US-Luftfahrtbehörde schließlich Anfang 1940 dem nun Model 415C genannten Tiefdecker die Unfähigkeit zu trudeln. Ein entsprechender Hinweis war gut sichtbar im Cockpit anzubringen.

Weick hatte auf Seitenruderpedale verzichtet, stattdessen koppelte er die überlangen Querruder mit den Seitenrudern. Nur ein einziges Bremspedal installierte er, die Bremse wirkt auf beide Räder gleichzeitig. Beim Rollen wird die Ercoupe daher in einer Weise auf Kurs gehalten, die man in einem gewöhnlichen Flugzeug nicht einmal einem minderbegabten Anfänger durchgehen ließe: durch Lenkbewegungen wie in einem Auto.

Das Doppelleitwerk favorisierte Weick, um die Seitenruder weitgehend vor dem Propellerstrahl zu bewahren und so die Giertendenz zu verringern.

Eine Eigenart der Ercoupe ist es, bei jeder beliebigen Geschwindigkeit zwischen 55 und 95 kts gelandet werden zu können. Haben erst einmal alle Räder den Boden berührt, erlischt augenblicklich ihr Wille, wieder wegzusteigen.

Genial einfach ist auch das Treibstoffsystem: Es gibt nur eine kleine Pumpe, die permanent Treibstoff aus den Flächentanks in den Zentraltank hinter dem Motor fördert. Von dort aus läuft der Treibstoff mit Schwerkraftunterstützung zu dem Continental-Vierzylinder. Sollte die Pumpe ausfallen, so bleibt die Gewissheit, auf jeden Fall die knapp 23 Liter des Zentraltanks zur Verfügung zu haben. Ebenso simpel wie zuverlässig ist die Tankanzeige: Auf dem Zentraltank steht, im Blickfeld des Piloten, ein Glaskolben, darin bewegt sich eine Nadel mit Korkenschwimmer.

Mit den nebeneinander angeordneten Sitzen, die heute so selbstverständlich sind, brach Weick mit einer weiteren Konvention seiner Zeit. Die Insassen, meinte er, sollten möglichst unbeeinträchtigt miteinander kommunizieren können.

Das Bugradfahrwerk, auf das Weick seinen Entwurf stellte, verstieß ebenfalls gegen das vorherrschende Prinzip. Zwar hatte es zuvor schon Bugradflugzeuge gegeben, aber für Weick war es die unumgängliche Konsequenz aus seinen Studien zu Landeunfällen. Seiner Zeit um Jahrzehnte voraus war Weick mit der geschleppten Auslegung des Hauptfahrwerks. Auch die von ihm praktizierte Ganzmetallbauweise war Ende der 30er Jahre ebenso wie die Tiefdeckerauslegung noch weit davon entfernt, das Maß aller Dinge beim Leichtflugzeugbau zu sein.

Ercoupe für Flugschüler

Mit der Ercoupe verwirklichte Fred E. Weick seine Ideen vom "unfallfallfreien Volksflugzeug". © Foto und Copyright: Frank Herzog

Die US-Luftfahrtbehörde wurde auf die Ercoupe aufmerksam und veranstaltete ein Experiment. Sie wollte wissen, ob Flugschüler auf einer Ercoupe das Fliegen schneller lernten. Als Vergleichsmuster diente eine Piper J-3. Die Mitglieder der Piper-Gruppe brauchten im Durchschnitt acht Stunden bis zum Soloflug, die Ercoupe-Flugschüler kamen mit der Hälfte aus. Letztendlich schuf die Behörde eine eigene Lizenz für Ercoupe-Piloten, bei der die Mindeststundenzahl von 35 auf 25 herabgesetzt war.

Es bleibt der Spekulation überlassen zu beurteilen, welche Rolle die Konzeption der Ercoupe für die Allgemeine Luftfahrt hätte spielen können, wäre sie unter günstigeren Umständen auf die Welt gekommen.

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aerokurier 04 / 2023

Erscheinungsdatum 20.03.2023