"Are you doing your return home safe stuff?" Eigentlich landet heute am McGhee Tyson Airport alles auf der 23R. Für uns macht der Lotse eine Ausnahme, als wir um die Landefreigabe auf die linke der beiden Parallelbahnen bitten, damit wir unseren "Autolande-Kram” machen können, um den Satz des ATC-Kollegen sehr frei zu übersetzen. Sein laxer Funkspruch indes dreht sich um das, was während der vergangenen Monate wohl das bestgehütete Luftfahrtgeheimnis in Knoxville, Tennessee war. Gerade zwei Wochen ist es bei meinem Besuch her, dass Cirrus die Neuheit bekanntgegeben hat: Mit der Vorstellung der Version G7+ ist Autoland jetzt auch in der SR-Modellreihe nicht nur verfügbar, sondern sogar serienmäßig. Der aerokurier ist das erste europäische Luftfahrtmagazin, das das aktuelle Cirrus-Modell mit all seinen neuen Features testen darf.
"Während der Entwicklung durften wir über das neue System nicht sprechen", sagt Ivy McIver, Produktchefin der SR-Modellreihe. Stattdessen erzählte man während der Flugerprobung von "Softwaretests", wann immer sich die Lotsen über die ungewöhnlichen Freigabewünsche der Cirruspiloten wunderten.

aerokurier-Autor Christof Brenner im Cockpit mit Ivy McIver, Cirrus Executive Director für die SR-Modellreihe.
Erst die Turbinen, jetzt der Kolbenmotor
Bislang war das Autoland-System ausschließlich in Flugzeugen mit Jet- oder Turbopropantrieb verfügbar. 2020 erhielt Piper die FAA-Zulassung für die Notfall-Landeautomatik in der M600, der Cirrus Vision Jet und Dahers TBM 940 folgten. Mit der SR-Serie ist Cirrus nun der erste Flugzeugbauer, der Autoland in einem kolbenmotorgetriebenen Flugzeug anbietet. Doch schon seit 2019, mit der Einführung von Safe Return – so die Cirrus spezifische Markenbezeichnung – im Vision Jet, war das Autolandesystem für die Kolbeneinmot-Serie auf der Agenda des Flugzeugbauers. Während der vergangenen zweieinhalb Jahre haben die Ingenieure von Garmin und Cirrus intensiv an der Verwirklichung gearbeitet. Herausforderung war dabei nach Aussage von Cirrus vor allem die Abstimmung der Werte für die Regelkreise.
Weil die N722PL als Experimental für die Flugerprobung zertifiziert ist, muß ich diesmal, anders als bei sonstigen Demoflügen, auf dem rechten Sitz neben Ivy Platz nehmen. Aber ganz ehrlich: ums Selbstfliegen geht es heute ohnehin nicht.

Mit dem Gesamtrettungssystem CAPS und Safe Return Emergency Autoland darf die Cirrus SR-Serie als sicherste Kolbeneinmot der Welt gelten. Dass sie dazu auch noch komfortabel und schnell ist, versteht sich von selbst.
Auf dem Vorfeld des Cirrus Vision Centers ist es zudem besser, wenn Piloten das Rollen übernehmen, die mit den Abläufen hier vertraut sind. Dicht an dicht stehen SR und Vision Jets entlang des Taxiways geparkt, fast ohne Unterbrechung ist eine Maschine von oder zu einem der sieben Hangars unterwegs. 600 Flugzeuge jährlich produziert der Hersteller derzeit, jedes einzelne wird hier in Knoxville an den Kunden übergeben. Um den Bodenverkehr auf dem Cirrus-Apron kümmert sich ein betriebseigener Vorfeldlotse auf einer separaten Frequenz.
Verkehrswarnung deluxe
Wir sind noch mit dem Runup beschäftigt, als sich auf dem Bildschirm die Runway orange färbt und vor einem abfliegenden Pilatus PC-12 warnt: "Traffic RW23L!" Optisch ist die Plus-Version der G7 nicht von ihrer Vorgängerin zu unterscheiden. Die Modellpflege beschränkt sich auf Funktionalität, und die Runway-Occupancy-Awareness ist eines der neuen Features. Innerhalb von 1500 Fuß um eine Landebahn herum warnt die Avionik vor Verkehr auf einer aktiven Runway.

Verkehrsinformationen auch am Boden - die Garmin-Avionik machts möglich.
Es dauert keine zehn Minuten, bis Ivy die Cirrus in Position gebracht hat. In 3000 Fuß nordöstlich des Platzes bin ich bereit für meine erste automatische Landung in einem Kolbenmotor-Flugzeug.
Bei Cirrus hat man sich lange Gedanken gemacht, wo der rettende rote Knopf in der Kabine Platz finden soll. Ähnlich wie im Vision Jet sitzt er zentral am Kabinendach. Auch ohne einen Blick nach hinten hätte ich den großen roten Autoland-Auslöser leicht erfühlen können. Für Passagiere auf dem Rücksitz befindet er sich direkt im Sichtfeld.

Der knallrote Notfall-Button ist von allen Sitzplätzen aus gut erreichbar.
Alternativ zur aktiven Betätigung durch einen Mitflieger hätte das Flugzeug auch selbständig die Return Home Safe Routine ausgelöst. In früheren SR-Modellen half das Electronic Stabilität and Protection System, kurz ESP, dabei, das Flugzeug wieder in eine stabile Fluglage zu bringen, wenn der Pilot die Limits von Pitch- oder Roll, Geschwindigkeit oder Sinkrate überschritt. In der G7+ geht das System noch einen Schritt weiter. Ist der Pilot nach weiteren 60 Sekunden immer noch orientierungslos oder handlungsunfähig, aktiviert es den Safe Return Modus. Gleiches gilt, wenn der Pilot über längere Zeit unansprechbar ist oder Steuereingaben unterlässt – ausgelöst etwa durch Sauerstoffmangel. Die Zeitspanne, bis das Flugzeug reagiert, verringert sich mit zunehmender Flughöhe. Bei unserem Demoflug ziehen wir die manuelle Auslösung der Ohnmachtsituation vor.
Mit der Safe-Return-Funktion bietet die Cirrus G7+ zusätzlich zum CAPS-Gesamtrettungsfallschirm eine zweite Möglichkeit, sicher aus einer Notlage zu kommen. Die Entscheidung, welches der beiden Systeme der Pilot oder die Insassen nutzen sollen, ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig und wird unter anderem in der cirruseigenen Schulungsplattform Cirrus Aproach intensiv diskutiert. "Wenn mit dem Flugzeug etwas nicht in Ordnung ist, zieht man CAPS. Wenn mit dem Piloten etwas nicht stimmt, betätigt man Autoland", erklärt Ivy McIver vereinfacht die Entscheidungsfindung.
"Emergency Autoland activating!"
Uns geht es bestens, trotzdem wollen wir es jetzt wissen: Kaum habe ich den großen roten Knopf gedrückt, bringt der Autopilot N722PL in den horizontalen Geradeausflug. "Emergency Autoland activating!", kündigt die unaufgeregte weibliche Stimme des Cirrus Perspective+ Avioniksystems an. Hätte ein Fluggast versehentlich die Notlandeautomatik ausgelöst, blieben uns nun noch zehn Sekunden Karenzzeit, um die Landesequenz zu widerrufen.
Danach beginnt die Show: Der Leistungshebel in der Mittelkonsole bewegt sich wie von Geisterhand. Angesteuert wird er, ebenso wie die Gemischverstellung, mittels Servomotoren, die über Schubstangen mechanisch mit den Bedienelementen verbunden sind.
Im Hintergrund hat die Avionik inzwischen längst ihre eigenen Entscheidungen getroffen: Autoland wählt den bestgeeigneten Flugplatz samt Landebahn aus. Es orientiert sich dabei unter anderem an der zur Verfügung stehenden Spritmenge, Runwaylänge und -breite. Das System berücksichtigt ebenso Wetterdaten, die das Flugzeug über seine Iridium-Satellitenverbindung empfängt. Die Informationen werden dabei laufend aktualisiert, der Algorithmus berechnet sogar die Wetter-Zugrichtung und wählt, wenn möglich, einen Flugweg hinter einer Front. Auf Basis der Geländedatenbank umfliegt die Cirrus Hindernisse oder leitet selbständig einen Steigflug darüber ein.
Gleichzeitig setzt Autoland Notfall-Funksprüche an ATC und den übrigen Verkehr ab. Auf COM1 passiert das auf der Frequenz, die es in dem Luftraum, in dem es sich befindet, für am geeignetsten hält. Gleichzeitig setzt es auf dem zweiten Funkgerät die Meldung auf der Notfallfrequenz 121.5 MHz ab. Übermittelt wird alles, was auch ein Pilot bei einem Mayday-Call absetzen würde, also Rufzeichen, Position, geplanter Flugweg und dazu, dass eben eine automatische Landung aktiviert wurde.
Laufend Infos über die Displays
Während unsere Cirrus so unbeirrt auf Kurs zurück nach KTYS dreht, wandeln sich die Bildschirme im Cockpit zum "Entertainment"-System für die Insassen, die nun allesamt zu Passagieren geworden sind. "Safe Return Autoland Activated" erscheint auch hier, und kurz darauf die klare ansage: "Do not touch controls!", also Finger weg vom Steuer. In kurzen Videos informiert das System über den Flugverlauf. Eine plötzliche Kurve, womöglich noch in Wolken, ist nicht unbedingt dazu geeignet, dass sich Passagiere in einer Notfallsituation sicher fühlen. Deshalb werden Richtungsänderungen auf den Cockpitbildschirmen ebenso vorzeitig angesagt wie die Zeit bis zur Landung und die verbleibende Endurance – die Angst vor Spritmangel ist weit verbreitet bei Nicht-Piloten. Zudem wird erklärt, wie man den Sendeknopf des Funkgeräts auf dem Touchpad bedient, und ermahnt, vor der Landung die Sicherheitsgurte anzulegen und nach dem Aufsetzen im Flugzeug zu bleiben, bis der Propeller zum Stillstand gekommen ist.

Über die Monitore werden die Insassen permanent über das informiert, was das System als nächstes tut. Die Hinweise sind auch für aviatische Laien verständlich.
Vier Minuten vor dem Aufsetzen ist N722PL im Final, der Gemischhebel bewegt sich auf voll reich, die Anfluggeschwindigkeit von 95 Knoten ist über Pitch und Power stabilisiert. Weil Autoland etwaige Vereisungsbedingungen nicht erkennt, fährt es die Klappen zur Landung grundsätzlich nur auf 50 Prozent aus, selbst wenn das Wetter in Knoxville uns heute eher an die Vorzüge der Klimaanlage in der SR22 denken lässt.
Unter 5 Grad Celsius würden zusätzlich noch die FIKI-Enteisungsanlage und die Pitotheizung eingeschaltet. Jeder Schalter muss sich seinen Platz im Flightdeck verdienen, so die Cirrus-Philosophie. Denn je einfacher ein Flugzeug zu bedienen ist, umso sicherer wird es. Konsequenterweise fehlt der Schalter für die Staurohrheizung fortan im SR-Panel. Zum Vorflugcheck überprüft die Avionik den Stromfluss durch das Heizelement im Selbsttest, im Menü lässt sich der Status abfragen.

Auch eine automatische Pitotrohr-Heizung gehört ab sofort zur Serienausstattung.
Weil auf der Frequenz wenig los ist, die Automatik ohnehin gerade den Pilotenjob übernimmt und der Towerlotse noch immer neugierig ist, erklärt ihm Ivy McIver am Funk, worüber sie monatelang schweigen musste. Dass das Flugzeug nicht immer den veröffentlichten LPV-Approach fliegt, aber die RNAV-Informationen und das GPS für seinen eigenen Anflug und die vertikale Führung nutzt. Und dass es selbstverständlich jedes mal tadellos funktioniert. Selbst bei starken Böen und Turbulenzen.
Höhensteuerung via Radarhöhenmesser
Für die Höhensteuerung in der Endphase der Landung ab einer Höhe von 60 Fuß über Grund hat Cirrus die G7+ mit einem Radarhöhenmesser ausgestattet. Und der verrichtet seinen Job einwandfrei! Bei 50 Fuß über der Schwelle geht der Gashebel auf Leerlauf, die Cirrus beginnt zu flaren. Ja, man spürt das Aufsetzen, aber die Landung ist sauberer, als mancher Durchschnittspilot sie hinbekommt – mehr auf der Centerline ist sie ganz bestimmt. Unglaublich, wie genau die Automatik das Flugzeug zurück auf den Boden bringt!
Kaum haben die Reifen Runwaykontakt, fahren die Klappen ein, um die Radhaftung auf dem Asphalt zu erhöhen. Ein zusätzlicher Bremszylinder, der über ein T-Stück in den Hydraulikkreislauf integriert ist, sorgt für die notwendige Verzögerung. Im echten Notfall tut er das, bis die SR auf der Bahn zum Stehen gekommen ist, das Autoland-System den Motor abgestellt und die Passagiere zum Aussteigen aufgefordert hat. Selbstredend würde das Flugzeug herbeieilenden Hilfskräften im Cockpit auch erklären, wie sich die Parkbremse wieder lösen lässt und dass unbedingt auch die Zündmagnete ausgeschaltet werden sollten. Wir wollen den Verkehr heute nicht aufhalten, brechen die Automatik ab und rollen ganz traditionell zum Cirrus-Hangar zurück.
Die Autoland-Technologie in das Marktsegment der Kolbenflugzeuge zu bringen, hat Cirrus eine Vorreiterrolle verschafft, von der der Hersteller hofft, dass sie der gesamten Allgemeinen Luftfahrt zu mehr Attraktivität verhilft: "Jeder Schritt, der dazu dient, die Vorbehalte gegenüber der Fliegerei zu mindern, ist ein Gewinn", sagt Ivy McIver. "Eine der Barrieren ist womöglich, dass die Familie nicht will, dass man fliegt, weil sie den Kontrollverlust fürchtet, wenn der einzige Pilot im Cockpit ausfällt. Im Vergleich zu CAPS ist Safe Return die weit weniger abschreckende Entscheidung. Einmal den Fallschirm gezogen, gibt es kein Zurück. Autoland dagegen lässt sich jederzeit per Knopfdruck deaktivieren. Es bedeutet Komfort und Sicherheit in einem einzigen System."