Der wichtigste Befund vorweg: Die Entwicklung des Elektrofluges ist zügig, aber ohne großes Getöse vorangeschritten und hat sich dabei auch von Rückschlägen nicht beuteln lassen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Elektra One. Obschon das 2011 mit dem Callsign D-MELN gestartete, vielversprechende Photovoltaikprojekt die geplante Alpenüberquerung 2015 mit Klaus Plasa am Steuer erstmals schaffte, wurde es offenbar aufgegeben. Die vorläufige Verkehrszulassung der D-MELN ist jedenfalls zu Beginn dieses Jahres erloschen.
Hinfallen und Aufstehen
Stattdessen hat sich der Initiator Calin Gologan neu aufgestellt und jüngst bekannt gegeben, dass nun sechs- und zehnsitzige Elektro-Zweimots namens Scylax E6 und E10 entwickelt werden. Dafür ist die neu gegründete Scylax GmbH Ende des vergangenen Jahres ein Joint Venture mit der chinesischen Zhonglan Aviation eingegangen. Gemeinsam peilt man den Produktionsstart beider Flugzeuge schon für 2025 an.

Ob sich das einhalten lässt oder nicht – es zeigt, wie stark die Entwicklung elektrischer Flächenflugzeuge vorangetrieben wird. Trotz aller Rückschläge: Wenngleich Ende Mai vergangenen Jahres die zuvor auf der AERO präsentierte Magnus e-Fusion HA-XEF abgestürzt ist – ein Vorfall, der auch bei Siemens tiefe Betroffenheit auslöste – startete kein halbes Jahr später der Testpilot Ingmar Mayerbuch erstmals vom Diamond Werksgelände mit einer hybridelektrisch umgebauten, zweimotorigen DA40. Unter der Cowling werkelte ein Diesel von Austro Engine als Generator, die Propeller saßen vor zwei Siemens-Motoren, die man an seitliche Ausleger des Motorträgers für den Verbrenner montiert hatte. Die damit mögliche rein batterieelektrische halbe Flugstunde wird durch den Dieselgenerator auf satte fünf Stunden ausgedehnt. Für die Elektrofliegerei ein weiterer wichtiger Meilenstein einer Entwicklung, die nicht mehr aufzuhalten scheint.

Elektrifizierung der Verkehrsfliegerei
Frank Anton, Chef von Siemens e-Aircraft und geistiger Vater deren elektrischer Flugmotoren, will bis zum Jahr 2035 ein 100-sitziges, hybridelektrisch betriebenes Flugzeug mit einer Reichweite von 500 nautischen Meilen in die Luft bringen. Der nächste Schritt auf dem Weg dorthin, so der promovierte Physiker und passionierte Pilot gegenüber dem aerokurier, sei ein hybridelektrischer 19-Sitzer, der bereits 2027 Wirklichkeit werden soll. Als Technologieträger dafür wäre die Do 228 ein möglicher Kandidat. Die Motoren könnten die Bezeichnung SP600D tragen, analog zu den bisher aus den Kooperationen mit verschiedenen Flugzeugbauern bekannten Typenbezeichnungen SP55D, SP70D und SP260D, allesamt Radialflussmotoren. Beim Bau der Aggregate für neue Projekte, so Anton, strebe man die Leistungsmarken von 750 Kilowatt und zwei Megawatt an.

Auch in Israel werkelt man an der elektrtischen Zukunft der Verkehrsfliegerei: Das Unternehmen Eviator will auf der Paris Air Show im Juni diesen Jahres bereits einen ersten Prototypen seines Zubringerflugzeugs Alice vorstellen. Alice soll über 1000 Kilometer weit fliegen und dabei mit einer Reisegeschwindigkeit von 240 Knoten operieren. Mit dem vollelektrischen Flugzeug, das etwa vier Millionen US-Dollar kosten soll, will Eviator den Commuter-Sektor völlig neu definieren. Die Ladedauer am Boden soll pro Flugstunde etwa 30 Minuten betragen. Als Pluspunkt nennt Eviator den reduzierten Wartungsaufwand, den die E-Motoren mit sich brächten.
Elektrorenner: Rolls-Royce Accel und Co.
Apropos Rolls-Royce: Im Land, das sich gerade politisch von Europa abzunabeln versucht, tüftelt man auch technisch an Projekten ohne kontinentale Partner. Schon 2020 will das Unternehmen im Südwesten der Insel den Siemensianern und Walter Extra zeigen, wo der sportliche Hammer hängt. Dank zweier britischer Partner soll dann ein einsitziger Renner namens Accel den Luftraum erobern – und dort eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 300 Meilen pro Stunde erreichen, mit der man rein batterieelektrisch eine Strecke von 200 Meilen überbrücken will. Der Antriebspartner dafür heißt Yasa aus Kidlington im Norden Oxfords. Dort baut man Axialflussmotoren, unter anderem den 750R, der mit einer Leistungsspitze von 200 Kilowatt bei 790 Newtonmetern und einer Bautiefe von knappen zehn Zentimetern aufwartet. Gleich drei dieser Aggregate will man in der Accel hintereinanderschalten, um sie zum schnellsten elektrischen Flugzeug der Welt zu machen. Wenn sich die Briten sputen, könnten sie an einem neuen Wettbewerb teilnehmen, der ab Ende 2020 an verschiedenen Orten ausgetragen werden soll: Beim Air Race E, als dessen Co-Initiator Airbus fungiert, sollen je Durchgang acht Flugzeuge auf einem Fünf-Kilometer-Rundkurs nur zehn Meter über dem Boden gegeneinander antreten.

Kühne Ideen pflastern den Weg der Elektroflieger
Kombinierte Elektromotoren haben noch einen anderen Briten auf den Plan gerufen, der sie mit gegenläufigen Luftschrauben nutzen will. Nick Sills, Gründer der Contra Electric Propulsion Ltd. in Wiltshire, hat mit zwei der auch für die Accel vorgesehenen Yasa-Motoren und Herkules-Propellern ein CRPS genanntes System entwickelt, bei dem der hintere der beiden Motoren den vorderen Propeller und der vordere, in Gegenrichtung laufende, eine etwas kleinere hintere Luftschraube bewegen soll. Als Träger für das System hat er sich das Kitplane Furio des neuseeländischen Flugzeugbauers Falcomposite ausgeguckt. Neben dem Vorteil des ausbleibenden Propellertorques erwartet Sills eine Vortriebssteigerung von 15 bis 20 Prozent bei weniger Lärm, die zu kürzeren Startstrecken führen soll. In Verbindung mit der schlankeren, ohne große Kühlluftöffnungen zu formenden Nase will er mit einer 43-kW/h-Batterie die Kombination eine Stunde lang in der Luft halten. Für das mit 450 000 Pfund veranschlagte Projekt sucht er noch Investoren.
Weniger sportlich, dafür aber deutlich weiter ist da übrigens der Amerikaner George Bye. Seine von Siemens-Elektromotoren angetriebene, zweisitzige Schulungsmaschine Sunflyer 2 ist gerade in der Flugerprobung, eine Sunflyer 4 soll ihr folgen.
e-VTOLs und Verkehrszuwachs
Dass das konstante Drehmoment der Elektromotoren Effizienzsteigerungen durch die Propellergeometrie ermöglicht, hat auch Frank Anton von Siemens längst im Kalkül. Da die Motorkraft, anders als bei Verbrennern, nicht an die Drehzahl gekoppelt ist, könne man schon mit wesentlich geringeren Drehzahlen vergleichbare Schubleistungen erreichen, wenn man Blattschaufeln mit größerer Tiefe einsetze – und damit den Geräuschpegel zusätzlich senken. Dies wäre ein weiterer Vorteil für die soziale Akzeptanz häufiger Zubringerflüge von kleinen Landeplätzen zu größeren Airports, die sich mit dem möglichen Do-228-Szenario umsetzen ließen, so der Experte. Die Zubringerflüge könnten beim weiteren weltweiten Wachstum der Luftfahrt eine wichtige Rolle spielen. Die IATA geht in ihrer im Oktober 2017 veröffentlichten 20-Jahres-Prognose von einer Verdoppelung der weltweiten Passagierzahlen bis 2036 aus. Zwar wird demnach der asiatisch-pazifische Raum der mit Abstand größte Treiber dieses Zuwachses sein und die USA und Europa überflügeln, doch auch für unseren Kontinent wird, wie für die USA, mit einem jährlichen Zuwachs von 2,3 Prozent gerechnet. Der steilste Anstieg diesseits des Atlantiks soll der Türkei als weltweit am fünftschnellsten wachsenden Markt bevorstehen.
Zukunftsvision Lufttaxi
So stark steigende Passagierzahlen erfordern neue Verkehrskonzepte – genau der Punkt, an dem nicht nur Zubringerflüge, sondern auch die e-VTOLs als Lufttaxis ins Spiel kommen könnten. Auch bei deren Entwürfen zeigt sich, dass gegenläufige Propeller nicht die dümmste Idee sind, um effizient Schub zu generieren. Und auch bei den e-VTOLs waren seit unserer Übersicht 2017 Rückschläge hinzunehmen, etwa der Bruch einer Volocopter-Kufe beim testweisen Abschalten des hinteren Rotorenkranzes bei einer Landung im vergangenen Juli. Bei ihnen kommen allerdings noch weitere Probleme hinzu. Denn gegenüber den e-VTOLs haben alle Konzepte elektrischer Flächenflugzeuge einen unschätzbaren Vorteil: Sie fügen sich flugbetrieblich problemlos in die gegenwärtigen Luftraumstrukturen und das Verkehrsmanagement ein.

Vielfältige Konzepte
Dennoch ist die Entwicklung der elektrischen Senkrechtstarter von einer ungleich größeren Fülle verschiedener Konzepte gekennzeichnet, von reinen Multicoptern mit einfachen Propellern bis zu solchen mit teil-ummantelten gegenläufigen Propellerpaaren oder Mischformen mit starren Flächen mit Hub- und Schubpropellern oder gar beweglichen Flächen (siehe Kasten). Damit sollen unterschiedliche Einsatzzwecke von privat bis kommerziell ermöglicht werden. Dass man selbst mit recht einfachen Coptern elektrisch problemlos vom Boden wegkommt, haben Anfang 2018 die jungen Darmstädter Tüftler mit ihrer fliegenden Badewanne bewiesen.
Fliegender Sportwagen
Diese Erkenntnisse haben auch bei den Start-ups Niederschlag gefunden. Zum Beispiel dem Posener Tomasz Patan, Gründer von Jetson Aero, der mit einem Prototyp seines „flying sports car“ namens Speeder im Februar 2018 erstmals und gleich minutenlang über einer Wiese in der Toskana hin- und herflog. Das Fluggerät besteht aus einem genieteten Alurahmen mit Sitzschale, an dessen vier Auslegern acht jeweils 13 Kilowatt starke Elektromotoren in H-Anordnung die oberen und unteren Propeller gegeneinander drehen lassen. Der Pole zielt damit auf eine amerikanische Zulassung für ultraleichte Luftsportgeräte nach FAA Part 103 ab. Mit nur 75 Kilogramm inklusive der Batterien, die für 15 Flugminuten und eine maximale Fahrt von 100 km/h reichen, sind demnach weder Lizenz noch Medical erforderlich.
Galerie: Elektroflugzeuge in der Übersicht
Auch Google mischt mit
Genauso wenig, wie für die mit dem Google-Gründer Larry Page im Rücken sicher deutlich kapitalstärkere Kitty Hawk mit ihrem Flyer genannten einsitzigen Flug-Katamaran. Mit einem anderen Konzept namens Cora und einer Kooperation mit dem neuseeländischen Umweltministerium wird dagegen das Geschäftsmodell Air-Taxi von Kitty Hawk bedient: einem Flächenflugzeug mit Hubpropellern an den Flügeln und einem Schubpropeller am Heck der Zelle.
Larry Page ist im vergangenen Sommer übrigens noch in ein weiteres Projekt eingestiegen: Openers BlackFly. Das 2011 in Ontario gegründete und drei Jahre später ins Silicon Valley umgezogene Unternehmen will mit seinem Einsitzer bereits 1600 Stunden Flugerprobung bewältigt haben. Im März vergangenen Jahres hat bereits die Folgeversion BlackFly v2 ihren bemannten Erstflug absolviert. Noch in diesem Jahr, so Opener, soll der Verkauf des FAA-Ultralight-Amphibiums starten, bei dem das Unternehmen von seinen Kunden immerhin das Bestehen der schriftlichen FAA-PPL-Prüfung verlangen möchte.
Wieder ein anderes Fun-Flyer-Konzept hat der Texaner Matt Chasen in die Luft gebracht. Seine Lift Aircraft Hexa erinnert an die Propelleranordnung des Volocopters. Auch die Hexa hat 18 Motoren; sie müssen allerdings nur eine einsitzige Kabine heben, die auf einem mit vier Schwimmern versehenen Landegestell ruht. Das soll den Betrieb zu Wasser wie zu Lande ermöglichen.
Steigender Kesseldruck
Klar, dass solche leichten Fun Flyer für den amerikanischen Markt einem Return on Invest deutlich näher sind als die angestrebte Nutzung der e-VTOLS als gewerbeliche Lufttaxis in Deutschland. Die steht bei uns noch vor ganz anderen Problemen . „Wie viele kommerziell zugelassene Helipads gibt es aktuell in Deutschlands Städten abseits offizieller Flugplätze?“, fragt etwa Frank Liemandt, Pressesprecher des Deutschen Helikopter Verbandes (DHV). Die Antwort: null. Schon jetzt sei die Luftraumüberwachung am Anschlag, und natürlich fordert der DHV für kommerzielle Nutzungen auch entsprechende Zulassungen.
Derzeit laufen die Erprobungen bei Volocopter noch auf Basis einer ultraleichten VVZ. Allerdings strebt man noch in diesem Jahr das Design Organisation Approval an, so der Co-Gründer Alexander Zosel. Und auch für die Zertifizierung leichter Copter durch die EASA sieht er eine Lösung aufziehen. Mitte Oktober 2018 veröffentlichte die Agentur mit Sitz in Köln eine „Proposed Special Condition for small category VTOL aircraft“. Tiefer mag sich Zosel aber nicht in die Karten schauen lassen. Zu groß ist die Zahl potenter Wettbewerber, darunter auch Airbus und Boeing, als dass er den Entwicklungsstand seines Hauses verraten möchte. Auch beim anderen deutschen Start-up Lilium hielt man sich bislang eher bedeckt.
Boeing und Airbus
Von den großen Anbietern dagegen wurden konkrete Fortschritte publiziert. So gab Airbus den Erstflug der Vahana bereits im Februar vor einem Jahr bekannt. Und für das zweite, vollkommen andere e-VTOL-Projekt, das der Konzern unter dem Namen City-Airbus in der Pipeline hat, startete Anfang Mai zum (unbemannten) Erstflug. Ebenfalls zwei vollkommen verschiedenen Konzepten geht man bei Boeing nach. Das zu dem amerikanischen Konzern gehörende Unternehmen Aurora Flight Sciences entwickelt einen militärisch geförderten „Blitzschlag“ namens LightningStrike XV-24 sowie das Passenger Air Vehicle PAV als Lufttaxi, dessen Erstflug im Januar bekannt gegeben wurde. Da ist also ordentlich Druck im Kessel.
Die Weichen werden gestellt
Den hat Airbus jüngst mit zwei von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommenen Papieren weiter angeheizt: Anfang September 2018 veröffentlichte der Konzern den „Blueprint for the Sky“, der den Entwurf für ein unbemanntes Luftverkehrsmanagement beinhaltet. Weiterhin gibt es eine Studie zur sozialen Akzeptanz dieser neuen Luftfahrtentwicklungen, die im Februar dieses Jahres bekannt gemacht wurde. Zu beiden gibt es ein gleichlautendes Grußwort des seinerzeitigen Konzernchefs Tom Enders – den Mann dürfte wohl niemand als Fantasten in Fragen der modernen Luftfahrt abtun. In Sachen Elektroflug bleibt es also weiterhin spannend.